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Neue Solidarität
Nr. 36, 5. September 2012

Als erste aus der Krise, als erste zurück zum Trennbankensystem?

Álfheiður Ingadóttir ist stellv. Sprecherin des isländischen Parlaments und stellv. Vorsitzende der Parlamentsfraktion der Links-Grünen Partei. Sie stellte den Antrag, ein Trennbankengesetz auszuarbeiten.

2008 kam es zu Beginn des globalen Finanzkollapses auch zu einer finanziellen Eruption im geologisch aktiven Island. Nachdem in diesem Land mit seinen lediglich 320.000 Einwohnern eine unglaublich große, spekulative Finanzblase geplatzt war, waren die drei größten Banken des Landes insolvent, mit offenen Verbindlichkeiten, die einigen Quellen zufolge das Zehnfache des BIP von Island erreichten.

Zweimal lehnten es die Wähler in Volksentscheiden ab, die Schulden der privaten Bank Icesave gegenüber ihren britischen und französischen Kunden zu bezahlen, die wiederum von ihren jeweiligen Regierungen gestützt werden mußten, und gegen mehrere der Verantwortlichen in der Politik und in der Finanzwelt laufen Strafverfahren. Inzwischen fängt das Land an, sich von der Krise zu erholen, und nun will eine Mehrheit des isländischen Parlaments sicherstellen, daß so etwas nicht noch einmal geschehen kann, und deshalb eine Trennung zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken nach dem Vorbild des amerikanischen Glass-Steagall-Gesetzes der Roosevelt-Ära einführen.

Am 1. November 2011 sprach EIR am Rande des Treffens des Nordischen Rates mit dem damaligen isländischen Finanzminister Steingrímur J. Sigfússon, dem Vorsitzenden der Links-Grünen Partei, der erklärte: „Ich begrüße die Diskussion über Glass-Steagall, die jetzt stattfindet, oder eine andere Form, das normale Kundengeschäft der Banken zu schützen und von den riskanteren Investitionen zu trennen. Ich persönlich interessiere mich sehr für diese Diskussion und würde gerne sehen, daß sie konkrete Formen annimmt.“1

Bis auf 16 der 63 Abgeordneten wollen alle Mitglieder des isländischen Parlaments, des Althingi, daß in Island ein umfassendes Trennbankensystem eingeführt wird. Nachdem ein Ausschuß des Wirtschaftsministeriums im März einen Bericht vorgelegt hatte, der vielen Abgeordneten in der Frage der Bankentrennung nicht weit genug ging, brachte die Abgeordnete Álfheiður Ingadóttir zusammen mit weiteren Parlamentskollegen einen Antrag ein, in dem es heißt:

In der Erläuterung des Antrags wird ausdrücklich auf das Glass-Steagall-Gesetz als Vorbild verwiesen. Ein Ausschuß des Wirtschaftsministeriums, das seit dem 31. Dezember 2011 von Minister Steingrímur J. Sigfússon geleitet wird, bereitet derzeit einen Bericht vor, der jedoch, informierten Quellen zufolge, nicht notwendigerweise eine klare Empfehlung für die Wiedereinführung des Trennbankensystems enthalten wird. Um den Druck in dieser Richtung zu erhöhen, werden die Abgeordneten in ihrer nächsten Sitzungsperiode, die im September beginnt, den Antrag für den Bericht erneut debattieren - wenn auch mit einem neuen Datum für die Vorlage des Berichtes, weil der ursprüngliche Antrag in der letzten Sitzung aus Zeitgründen nicht mehr zur Abstimmung gekommen war. Sie hoffen, daß Island eine führenden Rolle dabei spielen kann, den Weg aus der Krise zu finden, indem es als erstes Land Glas-Steagall wieder einführt.

Michelle Rasmussen, Vizepräsidentin des dänischen Schiller-Instituts und EIR-Korrespondentin in Dänemark, sprach am 15. August mit Álfheiður Ingadóttir. Álfheiður ist Abgeordnete des Wahlkreises Reykjavik Nord, stellv. Sprecherin des Althingi und stellv. Vorsitzende der Parlamentsfraktion der Links-Grünen Partei, deren Vorsitzender Wirtschaftminister Steingrímur J. Sigfússon ist.

„Wir wissen, wie es den kleinen Leuten erging“

Schiller-Institut: Vor kurzem wurden wir durch einen Artikel von Bloomberg News auf den Glass-Steagall-Antrag im isländischen Althingi aufmerksam gemacht. Können Sie uns etwas über den Stand dieses Antrags sagen, über seine Unterstützung im isländischen Parlament, und über den neuen Antrag, den Sie einbringen wollen?

Álfheiður Ingadóttir: Der Antrag kam vor dem Ende der Sitzungsperiode des Parlaments im Juni nicht mehr zur Abstimmung. Ich werde deshalb zu Beginn der nächsten Sitzung des Althingi im September den Antrag erneut einbringen. Die einzige Änderung wird sein, daß wir vorschlagen, bis zum 1. Februar 2013 einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, anstatt, wie wir gehofft hatten, als wir den Antrag im April 2012 einbrachten, schon zum 1. Oktober 2012.

Schiller-Institut: Können Sie den ursprünglichen Antrag einmal beschrieben und uns sagen, wieviel Unterstützung es dafür aus den verschiedenen anderen Parteien im Parlament gab?

Álfheiður: Der Antrag ermächtigt die Regierung und den Wirtschaftsminister, einen Ausschuß einzusetzen, mit dem Ziel, ein Gesetz und möglicherweise weitere Vorschläge für das Parlament auszuarbeiten. Das Ziel dabei ist, in Island eine vollständige Trennung des Investmentgeschäfts von den normalen Bankgeschäften einzuführen, und die Vorschläge des Komitees sollten aufzeigen, wie und in welchen Schritten dieses Ziel erreicht werden kann. Wir wissen, was mit den Bankguthaben der kleinen Leute und Haushalte in Island geschehen ist, als die Einlagen vor der Krise von eben diesen Banken in spekulativen Investitionen riskiert und verloren wurden. Das ist also das Ziel dieses Antrags.

Er wird von Mitgliedern sämtlicher politischer Parteien unterstützt, abgesehen von der konservativen Unabhängigkeits-Partei - und ich habe keine Erklärung dafür, warum sie sich diesem Antrag nicht angeschlossen haben. Außerdem unterstützten noch zwei weitere Abgeordnete, die keiner Partei angehören, den Antrag.

„Wir haben es satt, zu warten“

Schiller-Institut: Einer der Gründe, warum Sie einen neuen Antrag einbringen werden, noch während das Wirtschaftsministerium einen neuen Bericht ausarbeitet, ist, daß es um die viel umfassendere Frage einer allgemeinen Strukturreform des Bankensystems geht. Können Sie uns sagen, warum Sie speziell eine Trennung der Banken im Stil von Glass-Steagall fordern, und wie es gekommen ist, daß Sie und ihre Parlamentskollegen dies fordern?

Álfheiður: Tatsache ist, daß wir seit der Zeit der Bankenkrise und des hiesigen Kollapses im Herbst 2008 natürlich Reformen hatten und ein neues und besser reguliertes Bankensystem in Island aufgebaut haben. Und ich hoffe, daß Island nicht nur das erste Land sein wird, das sich aus der Finanzkrise erholt, sondern auch als erstes Land die Geschäftsbanken von den Investmentbanken trennt. Wir setzen uns seit 2009 dafür ein - die Links-Grüne Partei schlug  das sogar schon 2003 vor - aber die Haltung des Wirtschaftsministeriums nach der Krise bis 2011 war, daß wir das nicht als erste tun sollten, wir sollten nicht die einzigen sein, wir sollten eine solche Trennung nicht vor den übrigen europäischen Ländern einführen. Sie können die Debatte hierüber im isländischen Parlament 2010 nachlesen, und die Erklärungen des Ministers und der Mehrheit des Handelsausschusses.

Das Ministerium und das Parlament haben also gewissermaßen abgewartet, was in Europa geschehen wird, in Großbritannien und in der Europäischen Union, aber auch, was in den USA geschehen wird.

Aber wir, die nun diesen Antrag im Parlament einbringen, haben es satt, zu warten. Als im vergangenen Frühjahr ein Bericht über „Die zukünftige Struktur des isländischen Finanzsystems und seine Regulierung und Beaufsichtigung“ vorgelegt wurde, ging er uns in dieser Hinsicht nicht weit genug, und deshalb hielten wir es für notwendig, diesen Antrag einzubringen. Und ich muß sagen, daß das Einbringen dieses Antrags in den isländischen Medien viel Aufmerksamkeit und Debatten ausgelöst hat, und auf diese Weise hat die Idee viel größere Unterstützung gewonnen, was auch die Position des Ministeriums und der Regierung beeinflußt hat.

Schiller-Institut: Sie haben erwähnt, daß es jetzt einen Ausschuß im Wirtschaftsministerium gibt, der an einem Bericht arbeitet, daß Sie aber nicht sicher sind, daß er in Bezug auf die Notwendigkeit der Bankentrennung weit genug gehen wird.

Álfheiður: Wir wollen sicherstellen, daß der Ausschuß diese Angelegenheit in seinen Bericht aufnimmt. Wir haben die isländischen Banken- und Finanzgesetze seit 2008 ständig verändert, ich weiß gar nicht, wie viele Änderungen wir an diesen Gesetzen vorgenommen haben, und wir werden das auch weiterhin tun. Wir bekommen alle paar Tage neue Vorschriften von der Europäischen Union [deren Mitgliedschaft Island beantragt hat, d. Red.]. Die Lage in Island ist eine besondere, und wie ich schon sagte, wir waren die ersten, die sich aus der Bankenkrise erholt haben. Wir haben also unsere Lektionen gelernt und wir sollten in der Lage sein, das, was wir gelernt haben, anderen Ländern zu präsentieren.

Deshalb denke ich, daß wir nicht länger auf das warten sollten, was die EU oder andere Länder beschließen, sondern ein Gesetz wie das Glass-Steagall-Gesetz einbringen sollten, auch wenn wir die ersten wären, die das tun.

Eine Änderung der Haltung

Schiller-Institut: Ist Ihnen die Änderung der Haltung bei einigen, sogar in der Finanzwelt, nach dem LIBOR-Skandal der Barclay’s Bank aufgefallen, als in den letzten Wochen die Financial Times und andere Sprecher in Großbritannien sagten, daß wir jetzt ein umfassendes Glass-Steagall brauchen? In den USA trat vor einigen Wochen sogar Sanford Weill von der Citigroup auf, der zum großen Teil für die Aufhebung von Glass-Steagall verantwortlich war, und sagte, daß wir jetzt ein umfassendes Glass-Steagall brauchen, und dem folgten Kommentare in der New York Times und anderen Medien. Wie sehen Sie diese Änderungen in den USA und in Großbritannien?

Álfheiður: Ich denke, das ist vernünftig. Ich glaube, wenn ein Skandal wie der LIBOR-Skandal vor unseren Augen aufbricht, dann müssen selbst Bankiers und diejenigen, die das Bankensystem schützen, erkennen, daß hier etwas völlig falsch läuft. Man muß diese beiden Dinge trennen - der Betrieb einer Geschäftsbank ist einfach nicht kompatibel mit dem Betrieb einer Investmentbank.

Ja, ich versuche auf dem Laufenden zu bleiben, und in diesem Antrag beziehen wir uns auf die Unabhängige Banken-Kommission in Großbritannien, die Vickers-Kommission, und ihre Vorschläge vom September 2011, in denen sie eine teilweise Trennung der Geschäftsbanken und der Investmentbanken bis zum Jahr 2019 empfahl. Das ist in ferner Zukunft, und ich bin wirklich froh, daß die Leute jetzt erkennen, daß dies schon viel früher geschehen muß, schon in den nächsten Jahren - und in Island hoffentlich schon im nächsten Jahr.

Schiller-Institut: Was sind die wichtigsten Argumente, mit denen Sie den Menschen erklären, warum eine vollständige Glass-Steagall-Trennung notwendig ist?

Álfheiður: Es ist zweierlei. Erstens ist dies eine Gelegenheit, die wir uns nicht entgehen lassen sollten. Wir stecken mitten in einer Reform der Banken und sollten ganze Arbeit leisten. Das können wir jetzt tun, weil die Investmentgeschäfte nur noch ein Sechstel dessen sind, was sie vor der Krise waren. Vor der Krise waren das mehr als 30% aller Bankgeschäfte, jetzt sind es etwa 5%. Das ist also eine Gelegenheit, die wir nutzen müssen.

Aber das Hauptargument ist natürlich, die Ersparnisse und Einlagen der normalen Kunden und der Haushalte davor zu bewahren, daß sie in die Hände risikofreudiger Investmentbanken oder Bankiers gelangen, und auf diese Weise die Risiken zu minimieren, die das Bankensystem jetzt für die gesamte Gesellschaft darstellt. Das isländische Bankensystem war übergroß geworden, und die Konsequenzen waren sehr hart für die isländischen Haushalte und die Menschen, die zu Tausenden ihre Arbeitsplätze und sogar ihre Eigenheime verloren haben, und wir müssen verhindern, daß das nochmals geschieht. Und ich glaube, daß ein Glass-Steagall-Gesetz jetzt der notwendige erste Schritt zu diesem Ziel ist.

Internationale Anstrengungen

Schiller-Institut:  Das Schiller-Institut, unsere Kollegen im LaRouche Political Action Committee und unsere Kollegen im übrigen Europa und anderswo haben sich sehr dafür eingesetzt, andere Parlamente zur Einführung von Glass-Steagall zu bewegen. In den USA gibt es jetzt einen Gesetzesantrag, der von der Abgeordneten Marcy Kaptur [Demokratin aus Ohio] verfaßt und eingebracht wurde, H.R. 1489, der inzwischen 78 weitere Unterzeichner hat, aber noch nicht genug Unterstützung, um durchzukommen. In Europa wurde, soweit ich weiß, in Italien ein Glass-Steagall-Gesetz in beiden Kammern eingebracht, und es wird auch im schwedischen Parlament diskutiert. In Dänemark hat das Schiller-Institut dies im letzten Wahlkampf aufgegriffen und im Parlament dazu eine Stellungnahme abgegeben.

Wie sehen Sie den Dialog zwischen den Parlamentariern und Abgeordneten der verschiedenen Länder über die Notwendigkeit, diese Glass-Steagall-Bankentrennung tatsächlich durchzusetzen?

Álfheiður: Nun, ich denke, daß es sehr wichtig ist, daß die verschiedenen Länder auf ihre Weise daran gehen, Reformen durchzuführen und eine bessere Gesellschaft aufzubauen, aber ich denke auch, daß es sehr wichtig ist, aus den Erfahrungen der anderen zu lernen, und daß wir uns gegenseitig unterstützen - sowohl die Völker dieser Länder, als auch die Regierungen. Schweden, Dänemark und Island sind Mitglieder des Nordischen Rates, und ich denke, daß es nützlich sein könnte, diese Frage dort aufzugreifen. Aber da die Finanzmärkte mehr oder weniger offen sind, wäre es sicher auch nützlich, in ganz Europa und in den USA ähnliche Regeln zu haben. Deshalb ist eine breite Debatte sehr hilfreich.

Schiller-Institut: Was ist die Reaktion der Bevölkerung auf diesen Vorschlag?

Álfheiður: Ich denke, sie ist positiv. Ich glaube, die Menschen in Island verstehen, daß diese beiden Dinge - die Ersparnisse der Menschen und spekulative Investitionen - nicht gut zu mischen sind; sie sind wie Öl und Wasser.

Schiller-Institut: Möchten Sie dazu noch etwas anderes sagen?

Álfheiður: Nein. Ich hoffe nur, wie ich schon hervorgehoben habe, daß Island nicht nur das erste Land ist, das sich von der Krise erholt, sondern auch das erste, das so etwas wie das Glass-Steagall-Gesetz beschließt. Das wäre ein Meilenstein in der Entwicklung des Finanzsystems nach dem Krach.


Anmerkung

1. Siehe „Islands Finanzminister begrüßt Debatte über Glass-Steagall“, Neue Solidarität 45/2011.