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Die Deregulierungspläne des italienischen Regierungschefs scheiterten am Widerstand der Taxifahrer, die die Bevölkerung gegen die Plünderung des Landes mobilisieren.
Die offizielle Sprache der EU ist eine Form des Orwellschen „Newspeak“, in der das Wort „weiß“ die schwarze Farbe bezeichnet, „Frieden“ Krieg bedeutet und „Wachstum“ Niedergang. Mario Monti, ein Technokrat, der als Marionette von der EU als Führer der „Regierung der Buchhalter“ in Italien eingesetzt wurde, ist dafür ein hervorragendes Beispiel.
Monti hat sein erstes Sparpaket als das „Salva Italia“-Gesetz eingebracht, das „Gesetz zur Rettung Italiens“. Aber tatsächlich ist mit dem „Retten“ nicht Italien, sondern der Euro gemeint. Jetzt hat er ein zweites Gesetzespaket angekündigt mit der Bezeichnung „Wachse, Italien“ („Crescitalia“), aber nicht Italien wird dadurch wachsen, sondern nur das Einkommen für die Finanzmärkte.
Das neue Paket ist Teil des Programms, das die Europäische Zentralbank (EZB) letzten August in Form eines inzwischen berühmt-berüchtigten, von Mario Draghi und Jean-Claude Trichet unterzeichneten vertraulichen Briefes an die italienische Regierung verlangt hatte. Demnach soll kein Geld für Investitionen bereitgestellt werden, und „Wachstum“ soll erreicht werden, indem man die Kosten senkt. Entsprechend sieht das neue Paket eine Reform des Arbeitsrechts ebenso vor wie die Deregulierung und Liberalisierung der regulierten Wirtschaftszweige, wie z.B. Apotheken, Notare, Anwälte, Taxifahrer etc.
Gegen diese Bestrebungen errang die nationale Taxifahrervereinigung Uritaxi vor Weihnachten einen vorläufigen Sieg, nachdem Claudio Giudici, der Vorsitzende von Uritaxi in der Toskana und Aktivist von Movisol, sofort reagiert und eine große Mobilisierung im ganzen Land in Gang gesetzt hatte. Sobald bekannt wurde, daß Monti den Taxisektor liberalisieren will, standen in den großen Städten Italiens die Taxis still, und die Technokratenregierung mußte das Vorhaben vorläufig zurücknehmen. Da zu erwarten ist, daß der Plan bald wieder auftaucht, mobilisieren die Taxifahrer jetzt eine nationale „Operation Wahrheit“, um Unterstützung aus der ganzen Gesellschaft zu gewinnen. Dazu verteilen sie Flugblätter an ihre Fahrgäste, und demnächst sollen auch Anzeigen in den großen nationalen Tageszeitungen geschaltet werden.
Bezeichnenderweise empörte sich ausgerechnet die Londoner Financial Times am 29. Dezember darüber, daß der Held Monti, der Microsoft besiegt habe, ausgerechnet an den italienischen Taxifahrern scheiterte! Jetzt berichtete der FT-Korrespondent in Rom, Guy Dinmore, in einem Artikel vom 3. Januar mit der Überschrift „Mächtige Lobbys bremsen Montis Reformen“ über einen Leserbrief, den Giudici als Antwort auf den Artikel verfaßt hatte. Die FT druckte zwar den Leserbrief nicht ab, aber Dinmore zitiert daraus: Giudici habe die Opposition gegen die vorgesehene Liberalisierung als „leidenschaftliche Bemühung von Kräften einer wahrhaft demokratischen Opposition gegen die Umwandlung Italiens von einem republikanischen in einen oligarchischen Staat“ verteidigt. „In seiner E-mail schrieb Herr Giudici, Taxifahrer, Apotheker, Zeitungsverkäufer und Ladenbesitzer seien Bürger mit Stimmrecht, die dagegen Einspruch erheben, daß der „Premierminister durch eine Reihe nationaler und internationaler Kräfte ausgewählt wird..., die einen neoliberalen Plan verfolgen, um das Land einer Finanzoligarchie zu übergeben“. Einen Tag später, am 4. Januar, druckte auch die italienische Finanztageszeitung Il Sole 24 ore den FT-Artikel ab.
Am 5. Januar erhielt Giudici dann eine Mitteilung der Redaktion der Financial Times, sein „eindrucksvoller und eloquenter Brief“ werde nun in voller Länge abgedruckt, was am nächsten Tag auch geschah. So konnten die Leser der FT folgendes lesen:
„Sir, zum Artikel von Herrn Giugliano vom 29. Dezember (,Monti braucht mehr als europäischen Applaus, um Rom zu halten’): Was als ,Widerstand’ eines Systems „geschlossener Berufsgruppen“ bezeichnet wird, sollte richtigerweise betrachtet werden als leidenschaftliche Bemühung von Kräften einer wahrhaft demokratischen Opposition gegen die Umwandlung Italiens von einem republikanischen in einen oligarchischen Staat. Taxifahrer, Apotheker, Zeitungsverkäufer sind nicht nur arbeitende Menschen, sondern in erster Linie Bürger, die immer noch ein Stimmrecht haben, und die Druck auf ein System ausüben, in dessen Mittlpunkt - trotz des ,Einfrierens’ des verfassungsmäßigen Prozesses bei der Auswahl des Premierministers durch eine Reihe nationaler und internationaler Kräfte - immer noch das Parlament und das Wahlrecht stehen, das die Menschen immer noch genießen. Dies ist das wichtigste Hindernis für einen neoliberalen Plan, der darauf abzielt, das Land in die Hände einer Finanzoligarchie zu legen, die im Land mindestens seit 1992 vorherrscht.
Das zweite Hindernis, vor dem Herr Monti steht, ist die Wahrheit. Alle oben erwähnten Gruppen mobilisieren, um ihre Mitbürger darüber aufzuklären, daß in der aktuellen Medienkampagne nicht die Wahrheit gesagt wird. Da die meisten Talkshows im Fernsehen und im Radio keine wirkliche Debatte zulassen oder sie stark einschränken, haben die Gewerkschaftsorganisationen und einzelne Arbeitnehmer ein paralleles Informationssystem geschaffen, indem sie soziale Netzwerke, Flugblätter und Mund-zu-Mund-Propaganda nutzen.
Das dritte und letzte Hindernis, vor dem Herr Monti steht, ist das Gewissen einiger Abgeordneter, einiger Journalisten und vieler Bürger.
Es sind also keine magischen Fähigkeiten der Taxifahrer, die Herrn Monti aufhalten, sondern es ist diese Mischung aus Demokratie, Wahrheit und Gewissen, die verhindert, daß das Land in die Hände der Finanzhaie fällt!
Claudio Giudici, Vorsitzender Uritaxi (nationaler Taxifahrerverband) in der Region Toskana.“
In der abgedruckten Version der Redaktion der Financial Times fehlte jedoch ein wichtiger Zusatz, worin auf die Rolle der Herren und Meister in der Londoner City verwiesen wird. Giudici hatte nämlich geschrieben (der weggelassene Teil ist kursiv hervorgehoben): Der neoliberale Plan ziele darauf ab, „das Land in die Hände einer Finanzoligarchie zu legen, die das Land mindestens seit 1992 (dem Jahr der berüchtigten „Britannia“-Absprachen“) beherrscht hat.
Die „Britannia-Absprachen“ sind in Rom und London wohlbekannt. Sie wurden am 2. Juni 1992 an Bord der „Britannia“ - Privatyacht der britischen Königin - zwischen Bankiers der Londoner City und anglophilen italienischen Unternehmern, Finanziers und Beamten getroffen. Der bekannteste Teilnehmer dieses Treffens war der heutige EZB-Vorsitzende Mario Draghi. Tatsächlich wurde das Programm der EZB, das jetzt von Monti in Italien umgesetzt wird, von vielen Kommentatoren als „Britannia 2“ bezeichnet.
Die Phase 2 des Monti-Programmes, das zynisch als Wachstumsprogramm „ohne Kosten“ verkauft wird, aber aus rücksichtsloser Deregulierung und Privatisierung aller wesentlichen Bereiche des gesellschaftlichen und sozialen Lebens besteht, hat bereits begonnen. Seit dem 2. Januar sind alle Begrenzungen der Einkaufszeiten abgeschafft. Künftig kann jedes Geschäft rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, offen bleiben. Die Regionalregierungen leisten dagegen heftigen Widerstand. So haben die Regierungen der Toskana, des Piemont und Apuliens eine Verfassungsklage angekündigt. Die Region Veneto hat die städtische Polizei angewiesen, alle Ladenbesitzer, die diesen Erlaß anwenden, mit Geldbußen zu belegen, und die Region Latium (Rom) hat ein Treffen mit den Organisationen der Einzelhändler und den Gewerkschaften angesetzt.
Herr Monti und seine Hintermänner aus der Finanzelite können sich also auf einiges gefaßt machen.
Claudio Celani