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Ilja Karpowski berichtet von der Karlsruher Demonstration gegen den ESM.
Sie kennen das vielleicht - so, oder so ähnlich - aus eigener Erfahrung oder besitzen genügend Vorstellungskraft, um es sich auch vorstellen zu können: Sie bereiten in der Küche Ihres Hauses das Essen zu. Plötzlich fängt der Herd Feuer. Sie eilen sofort zum Badezimmer nebenan, um zur Löschung einen Eimer mit Wasser zu füllen. Als Sie zur Küche zurückkommen, hat das Feuer bereits um sich gegriffen, der Eimer Wasser nützt Ihnen gar nichts mehr. Die Flammen breiten sich rasend schnell aus, Ihnen bleibt nur noch die Flucht, um Ihr eigenes Leben zu sichern. Ihr Haus wird ein Raub der Flammen.
Dieses Bild versinnbildlicht recht genau das Dilemma der Initiativen und Parteien, die letzten Samstag zur Demonstration gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gerufen hatten: Niemand würde den Initiatoren eine bösartige Absicht unterstellen, genauso wie niemand die Absicht des oben genannten Feuerlöschers kritisieren könnte. Aber auch ehrliche Mühen können sich als verloren erweisen, wenn sie sich nicht auf eine sich verändernde Realität beziehen. Und die politische Realität des Zusammenbruchs der Eurozone verändert sich, so scheint es fast, im Sekundentakt.
So trafen sich am Samstag, dem 8. September ESM-Gegner in Karlsruhe auf dem Platz der Grundrechte, um gegen die undemokratische Institution zu mobilisieren. „Jetzt oder nie - Demokratie!“ war eines ihrer Mottos. Sie beklagten die Übernahme von souveränen Staatsfunktionen durch die EU und die zu erwartende Diktatur durch den permanenten ESM-Rettungsschirm ohne jegliche demokratische Legitimität. Lesern der Neuen Solidarität brauche ich sicherlich nicht mehr dazu sagen. Insgesamt zählte man 400 Anwesende. Einige Initiativen und Parteien hatten Infostände aufgestellt. Es sprachen unter anderen Vertreter der Partei der Vernunft und des Aktionsbündnisses Direkte Demokratie.
Mit der Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), unbegrenzte Mengen an Staatsanleihen aufzukaufen, hat der ESM bereits seine nominell zentrale Funktion verloren, nämlich Staatsanleihen mit öffentlichen Geldern zu finanzieren. Daß es sich so oder so dabei um eine Finanzierung des bankrotten Finanzsystems handelt, wird von der der BüSo schon seit langem angeprangert. Jetzt, da der ESM in Karlsruhe durchgewunken wurde, zeigt sich wieder allzu deutlich, daß die Bevölkerung schnell größer denken muß, um ein „Ausbrennen“ des deutschen und europäischen Hauses aufzuhalten.
Deshalb war die Präsenz der BüSo bei der Demonstration sehr wichtig. Nicht nur, um die sich verändernden politischen Rahmenbedingungen ins Spiel zu bringen, sondern vor allem, um auch die Alternative zu präsentieren: Nur mit einem Trennbankensystem, wie es US-Präsident Franklin Roosevelt 1933 in seinem Land einführte, kann das Gemeinwohl jetzt effektiv verteidigt werden. Aber es war auch gut, daß wir das Programm „Es gibt ein Leben nach dem Euro“ für das notwendige europäische Wirtschaftswunder in persönlichen Gesprächen präsentieren konnten, denn einige Leute zeigten ein Unverständnis bezüglich der systemischen Natur der Krise als entscheidendem Faktor des Wirtschaftskollapses auch in anderen Ländern wie Griechenland und Spanien. Im allgemeinen ist von den anwesenden BüSo-Aktivisten eine Offenheit bei den Teilnehmern empfunden worden, über Alternativen der BüSo zu diskutieren. Ein Grußwort des Oberbürgermeisterkandidaten der BüSo in Stuttgart, Stephan Ossenkopp, wurde von den Veranstaltern vom Podium verlesen. (Dieses Grußwort finden Sie auf S.10 dieser Ausgabe.)
Doch das sollte nicht alles sein. Denn obwohl es den meisten Menschen heute an größeren Ideen mangelt, die in diesem Augenblick in der politischen Landschaft nur die BüSo vorweisen kann, bleibt die Politik kein Feld der objektiven oder rein informativen Dinge. Ideen, auch solche politischer Natur, müssen immer gleichzeitig emotional sein, d.h. sie müssen die Menschen bewegen können. Daß die klassischen Komponisten und Dichter dies wußten, läßt sich leicht an eigener Erfahrung überprüfen. Hören Sie sich zum Beispiel die neunte Symphonie von Beethoven an über die „Freude, schöner Götterfunken“, und Sie werden wahrscheinlichen spüren, was ich hier in Worten zu beschreiben versuche. Das kann eben nur die klassische Komposition und keine Variante der modernen Musik.
So war es gut, daß BüSo-Aktivistin Leona auf das Podium treten konnte, um „Die Gedanken sind frei“ zu singen, wodurch die Anwesenden sich zum Mitmachen animiert fühlten. Beim Protestumzug durch die Stadt mit dem lauthals skandierten Slogan „Stoppt ESM!“, stimmten BüSo-Aktivisten noch mehrere Male Schillers „Götterfunken“ an. Dies sorgte für viel Kopfschwenken innerhalb und außerhalb des Zuges. Ein Zugteilnehmer sagte auch, daß der Gesang von Leona und Co. viel schöner wäre als die Rufe. Somit zeigte sich der klassische Gesang wieder einmal als potentiell revolutionäre Wunderwaffe.
Es ist deutlich: Die Deutschen müssen lernen, jetzt Widerstand zu leisten gegen die Zerstörung ihrer Verfassung durch die EU-Bankendiktatur, und für große Ideen einzustehen. Es muß mehr Demonstrationen dieser Art geben. Die Menschen müssen dabei mit moralischem Sinn nicht nur ihren eigenen Lebensstandard, sondern den der nächsten Generationen verteidigen. So kann eine Bevölkerung über sich hinauswachsen.
Denn, um noch einmal auf das eingangs beschriebene Bild zurückzukommen: Wenn Sie diese Zeilen lesen, steht bestimmt schon das halbe Haus in Brand. Nur eine herzhafte Löschaktion, die vielleicht die eigenen Kräfte überschreiten zu scheint, kann den Brand noch beenden. Nur eine heldenhafte, persönliche Initiative von jedem von uns kann zum jetzigen Zeitpunkt noch eine Katastrophe verhindern.
Ilja Karpowski