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Neue Solidarität
Nr. 12, 21. März 2012

Der Massenstreikprozeß in Italien und die Rolle der LaRouche-Bewegung

Von Claudio Giudici

Claudio Giudici ist Mitglied der LaRouche-Bewegung in Italien (MoviSol) und Vorsitzender des Taxifahrerverbandes URITAXI in der Toskana. Bei der Berliner Konferenz des Schiller-Instituts am 25./26. Februar 2012 hielt er den folgenden Vortrag.

„Ich widme diese Botschaft allen Verrückten. Allen, die die Dinge anders sehen. Man kann sie zitieren. Anderer Meinung sein. Man kann sie verherrlichen oder herabsetzen, aber eines kann man nicht tun - sie ignorieren. Denn sie können etwas verändern... Und auch wenn einige sie als verrückt bezeichnen, ich sehe ihr Genie. Denn nur wer so verrückt ist, zu glauben, daß er die Welt ändern kann, wird sie wirklich ändern.“ - Mahatma Gandhi

* * *

Ich grüße Sie alle! Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut für diese Gelegenheit danken. Ich denke, angesichts der Gefahren, vor denen wir in dieser Zeit stehen, ist es wichtig, daß ich Ihnen die Geschichte der italienischen Taxifahrer in den letzten drei Monaten erzähle, als ein Symbol für einen Prozeß des Widerstands - wie ich der Financial Times erklären konnte - der arbeitenden Bevölkerung gegen die Spekulation.

Tatsächlich ist dies eine erste Idee, auf die wir uns konzentrieren können, wenn wir verstehen wollen, welche Phase der Geschichte wir durchleben und wo wir Lösungen finden können, damit wir sie zu einem Erfolg für die ganze Menschheit machen. Wir erleben einen Kampf zwischen Spekulation und Arbeit, zwischen dem Empire und den Nationalstaaten, und damit zwischen denen, die sich wie Parasiten verhalten, und denen, die die eigentliche Natur des Menschen mit seiner besonderen sozialen Funktion zum Ausdruck bringen. Arbeit gegen Spekulation! Nationen gegen Imperien! Und nicht, wie man heute sagt, Arbeiter gegen Konsumenten, oder Arbeitnehmer gegen Kapitalisten! Nicht Italien gegen Deutschland! Keinen Kampf der Kulturen, wie ihn Prof. Samuel Huntington vorschlägt. Und daher auch kein Kampf des Westens gegen die islamische Welt!

Der Kampf ist der zwischen der Finanzspekulation und der produktiven Arbeit - zwischen denen, die ein imperiales Konzept der Gesellschaftsordnung haben, und denen, die ein republikanisches Konzept auf der Grundlage von Nationalstaaten haben. Der Kampf ist der zwischen denen, die ein optimistisches Menschenbild haben und an die höchsten geistigen und schöpferischen Fähigkeiten des Menschen glauben, wie es uns die jüdisch-christliche Tradition lehrt - vom 13. Jahrhundert v. Chr., über Sokrates und Platon, den hl. Augustinus, die Florentiner Renaissance, Leibniz, Schiller bis hin zu Martin Luther King und Lyndon LaRouche heute -, und auf der anderen Seite jenen, die ein pessimistisches Menschenbild haben, eine Hobbessche Sicht, wonach eine Oligarchie angeblicher „Erleuchteter“ die Masse im Zaum halten muß, das genaue Gegenteil einer prometheischen Sicht. Ich denke dabei an den derzeitigen italienischen Premierminister Mario Monti oder die Ministerin Fornero, die Leute, die von den italienischen Bürgern Opfer und Einschränkungen fordern, während für sie selbst als die „Erleuchteten“ und für ihre Verwandten die Regeln genau das Gegenteil sein können.

Angriff der Spekulation

In Italien ist der Prozeß, den Lyndon LaRouche seit Jahrzehnten beschreibt, offen sichtbar: Spekulative Prozesse beherrschen das Leben der Menschen, die Wirtschaft, die Nationalstaaten und die Demokratie. In Italien wurde das alles offensichtlich, als eine gewählte Regierung mit einer Serie spekulativer Angriffe gestürzt wurde, was es der Finanzoligarchie erlaubte, ihre Leute an die Spitze der Regierung und der wichtigsten Ministerien zu stellen. Auch wenn die Methoden im einzelnen verschieden waren, ist der Rahmen derselbe: So erleben wir nun die zweite Phase dessen, was man in Italien die „Britannia“-Operation nennt, nach der ersten Phase damals 1992.

Wir alle wissen, daß damals beim ersten Mal George Soros eine wichtige Rolle bei der Zerschlagung des Europäischen Währungssystems (EWS) und der Abwertung der italienischen Währung, der Lira, spielte, was die Übernahme der staatlichen Industrien und staatlichen Banken durch private nationale und internationale Geldpotentaten erleichterte. Heute gibt es noch keinen konkreten Namen, mit dem man die zweite Phase identifizieren kann - obwohl es sehr wahrscheinlich ist, daß George Soros auch diesmal eine wichtige Rolle spielte -, aber wir wissen, daß hinter all dem das Britische Empire steht, das eine Strategie der Zerstörung der Nationalstaaten und der Reduzierung der Weltbevölkerung verfolgt.

In Hinsicht auf den letzteren Punkt sagt uns der Geruch des Krieges aus Syrien und dem Iran, als der Zünder eines größeren Konfliktes, an dem Rußland und China beteiligt wären, daß die malthusianischen Pläne des Prinzen Philip von Edinburgh sehr schnell wahr werden könnten. Aber wir haben eine historische Chance, all das zu verhindern und wieder eine wirkliche Perspektive der Entwicklung für den gesamten Planeten herzustellen. Wir werden auf diesen Punkt noch zurückkommen.

Massenstreik

In Italien brach nach der Ankündigung der ersten Maßnahmen der Regierung Monti ein Massenstreik aus, der sich bereits in verschiedenen Teilen der westlichen Welt zeigt und der in Nordafrika zum Sturz von Regierungen führte, wenn auch ohne eine strategische, positive Lösung für die betroffene Bevölkerung.

Mit seinem Dekret „Wachse Italien!“ wollte Monti der Finanzoligarchie ganze Märkte ausliefern. Den Bürgern sagte er, es sei notwendig, um für wirtschaftliche Entwicklung, niedrigere Preise und neue Arbeitsplätze zu sorgen. Wer jedoch nicht mehr an Märchen glaubt, der erkannte, daß es dasselbe alte Freihandelssystem ist, das Friedrich List „die Leiter wegstoßen“ nannte, indem es alle Regeln des Marktes beseitigt und ganze Wirtschaftssektoren den stärksten Finanzinteressen ausliefert, die sie schließlich vollkommen beherrschen.

Tatsächlich müssen wir gar nicht auf Beispiele aus dem 19. Jahrhundert zurückgreifen, das auch in Italien berühmt ist für den Kampf zwischen dem republikanischen Widerstand und dem Britischen Empire - dem Empire der Liberalisierung. Auch in letzter Zeit gab es zahlreiche Lehrbeispiele dafür: aus den Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen, die 1998 im Einzelhandel eingeführt wurden, im Immobiliensektor 1992 und bei den Lastwagenfahrern schon in den achtziger Jahren. In allen diesen Fällen der „noblen“ Liberalisierung der Märkte war das Ergebnis das gleiche: Konzentration der Sektoren in einigen wenigen beherrschenden Händen, unsichere Arbeitsverhältnisse und schlechtere Qualität des Wirtschaftsprozesses.

Deshalb habe ich, als ich auf den Seiten der Financial Times las, der „Widerstand der [bösen] Unternehmen“ hindere den „Robin Hood“ Monti, sofort reagiert und betonte, daß es in Wirklichkeit ein Fall echten demokratischen Widerstands der Arbeitskräfte ist - Taxifahrer, Zeitungsverkäufer, Apotheker, Ladenbesitzer, Selbständige etc. -, die einfach nur völlig legitim ihre Arbeit verteidigen, um nicht der Gnade der Finanzhaie ausgeliefert zu sein, denen seit Beginn der Finanzkrise im August 2007 die Luft ausgeht und die daher verzweifelt nach neuem Besitz greifen.

Die Regierung begann zur Verwirrung eine Kampagne gegen diese Arbeitskräfte, sie stellte sie als privilegierte Minderheit dar, die schuld an der Krise in Italien wäre. Auch wenn es nicht ausdrücklich so formuliert wurde, war das die Botschaft, die die Medien dem kollektiven Denken der italienischen Bevölkerung einhämmerten. Das führte zu dem Massenstreik, der meiner Einschätzung nach weitergeht, auch wenn er nach außen hin weniger in Erscheinung tritt.

Was wir dank des Verbandes Uritaxi, dessen Mitglied ich bin, mit voller Rückendeckung des nationalen Vorsitzenden Loreno Bittarelli organisiert haben, kann man als eine „Operation Wahrheit“ bezeichnen. Wir produzierten Tausende von Flugblättern, in denen wir die wahren Ziele Montis und seiner Liberalisierung sowie die tatsächlichen Preise und die Qualität der italienischen Taxidienste darstellten, und wir versorgten sämtliche Taxis in Italien und andere mit diesen Flugblättern. Wir nutzten dann die Macht der sozialen Netzwerke und der Mund-zu-Mund-Propaganda als Gegengewicht zu den Massenmedien, die uns buchstäblich ausgrenzten. Es gab sogar etliche Talkshows zur besten Sendezeit, in denen über die Taxifahrer oder andere Arbeitergruppen gesprochen wurde, ohne daß Vertreter dieser Berufe darauf antworten durften. Aber dank der „Operation Wahrheit“ erkannten die Massenmedien, daß auch die arbeitenden Menschen ein Recht haben, in ihren Sendungen zu Wort zu kommen, sodaß unsere Ansichten schließlich sogar im Sprachrohr der Finanzoligarchie selbst, der Financial Times, veröffentlicht wurden.

Glass-Steagall-Kampagne

Als es uns gelang, uns an die allgemeine Öffentlichkeit zu wenden, legten wir nach und griffen die Rolle der Spekulation in der derzeitigen Krise öffentlich an, und sprachen über Glass-Steagall, über die Rolle von Lyndon LaRouche und über die Notwendigkeit, den Liberalismus von Adam Smith zu besiegen und Franklin Roosevelt wiederzuentdecken.

In ähnlicher Weise kamen auch die Apotheker, die Zeitungsverkäufer und andere in Bewegung. Nach und nach wuchs die Widerstandsbewegung, dieser Massenstreik, bis zu dem Punkt, daß inzwischen nicht nur diejenigen daran beteiligt sind, die unmittelbar vom dem Dekret „Wachse Italien“ betroffen sind, sondern alle, die in irgendeiner Weise unter Montis „Blut, Schweiß-und-Tränen“-Maßnahmen leiden, insbesondere wegen der Zusatzsteuer auf Treibstoffe. Deshalb gingen die Lastwagenfahrer, die Fischer und die Landwirte auf die Straßen und blockierten sogar Teile des Autobahnnetzes. Im Süden - einer Region, die sehr arm ist und deshalb noch stärker unter Montis Maßnahmen leidet - gab es eine Mobilisierung der gesamten Bevölkerung, die von Sizilien ausging und schließlich auch andere Regionen erfaßte, die gegen die Regierung protestierten.

Heute ist sich die Bevölkerung Italiens der Tatsache bewußter, daß diese Krise durch die Spekulation der großen Investmentbanken herbeigeführt wurde. Bewußter, aber natürlich noch lange nicht bewußt genug!

Aber wenn es uns gelingt, die Einführung des Glass-Steagall-Standards durchzusetzen, der die Investmentbanken von den Geschäftsbanken trennt, dann haben wir die Gefahr eines Dritten Weltkriegs abgewendet. Der Anlaß für die Provokationen der westlichen Diplomatie in Gebieten der Welt, die sie nicht beherrschen, sondern sich im Einflußbereich Rußlands und Chinas befinden, würde beseitigt.

In der Kampagne für die Wiedereinführung von Glass-Steagall stehen die LaRouche-Bewegung in Italien, Movisol, und das Komitee NoBigBanks.it an vorderster Front. Der Movisol-Generalsekretär Andrew Spannaus hat direkt mit Senator Oskar Peterlini den Antrag für die Erneuerung von Glass-Steagall ausgearbeitet. Wenn Italien das tut, würde dieses Beispiel viele andere Länder ermutigen.

Wir müssen daran glauben, daß es möglich ist, den Gang der Geschichte zu verändern. Die Hunderte von Aktivisten, die hier versammelt sind, können entscheidend sein für diese Änderung der Geschichte, und dafür, das Jahr 2012 statt zu einem Jahr einer Tragödie - wie es eine beliebte Strömung behauptet, die sich auf die Prophezeiungen der Maya beruft - zu einem Jahr der kulturellen Revolution und der Entwicklung für die ganze Menschheit zu machen.

Wir müssen Toren sein, wie es Gandhi sagt und wie es Erasmus von Rotterdam sagt! Es wird uns gelingen, den Gang der Geschichte zu ändern! Wir müssen daran glauben, daß wir das können, und müssen den Gang der Geschichte ändern! Das wird der größte Akt der Liebe sein, den wir für unsere Nächsten tun können.

Am Tag vor seinem Tode schrieb Franklin Delano Roosevelt: „Die einzige Grenze für die Realisierung des Morgen sind die Zweifel von heute. Gehen wir voran mit großer, aktiver Zuversicht.“

Lesen Sie hierzu bitte auch:
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Dokumentation der Berliner Konferenz des Schiller-Instituts
- Internetseite des Schiller-Instituts (externer Link)
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