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Von Jacques Cheminade
Der diesjährige französische Präsidentschaftskandidat Jacques Cheminade sprach beim Internetforum mit Helga Zepp-LaRouche am 8. Juli über die Voraussetzungen für ein neues Wirtschaftswunder.
Das Geheimnis hinter einem Wunder ist, daß es nie von außen kommt, sondern aus uns selbst, aus der Fähigkeit des menschlichen Geistes, unsere Umwelt, unsere Mitmenschen und uns selbst zum besseren zu verändern. Deshalb kann ich meinen Vortrag heute abend am besten damit beginnen, daß ich sage: Wir müssen raus aus diesem selbstmörderischen Schlamassel, den man heute mit einer ungeheuren Frechheit „Europa“ nennt! Wir stehen am Ende eines oligarchischen Systems, das sich auf einen Teufelskreis aus Schulden und Verrat am Gemeinwohl für uns und zukünftige Generationen stützt. Seine Vertreter geben offen zu, daß ihre Weltordnung auf eine kriminelle Politik massiver Entvölkerung hinausläuft, weil dieses System aus seiner Natur heraus nicht die notwendigen Mittel schaffen will, um die Menschen zu ernähren.
Wir leben in einem gescheiterten System, in dessen Mittelpunkt die Auflösung der Nationen, die finanzielle Globalisierung und selbst auferlegte Knechtschaft stehen - José Manuel Barroso nennt es ein „nicht-imperiales Imperium“. Wer es jetzt nicht bekämpft, wird sein Komplize, in einem Moment, wo es offen kriminell wird. Die Oligarchie wiederholt die mörderische Politik der Brünings und Lavals des 20. Jahrhunderts, nur diesmal im Weltmaßstab und dank moderner Elektronik, angetrieben von Geldschöpfung mit Lichtgeschwindigkeit. Wenn sogar gewisse britische Elemente seit der vergangenen Woche das sinkende Schiff verlassen wollen, sollten wir dann an Bord bleiben wie eingesperrte Ratten?
Wir haben unser Programm ausgearbeitet als einen Leuchtturm der Hoffnung, der den Ausweg weist. Wenn man abspringt, muß man das so sicher wie möglich tun und wissen, wo man landen will. Dieses Programm soll den Weg dazu freimachen, daß wir unsere nationale Souveränität zurückgewinnen - aber nicht nur für „uns“, sondern für eine Zweckgemeinschaft mit den übrigen Nationen unserer Region. Es ist die Kombination aus einer West-Ost-Entwicklung, d.h. der Perspektive der Eurasischen Landbrücke, und Nord-Süd-Entwicklung über den Mittelmeerraum nach Afrika - zwei Standbeine einer Weltlandbrücke des infrastrukturellen Fortschritts.
Wozu? Wenn unsere Feinde im Weltmaßstab vorgehen, müssen wir sie auf der höchsten Ebene herausfordern, von oben herab, und alle unsere geistigen, menschlichen und wirtschaftlichen Mittel einsetzen, um die reale Wirtschaft zu entwickeln, sobald wir der virtuellen Wirtschaft ein Ende bereitet haben.
Nach dem umfassenden, grundlegenden Vortrag von Helga Zepp-LaRouche möchte ich nur noch einige Kernpunkte für unsere Mobilisierung hervorheben.
Erstens brauchen wir als Zündung die Bankentrennung nach dem Glass-Steagall-Prinzip und ein Kreditsystem. Unser Programm kann nur umgesetzt werden, wenn wir als erstes den Altmüll wegräumen. Das bedeutet, nach dem Glass-Steagall-Prinzip vorzugehen. Nachdem wir die Banken aufgespaltet und die illegitimen Schulden der Investmentbanken in den Mülleimer befördert haben, müssen wir uns daran machen, den Treibstoff für den Neustart zu produzieren. Das ist das nationale Kreditsystem mit Nationalbanken zur Finanzierung des Aufbauprogramms. Wenn der Müll weggeräumt ist, müssen wir mit einem ganz neuen Motor starten. Die Kreditschöpfung ist eine Waffe des Staates, sie vertritt die Interessen des Volkes und sollte vom Volk kontrolliert sein.
Wir hatten etwas in der Art in Deutschland mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau und in Frankreich mit der Credit National, bis die europäischen Gesetze, auf der Grundlage von Art. 104 des Maastricht-Vertrags und dann Art. 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, derartige Einrichtungen verboten und den Staat der tödlichen Umarmung der Banken auslieferten. So wurde ein wesentlicher Aspekt der nationalen Souveränität, die staatliche Kreditschöpfung, beseitigt, die Staaten mußten von da an Geld von den Banken leihen, um investieren zu können. Der Staatskredit, die Gestaltung der Zukunft, wurde abgeschafft, und die Großbanken wurden die Herren des Spiels, sie hielten die Staaten durch die Schulden gefangen und konnten sie erpressen, wie einst die Wucherer von Venedig ihre adligen Kunden. Aber diesmal geht es nicht um irgendwelche mehr oder weniger nichtsnutzige Fürsten, sondern um uns und um die Zukunft unserer Kinder und Enkel.
Zweitens erfordert dieser doppelte Imperativ, wieder eine strikte Bankentrennung und ein nationales Kreditsystem herzustellen, automatisch einen sofortigen Bruch mit dem sterbenden Euro-System. Wenn man sich im Griff eines monetaristischen Bankensystems und im Griff des mit diesem verbundenen Euro-Systems befindet, ist das wie eine Umarmung von zwei Leichen. Manche mögen das nicht spüren, aber das ist eine ziemlich ekelhafte Sache, die mit der Zeit immer mehr stinkt.
Aber wir brauchen für das Leben nach der Euro-Herrschaft einen Plan, und das ist unser Programm. Ohne das könnten wir Rückfälle in Chauvinismus und ein weltweites Chaos erleben. Jedes Land muß sich selbst entscheiden, wo es hin will. Aber die Nationen, die in dieselbe Richtung gehen wollen, müssen sich einigen.
Drittens muß das gemeinsame Programm genauso funktionieren, wie es der menschliche Geist tut, schließlich ist es sein Kind. Der menschliche Geist arbeitet nicht so, daß er Dinge in einem endlosen Prozeß einfach aufaddiert, sondern es ist ein einheitlicher Prozeß, der definiert ist durch einen inneren Forschungsdrang - die Idee, sich die Zukunft zu gestalten. Deshalb ist unser gemeinsames Programm kein bloßes Aufsummieren vieler Einzelheiten, sondern ein Ganzes, ein großer Entwurf, der begeistern soll. Wir Europäer haben zuviel Einzelpläne und Stückwerk auf unseren Reißbrettern. Wir müssen alle diese Vorhaben ein für allemal verwirklichen, aber nicht als bunte Ansammlung, sondern als letztlich nützliche Bestandteile des Ganzen. Wir dürfen da nicht herangehen wie Sammler, die als Hobby etwas sammeln, sondern wie der Komponist einer Sinfonie von Nationen und Völkern.
Natürlich kann man, wenn man für die Zukunft und aus der Perspektive der Zukunft arbeitet, nicht immer genau wissen, was im einzelnen wie und wann zu tun sein wird. Es bedeutet vielmehr, durch Marksteine eine Richtung anzugeben: einen Kanal, einen Flußlauf, eine Hochgeschwindigkeitsbahn, ein Projekt. Nicht alles, was wir vorhaben, läßt sich vorhersagen, und nicht alles läßt sich auf einmal verwirklichen. Auf das derzeitige selbstmörderische Chaos darf keine infantile Planpolitik folgen, doch wir müssen eine klare und kohärente Richtung für die Zukunft angeben.
Viertens bedeutet ein solches Wirken zum Nutzen des anderen und mit einer ständigen Verpflichtung gegenüber den künftigen Generationen, daß wir Europäer einen sehr viel besseren Weg der Zusammenarbeit brauchen. Der Bruch mit dem Eurosystem bedeutet weder einen Rückfall in die Vergangenheit noch eine Extrapolation der Gegenwart in die Zukunft, sondern, daß wir uns ändern, uns neu erfinden müssen. Ein Wirtschaftswunder für Südeuropa, den Mittelmeerraum und Afrika ist nur möglich mit einem Wunder vertiefter Zusammenarbeit in der transatlantischen Region und besonders hier bei uns in Westeuropa. Etwas für andere tun zu müssen, wird eine große Herausforderung für uns sein, da bin ich mir sicher.
So brauchen wir beispielsweise, um Südeuropa und Afrika zu entwickeln, eine umfangreichere und vertiefte Zusammenarbeit nicht nur zwischen den Westeuropäern, sondern auch mit chinesischen, indischen, russischen und amerikanischen Firmen: In der Zukunft muß für uns die Weltlandbrücke kommen. Eine Zusammenarbeit in Bereichen wie Energie, Luft- und Raumfahrt, Hochgeschwindigkeitsbahnen kann gewaltige Erfolge ermöglichen. Ein gutes Beispiel hierfür ist bisher das europäische Weltraumprogramm, das insgesamt ein Erfolg ist. Ein schlechtes Beispiel ist die Trennung des französischen Unternehmens Areva und des deutschen Siemens-Konzerns im Kernkraft-Sektor - das kann sogar dazu führen, daß der nuklearen Kreislauf, für den Areva in Frankreich steht, nicht mehr funktioniert.
Außerdem und mit noch weiterem Blick brauchen wir Zusammenarbeit im Bereich der Forschung, Entwicklung und Innovation, verbunden mit einer Zweckgemeinschaft bei der Hochschulausbildung für und durch unsere Programme der Eurasischen Landbrücke und für den Mittelmeerraum.
Eine wirtschaftliche Plattform für die Zukunft kann nicht als Summe von Teilen entstehen, man braucht zuerst die gemeinsame Entschlossenheit zum Erfolg. Die vorausschauende Tradition aller europäischen Länder und ihrer Partner muß erneuert und zusammengeführt werden: Das ist die Absicht unseres Programms.
Fünftens muß man für dieses Programm alle an Bord holen. Ich glaube nicht an „Spezialisierungen“. Sicherlich bestehen historische Verbindungen Deutschlands nach Osten und Frankreichs zu den Mittelmeerländern. Aber eine Spezialisierung auf der Grundlage dieser Verbindungen kann uns hier nicht helfen. Die Eurasische Landbrücke und das Wirtschaftswunder am Mittelmeer sind in unserer Vorstellung ein- und dasselbe Konzept. Wenn jeden Tag Tausende von Russen mit Drogen infiziert werden, wenn griechische Arbeiter und Rentner erniedrigt und beleidigt werden, wenn junge Spanier und Iren arbeitslos sind und kriechen oder ins Exil gehen müssen, wenn Afrikaner einer mörderischen Politik des Britischen Empire ausgeliefert sind, dann eilt man ihnen zu Hilfe, egal ob es nach Osten oder nach Süden geht. Das Westfälische Konzept des Nutzens des anderen ist weder ein technischer Ansatz noch eine praktische Tendenz aus Gewohnheit. Unser Programm ist keine „praktische“ Aufzählung von Dingen, die man tun sollte, gedacht für Experten, sondern der Entwurf einer Plattform als Inspiration für alle.
Eine der schlimmsten Äußerungen, die ich in letzter Zeit gehört habe, stammt von der Chefin des Weltwährungsfonds, Christine Lagarde, einer Französin, die erklärte: „Ich habe kein Mitleid mit den Griechen, die dermaßen über ihre Verhältnisse gelebt haben, wenn ich ihre Lage mit dem Schicksal der Kinder in Niger vergleiche.“ Hier zeigt sich der Verlust des Mitgefühls für andere Menschen, der typisch für eine gescheiterte Gesellschaft ist.
Sechstens geht unser Programm von einem völlig anderen Konzept der Kultur aus. Lyndon LaRouche hat neulich gesagt: Einen Krieg gewinnt man nicht mit vagen Allgemeinplätzen. Einen Krieg gewinnt man, indem man für das Schicksal künftiger Generationen alles gibt und solange nicht nachläßt, bis die Aufgabe erledigt ist. Und indem man dabei keine Angst hat, sich die Hände schmutzig zu machen. Dann hat man bei dem, was man tut, stets vor Augen, was als nächstes geschehen muß. Und das eigene Beispiel inspiriert andere, und mehr und mehr Menschen machen es genauso. In allem, was sie sich vornehmen, beteiligen und engagieren sie sich als Patrioten, die alle Schranken überwinden.
Das ist unsere Kultur, inspiriert durch eine innere Überzeugung, was die Menschheit anpacken und erreichen muß, um menschlich zu bleiben.
Davon sind wir in Frankreich heute recht weit entfernt. Wir verlieren unsere Industrie, sie macht nur noch 16% der Wertschöpfung aus, im Vergleich zu 30% in Deutschland, und 13% der Beschäftigung. Die größten 40 Firmen unseres Landes machen 80% ihrer Verkäufe und 75% ihrer Gewinne im Ausland. Das an sich muß nichts Schlimmes sein, aber die Realität ist schlimm: Sie investieren im Ausland, um billige Arbeitskräfte zu finden, und fliehen vor der Besteuerung in Steuerparadiese. Der französische Staat hat sich seit 1973 stark im Ausland verschuldet, um ausländisches Kapital ins Land zu holen. Nun befinden sich 60% unserer Schulden in ausländischer Hand, was bedeutet, daß die Banken und Versicherungen uns erpressen können.
Das heißt, daß unser Programm im unmittelbaren Interesse Frankreichs liegt, weil es eine radikale Änderung erzwingt. Gemeint ist nicht das gegenwärtige Frankreich mit einer Regierung, die der Bevölkerung eine Sparpolitik auferlegt und sich mit den Gläubigerbanken zu arrangieren versucht, um fiktive Kredite von Europa zu bekommen, sondern ein Frankreich, das wieder zu seinem besten Geist und Mut zurückfindet.
Die ganz große Mehrheit der französischen Afrikaner, der französischen Männer und Frauen afrikanischer Herkunft hat für François Hollande gestimmt. Sie wollten Sarkozys verdorbene Regierung und ihre Politik „France Afrique“ loswerden. Nun beginnt ihre große Enttäuschung, und schon wird bald sich ihr Zorn Bahn brechen. Sie fordern etwas für ihre Zukunft in Europa und für diejenigen, die in Afrika geblieben sind.
Unsere Reaktion darf nicht länger die einer Christine Lagarde und ihresgleichen sein. Wir dürfen nicht mehr vor der Finanzoligarchie in die Knie gehen, wie es François Hollande gerade tut. Unser Programm ist die Lösung, denn es definiert, wie man die menschliche Politik in Übereinstimmung mit den Gesetzen eines sich selbst entwickelnden Universums bringen kann - darum geht es im Naturrecht, von dem vorhin gesprochen wurde. Es definiert das Prinzip unserer Verantwortung als Menschen. Europa darf nicht länger tote Masse in einem kollabierenden Universum sein. Als Alternative zu einem „ökologischen“ Übergang in den Tod unter der Herrschaft des Geldes gibt es eine Kultur des Lebens, beseelt durch unsere Fähigkeit, unsere Umwelt zum besseren völlig umzugestalten. Es ist höchste Zeit, diese Wahl zu treffen.
Angela Merkel und François Hollande feiern heute in Reims den 50. Jahrestag der historischen Begegnung de Gaulles mit Adenauer am 8. Juli 1962. Hoffen wir, daß anstelle dieser Farce unsere Feier hier zum Referenzpunkt einer vollkommeneren und wahrhaftigeren Zusammenarbeit wird. Kämpfen wir dafür - vom Atlantik bis zum Chinesischen Meer, vom Mittelmeer zum afrikanischen Kontinent und über den Atlantik hinweg, und erwecken wir in uns ein Gefühl der Größe, das über unser eigenes Leben und unseren Tod hinausreicht.
Das ist unser Programm: Leidenschaft für die Menschheit, Leidenschaft für die Zukunft.