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Das französische Verfassungsgericht entschied am 9. August, daß der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ (SKS-Vertrag oder Fiskalpakt), einschließlich der Klausel über den ausgeglichenen Haushalt (im Französischen als „goldene Regel“ bezeichnet) keiner Veränderung der nationalen Verfassung bedarf. Politisch war das Urteil eine Erleichterung für François Hollande, da es das Verfahren für die Anwendung des Vertrages in Frankreich vereinfacht. Es wird jetzt erwartet, daß der Text im Oktober zur Abstimmung kommt. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) war in Frankreich schon im Februar angenommen worden.
In einem Kommentar zum Gerichtsurteil unterstrich der ehemalige Präsidentschaftskandidat Jacques Cheminade die Absurdität, inmitten der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Krise in der EU über ein Gesetz abzustimmen, das zu einer Austeritätspolitik zwingt. „Nichts gegen die Finanzinteressen, die die Krise verursachten, nichts über die Trennung der nützlichen Banken von den spekulativen Banken, und das alles, um die Länder davon abzuhalten, die Wachstumspolitik anzuwenden, deren Durchführung sie eigentlich wünschen müßten. Diesen Text hätte es nie geben sollen“, schrieb Cheminade.
Genauso unbegreiflich sei es, daß ein Gesetz, das ab einem bestimmten Maß von Staatsverschuldung ökonomische Sanktionen verhängt, nicht als Verletzung der nationalen Souveränität gelten soll und keiner Verfassungsänderung bedürfe. „Der SKS-Vertrag verhängt nicht nur automatische, von der Europäischen Kommission festgesetzte Korrekturmechanismen, er überträgt dem Europäischen Gerichtshof auch außerordentliche Vollmachten.“ Dieser ist zur Kontrolle der Mitgliedsländer berechtigt, wenn die Kommission oder irgendeines der Länder Klage erheben. Das sei schlimmer als in einem föderativen Staat, stellt Cheminade fest, und diskreditiere das Verfassungsgericht. „Deshalb muß zu der Frage ein Referendum abgehalten werden.“
Gemäß einer Meinungsumfrage, die von der linken Tageszeitung L’Humanité durchgeführt und am 27. August veröffentlicht wurde, stimmt die französische Bevölkerung dem zu. 72% der Befragten sprachen sich für ein Referendum aus, darunter zwei Drittel der Unterstützer der Sozialistischen Partei und drei Viertel der Konservativen! Aber alle großen Parteien haben eine Volksabstimmung abgelehnt und werden das auch weiterhin tun.
Die Zustimmung für Hollande, der jetzt gut ein Vierteljahr an der Macht ist, hat sich stark verringert und ist die niedrigste für einen französischen Präsidenten nach so kurzer Zeit im Amt. Als Kandidat der Sozialisten machte er im Wahlkampf einige interessante Versprechungen, doch er hat sie nicht gehalten. Insbesondere in der Frage der Austerität und der Forderung nach Maßnahmen realen Wirtschaftswachstums in der EU hat er völlig klein beigegeben.
Deshalb war es auch nicht überraschend, wenn man auf der „Sommer-Universität“ der Sozialistischen Partei in La Rochelle (24.-26.8.) nicht von Optimismus sprechen konnte. Ein Indiz für den wachsenden Widerwillen gegen Hollandes Politik war die Rede von Marie-Noëlle Lienemann, Senatorin aus Paris und frühere Ministerin, die den Fiskalpakt verurteilte und die französischen Abgeordneten aufforderte, gegen ihn zu stimmen. Den Berichten zufolge wurde ihre Rede mit donnerndem Applaus bedacht, mehr als bei jedem anderen Redner.
Aktivisten von Solidarité et Progrès, Cheminades Partei, verteilten über 1000 Flugblätter mit einem Aufruf für ein Glass-Steagall-Gesetz. Zwar hat die Regierung angekündigt, daß sie noch vor Jahresende eine Bankentrennung durchführen will, doch bleibt deren Form unklar. In dieser Hinsicht wird die internationale Unterstützung für eine strikte Regulierung in der Art von Glass-Steagall entscheidend sein.
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