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Eurex. Mit seinem Hinweis auf die Spekulationspläne der Eurex-Börse löste Jacques Cheminade eine nationale Debatte aus.
Jacques Cheminade prangerte am 9. und 10. April in mehreren Interviews ein neues Finanzinstrument an, das offensichtlich dazu dienen soll, spekulative Angriffe auf die französischen Staatsschulden zu erleichtern. Damit löste er großes Aufsehen aus und brachte diese sonst vertuschte Neuigkeit an die Öffentlichkeit.
In der Sendung „4 Vérités“ des Senders France2 TV betonte Cheminade, daß man den Bankensektor säubern müsse, weil seit den achtziger Jahren „Geld geschöpft wird ohne Deckung durch Produktion, Forschung oder Verbesserungen im Gesundheitswesen. Seit dem ,Big Bang’ in London ist bei den Machenschaften im Finanzgeschäft praktisch ,alles erlaubt’.“1
Cheminade fuhr fort: „Wenn man Geld benutzt, um mehr Geld zu erzeugen, kommt man irgendwann an den Punkt, wo alles zusammenbricht. Heute stehen wir kurz davor, denn Eurex, die wichtigste Terminbörse, wird demnächst - am 16. April, und dieses Datum ist kein Zufall - ein Instrument für Spekulationen gegen französische Schulden ausgeben, das eine 20fache Hebelung hat, d.h. man kann seinen Einsatz um 20 multiplizieren. Das ist ungeheuerlich.“ (Eurex ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Deutschen Börse und der Schweizer Börse SIX.)
Cheminade meinte, der Zeitpunkt am 16. April mitten im französischen Präsidentschaftswahlkampf sei offenbar bewußt gewählt worden, um den Sozialisten François Hollande, aber auch Präsident Sarkozy unter Druck zu setzen.
Auf der Internetseite der französischen Schwesterpartei der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, Solidarité et Progrès, sind Cheminades Vorwürfe in einer Meldung vom 9. April untermauert. Darin heißt es:
„In einem Rundschreiben hat das Börsenunternehmen Eurex am 21. März (zwei Tage nach dem offiziellen Beginn des französischen Präsidentschaftswahlkampfs) angekündigt, daß es ab 16. April ein neues Termingeschäft für langfristige französische Staatsschulden unter dem Namen FOAT (für: Französische Staatsanleihen) zum Verkauf anbieten wird.
Dieses neue Papier, dessen Mindestbetrag gerade einmal 100.000 Euro beträgt (mit einer Hebelwirkung von 10 bis 20, d.h. einer um ein vielfaches geringeren Nominaleinlage), wird die französischen Staatsschulden noch mehr den spekulativen Finanzmärkten ausliefern.
Während die notorischen Credit Default Swaps (CDS) meistens institutionellen Anlegern vorbehalten waren, die über mindestens 10 Mio. Dollar als ,Eintrittskarte’ verfügen, werden die FOATs Spekulanten aller Kragenweiten zugängig sein.
Die Einführung dieses neuen Produkts signalisiert deutlich, daß Eurex für die kommenden Monate einen starken spekulativen Run auf die französischen Staatsschulden ,antizipiert’, der dem Unternehmen dank der saftigen Vermittlungsgebühren auf jede durchgeführte Transaktion Gewinne verspricht.
Soviel zur offiziellen Erklärung. Doch warum zum Teufel muß ein derartiges Produkt ausgerechnet eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen eingeführt werden?
Sollten gewisse Finanzkreise beschlossen haben, den Kandidaten im Wahlkampf eine Botschaft zukommen zu lassen, oder sich mit einem neuen Knüppel zu versehen, um den Neuling im Elysée-Palast durchzuprügeln?
Diese Offensive der Spekulanten kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der Ton bestimmt wird durch den Artikel ,Frankreichs Zukunft: ein Land, das die Realität verleugnet’ in der jüngsten Ausgabe des Londoner Wochenmagazins The Economist, dem Sprachrohr der Bankiers der Londoner City.
Garniert mit einer verfremdeten Fassung des Manet-Gemäldes Das Frühstück im Grünen, wo Sarkozy und Hollande entspannt in Gesellschaft einer entkleideten Schönen im Garten liegen, wird in dem Artikel nachdrücklich versichert, daß kein französischer Präsidentschaftskandidat den Mut habe, den Franzosen das unvermeidliche Schicksal zu verkünden, das sie erwarte: die brutale Verringerung des Lebensstandards und das Ende aller sozialen Errungenschaften seit 1945.
Während viele Journalisten erstaunt sind, daß Jacques Cheminade die City beschuldigt, verkündet der Chefredakteur von Enjeux-Les Echos mit dem vielsagenden Namen Eric Le Boucher [französisch für „Schlachter“] in seinem jüngsten Leitartikel, daß er dem Economist zustimmt.
In diesem Sinne regt er sich sehr über die Kandidaten auf, die ,die Wahrheit leugnen’ und bemängelt ,die krankhaften Äußerungen einer LePen, eines Mélenchon oder eines Cheminade, der genau wie die Linksfront redet und darüber hinaus einen ,Sputnik für alle’ verspricht.’
Für Le Boucher gibt es am Ende nur zwei mögliche Konsequenzen - Depression oder Gewalt: ,Ein wiedergewählter Nicolas Sarkozy riskiert, daß sich der Kampf gegen ihn auf die Straße verlagert... Für François Hollande sieht die Zukunft nicht rosiger aus. Er wird nicht zwischen der Bastille [d.h. dem Volk] und der City wählen können. Die Schulden haben abgestimmt: es wird die City sein müssen. Er wird seinem mächtigen Verbündeten, der extremen Linken, vorschreiben müssen, anstatt aller Albernheiten eine Churchillsche Richtung einzuschlagen. Das wird nicht gut enden.’
Jedermann weiß - und das war der Fall bei Barack Obama im Januar 2008 -, daß der Ton einer neuen Präsidentschaft in den ersten Tagen nach der Übernahme der Amtsgeschäfte durch den Sieger festgelegt wird. Wenn der neue Präsident zögert, mit dem Schwung, der ihm den Sieg beschert hat, weiterzumachen, dreht sich das Kräfteverhältnis schnell um und es wird zu spät, um überhaupt noch etwas zu ändern.
Wird ein derart zögerlicher Kandidat wie François Hollande, der ,die gesichtslose Finanzwelt’ angreift und ihr gleichzeitig ein herzliches Einvernehmen [Entente cordiale] vorschlägt, oder auch irgendein anderer Kandidat in der Lage sein, Maßnahmen gegen diese Drohung zu ergreifen? Heute vormittag hat Jacques Cheminade in einem Interview mit Jean-Jacques Bourdin auf RMC/BFM diese Gefahr dargestellt.
Diese drohende Gefahr durch Eurex - die weltweit größte Terminbörse für Derivate mit täglich (2010) durchschnittlich 24 Millionen Abschlüssen - muß ernst genommen werden. Das deutsch-schweizerische Unternehmen hat 2007 die International Securities Exchange (ISE) in den USA übernommen und hat heute Filialen in London, Paris, Chicago, New York, Hongkong, Tokio und Singapur.
Es sei daran erinnert, daß Eurex 2009 ein Papier zu den italienischen Staatsschulden aufgelegt hatte, ein Akt, der nicht ohne Zusammenhang ist mit der Unterwerfung Italiens unter die Vormundschaft des Goldman-Sachs-Technokraten Monti heute, zwei Jahre später.
Nun ist es also Frankreich, das ins Visier genommen wird.“
Nach diesen Enthüllungen meldete sich dann auch der Kandidat der Front de gauche (Linksfront), Jean-Luc Mélenchon, zu Wort, sprach von einem „Finanzputsch gegen unser Land“ und forderte, solche Instrumente ebenso zu verbieten wie Leerverkäufe und ungedeckte Kreditausfall-Swaps (CDS). Am 10. April wies Frédéric Taddei in einer beliebten Talkshow des Senders France 3 jedoch darauf hin, daß bis dahin nur ein Kandidat, nämlich Cheminade, vor diesem neuen Finanzputsch gegen Frankreich gewarnt hatte. Taddei zeigte nochmals Ausschnitte aus Cheminades Interview mit France-2 und stellte fest, nun könne jedermann auf Frankreichs Bankrott Wetten abschließen.
In einer anschließenden Diskussion zwischen Ökonomen und Journalisten war die Angst vor der Schuldenkrise unübersehbar. Der Ökonom Philippe Dessertine wies darauf hin, daß Eurex solche Instrumente auch schon für deutsche und dann für italienische Staatsschulden aufgelegt hatte, nun erhalte Frankreich die gleiche Behandlung. Frankreich werde 2012 mit rund 180 Mrd. Euro der zweitgrößte Euro-Kreditnehmer sein, und im kommenden Jahr zum größten werden. 2013 muß der französische Staat etwa 220 Mrd. Euro borgen, also praktisch eine Milliarde pro Arbeitstag, um seine Schulden bezahlen zu können. Er räumte ein, daß das neue Eurex-Instrument die Spekulation gegen die französischen Staatsschulden fördern wird.
Den Schluß, daß man ein Glass-Steagall-Trennbankensystem braucht, um sich dagegen wehren zu können, wie es Cheminade fordert, zogen die Experten nicht - aber intelligente Wähler werden dies tun.
Christine Schier
Anmerkung
1. Margaret Thatcher hatte am 27. Oktober 1986 im sog. „Big Bang“ die Londoner Börse dereguliert und vor allem das Verbot für Wertpapierfirmen aufgehoben, sowohl als Makler als auch als Händler von Wertpapieren zu agieren - als Teil des Angriffs auf das Glass-Steagall-Gesetz, das damals in den USA noch immer in Kraft war. Ein Jahr später, am 16.-19. Oktober 1987, brachen weltweit die Aktienmärkte zusammen.