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Der Journalist Giovanni Fasanella hat einen Versuch angeprangert, den Staatspräsidenten zu erpressen - und wurde deshalb zur Zielscheibe einer politischen Hexenjagd.
Wenn Italien und Europa nicht mit ihrer selbstzerstörerischen Austeritätspolitik brechen, dann wird auf Heinrich Brünings Epigonen Mario Monti eine moderne Form der faschistischen Diktatur folgen, so wie 1933 in Deutschland auf die Regierung Brüning Hitler folgte.
Montis Sparpolitik sollte die Finanzdaten der italienischen Wirtschaft verbessern - auch wenn dafür produktive Kräfte geopfert würden -, produziert aber schlechtere Zahlen als jede frühere Regierung. Italiens Schulden waren noch nie so hoch, die Produktion schrumpfte drei Quartale in Folge (Automobilverkäufe sanken um 20%) und die Arbeitslosigkeit steht auf Rekordhöhe. Nach Angaben des nationalen Statistikamts Istat ist die Jugendarbeitslosigkeit seit 2008 um 1,5 Mio. gestiegen. Im Kontrast dazu arbeiten heute wegen der von der EU diktierten Rentenreform Montis mehr ältere Menschen. Die Beschäftigung zwischen 55 und 64 Jahren stieg seit 2008 von 2,4 Mio. auf 3,3 Mio., eine Steigerung um 26%. Die größte Steigerung gab es im vorigen Jahr infolge der Monti-Reform: die Zahl der Beschäftigten über 55 Jahre wuchs um 226.000.
Hinzu kommt, daß von der Beschäftigung ein enormer Anteil „prekär“ ist, 3 Mio. Menschen haben nur befristete Arbeitsverträge mit wenig oder gar keinen Sozialleistungen.
Da die sozialen Proteste gegen Montis Politik zunehmen, arbeitet die Oligarchie bereits daran, die Wut der Bevölkerung gezielt in eine von ihr gesteuerte jakobinische Bewegung zu kanalisieren. Hinter dieser Bewegung stehen probritische Netzwerke in den Medien, der Politik und Teilen des Justizapparates, die in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder Operationen gegen den italienischen Nationalstaat gefördert haben. Bei Wahlen tritt diese Bewegung in Form der „Fünf-Sterne-Bewegung“ (Movimento Cinque Stelle) des Komikers Beppe Grillo in Erscheinung, und ihre Propaganda liefern neben Grillos eigenem Internetblog vor allem die Tageszeitung Il Fatto und eine Clique probritischer Journalisten in den landesweiten Zeitungen und Fernsehsendern.
Grillo ist eine moderne Karikatur von Gabriele D’Annunzio, dem eigentlichen Begründer des italienischen Faschismus. D’Annunzio, ein dekadenter Poet, erfand alle Symbole des Faschismus und gründete die Bewegung der Schwarzhemden, deren erste militärische Aktion, die Besetzung der Stadt Fiume (Rijeka) in Istrien, als Übung für weitere Aktivitäten ihrer Miliz diente. Mutatis mutandis, der Unterschied zwischen D’Annunzio und Grillo ist der, daß D’Annunzio noch in Konkurrenz zu den Giganten der Klassik in der künstlerischen Tradition Italiens wie Verdi oder Manzoni stand und daher bei aller Dekadenz gewisse Formen achten und ein gewisses Können beweisen mußte - während es Grillo nur mit einem Umfeld zu tun hat, das von der Rock-Drogen-Sex-Kultur der Ära seit 1968 beherrscht ist, und er das Internet nutzt.
Was die Gewalt angeht, so üben sich Grillos faschistische Kolonnen von heute durch Anschläge auf Arbeiter an den Baustellen der Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke Turin-Lyon.
Erst jüngst verbündete sich ein weiterer populistischer bzw. jakobinischer Politiker mit Grillo: der frühere Staatsanwalt Antonio Di Pietro, dessen Partei mit einer kleinen Fraktion im Parlament vertreten ist.
Diese Gruppe hat nun durch ihr nahestehende Staatsanwälte in Palermo eine Operation in Gang gesetzt, um Staatspräsident Giorgio Napolitano mit illegalen Mitschnitten von Telefongesprächen zu erpressen - möglicherweise ermutigt durch Umfragen, wonach Grillos Bewegung inzwischen im Fall einer Neuwahl zweitstärkste Partei werden könnte, nur knapp hinter der Demokratischen Partei. Napolitano hat durch einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung des Verfassungsgerichtes die Publikation der mitgeschnittenen Gespräche vorläufig blockiert, aber wenn das Gericht ablehnt, kann die Erpressung mit Napolitanos „Watergate“ ihre ganze Wirkung entfalten.
Napolitano wurde im Kontext von Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Palermo gegen den früheren Innenminister Nicola Mancino abgehört. Dieser steht im Verdacht, Absprachen mit Mafiosi getroffen zu haben, um diese von weiteren Bombenanschlägen in italienischen Städten abzuhalten. Als Mancino seinen alten Freund und Parlamentskollegen Napolitano anrief, schnitten die Staatsanwälte diese Gespräche mit. Der Inhalt der Gespräche wurde nirgends veröffentlicht, aber der Mitschnitt auch nicht wieder gelöscht, wie es das Gesetz eigentlich vorschreibt, weil ein Staatspräsident nur wegen Hochverrats angeklagt werden kann.
Man vermutet, daß ein Bekanntwerden des Inhalts Napolitano politisch kompromittieren würde und die Jakobinerfraktion, mit der die Staatsanwälte in Palermo verbunden sind, ihn zu bestimmten politischen Zugeständnissen wie vorgezogenen Neuwahlen erpressen will. Vielleicht will sie aber auch den Inhalt öffentlich bekannt machen, um nach der politischen Klasse und dem Parlament auch noch die letzte Institution der Republik zu erschüttern, die noch ein gewisses Ansehen in der Bevölkerung genießt.
Auch wenn die abgehörten Gespräche möglicherweise Napolitanos Machenschaften zugunsten des EU-Technokraten Mario Monti belegen, sind die Netzwerke, die von einer solchen Bloßstellung profitieren würden, noch schlimmer als ihre Opfer. Diese Kreise fordern noch mehr supranationale Herrschaft („Gouvernanz“) und propagieren Industrieabbau, eine schrumpfende Wirtschaft und eine „grüne“ Wirtschaftspolitik.
Und sie wollen die repräsentative Demokratie abschaffen.
Michele Ciliberto schrieb in der linken Tageszeitung L’Unita über diesen wachsenden politischen Mob: „Sie stellen der repräsentativen Demokratie, in der sie den Ursprung allen Übels sehen, eine auf dem Internet basierende direkte Demokratie entgegen.“ Aber diese direkte Demokratie, erinnert Ciliberto seine Leser, „ist strukturell radikal und unnachgiebig und führt, wie uns die Klassiker lehren, automatisch in den Despotismus, weil sie die Gewaltenteilung beseitigt“.
Das sei nicht bloß ein italienisches Problem, denn auch die Piraten-Partei in Deutschland unterstütze „eine radikale Form der direkten Demokratie durch die Nutzung des Internets und eine Reduzierung ihrer Abgeordneten auf die Funktion von Delegierten, sodaß auch in diesem Fall der Aspekt der Vermittlung beseitigt wird“.
In Italien könnte sich eine neojakobinische „Lösung“ durchsetzen. „Wir sitzen auf einem Vulkan; wir sollten uns das ein für alle Mal bewußt machen“.
Es war der Journalist Giovanni Fasanella, ein Veteran des antibritischen Widerstands, der diese schmutzige Operation an die Öffentlichkeit brachte. In einem ausführlichen Bericht im Wochenmagazin Panorama vom 29. August schrieb Fasanella unter Berufung auf Informanten sowie Andeutungen aus Zeitungsartikeln dreier Journalisten aus dem oppositionellen Lager, daß diese Mitschnitte Gespräche aus der Zeit des Übergangs von der Regierung Berlusconi zur Regierung Monti dokumentieren. Sie würden zeigen, daß Napolitano beim Sturz Berlusconis und der Einsetzung der Regierung Monti viel aktiver beteiligt war, als mit seiner verfassungsmäßigen Rolle vereinbar ist. Außerdem enthielten sie abfällige Bemerkungen über Berlusconi und dessen Alter Ego, den Populisten Antonio Di Pietro.
Fasanella verurteilt die Verantwortlichen für diese Abhöraktionen und Erpressungen, und er verteidigt die Institution des Staatspräsidenten. Doch seltsamerweise reagierte gerade das Büro des Staatspräsidenten als erstes, und das sehr negativ; man unterstellte Fasanella erpresserische Absichten. Dann wurde plötzlich eine gewaltige Armee von Vertretern aus Politik, Institutionen, Justiz und Medien gegen diesen Journalisten mobilisiert, der es gewagt hatte, die ganze schmutzige Operation aufzudecken!
Das hat vermutlich einen doppelten Grund: 1. Indem er die Erpressung aufdeckte, hat Fasanella vielleicht unbeabsichtigt eine sich anbahnende politische Geheimabsprache gestört. 2. Die Überreaktion ist wahrscheinlich auch eine Reaktion auf sein Buch über den „britischen Putsch“ (Il golpe inglese), das Fasanella vor einem Jahr veröffentlicht hat und in dem er die britischen Destabilisierungsoperationen gegen Italien über sechs Jahrzehnte dokumentiert. Er benennt darin u.a. Netzwerke von Journalisten, die vom britischen Foreign Office dafür bezahlt wurden, die öffentliche Meinung Italiens im Londoner Interesse zu beeinflussen (siehe „Der britische Putsch“, Neue Solidarität 40/2011).
Fasanella selbst machte sich, als der erste Schock vorüber war, Gedanken darüber, was hinter der Reaktion stecken könnte, und er schrieb dazu auf seiner Facebook-Seite: „Ich frage mich, ... was die ,freie Presse’ dazu veranlaßt haben könnte, so große Kanonen gegen mich aufzufahren. Das ist eine berechtigte Frage, weil keine Zeitung und kein Fernsehsender wissen kann, ob das, was Panorama schrieb, wahr oder falsch war. Diese Zweifel lassen sich nur ausräumen, wenn man die Mitschnitte anhört. Warum also eine solche Barrage? ... Könnte es möglicherweise mit dem zusammenhängen, was ich in Il golpe inglese über die Beziehungen zwischen den italienischen Medien und dem geheimen britischen Propagandabüro geschrieben habe? Oder dem, was ich in der Fortsetzung des ,britischen Putsches’, an der ich arbeite, schreiben könnte?“
Fasanella enthüllte dann, daß die ersten Meldungen über die Erklärungen aus dem Präsidentenamt am 30. August von der britischen Agentur Reuters veröffentlicht wurden. „Das ist ein guter Anhaltspunkt, um zu verstehen, was seit dem 30. August auf den Schreibtischen der Zeitungen und Nachrichtensender geschehen ist.“
In einem anderen Facebook-Beitrag schrieb er als Antwort auf einen Leser, der ihn fragte, ob Berlusconis Aufstieg in Italien Teil der britischen Strategie gewesen sei:
„Angelsächsische Kreise haben traditionell, wie in ,Il golpe inglese’ dokumentiert ist, schon immer komplexe Spiele an mehreren Tischen gespielt, um ihr langfristiges Ziel zu erreichen: unser Land zu beherrschen, um das Mittelmeer zu beherrschen, das Tor zum Öl des Nahen Ostens und Nordafrikas. Sie förderten Berlusconis Aufstieg, aber sie halfen auch, eine Alternative zu ihm aufzubauen, indem sie die anglophilsten Kreise der linken Mitte, Prodis Kreise, unterstützten. Sie unterstützten den Berlusconismus, aber sie förderten auch die Berlusconi-feindlichsten Strömungen der öffentlichen Meinung. Gleichzeitig haben sie, während sie die ,Politiker’ Prodi und Berlsuconi förderten, Wellen der Politikfeindlichkeit [d.h., des Populismus] und des Technokratentums in Gang gesetzt, bis sie das erreicht hatten, was wir heute vor Augen haben.
Italien ist heute insgesamt sehr schwach, mit einer geschwächten inneren Struktur und einer internationalen Glaubwürdigkeit, die niemals geringer war... Wir haben eine enorme Verantwortung, aber wir werden unsere inneren Probleme niemals lösen, wenn wir weiterhin eine strukturelle Tatsache unserer Geschichte bestreiten: den Zustand der Abhängigkeit unseres Landes, seit seiner Geburt, von ausländischen Interessen. Wir müssen strenger mit uns selbst sein, aber weniger unterwürfig gegenüber ausländischen Mächten.“
Das Buch über den „britischen Putsch“ mache die Rolle der britischen Fünften Kolonne deutlich, und sein nächstes Buch, schließt Fasanella, „wird diese Rolle sogar noch deutlicher machen, gestützt auf eine umfangreiche Dokumentation“.
Claudio Celani