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Neue Solidarität
Nr. 22, 30. Mai 2012

Es gibt ein Leben nach dem Euro:
Rückkehr zur nationalen Souveränität

Von Helga Zepp-LaRouche

Die gegenwärtige Politik der westlichen Welt beruht auf der Blair-Doktrin, wonach die Ära des Westfälischen Friedens überwunden sei und die nationale Souveränität nicht mehr respektiert werden dürfe. Diese Politik führt uns in den wirtschaftlichen Ruin und in einen thermonuklearen Konflikt mit Rußland und China. Die Alternative ist ein Bündnis souveräner Staaten zur gemeinsamen wirtschaftlichen Entwicklung.

Wir alle, jede Nation in Europa und ihre Bürger, befinden uns in einer doppelten existentiellen Gefahr: Das Eurosystem und das gesamte transatlantische Finanzsystem befindet sich im Prozeß seiner vollständigen Desintegration, die lediglich durch das hyperinflationäre Pumpen von Liquidität um wenige Wochen hinausgezögert werden könnte. Dies ist das Resultat des gescheiterten Systems des Britischen Empires, das uns außerdem auf der Grundlage der sogenannten Blair-Doktrin in eine thermonukleare Konfrontation mit Rußland und China hineinzuziehen droht.

Es gibt eine Lösung, aber sie ist absolut unmöglich innerhalb des jetzigen Systems: Das unwiderruflich bankrotte System der Globalisierung und der Kasinowirtschaft muß durch ein Kreditsystem ersetzt werden, das ausschließlich an zukünftigen Investitionen in die Realwirtschaft mit hohen Energieflußdichten orientiert sein muß. Die Wiedererlangung der nationalen Souveränität ist für beides, die wirtschaftliche Erholung und die Erhaltung des Friedens, die absolute Voraussetzung. Wir brauchen die sofortige Etablierung eines Trennbankensystems in der Tradition von Franklin D. Roosevelt, eines Kreditsystems in der Tradition von Alexander Hamilton und der Reconstruction Finance Corporation, die Rückkehr zu den nationalen Währungen, feste Wechselkurse und ein Wirtschaftsaufbauprogramm für Südeuropa, den Mittelmeerraum und den afrikanischen Kontinent.

In einer Abwandlung des Titels der berühmten Radierung Francisco de Goyas könnte man über das Resultat der EU-Politik sagen: „Der Schlaf der wirtschaftlichen Vernunft hat Monster hervorgebracht“. Denn wer wollte noch bezweifeln, daß der Euro ein gescheitertes Experiment ist? Die Situation in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, aber auch den Balkanstaaten, ist in der Tat monströs und kostet schon jetzt viele Menschenleben. Sie ist nicht die Schuld der jeweiligen Bevölkerung, sondern das Ergebnis der fehlerhaften Politik der Europäischen Währungsunion sowie der monetaristischen Politik der EU und der europäischen Regierungen, die vor allem seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Juli 2007 nur noch eine Politik zu Gunsten der Spekulanten und Banken gegen das Interesse des Gemeinwohls umgesetzt haben.

Die Eurozone war von Anfang an keine „optimale Währungszone“; es hätte jedem mit wirtschaftlichem Verstand eigentlich von vornherein klar sein müssen, daß sich Staaten mit so unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen, verschiedenen Sprachen und Kulturen wie Deutschland, Finnland, Griechenland oder Portugal nicht harmonisch in einer Währungsunion würden entwickeln können. Bekanntermaßen wurde der Euro nicht aus soliden wirtschaftlichen Überlegungen geboren, sondern aus der geopolitischen Absicht, Deutschland nach der Wiedervereinigung in das Korsett der EU einzubinden und zur Aufgabe der D-Mark zu zwingen. Der ehemalige Berater von Francois Mitterrand, Jaques Attali, hat inzwischen zugegeben, daß es allen Beteiligten damals klar war, daß eine Währungsunion ohne politische Union nicht funktionieren konnte, daß aber dieser Geburtsfehler des Euro beabsichtigt war, um die politische Union Europas später zu erzwingen!

Genau dies erleben wir derzeit, wo die Europabefürworter unter extremen Krisenbedingungen versuchen, durch die Einführung von Eurobonds den letzten Schritt zu einer EU als Bundesstaat zu gehen. Die Machtfülle, mit der der ESM ausgestattet werden soll, dessen Gouverneursrat und Direktorat lebenslange Immunität genießen und keine Rechenschaftspflicht haben sollen, würde diesen Bundesstaat vollends zu einer Diktatur im Interesse der Banken und der City London machen. Er wäre der Garant für den Absturz Europas in wirtschaftliches, politisches und soziales Chaos.

20 Jahre, nachdem mit der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages ein Monstrum geschaffen wurde, und elf Jahre nach Einführung des Euro sind mehrere Staaten der Eurozone in Gefahr, in afrikanische Zustände abzustürzen, d.h. daß die Sozialsysteme zusammenbrechen, daß sich die Sterberate erhöht, die Infrastruktur nicht mehr in Stand gehalten wird, wirtschaftliche Tätigkeit weitgehend zum Erliegen kommt, jeder zweite oder dritte Jugendliche arbeitslos ist und ausgebildete Arbeitskräfte aus ihrer Heimat fliehen, weil sie dort derzeit keinerlei Perspektive für die Zukunft sehen.

Der vermeintliche Boom in den so genannten Aufholländern der Eurozone war eine Blase, die geplatzt ist. Wenn die Touristenströme geringer werden und sich die Menschen Ferienzweithäuser nicht mehr leisten können, wird deutlich, daß sich der gesellschaftliche Reichtum in den angeblichen Boomphasen in diesen Ländern nicht erhöht hat - es gibt immer noch keine ausreichende Infrastruktur oder industrielle Kapazitäten. Griechenland zum Beispiel hat keine einzige Bahnverbindung zum Rest Europas oder nach Asien!

Aber auch die Bevölkerung des sogenannten Profiteurs des Euro, Deutschland, hat das Nachsehen. In den elf Jahren des Euro ist der Binnenmarkt geschrumpft, das Realeinkommen gesunken, die Kaufkraft reduziert, hat sich das Gesundheitssystem erheblich verschlechtert, das Spektrum der Beschäftigungsstruktur in Richtung Billiglöhne verschoben. Die vermeintliche Sonderstellung des „Exportweltmeisters“, die vorwiegend den DAX-500- Firmen und weniger den mittelständischen Betrieben zugutekam, bricht selbstverständlich in dem Moment zusammen, in denen die Exportmärkte abstürzen.

In Europa ist mit der EU-Politik nicht der Frieden gestärkt worden, wie die Propagandisten der europäischen Integration weismachen wollten, sondern die Feindseligkeit zwischen den Völkern ist auf einem Höhepunkt seit dem Zweiten Weltkrieg angelangt. Anstatt das Gemeinwohl und den Gemeinschaftssinn zu fördern, breitet sich das Gesetz des Dschungels aus: Jeder versucht sein eigenes Überleben zu sichern. Eine Fortsetzung dieser Politik, sei es durch brutale Sparmaßnahmen in der Tradition von Brüning, sei es in der Form einer hyperinflationären Kollektivierung der Schulden, bedeutet einen Hochverrat gegen die Idee eines Europa in der christlich-humanistischen Tradition.

Die Unterwerfung der europäischen Nationen unter das Diktat des britischen Empire bedeutet aber nicht nur den Unfrieden nach innen, sie zieht Europa auch unweigerlich in eine strategische Konfrontation mit Rußland, China und weiteren asiatischen Staaten. Sowohl der russische Präsident Putin, als auch der russische Ministerpräsident Medwedjew haben sehr deutlich gemacht, daß Rußland die Unterminierung des internationalen Völkerrechts, wie es in der UN-Charta festgelegt ist, nicht akzeptieren wird und daß eine Politik der Verletzung der nationalen Souveränität unter dem Vorwand „humanitärer Interventionen“ zum Einsatz von Atomwaffen führen wird.

Die Obama-Administration hat sich die sogenannte Blair- Doktrin, nach der die Ära des Westfälischen Friedens vorbei ist und „humanitäre Interventionen“ auf der ganzen Welt die Interessen des Empires verfolgen sollen, zu eigen gemacht. Der sogenannte „Rat zur Verhinderung von Greueltaten“ der Obama-Administration hat eine lange Liste von Staaten erstellt, darunter natürlich Syrien, der Sudan und viele andere, die als Zielscheibe militärischer Interventionen gelten.

Tony Blair, der Autor der Lügen, die zum Irak-Krieg geführt haben, hat sich Obama als Wahlkampfhelfer für die nächsten sechs Monate angedient und erklärte in den USA öffentlich, daß er sich nach der von ihm angestrebten Wiederwahl Obamas mit dessen Hilfe wieder um das Amt des Premierministers in Großbritannien bemühen werde. Der Plan besteht offensichtlich darin, die Welt auf der Basis der angloamerikanischen Sonderbeziehung als Empire zu regieren. Damit stehen sich die Blair-Doktrin - die Welt als Empire, in der es keine souveränen Nationalstaaten mehr geben soll - und die Putin-Doktrin, die auf der Verteidigung des internationalen Völkerrechts und der Verteidigung der  Souveränität der Nationalstaaten gegründet ist, unversöhnlich gegenüber.

Die Überlappung der Blair-Doktrin - nach der Interventionen gegen „Schurkenstaaten“ durch die NATO überall auf der Welt möglich sein sollen, auch wenn die Mitgliedsländer „nicht direkt betroffen“ wären - mit der Politik der NATO und selbst der EU - vor allem seit dem Vertrag von Lissabon - bedeutet, daß alle Länder Europas in die potentielle Konfrontation mit Rußland, China und anderen asiatischen Staaten hineingezogen werden, ohne daß sie befragt würden oder ein Vetorecht hätten.

Der sukzessive vorangetriebene und aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit weitgehend ferngehaltene Prozeß der Abgabe der nationalen Souveränität an die supranationale Brüsseler Diktatur hat uns an einen gefährlichen Punkt gebracht. Das pro-europäische politische Establishment hat sich, um dazu zu gehören, soweit an die Abgabe  der Souveränität gewöhnt, sodaß ein Widerstand gegen die imperiale Interventionspolitik, wie er noch in Schröders Nein zum Irakkrieg, und der Absage Westerwelles zur Teilnahme am Libyenkrieg bestand, immer weiter erodiert.

In einem etwas anderen Zusammenhang wird dies an der Verdrängungshaltung europäischer Politiker in der Frage des US-Raketenabwehrsystems in Europa deutlich, das die russische Regierung ebenfalls als potentiellen Casus belli bezeichnet hat, was keineswegs nur „Propaganda“ ist, wie einige Politiker auf unverantwortliche Weise behaupten.

Das neue strategische Konzept der NATO, das unter anderem vom Chef der britischen Streitkräfte, General Sir David Richards, im Kontext des jüngsten NATO-Gipfels in Chicago vorgestellt wurde, die so genannte „Smart Defense“, bei der die 28 Mitgliedsstaaten der NATO ihre Souveränitätsrechte bezüglich von  Auslandseinsätzen der Truppen und Requirierung von  Kriegsgerät aufgeben sollen, zeigt denselben Trend. Richards kündigte an, daß eine weitere Konferenz der NATO im September diese Frage vollen Zugriffs ohne die Vetomöglichkeit gewählter nationaler Regierungen und Parlamente endgültig regeln soll.

Richards ist übrigens ebenso ein „Commander of the Order of the British Empire“ wie sein Kollege, der Chef des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung, Hans Joachim Schellnhuber, der ebenfalls von der britischen Königin persönlich wegen seiner Verdienste für das Empire ausgezeichnet wurde.

Die westliche und ein großer Teil der übrigen Welt wird dominiert von den Institutionen des Britischen Empire, wenn man darunter nicht Großbritannien, sondern das System der Globalisierung mit Hauptquartier in London versteht, also den Verbund von Zentralbanken, Investmentbanken, Hedgefonds, Beteiligungsgesellschaften, Versicherungen und Rückversicherungen, deren primäres Interesse in der Profitmaximierung einer parasitären Klasse und einer gigantischen Umverteilung von unten nach oben besteht.

Die EU von Maastricht bis Lissabon ist in der Praxis nichts weiter als der regionale Ausdruck dieses Systems. Die Voraussetzung für die Koexistenz der Nationen in Europa mit dieser EU ist aus besagten Gründen des wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Selbstinteresses nicht länger gegeben. Deshalb hat jede Nation vom völkerrechtlichen Standpunkt das Recht, aus diesem Bündnis auszutreten.

Die Unterwerfung unter das Regime des Britischen Empire der Globalisierung, dessen regionaler Ausdruck die EU ist, wie sie sich von den Verträgen von Maastricht bis Lissabon entwickelt hat, würde genau das Gegenteil ihres erklärten Zieles eines angeblichen Friedens in Europa erreichen. Sie würde zu wirtschaftlichem Chaos und Krieg führen, und stellt Hochverrat gegen die Völker Europas dar.

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