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Von Ulf Sandmark
Ulf Sandmark hielt bei der Konferenz des Schiller-Instituts in Berlin am 26.2.2012 den folgenden Vortrag über den Stand der Bemühungen zur Erschließung und Entwicklung der Arktis.
Wußten Sie eigentlich, daß die russischen Teilnehmer einer internationalen Forschungsexpedition im kanadischen Nordpolarmeer über Karten verfügten, die besser waren als die der kanadischen Marine? Was sagt uns das? Jemand war schon vorher dort gewesen.
Wußten Sie außerdem, daß die Bahnen von ballistischen Atomraketen, Polarsatelliten und zivilen Fluglinien alle über die Arktis führen?
Kennen Sie eigentlich den größten Eisbrecher der Welt, ein russisches Atom-U-Boot der Typhoon-Klasse, das dazu ausgelegt ist, das Eis der Arktis von unten zu durchbrechen? Mit dieser Technik eröffnete sich ursprünglich eine strategische Flanke, um Raketen von U-Booten in Wartepositionen unter dem Eis abzuschießen.
Warum waren die Militärs, die Weltraumbehörden und die Fluggesellschaften die ersten in der Arktis? Weil es für sie normal ist, über den Tellerrand zu blicken.
Warum blenden wir normalerweise den arktischen Raum aus unserem Denken aus? Ist nicht unsere Umwelt durch das Land und das Meer bestimmt, d.h. durch das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen?
Warum denken wir normalerweise nicht an diese Räume - wo mit neuesten Technologien bereits Öl und Gas am Meeresboden gefördert werden? Das heißt, mit Hilfe der Wissenschaft erschließen sich uns immer neue Räume.
Ist der Atlantik Teil der Arktis? Betrachtet man die Welt von der Arktis aus, sieht man, wo diese Teile des Atlantiks im Verhältnis zu Alaska, Sibirien und Nordkanada liegen. Wenn man einen Breitenkreis von Anchorage durch die Südspitze Grönlands zieht, dann verläuft er durch Oslo, Stockholm, Helsinki und St. Petersburg! Aufgrund des Golfstroms ist ein guter Teil der europäischen Arktis besiedelt - Skandinavien, die Britischen Inseln und die Länder an den Küsten von Nord- und Ostsee. Aber außer bei Schiffahrt und Fischerei kommen diese Räume in unserem Denken nicht vor.
Seit der Entdeckung des Nordseeöl- und -gasfeldes Ekofisk im Jahr 1969 befindet sich Norwegen in einem ständigen, sich beschleunigenden Wettlauf in die Arktis (siehe Abb. 1 und 2) Warum? Weil Norwegen immer weiter investieren muß. Es verfolgt eine Wirtschaftspolitik, die besagt, daß alle Gewinne, wenn sie nicht zur Erschließung von Öl- und Gasfeldern verwendet werden, einfach nur in dem gigantischen norwegischen Ölfonds geparkt würden. (Es ist wie ein Landwirt, der viel Geld verdient und deshalb immer mehr Traktoren für seinen Hof kauft.)
Diese norwegische Politik funktioniert wie eine Maschine, die immer tiefer in die Arktis eindringt. Inzwischen verfügen die Norweger über die besten Technologien, die in der Arktis einsetzbar sind. Sie waren die ersten, die unter den sehr lebensfeindlichen Bedingungen der Barentssee die Produktion aufgenommen haben.
Auch die Ölkonzerne Gazprom, ENI, Total und Alaskan Oil erleben einen ähnlichen, sich selbst verstärkenden Drang in die Arktis. Als Rohstoffkonzernen, die sich auf ihr Geschäft konzentrieren, stehen bei ihnen immer weitere Explorationen im Mittelpunkt. Dies sind die wichtigsten Triebkräfte in der Arktis.
Darüber hinaus zeigen sich bei den Russen Wernadskijsche Impulse zur Kolonisierung der Arktis, was darauf abzielt, die Noosphäre zu erweitern. Ausdruck hiervon sind die ehrgeizigen russischen Pläne für die Arktis, die Premierminister Wladimir Putin im letzten Jahr auf dem Internationalen Arktis-Forum in Archangelsk vorstellte. Die russische Nation beweist ihre Souveränität durch den Ausbau ihrer Eisbrecher-Flotte, mit der die Nordost-Passage für den ganzjährigen Schiffsverkehr geöffnet werden soll. Als einziges Land der Welt entwickelt Rußland inzwischen schwimmende Kernkraftwerke, die die Städte an der arktischen Küste Sibiriens mit Strom versorgen werden.
Aber hier gibt es Probleme, die Lyndon LaRouche schon vor langer Zeit kommen sah, als er in seinem Buch Die kommenden 50 Jahre von der Entwicklung einer eurasischen Kultur sprach. Darin schrieb er:
„Die ganze Zeit über war die europäische Zivilisation deutlich weniger bevölkerungsreich als die asiatische. Dennoch war die Kraft, die sich in der europäischen Zivilisation ausdrückte, größer, insbesondere seit dem Aufstieg der klassischen griechischen Kultur, spätestens ab etwa dem 7. Jh. v.Chr...
Das hat im wesentlichen mit der Natur des Menschen zu tun, und insbesondere mit dem Selbstverständnis, das im typischen einzelnen Mitglied der Gesellschaft geprägt wird. Deshalb kündigt sich in Asien eine mögliche Katastrophe an - selbst in den Ländern, die zu verhältnismäßig großen Weltmächten werden - , wenn man nicht das Menschenbild, das sich im Zustand der großen Masse der Armen widerspiegelt, vom Status der billigen Arbeitskraft zu einer geistig aufgeklärten und schöpferischen breiten Bevölkerung erhebt. Das wird offensichtlich im Rahmen jeder weltweiten Diskussion über Fragen des Dialogs der Kulturen eine ganz wesentliche Aufgabe sein.“
Man kann die Frage auch anders stellen: Wo ist die Mittelschicht in dieser Entwicklung der Arktis? Soll die Mittelschicht sich selbst und ihre Güter durch die Pipelines transportieren?
Das oligarchische Problem in der Arktis äußert sich heute als eine brutale Frage von Leben und Tod. Am deutlichsten wird dies an dem Bergbauboom in Nordschweden, wo ein dramatischer Mangel an Unterkünften für die neuen Arbeitskräfte herrscht.
Auch die Infrastruktur ist völlig unterentwickelt, was dazu führt, daß sechs Millionen Tonnen Eisenerz pro Jahr von der neuen Mine in Pajala nicht mit der Bahn, sondern mit Hilfe von gigantischen 90-Tonner-LKWs transportiert werden sollen, die alle sechs Minuten auf die neun Meter breite und 150 km lange Hauptstraße von Pajala nach Svappavaara geschickt werden, eine Fahrt, die hin und zurück fünf Stunden dauert.
Haben Sie schon einmal von einem menschenfreundlichen Bergbau-Unternehmen gehört? Suchen Sie einen Job in einem Salzbergwerk?
Und was ist mit den Ureinwohnern der Arktis? Wissen Sie, wo Grönland liegt? Am ehesten in Oslo, wie ich meine - in den Elendsvierteln in der Nähe des Bahnhofs! In der Arktis werden die Menschen von der Oligarchie wie Vieh behandelt.
Das beste Mittel gegen die Oligarchie sind Wissenschaftsstädte. Der Entwurf für die Stadt Umka zeigt, was die Menschen in der Arktis für ein normales Familienleben brauchen.
Der besondere Beitrag Westeuropas zur Arktis muß es sein, für alle Menschen dort einen wissenschaftlichen Geist zu entwickeln, nicht nur für die typischen osteuropäischen Intellektuellen und Spezialisten.
Wie kann man die Bevölkerung aus dem Zustand billiger Arbeitskräfte befreien? Das wichtigste hierfür sind höhere Energieflußdichten und Wissenschaft.
1. Überall, wo neue Bergwerke eröffnet werden, muß man sich mit den Ureinwohnern auseinandersetzen. Die Sicherheits-Infrastruktur muß sämtliche Aktivitäten des Menschen bestimmen, d.h. die Bewohner brauchen Hubschrauber, Kommunikationsmittel und ein Gesundheitswesen, um sie als Kernmannschaft für die Rettungs- und Sicherheitsdienste zu gewinnen, da sie schon jetzt die Speerspitze zur Erschließung der Arktis bilden.
2. „Mond-Bergbau“: Die Rohstoffgewinnung auf dem Meeresboden oder in den Tiefen der Bergwerksstollen muß mit modernsten Technologien erfolgen, was Fortschritte in der Bildung, den sozialen Einrichtungen und bei den Löhnen erfordert. (Wo sind die Lastwagenfahrer in einer neuen Mine? Sie arbeiten heutzutage überirdisch und steuern mit ihren beiden Händen mindestens fünf Lastwagen gleichzeitig - siehe Abb.3)
3. Alle Bergbaustädte müssen Modell-Wissenschaftsstädte werden, mit anständigen Wohnmöglichkeiten und enger Anbindung an die Bildungs- und Kultureinrichtungen der Nation.
4. Weitere Erforschung und Entwicklung der Förder- und Verarbeitungsmethoden von Rohstoffen sowie des Bioprospecting - des Sammelns und Analysierens biologischer Stoffe -, um eine mittelständische Industrie aufzubauen. Ausbau des Universitätszentrums in Svalbard sowie der arktischen Universitäten in Tromsö (Norwegen), Akureyri (Island), Nuuk (Grönland), Umea (Schweden), Oulu (Finnland) und Archangelsk (Rußland) und Bau der neuen russischen Wissenschaftsstadt Umka.
5. Transportwege müssen nicht nur für Massengüter, sondern auch für den Bedarf mittelständischer Betriebe geeignet sein. Dazu brauchen wir Hochgeschwindigkeitsbahnen in den Norden. Die nationale Kontrolle über die Rohstofferschließung muß dazu dienen, Infrastrukturzugänge zur Arktis zu entwickeln, wie es z.B. in Norwegen geschieht. Schluß mit der Politik monetaristischer Nichtinvestitionen wie in Dänemark, Schweden und Finnland! Bau weiterer Verkehrswege von Kontinentaleuropa nach Norden, wie die Fehmarnbelt-Brücke und Schnellbahnverbindungen im nordischen Dreieck zwischen Kopenhagen, Oslo Stockholm, Helsinki und St. Petersburg, die baltische Eisenbahn, der Tunnel zwischen Tallin und Helsinki, der baltische Bogen, die Eisenbahn von Rovianiemi nach Kirkenes, die Hochgeschwindigkeitsbahnen zwischen St. Petersburg und Moskau, die Belkomur-Eisenbahn von Archangelsk nach Perm und der neue Frachtkorridor von China bis in die Vereinigten Staaten.
6. Einbindung von Norwegen, Rußland und Grönland in diese Projekte. Zusammenarbeit zwischen China, Südkorea, Japan, Indien, Kanada und den USA bei arktischen Projekten - nach dem Motto: Hoher Norden, weniger Spannung. Wie Norwegens Außenminister Gjonas Gahr Störe betonte, gibt es keinen Wettlauf in die Arktis, da alle Grenzfragen gelöst seien. Deswegen gebe es keinen Wettlauf um die Rohstoffe, sondern nur einen gemeinsamen Wettlauf um das Wissen.
Zum Schluß: Das Kara-Meer ist in diesem Februar zum ersten Mal offen. So wie unsere Vorfahren vor 10.000 Jahren dem zurückweichenden Eis folgten, sollte sich die Schiffahrt nicht nur an der Nord- und Ostseeküste, sondern an der Arktisküste orientieren.