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Vor der Präsidentschaftswahl in Rußland führte Wladimir Putin u.a. auch eine Diskussion mit hohen Offizieren, Wissenschaftlern und Strategieexperten am Kernforschungszentrum Sarow, dem wichtigsten Waffenlabor des Landes. Bei dieser Diskussionsrunde machte Prof. Jewgenij Welikow von der Russischen Akademie der Wissenschaften den Vorschlag, als asymmetrische Antwort auf die Raketenabwehr der USA und der NATO in Osteuropa und als „Weckruf“ in Hinsicht auf die Realitäten des Atomkriegs einen seit langem eingestellten Teil des russischen Kernwaffenprogramms wiederaufzunehmen.
Welikow ist Präsident des Kurtschatow-Instituts, des führenden Kernforschungszentrums der Akademie der Wissenschaften, und er ist gleichzeitig Vorsitzender der „Öffentlichen Kammer“, eines beratenden Gremiums, das Putin während seiner ersten Amtszeit als Präsident eingerichtet hatte.
Welikow schlug vor, daß Rußland seine Raketenabwehrsysteme rund um Moskau mit atomaren Sprengköpfen ausrüstet, damit es einen strategischen atomaren Angriff „nuklear abfangen“ kann. Das bedeutet, daß auf der Flugbahn einer anfliegenden Rakete eine Atombombe über dem eigenen Territorium gezündet wird. Diese Methode ist weniger präzise, aber zuverlässiger als Versuche, anfliegende Raketen mit eigenen Raketen abzuschießen. Andererseits verursacht der nukleare Fallout große Schäden auf dem betroffenen Gebiet, aber immer noch deutlich weniger, als wenn die feindliche Rakete einschlüge.
Welikow machte bei seinem Vorschlag an Putin deutlich, daß er einen nuklearen Raketenangriff auf Rußland für eine sehr reale Möglichkeit hält. Weiter sagte er:
„Der zweite Punkt, den ich vorbringen möchte, ist der, daß eine asymmetrische Reaktion die angemessene Antwort an die Vereinigten Staaten und die NATO ist. Ich denke oft an unsere Gespräche mit [dem Atomwissenschaftler] Jurij Chariton. Er hatte eine sehr klare Perspektive und war überzeugt, daß das nukleare Abfangen die wirksamste Methode ist, um ballistische Raketen abzufangen. Ich rede hier nicht von unseren notwendigen Arbeiten an einer Abwehr von Atomraketen. Wie Sie sicher wissen, existiert sie bereits in den 135 [Raketenabwehr-] Systemen [um Moskau]. Wichtig ist vor allem, daß es ein lauter Weckruf für unsere Partner wäre, wenn wir unser Programm um die Option des nuklearen Abfangens erweitern würden, weil es für die USA politisch völlig inakzeptabel ist. Das wäre eine völlig asymmetrische Antwort, weil sie das einfach nicht tun können. Ich will das hier nicht weiter ausführen, aber die Wahrscheinlichkeit wäre hundert Prozent. Wie Sie wissen, ist diese Idee für die Europäer noch viel weniger akzeptabel. Deshalb wäre schon die Erweiterung um diese Option und Aufnahme von Gesprächen über ein nukleares Abfangen technologisch und politisch der richtige Schritt.“
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