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Neue Solidarität
Nr. 41, 10. Oktober 2012

Wirtschafts-Nachrichten

Steinbrücks Bankentrennung: nur ein Zäunchen statt einer Mauer

Während die Kampagne für die Rückkehr zur Glass-Steagall-Bankentrennung in den USA an Fahrt gewinnt und auch in London prominenten Zulauf erhält, zeigt die Debatte über Bankentrennung in Deutschland, wie feige die deutsche Politik in dieser Hinsicht ist. Ein Fall sind die Sozialdemokraten (SPD), deren Kanzlerkandidat Peer Steinbrück am 25. September die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe für Finanzreform, der er vorsaß, der Öffentlichkeit vorstellte. Ohne den Kampf für Glass-Steagall auch nur zu erwähnen, spricht er sich für einen Vorschlag der OECD für eine Trennung der Geschäftsbereiche innerhalb der Banken aus - ähnlich dem sog. „Ringfencing“, das die Vickers-Kommission in England empfiehlt.

Im entsprechenden Abschnitt des 30seitigen Arbeitspapiers des früheren Finanzministers Steinbrück heißt es:

Steinbrück schlägt daher eine Art Holding vor, wobei Kredit- und Einlagengeschäft vom Investment- und anderen Geschäftsbereichen getrennt als eigenständige Tochterunternehmen betrieben werden. Ein Wallstreet-Insider nannte Steinbrücks Papier einen „sehr niedrigen Zaun“, den Spekulanten leicht überspringen könnten.

Andere Vorschläge in dem Arbeitspapier laufen darauf hinaus, daß Deutschland noch mehr Souveränität abgibt - etwa der Vorschlag, einen europaweiten Bankenstützungsfonds von 200 Mrd. Euro einzurichten, den die privaten Banken finanzieren sollen, und eine Bankenaufsicht für die gesamte Eurozone bei der EZB zu schaffen. Bessere Teile von Steinbrücks Plan sind die Forderungen nach einem Verbot von außerbilanzlichen (OTC-) Geschäften und von rein spekulativen Derivatgeschäfte mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen.

Allerdings wird die SPD jetzt voraussichtlich keine Gesetzesvorlage dazu anstreben. Das Papier soll in das Parteiprogramm für die Bundestagswahl im September 2013 einfließen und würde erst nach 2013 konkrete Politik - falls Steinbrück zum Kanzler gewählt wird.

Die Posse der „Neuverschuldung von maximal 3% des BIP“

Der Aufmarsch der Bereitschaftspolizei gegen die Proteste in Griechenland und Spanien ist ein übler Vorgeschmack darauf, was für ein totales Chaos eine Fortsetzung der jetzigen EU-Politik hervorrufen würde. Die der Bevölkerung aufgelastete Sparpolitik ist nicht nur mörderisch, sie ist auch ökonomisch völliger Unfug - Unfug, wenn es um den Abbau der Haushaltsdefizite geht, jedoch nicht, wenn das eigentliche Ziel ist, aus Europa ein totalitäres, supranationales Imperium zu machen.

Doch warum müssen die Regierungen in der EU eigentlich unbedingt ihre Neuverschuldung unter 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) drücken oder halten? Wo kommt diese sakrosankte Zahl 3% her? Anders als viele Europäer meinen, ist die Idee ein ganzes Stück älter als der Maastricht-Vertrag und stammt nicht aus Deutschland, sondern aus Frankreich.

Präsident Hollande und die französische Regierung bestehen heute darauf, daß sie dieses Kriterium einhalten werden, auch im Haushalt 2013 - und daraufhin hat die populäre Zeitung Le Parisien den Mann besucht, der diese „magische Zahl“ erfunden hat. Es ist Guy Abeille, damals hoher Beamter im französischen Finanzministerium. Er gab gegenüber Le Parisien offen zu, daß er sich dieses Kriterium an einem Abend Ende Juni 1981 einfach ausgedacht hat, ohne die geringste Grundlage in irgendeiner Wirtschaftstheorie! Präsident Mitterrand wünschte sich damals „eine runde Zahl, die man sich leicht merken kann“, damit seine Minister nicht zuviel Geld ausgeben.

Abeille hat schon am 1.10. 2010 in der Finanzzeitung La Tribune diesen schicksalhaften Abend im Juni 1981 ausführlich (und gedankenlos) geschildert. Er und ein Kollege der Haushaltsabteilung hätten von ihrem Chef den Auftrag erhalten, für Mitterrand zur Ausgabenbegrenzung eine „einfache, utilitaristische Regel“ zu erfinden, „die mit einem Expertensiegel versehen ist und deshalb nicht hinterfragt werden kann“.

Daraufhin betrachteten Abeille und sein Kollege verschiedene statistische Maßeinheiten, die man verwenden könnte, und schließlich entschieden sie sich für das „Defizit“ (Neuverschuldung) - etwas, was für jedermann negativ klingt - und für das BIP. Denn das BIP sei der „universelle Rettungsanker“ für Ökonomen, wenn sie keinen anderen Bezugspunkt finden.

Das Verhältnis an sich sei völlig irrelevant, schrieb Abeille, denn es sei, „wie Kohlköpfe durch Karotten zu teilen“. Die Neuverschuldung wird heute aufgenommen und erst in Jahren zurückgezahlt, das BIP ist dagegen nur die Wirtschaftsleistung, die innerhalb eines Jahres erbracht wird. Relevant sei tatsächlich nur, ob man die Schulden zurückzahlen kann, wenn sie fällig werden.

Und wie kamen sie auf die Zahl 3%? Ganz einfach: Weil bezogen auf die BIP-Prognose für 1982 die geplante Neuverschuldung damals knapp unter 3% lag! „Dieser Umstand war die einzige Grundlage.“ 1% wäre zu wenig und 2% zu streng gewesen. So kamen sie auf die Zauberformel 3%, lieferten sie bei ihrem Chef ab und der übergab sie der Regierung.

Zwei Monate danach im August bezog sich Haushaltsminister Laurent Fabius zum erstenmal auf das Defizit-BIP-Verhältnis, das 2,6% betrug. Es erschienen mehrere Presseberichte über die 3%-Präsidialdirektive und Mitterrand verkündete dann im Juni 1982, die Neuverschuldung dürfe diese - völlig künstliche, frei erfundene - Zahl nicht überschreiten.

Über die Jahre wurde dies dann immer mehr gebetsmühlenartig wiederholt. Am Ende wurde es in „Mitterrands Geisteskind“, den Maastricht-Vertrag, hineingeschrieben.

So wird heute die Bevölkerung rücksichtslos ausgeplündert, um einer frei erfundenen, sinnlosen Monetaristenzahl willen. Die Lösung des Defizitproblems liegt in genau der entgegengesetzten Richtung.