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Ähnlich wie bei den meisten französischen Parlamentswahlen der letzten Jahrzehnte, die im Anschluß an Präsidentschaftswahlen stattfinden, wurde bei der ersten Runde zur Wahl der 577 Mitglieder der Nationalversammlung am 10. Juni der gerade gewählte Präsident gestärkt.
Nach frühen Schätzungen können die Sozialisten von Präsident François Hollande allein 289-329 Sitze erreichen. In den Wahlkreisen, in denen kein Bewerber über 50% gewann, finden am 17. Juni Stichwahlen statt. Alle zur Wahl antretenden Minister der neuen Regierung stehen offenbar vor dem sicheren Erfolg. Ministerpräsident Ayrault, Außenminister Laurent Fabius und Europaminister Bernard Cazeneuve wurden schon in der ersten Runde gewählt und Finanzminister Pierre Moscovici - wie Hollande ein „überzeugter Europäer“ - wird sich in der Stichwahl voraussichtlich gegen zwei Konkurrenten durchsetzen.
Die Linke Front aus Radikalen und Kommunisten könnte mit ca. 13-19 Sitzen einen gewissen Einfluß erringen, aber ihr Heißsporn-Anführer Jean-Luc Mélenchon verlor im Kreis Hénin-Beaumont gegen die ausländerfeindliche Anführerin der Front National, Marine Le Pen. Das Ergebnis kann bedeuten, daß Hollande für Gesetzesvorhaben nicht auf die euroskeptische Linke angewiesen ist und die von den Märkten und der EU angestrebte Sparpolitik und Fiskalunion übernehmen kann, wenn er sich dafür entscheidet.
Die Stimmung bei den Wählern ist klar für Hollande. Nach den gegenwärtigen Trends werden die Sozialisten nicht nur Präsidentschaft und Regierung, sondern auch Mehrheiten in Nationalversammlung und Senat sowie viele Regionalregierungen stellen. Dieses enorme Vertrauen bedeutet aber auch, daß die Bevölkerung sehr wütend und radikal reagieren wird, falls die Regierung unfähig ist, die Krise zu lösen.
Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Hollande zwar oft gesagt, daß Wachstum notwendig sei, um aus der Krise zu kommen, bewies aber kein wirkliches Verständnis, wie ein richtiges Kreditsystem funktionieren kann, um ohne inflationäre Effekte Wachstum zu finanzieren. Er befürwortete auch eine Trennung der Geschäftsbereiche in den Banken, aber ohne sie aufzuspalten. Man wird sehen, wieviel seiner Versprechen er halten wird.
Solidarité et Progrès, die Partei des früheren Präsidentschaftskandidaten Jacques Cheminade, trat mit 78 Kandidaten in 33 Départements an. Mehr als 4 Mio. Wählern wurde das Parteiprogramm zugestellt, das eine Sanierung des Finanzsystems durch Bankentrennung und die Rückkehr zur produktiven Kreditschöpfung fordert. Das Programm wurde gut aufgenommen, und immer mehr Kreise öffnen sich einer Diskussion über diese dringend nötige Finanzreform, aber die meisten interessierten Wähler entschieden sich am Ende doch für die vermeintliche „Sicherheit“ der großen Parteien.
Cheminade sagte dazu, die Franzosen seien derzeit leider nicht gewillt, in Hinsicht auf die Zukunft zu denken, wie man während seines Wahlkampfs an den Einwänden gegen seine Vorschläge für ein großes Weltraumprogramm gesehen habe. Die Menschen klammerten sich in obszöner Weise an eine längst überholte Vergangenheit. Ist es nicht schockierend und paradox, daß mehr als 6 Mio. Franzosen das Thronjubiläum von Queen Elisabeth intensiv verfolgten - und sehr viele gar nicht zur Wahl gingen? Die Beteiligung war mit 57% sehr niedrig, weit unter den 63% bei der letzten Wahl vor 5 Jahren.
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