|
|
Leona Meyer berichtet vom Landesparteitag der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo), Stuttgart, den 15. September 2012.
Von Parteitagen erwartet man wohl, daß sie langweilig und trocken, kurz: ein bürokratischer Zwang sind, den jede Partei absolvieren muß, um per Wahlen in das politische Geschehen des Landes eingreifen zu können. Doch der baden-württembergische Landesparteitag der BüSo versprach schon von Beginn an, mit dieser Erwartung zu brechen.
Um die Anwesenden auf eine höhere Geisteshaltung, als jene, welche für einen langweiligen und trockenen Parteitag ausreichen würde, zu heben, wurde von zwei BüSo-Mitgliedern ein Duett aus Beethovens „Christus am Ölberg“ gesungen. Damit wurde der richtige Ton angeschlagen: Hier geht es nicht nur um einen bürokratischen Akt, sondern die größten Fragen, mit denen sich der Mensch beschäftigen kann: Wie sieht die Zukunft der baden-württembergischen Bevölkerung und die der ganzen Menschheit aus? Und was für einen Einfluß können Sie und ich auf die Geschichte und damit auf diese Zukunft haben?
Ein ausführlicher Bericht der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der BüSo, Elke Fimmen, verdeutlichte die jetzige politische Weltlage. Sie sagte, im Mittleren und Nahen Osten sei die Stimmung sehr angespannt. Die Führung Israels spreche davon, Iran anzugreifen, während die obersten Militärchefs der USA und Rußlands versuchten, die Situation zu deeskalieren. Die Ermordung des US-Botschafters Stevens und die Angriffe auf weitere Botschaften, sowie die Militärmanöver unweit der Straße von Hormus heizten die ohnehin schon sehr gespannte Lage noch weiter an.
Doch sei all das nicht gegen Syriens Präsidenten oder Irans Atomprogramm gerichtet. Nein, hier gehe es um das Außerkraftsetzen der Souveränität verschiedener Nationen.
Um die Menschheit aus dieser gefährlichen Lage herauszuführen, brauche es nichts weniger, als einen totalen Paradigmenwandel. Nur wenn man aus dem imperialen, geopolitisch-strategischen Denken ausbreche und auf der Basis souveräner, gleichwertiger Nationalstaaten die Zusammenarbeit für gemeinsam gesetzte Ziele verfolge, könne der Frieden langfristig gesichert werden.
Daß das Karlsruher Verfassungsgericht den ESM unter Auflagen zugelassen hat, sei eine Katastrophe. Doch werde ein Ausweg aus dieser Politik im letzten Abschnitt des Karlsruher Urteils beschrieben: Die Rettungspakete und der ESM seien nämlich nur solange wirksam, wie Deutschland Teil der Währungsunion sei. Die notwendige Konsequenz, um Deutschlands Souveränität wieder herzustellen, wäre es demnach, die EU-Verträge von Maastricht bis Lissabon aufzukündigen, zur eigenen Währung zurückzukehren und durch ein Trennbankensystem die Spekulationspapiere durch ein geordnetes Insolvenzverfahren abzuschreiben, statt weiter Rettungspakete für dieses gescheiterte System zu schnüren.
Das Entsetzen über die von EU und EZB gesteuerten Machenschaften war groß, doch überrascht war keiner der Teilnehmer. Die dramatische Weltlage forderte die Zuhörer eher heraus, über sich selbst als Individuum in der Geschichte anders nachzudenken, als bisher. Die Stimmung der Anwesenden in der folgenden Diskussion ließ sich mit dem ausgesprochenen Satz eines Mitgliedes ganz gut charakterisieren: „Wer kämpft, kann verlieren, aber wer nicht kämpft, der hat bereits verloren!“
In einem zweiten Vortrag des Parteitages ging Stephan Ossenkopp, derzeitiger Oberbürgermeisterkandidat der BüSo für Stuttgart, auf den OB-Wahlkampf ein und machte deutlich, daß der Wirkungsgrad des Oberbürgermeisters von Stuttgart viel größer sei, als kleingeistige Lokal-Journalisten der Stuttgarter Presse, andere OB-Kandidaten oder oft die Bürger selbst auf den ersten Blick vermuten.
Der erste Oberbürgermeister Stuttgarts nach dem zweiten Weltkrieg, Arnulf Klett, hielt 1947 einen Vortrag, in dem er auf seine Stellung und Aufgaben als OB einging und sagte:
„Wir brauchen Männer mit Weitblick, die über die Nöte der unmittelbaren Gegenwart nicht die Aufgaben der Zukunft vergessen… Sehen Sie in einem Oberbürgermeister nicht ein Amt, sondern einen Menschen mit Fehlern und Tugenden, einen Menschen, von dem Sie aber eins verlangen müssen - daß in seiner Brust ein Herz schlägt, dessen einzige Sorge seiner Stadt und seinen Bewohnern gilt. Nur die Männer und Frauen mit einem echten und warmen Gefühl für die Nöte des Alltags, die großen wie die kleinen, … können die Mitgestalter unseres Aufbaues sein. Das gilt für jeden Angehörigen der Stadtverwaltung… und mit Nachdruck für den Oberbürgermeister.“
Stephan Ossenkopp führte weiter aus, daß Stuttgart im zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört wurde und daß heute die industriefeindliche EU-Politik samt Energiewende die produktiven Arbeitsplätze im Raum Stuttgart vernichte. Den 1947 nötigen Wiederaufbau verglich Arnulf Klett mit der Situation nach den Napoleonischen Kriegen, als der Staat auch, wie das Dritte Reich, zusammengebrochen war und der preußische Reformer Freiherr vom Stein in seiner berühmten Denkschrift von Nassau einen Vorschlag für den Wiederaufbau machte. Dieser nötige systematische Aufbau sei von unten nach oben vorzunehmen. Zur Zeit Napoleons, während des zweiten Weltkrieges (oder heute durch die EU), sei alles zwangsläufig von oben her geregelt und angeordnet worden. Der Bürger hatte keine Verantwortung, und man erwartete auch keine von ihm. Er hatte sich daran gewöhnt, auf jede eigene Initiative zu verzichten und immer nur auf den Anstoß von oben her zu warten.
Der Neuaufbau des staatlichen Gemeinwohls unter Klett wurde bewußt von den Kommunen ausgehend organisiert, nicht von oben herab. Das weise uns heute einen Weg, wie auf die Finanz- und Wirtschaftskrise reagiert werden sollte und wo die Aufgaben des Oberbürgermeisters sein müßten.
Der bisherige Amtsinhaber, Wolfgang Schuster, sei aber voll auf Linie mit der von der EU verordneten Politik der Privatisierung und des Sparens. Nun erfordere es einen großen Wertewandel, um die Region und Europa aus dieser Sackgasse herauszusteuern.
Ein positives Beispiel einer aktiven Versöhnungspolitik der Völker repräsentierten die großen Staatsmänner Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, die mit Hilfe des Schumann-Plans die Idee verfolgten, in vorher konkurrierenden Industriezweigen, wie Kohle, Eisen und Stahl zusammenzuarbeiten und so eine Grundlage für den Frieden zu schaffen. Ziel sei es gewesen, auf diesem Wege Europa durch gemeinsame Entwicklung zu vereinen, nicht durch eine gemeinsame Währung, gepaart mit von oben verordneter Sparpolitik zu spalten.
Mit diesem großen Bild im Kopf hat Stephan Ossenkopp die notwendige Richtung für den künftigen Oberbürgermeister Stuttgarts gesetzt. Gleichzeitig ist es die richtige Herangehensweise für den kommenden Wahlkampf der BüSo für die Bundestagswahlen, um Europa aus dieser fundamentalen Krise durch einen Wirtschaftswiederaufbau herauszuholen.
Die Vorsitzende der MoviSol in Italien, Liliana Gorini, schickte eine Grußbotschaft zum Parteitag, in der sie die OB-Kandidatur von Stephan Ossenkopp begrüßt und unterstützt (siehe nebenstehenden Kasten).
Beflügelt von den lebendigen Diskussionen schmiedeten die Mitglieder und Gäste anschließend Pläne, wie jeder Einzelne sich aktiver für diese Ziele einbringen und die neue Wahlkampf-Broschüre in der OB-Wahl verteilen kann, um die Debatte in Stuttgart auf die wirklich wichtigen Themen zu lenken.
Außerdem wurden erfolgreich neun Kandidaten auf die Landesliste der BüSo für die Bundestagswahl gesetzt.
Dieser spannende, erfolgreiche Parteitag schloß, wie er begann mit einem musikalischen Beitrag: Als Zeichen des aktiven Widerstandes gegen die Tyrannei dieses Finanzsystems, sangen die Anwesenden das Lied „Die Gedanken sind frei“.
Leona Meyer