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Neue Solidarität
Nr. 18, 2. Mai 2012

Hat Herr Minister Posch seinen wirtschaftspolitischen Verstand verloren?

Kommentar.

Am 20. April kündigte der hessische Wirtschaftsminister Dieter Posch seinen Rücktritt zum 1. Juni an und empfahl gleichzeitig den jetzigen Fraktionsvorsitzenden der FDP im hessischen Landtag, Florian Rentsch, als seinen „Wunschkandidaten“ für die Nachfolge im Ministerium.

Daß sich ein Politiker mit 67 Jahren aufs Altenteil zurückzieht, ist nichts ungewöhnliches, und es ist auch nachzuvollziehen, daß er dem der Öffentlichkeit weit weniger bekannten Herrn Rentsch Gelegenheit gegen will, sich vor der voraussichtlich im Herbst 2013 stattfindenden nächsten Landtagswahl im Amt zu profilieren. Auch angesichts der verheerenden Umfragen für die Partei ist klar, daß man sich besser jetzt neu aufstellt als später.

Mit Herrn Posch verliert Hessen einen Minister, der sich dadurch wohltuend von dem ansonsten leider allgemein verbreiteten, mehr als angegrünten Zeitgeist unterschied, daß er immer wieder mit Nachdruck Infrastrukturprojekte vorangetrieben hat, beispielsweise den Ausbau des Frankfurter Flughafens oder des Autobahnnetzes. Dafür sei ihm an dieser Stelle ausdrücklich gedankt.

Aber man muß sich fragen, ob Herr Posch nicht seinen wirtschaftspolitischen Verstand verloren hat, wenn er als seinen „Wunschnachfolger“ ausgerechnet jemanden vorschlägt, der als seine Vorbilder Otto Graf Lambsdorff und gar Friedrich August von Hayek nennt. Graf Lambsdorffs staatsfeindliche Einstellung zeigte sich bekanntlich nicht nur in seiner gerichtskundigen Steuermoral, und von Hayek verunglimpfte solche Vordenker der Industrialisierung Deutschlands wie Friedrich List - den geistigen Vater des deutschen Eisenbahnnetzes und des Deutschen Zollvereins - und Walter Rathenau als „Sozialisten“ und warf sie als solche in einen Topf mit Adolf Hitler. Wahrscheinlich hätte er auch Konrad Adenauer als Sozialisten diffamiert, wenn er dessen Politik 1944 schon hätte beurteilen können.

Auch wenn dies bloß dümmliche Propaganda-Parolen waren: Wer einen solchen Unsinn ernst nimmt, ist nicht qualifiziert für einen verantwortlichen Posten in der Politik und schon gar nicht zum Wirtschaftsminister. Jedenfalls ist klar, daß Poschs Politik mit dieser Einstellung nicht fortgesetzt werden kann, weil dem Staat schon sehr bald die Mittel dazu fehlen werden.

Tatsache ist - auch wenn Herr Rentsch vielleicht zu jung ist, um sich daran zu erinnern -, daß unsere Volkswirtschaft heute nur noch ein schwacher Abglanz dessen ist, was in Zeiten aufgebaut wurde, in denen der Staat noch Verantwortung für das Gemeinwohl übernahm, indem er dafür sorgte, daß durch den Ausbau der Infrastruktur und die Sicherstellung eines guten Bildungs- und Gesundheitssystems die Voraussetzungen für den Betrieb und die Weiterentwicklung einer gesunden Industriegesellschaft gegeben waren.

Herr Posch mit seiner Politik des vom Staat vorangetriebenen Infrastrukturausbaus wirkt da tatsächlich fast wie ein Relikt aus der guten alten Zeit, und es ist nachvollziehbar, daß er sich in der heutigen Zeit gerade als Wirtschaftspolitiker nicht mehr richtig wohl fühlen kann. Denn von dieser Politik ist man inzwischen in der gesamten westlichen Welt fast völlig abgekommen, wofür vor allem das Wirken der ideologischen Zwillinge der „linken“ Frankfurter Schule und der „rechten“ Österreichischen Schule verantwortlich ist. Statt tatsächlicher Werte erzeugt man heute Scheinwerte an den Börsen und nennt dies „Wirtschaftswachstum“. Der Staat wird ebenso wie die Industriegesellschaft in anarchistischer Manier abgelehnt, statt der Menschen schützt man nur noch Tiere und Pflanzen - und „Wer zu plump ist, geh’ unter“.

Dabei ist es völlig zweitrangig, ob diese Ich-Mir-Mein-Mich-Ideologie sich in Form rücksichtsloser Börsenspekulationen oder in Sankt-Florians-Protesten gegen den Infrastrukturausbau äußert, in der wirtschaftlichen Praxis hat es die gleiche Wirkung: Die produktive Wirtschaft wird zerstört, die Arbeitsplätze gehen verloren.

Für einen großen Teil der Bevölkerung ging mit den schwindenden wirtschaftlichen Möglichkeiten auch ein großer Teil ihrer Freiheit verloren, wobei ich nicht nur an die Hartz-4-Zwangsarbeit denke, sondern auch an die Umwandlung unserer Industriegesellschaft in eine Dienstbotengesellschaft und an das heutige akademische Prekariat, das vor lauter Praktika und befristeten Arbeitsverträgen kaum noch eine Möglichkeit zu einer langfristigen Lebensplanung hat. An die Stelle selbständiger Produzenten treten zunehmend scheinselbständige „Dienstleister“.

Auf diesem Wege wird die Freiheit zu einem Luxus der oberen Zehntausend, für die breite Masse bedeutet er die Rückkehr in die Knechtschaft. Herr von Hayek verrät schon im Titel seines Pamphlets Der Weg zur Knechtschaft - ganz wie in Edgar Allen Poes „Der entwendete Brief“ -, wohin die Reise führt, aber die meisten seiner Leser, offenbar auch Herr Rentsch, übersehen das.

Vielleicht wären sie etwas aufmerksamer, wüßten sie, daß die von von Hayek zur Propagierung seiner Ideen gegründete „Mont-Pelerin-Gesellschaft“ lange Jahre von dem hochfürstlichen Max von Thurn und Taxis angeführt wurde. Praktisch ist diese Gesellschaft ein Ableger der Pan-Europa-Union, die von „seiner kaiserlichen Hoheit“ Otto von Habsburg geleitet wurde. Auch Graf Lambsdorff hat seiner Herkunft und Ideologie nach wohl kaum etwas in einer gutbürgerlichen Partei zu suchen. Freiheit nur für die oberen Zehntausend hat nichts mit Liberalität zu tun - die ist genau das, wogegen echte Freunde der Freiheit wie Friedrich Schiller und Friedrich List gekämpft haben.

Wer jedoch die heutige Lage aufmerksam betrachtet, der muß feststellen, daß es heute um noch viel mehr geht. Denn der jetzige Kurs des Freihandels und der freien Spekulationen bedroht unsere Existenzgrundlagen inzwischen ebensosehr wie die wissenschaftsfeindliche grüne Politik.

Nach drei Jahrzehnten, in denen von Hayeks Ideologie in Form von Thatcherismus, Reaganomics und Globalisierung im Zusammenwirken mit der - ebenfalls von höchstadeligen Kreisen verbreiteten - grünen Ideologie die Erhaltung der wirtschaftlichen Substanz verhindert hat, ist diese Substanz nun aufgezehrt. Schon jetzt ist der Staat aufgrund der Zerstörung unserer Wirtschaft nicht mehr in der Lage, die notwendigen Vorleistungen für die Zukunft zu erbringen. Weder die Energieversorgung noch die Nahrungsmittelversorgung können mit der jetzigen Politik sichergestellt werden, ganz zu schweigen von den unverzichtbaren Investitionen in den Fortschritt der Wissenschaft, die uns die Mittel z.B. gegen den vom Sonnensystem ausgelösten Klimawandel verschaffen müssen. Wenn die Menschheit überleben soll, dann muß sie nicht nur mit der „grünen“ Ideologie brechen, sondern auch mit dem Anarchismus der Börsenmakler! Und wenn Herr Rentsch das nicht begreift, wird seine Karriere vermutlich mit der nächsten Landtagswahl ein sang- und klangloses Ende finden.

Alexander Hartmann, Landesvorsitzender BüSo Hessen