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Neue Solidarität
Nr. 28, 11. Juli 2012

ESM-Kampf geht vors Verfassungsgericht:
Zurück zur wirtschaftlichen Souveränität!

Nach der Ratifizierung der Verträge über ESM und EU-Fiskalpakt durch die nationalen Parlamente ziehen deren Gegner nicht nur in Deutschland vor das Verfassungsgericht, um den demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu verteidigen. Die Krise wirklich überwinden kann jedoch nur das von der BüSo vertretene Gesamtpaket: Glass-Steagall, Nationalbanksystem und produktives Kreditwesen, Neues Bretton Woods und Rückkehr zu nationalen Währungen.

Nach der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat Ende Juni wird jetzt das Verfassungsgericht in Karlsruhe zum wichtigsten Kampfplatz der Opposition gegen den permanenten europäischen Rettungsfonds ESM. Sofort nach den Abstimmungen über den Fiskalpakt und den ESM reichten die Partei Die Linke sowie die Bundestagsabgeordneten Peter Danckert (SPD) und Peter Gauweiler (CSU) ihre jeweiligen Klagen beim Gericht ein. Weitere Klagen liegen vor vom überparteilichen Bündnis Mehr Demokratie und von den Freien Wählern in Kooperation mit den bekannten „vier Anti-Euro-Professoren“ Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider und Joachim Starbatty.

Da einige Klagen auch Anträge auf einstweilige Verfügungen, vorerst keine Einzahlungen in den ESM zuzulassen, enthalten, hat das Gericht Bundespräsident Gauck eindringlich gebeten, das Gesetz noch nicht zu unterzeichnen, bis über diese Verfügungen entschieden ist. Das kann mehrere Wochen dauern. Und ohne den entscheidenden deutschen Anteil von 27 Prozent kann der ESM nicht seine Arbeit aufnehmen, was vermutlich also frühestens erst Ende Juli der Fall sein kann, womit der 1. Juli als geplanter Termin verfehlt wurde. Allein das ist für die Bundesregierung schon ein schwerer Rückschlag. Für den 10. Juli hat das Gericht eine öffentliche Anhörung in Karlsruhe angesetzt, die dann als Grundlage einer Entscheidung für oder gegen die Eilanträge dienen wird.

Das Klagebündnis der Freien Wähler und der „Anti-Euro-Professoren“ veranstaltete am 2. Juli in Berlin eine Pressekonferenz, bei der die Professoren Hankel und Schachtschneider scharfe Worte zum ESM fanden. „ESM und Fiskalpakt sind ein massiver Verstoß gegen das Grundgesetz, da Souveränitätsrechte verlorengehen und ein demokratisch nicht legitimierter europäischer Bundesstaat etabliert würde“, sagte Schachtschneider und erinnerte daran, daß er und die anderen drei Professoren schon seit ihrer ersten Verfassungsklage 1992 vor genau dieser Entwicklung gewarnt hatten. Das Gericht müsse nun endgültig eine klare Grenze ziehen und Schachtschneider glaubt, daß die Klage dieses Mal positiv beschieden wird. „Und wenn nicht, soll ein historisches Zeichen gesetzt werden, daß es einen Widerspruch gibt. Wir handeln für alle Bürger Deutschlands. Es ist ein Stück Widerstand.“

„Die Ordnung des Grundgesetzes wird durch die Politik untergraben. Wir leben nicht mehr in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland, sondern längst in einem anderen Staat, und das muß das Gericht wirklich mal zur Kenntnis nehmen“, sagte Schachtschneider. „Das ganze ist ein Staatsstreich, ein langgezogener Staatsstreich, der schon früher begonnen hat, insbesondere mit der Politik der Währungsunion. Die Gefahr, daß wir eine bürokratische Diktatur erhalten in ganz Europa, ist groß und hat bereits erste Schritte vollzogen.“

Prof. Hankel warnte davor, „Europa als Ganzes zu ruinieren, wenn durch Vergemeinschaftung der Schulden die Geldwertstabilität ruiniert und die Bonität stabiler Länder untergraben wird“. Der ESM, so Hankel, sei „genauso wie der Euro komplett fehlkonstruiert. Er kann schon technisch nicht funktionieren. Nach der Sozialisierung der Währungen wird jetzt auch noch der Kapitalmarkt sozialisiert. Das bringt uns in eine ,EU’ die eigentlich ein Zerrbild ist von dem, was sich die Gründungsväter einst vorstellten. Die EU sollte einst das Gegenbild zur Sowjetunion sein - jetzt wird sie ihr Klon. Damit wird unsere Marktwirtschaft vollends ruiniert.“ Der ESM, so führte er später auf eine Frage des BüSo-TV-Korrespondenten Stefan Tolksdorf aus, sei auf der ganzen Welt als Geldmonster einmalig: 140mal so groß an Stammkapital wie die EZB, 80mal so groß wie die Bundesbank und immer noch mehr als 50mal so groß wie die größte europäische Privatbank, die Deutsche Bank. Der ESM werde alles auffindbare Geld aus den Kapitalmärkten aufsaugen und in die Bailouts stecken, so daß für Kredite an Firmen, für Jugendarbeitsplätze oder das Bildungswesen nichts übrig bleibt, warnte Hankel.

Was die erwähnten Gründungsväter betrifft, so ergriff in Berlin Stephan Werhahn, ein Enkel Adenauers, der bei den Freien Wählern aktiv ist, das Wort: „Es wird das Erbe Europas bedroht, da eine instabile Schuldenunion Neid und Zwietracht zwischen den Völkern sät. Vor genau 50 Jahren wurde von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle in der Kathedrale zu Reims die deutsch-französische Freundschaft besiegelt. Die Politik ist dabei, dieses Erbe zu verspielen.“

Irland und Österreich

Auch in Irland und in Österreich, dessen Nationalrat am 5. Juli den ESM ratifizierte, wird es Klagen geben. Der unabhängige irische Abgeordnete Thomas Pringle teilte am 26. Juni dem irischen Obersten Gerichtshof mit, daß er einen Antrag auf Aussetzung der Ratifizierung des ESM-Vertrags stellen werde, weil dieser gegen EU-Recht und EU-Verträge und gegen die irische Verfassung verstoße.

Pringle argumentiert, eine Ratifizierung sei nicht aufgrund von Irlands Mitgliedschaft in der EU „notwendig“, wie die Regierung behauptet, denn sowohl der ESM als auch der Fiskalpakt seien internationale Rechtsverträge, aber keine EU-Verträge. Mit der Eingabe, die Pringle beim High Court machte, legte er auch eine Übersetzung des Karlsruher Urteils vom 19. Juni in englischer Sprache vor - als wichtiges Dokument dazu, wie die Rechte des Parlaments von der Regierung zu achten seien, in Deutschland und in Irland ebenso. Die Karlsruher Richter hatten festgestellt, die Bundesregierung habe die Bundestagsabgeordneten bisher ungenügend über geplante Änderungen in den europäischen Verträgen informiert, was nicht zulässig und künftig nicht mehr hinzunehmen sei.

An Pringles Initiative ist deutlich zu sehen, wie gespannt die Entwicklung des deutschen Kampfs gegen den ESM im Ausland verfolgt wird. Dieses lebhafte Interesse zeigt sich auch an einer Erklärung der prominenten italienischen Anti-ESM-Aktivistin Lydia Undiemi, in der sie die deutschen Verfassungsklagen als wichtig auch für Italien, wo bisher keine Klage am Obersten Gericht eingereicht wurde, begrüßt.

In Österreich erreichten die Protestaktionen in den Tagen unmittelbar vor der Debatte im Nationalrat einen Höhepunkt, als die beiden konservativen Oppositionsparteien FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) bekanntgaben, daß sie nicht nur im Parlament gegen den ESM stimmen, sondern auch das Verfassungsgericht anrufen würden und des weiteren die Bevölkerung für eine Volksabstimmung mobilisieren wollten. Auf einer Protestkundgebung in Wien am 27. Juni unter dem Motto „Volksabstimmung gegen ESM-Wahnsinn“ sagte FPÖ-Chef Hans Christian Strache: „ESM ist nur eine Überschrift, die mit Stabilität nichts zu tun hat.“ Vielmehr habe sie zu tun mit der Aushebelung der österreichischen Demokratie und Verfassung, deshalb müsse es eine Volksabstimmung geben.

In der parlamentarischen Debatte selbst verurteilte Strache den ESM als „Weg in die Finanzdiktatur“, als „Sado-Maso-Vertrag“, der die Österreicher zwinge zu zahlen, ohne daß sie protestieren dürften. Mit dem ESM marschiere Europa in eine nie dagewesene wirtschaftliche und politische Katastrophe, in ein „Euroshima“.

Wesentlicher Bestandteil der Mobilisierung besonders der FPÖ ist die Forderung, anstelle der Bailouts ein Gesetz zur Bankenrestrukturierung zu verabschieden, mit dem marode Banken in die Insolvenz geschickt werden können. Strache forderte das auch auf der erwähnten Wiener Kundgebung und der finanzpolitische Sprecher der FPÖ, Ewald Podgorschek, erklärte am Vorabend der Debatte: „Wir fordern dagegen eine strikte Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken. Wäre eine derartige Regelung zu Beginn der Bankenkrise bereits in Kraft gewesen, hätten wir uns viel erspart. Der Glass-Steagall Act, der 1933 als Antwort auf die Bankenkrise in den USA eingeführt wurde und bis 1999 in Kraft war, trug über viele Jahrzehnte zur Stabilisierung des US-Finanzsystems bei. Durch die Trennung in Geschäfts- und Investmentbanken würden Spareinlagen geschützt und die Refinanzierung der Realwirtschaft gesichert; außerdem müßte der Staat, der Spareinlagen garantiert, nicht mehr für Ausfälle wegen hochriskanter Investmentgeschäfte in die Bresche springen.“

Podgorschek weiter: „Bei allen Bankenhilfen bisher wurde die Systemrelevanz von Großbanken als wichtigstes Argument für die Rettung ins Feld geführt. Für den Wirtschaftskreislauf relevant ist jedoch das klassische Bankgeschäft aus Spareinlagen und Krediten. Dieser Sektor sollte nicht durch riskante, glücksspielartige Investmentschäfte gefährdet werden.“

Das Eintreten der FPÖ für ein Vorgehen nach dem Vorbild Glass-Steagall ist um so mehr hervorzuheben, als man mit Ausnahme der BüSo bei den deutschen Oppositionsgruppen gegen den ESM bisher vergeblich eine derartige Forderung sucht, in der ja die eigentliche Alternative zum derzeitigen Bailout-System liegt.

Auch ist positiv festzuhalten, daß die FPÖ bei ihrer Kampagne Auszüge aus dem Anti-ESM-Video der BüSo wie auch Hintergrundinformationen zum ESM und vor allem zum jüngsten EU-Gipfel, die von der BüSo dokumentiert sind, verwendet hat - zum Beispiel auf der Wiener Pressekonferenz Straches nach dem Nationalrat-Votum am 5. Juli.

Andererseits findet man bei dem, was die allermeisten Gruppen der ESM-Opposition in Deutschland als angebliche „Alternativen“ vorbringen, ziemlich viel „Kraut und Rüben“ - und vor allem die Illusion, man bräuchte nur zu den strikten Regeln des Maastricht-Systems zurückkehren, und schon wäre die Welt in Europa wieder in Ordnung. Das verkennt leider den systemischen Charakter der Finanz- und Bankenkrise, in der die Euro-Krise nur ein - wenn auch wichtiger - Aspekt ist. Eine Rückkehr zu den Maastricht-Regeln würde die Lage sogar verschlimmern, weil sie die Realwirtschaft noch mehr abwürgen würden.

Wird das System nicht vollständig durch ein realwirtschaftlich orientiertes neues System (Glass-Steagall, Nationalbanksystem und produktives Kreditwesen, Neues Bretton Woods und Rückkehr der Europäer zu ihren nationalen Währungen) ersetzt, wie es die BüSo fordert, dann wird es unvermeidlich in die nächste schwere Krise stolpern. Der Systemwechsel ist keine Angelegenheit künftiger Generationen, er muß jetzt erfolgen, ehe das System ganz zusammenbricht und in Chaos und Hyperinflation ganz Europa mit sich herunterreißt.

Rainer Apel

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- Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo)