|
|
Von Helga Zepp-LaRouche
In ihrer Rede bei der abschließenden Plenarsitzung des Weltforums Dialog der Zivilisationen, das vom 4.-7. Oktober auf Rhodos stattfand, die wir im folgenden abdrucken, warnte die Präsidentin des internationalen Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, nachdrücklich vor der Gefahr eines thermonuklearen Krieges. Um diese Gefahr abzuwenden, brauche man eine Vision, wie die gemeinsamen Ziele der Menschheit verwirklicht werden können.
Sehr verehrte Damen und Herren,
wir haben in den letzten Tagen über viele wichtige Themen gesprochen, aber ich stimme mit Herrn Prof. Dallmayr überein, daß wir diese Konferenz nicht beschließen können, ohne uns noch einmal auf die Realität zu konzentrieren, daß wir als Zivilisation am Rande eines thermonuklearen Krieges stehen. Die Möglichkeit eines militärischen Angriffs auf den Iran, die Eskalation der Lage zwischen Syrien und der Türkei, die Entsendung amerikanischer Flugzeugträger in die Nähe der umstrittenen Inseln im Westpazifik und Hillary Clintons Erklärung, daß ein Angriff auf diese Inseln das amerikanisch-japanische Beistandsabkommen ins Spiel bringen würde, die Zustimmung der spanischen Regierung zur Teilnahme am Raketenabwehrschild der NATO - alle diese Entwicklungen demonstrieren, daß wir in tödlicher Gefahr sind.
In den letzten Wochen wurde für alle denkenden Menschen offensichtlich, in welcher existentiellen Gefahr sich die menschliche Gattung jetzt befindet. Die fast ununterbrochene Politik des „Regimewechsels“, mit der nach dem Kollaps der Sowjetunion der Irak „in die Steinzeit zurückgebombt“ wurde, Libyen in Anarchie gestürzt, Afghanistan in einen Alptraum verwandelt und der weltliche Staat Syrien zum Opfer ausländischer Interventionen und religiöser Kriege gemacht wurde, könnte sich zu einem unkontrollierbaren, weltweiten Flächenbrand ausweiten. Der Nahe und Mittlere Osten droht zu einem neuen Balkan zu werden, in dem die bestehenden Bündnisse wie die vor dem Ersten Weltkrieg zu einem Feuersturm führen. Das Undenkbare könnte geschehen, daß die „gegenseitig zugesicherte Zerstörung“ nicht länger als Abschreckung wirkt, sondern zur Konsequenz eines Krieges wird, in dem thermonukleare Waffen eingesetzt werden und der zur Auslöschung der Menschheit führt. Nicht irgendwann, sondern schon in den kommenden Wochen.
Die Dynamik, die diese Kriegsgefahr vorantreibt, wird durch den beschleunigten Zusammenbruch des transatlantischen Finanzsystems noch verstärkt. Bernankes euphemistisch als „Quantitative Erleichterung III“ bezeichnete Liquiditätsausweitung ist ebenso hyperinflationär wie Mario Draghis unbegrenztes Aufkaufen („koste es, was es wolle“) von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Hyperinflationäres Gelddrucken in Verbindung mit brutaler Austerität gegen die Bevölkerung und die Realwirtschaft - in der Tradition von Reichskanzler Brüning - wirkt bereits lebensverkürzend für Millionen Menschen in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal und droht Europa in einen Feuersturm des sozialen Chaos zu stürzen.
Die Menschheit ist dabei, mit voller Fahrt vor die Wand zu fahren. Die Frage, die wir dringend beantworten müssen, lautet: Ist die menschliche Gattung angesichts ihrer drohenden Selbstzerstörung intelligent genug, den Kurs rechtzeitig abzuwenden vom gegenwärtigen, ruinösen Paradigma des Versuchs der Konsolidierung eines Weltreichs und der vorgeblichen Legitimation der Lösung geopolitischer Konflikte durch kriegerische Mittel, und es durch ein anderes Paradigma zu ersetzen, mit dem die Menschheit überleben kann?
Um dieses Problem zu lösen, müssen wir ein epistemologisches Problem ansprechen: Wir müssen die Relikte der Denkmethode, die mit dem oligarchischen System verbunden ist, überwinden - einschließlich der Vorstellungen deduktiver, positivistischer, empiristischer, monetaristischer oder linear-statistischer Projektionen, die eine schlechte Unendlichkeit zum Ausdruck bringen, denn diese gehören zu einer Weltanschauung, die nichts mit den Gesetzen des realen physischen Universums oder mit der Kreativität der menschlichen Vernunft zu tun hat.
Statt dessen müssen wir mit der gleichen Kreativität und Liebe zur Menschheit wie Nikolaus von Kues, Johannes Kepler, Gottfried Leibniz, Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven, Friedrich Schiller, Wladimir Wernadskij oder Albert Einstein, um nur einige zu nennen, eine Vision für eine bessere Zukunft der Menschheit schaffen, die natürlich nur realisiert werden kann, wenn genügend Kräfte sich für diese gute Sache vereinigen.
Eine solche Vision kann niemals das Resultat aristotelischen Denkens oder eines Konsenses über die Lösung vieler kleiner Nebenfragen sein, d.h., des „Denkens von unten“, sondern sie kommt von einem „Denken von oben“. Nikolaus von Kues hat mit seiner Methode der Coincidentia Oppositorum, des Zusammenfallens der Gegensätze, in der das Eine einer höheren, mächtigeren Ordnung angehört als das Viele, den Grundstein gelegt, auf dem nicht nur das Prinzip des Westfälischen Friedens und des heutigen Völkerrechtes beruht, sondern auch eine universelle Methode zur Lösung von Problemen und Konflikten, die noch heute gültig ist.
Das bedeutet, daß wir bei der Definition der gemeinsamen Ziele der Menschheit anfangen müssen. Was könnte wichtiger sein als die ontologische Frage des „esse“, des Seins - nämlich, daß wir in der Lage sind, die weitere, dauerhafte Existenz der menschlichen Gattung sicherzustellen?
Aufgrund der antientropischen Gesetzmäßigkeit des physischen Universums setzt die dauerhafte Existenz der Menschheit eine ständige Steigerung der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte und eine ständig steigende Energieflußdichte im Produktionsprozeß voraus. Wenn wir für die zweifache Bedrohung der Menschheit - die Gefahr eines thermonuklearen Krieges und die systemische Wirtschaftskrise - eine Lösung finden wollen, dann muß das neue Paradigma in Übereinstimmung mit der Schöpfungsordnung gebracht werden. Wir brauchen einen Friedensplan für das 21. Jahrhundert, eine Vision, die gleichzeitig Vorstellungskraft und Hoffnung in den Menschen weckt.
Obwohl wir alle wissenschaftlichen und technischen Mittel in der Hand haben, um menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen, leiden mehr als eine Milliarde Menschen unter Hunger und Unterernährung, täglich verhungern 25.000 Kinder - das entspricht einer ganzen Kleinstadt - und drei Milliarden Menschen leben in Armut, womit ihnen ihre Menschenrechte vorenthalten werden. Ist es da nicht unsere heilige Pflicht, diese Mittel auch tatsächlich einzusetzen? Wir brauchen eine großangelegte Entwicklungsstrategie, aufbauend auf den Entwicklungsdekaden der Vereinten Nationen in den fünfziger und sechziger Jahren, und müssen den Paradigmenwandel der letzten 40-50 Jahre als eine Sackgasse zurückweisen und so die Idee des „Friedens durch Entwicklung“ wiederbeleben.
Eine solche Vision könnte die Umsetzung der Weltlandbrücke sein, mit ihren vielen Großprojekten wie NAWAPA, dem Tunnel unter der Beringstraße, der Erschließung der Arktis, der Erweiterung der Eurasischen Landbrücke vor allem in den Nahen und Mittleren Osten und auf den Indischen Subkontinent, der Verbindung Afrikas mit dieser Weltlandbrücke durch Tunnel unter der Straße von Gibraltar zwischen Spanien und Marokko und auch zwischen Sizilien und Tunesien.
Es gibt zwei große Regionen auf dem Planeten, in denen der Mangel an Entwicklung zum Himmel schreit. Die eine ist der afrikanische Kontinent, dem niemals erlaubt wurde, sich von der jahrhundertelangen kolonialen Ausbeutung zu erholen, die zweite ist der Nahe und Mittlere Osten, der heute weit hinter seine goldenen Zeiten zurückgefallen ist, als Bagdad das Zentrum der Weltkultur und Palmyra Tadmor in Syrien die Perle an der antiken Seidenstraße war. Wir müssen eine Vision für eine wirtschaftliche und kulturelle Renaissance für diese Regionen auf die Tagesordnung der Diskussion setzen, als ein Element der Vernunft, das auf einer höheren Ebene liegt als die lokalen ethnischen und historischen Konflikte.
Würden die Vertreter einer Gruppe großer Nationen der Weltgemeinschaft eine solche Botschaft bringen und dadurch zeigen, daß es tatsächlich eine reale Alternative gibt, die das Überleben aller Menschen auf dem Planeten ermöglichen würde, dann könnte das Element der Hoffnung in die Debatte eingebracht werden, das derzeit vollkommen fehlt.
Das gleiche Denken vom Standpunkt der Coincidentia Oppositorum, des Denkens „von oben“, wie es zur Überwindung der Unterentwicklung der Erde durch die Weltlandbrücke angewandt wird, brauchen wir auch zur Abwehr von Gefahren, die dem gesamten Planeten aus dem Weltraum drohen. Rußland hat mit seinem Projekt der „Strategischen Verteidigung der Erde“ (SDE) einen Vorschlag für eine Zusammenarbeit Rußlands, der Vereinigten Staaten und potentiell weiterer Staaten für eine gemeinsame Raketenabwehr und den Schutz der Erde vor Asteroiden- und Kometeneinschlägen gemacht, die an die Stelle der derzeitigen geopolitischen Konfrontation und der existentiellen Gefahr ihrer Eskalation treten kann. Dieses Projekt der SDE steht in der Tradition der SDI, der „Strategischen Verteidigungs-Initiative“ (SDI), des Vorschlages zur Überwindung der nuklearen Bedrohung und der Teilung der Welt in Militärblöcke, den mein Ehemann Lyndon LaRouche vor mehr als 30 Jahren entwickelte und der von Präsident Ronald Reagan 1983 zur offiziellen Politik der amerikanischen Regierung gemacht wurde.
Das Projekt der SDE, das ein Frühwarnsystem für menschengemachte und natürliche Katastrophen sowie die Zusammenarbeit in der bemannten Weltraumfahrt umfaßt, ist ein absolut notwendiger Wissenschaftsmotor für die Wirtschaft, den diese krisengeschüttelte Welt braucht, um höhere Ebenen der Produktivität zu erreichen und um die neuen wissenschaftlichen und technologischen Kapazitäten zu schaffen, die auch für die Lösung der Probleme auf der Erde benötigt werden - und mit diesem „extraterrestrischen Imperativ“, wie es der bekannte Wissenschaftler und Raketenkonstrukteur Krafft Ehricke nannte, kann die Menschheit jetzt in ein Zeitalter des Erwachsenseins eintreten und die Lösung von Konflikten durch Kriege wie eine Kinderkrankheit hinter sich lassen.
Wenn es uns gelingt, uns umgehend um eine Vision zum Erreichen der gemeinsamen Ziele der Menschheit zusammenzuschließen und diese Perspektive bewußt als eine Kriegsvermeidungsstrategie zu präsentieren, dann kann sie die Phantasie der jüngeren Generation beflügeln, der jetzt weltweit Arbeitslosigkeit und verzweifelte Hoffnungslosigkeit droht. Wenn die jungen Menschen die gleiche Leidenschaft und die erhabenen Konzepte entwickeln, wie sie einst die Raumfahrtpioniere hatten - was nun ermutigt wird durch die Instrumente, die der Marsrover Curiosity einsetzt, wodurch „sich die Sinneswahrnehmung des Menschen verlagert“, wenn auch mit einer 14minütigen Verzögerung, und die Welt in einen neuen Phasenraum eintritt - wenn die jungen Menschen diese Leidenschaft entwickeln, dann haben wir gewonnen. In der nächsten Phase der Menschheit werden die Menschen wie Wissenschaftler und wie die Komponisten der großen Kunstwerke der klassischen Kunst denken.
Entweder wir arbeiten jetzt, in diesem Moment existentieller Gefahr, für die gemeinsamen Ziele der Menschheit oder wir werden nicht existieren.
Helga Zepp-LaRouche ist Präsidentin des internationalen Schiller-Instituts