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Neue Solidarität
Nr. 10, 7. März 2012

„Eine Widerstandsfront gegen das totalitäre Empire der Globalisierung“

Von Mikis Theodorakis und Manolis Glezos

Die beiden bekannten griechischen Widerstandskämpfer Mikis Theodorakis (87) und Manolis Glezos (89) veröffentlichten am 22.10.2011 einen gemeinsamen Aufruf zum Widerstand gegen die Politik, die die EU Griechenland und den übrigen Mitgliedstaaten aufzwingen will. Wir bringen Auszüge.1

65 Jahre nach dem Sieg über Nazismus und Faschismus stehen die europäischen Völker heute einer dramatischen Bedrohung gegenüber, dieses Mal nicht militärischer, sondern finanzieller, sozialer und politischer Art.

Ein neues „Imperium des Geldes“ hat in den letzten 18 Monaten systematisch ein europäisches Land nach dem anderen angegriffen, ohne substantiellen Widerstand zu erfahren. Den europäischen Regierungen mißlingt es nicht nur, die europäischen Völker gegen die Märkte zu verteidigen, im Gegenteil: sie versuchen, die Märkte „zu beruhigen“, in dem sie Politiken einführen, die uns an die Art und Weise erinnern, wie Regierungen versucht haben, dem Nazismus in den Dreißigern zu begegnen. Sie organisieren „Schuldenkriege“ zwischen den Völkern Europas, genauso wie damals, als sie von der belle époque zum Ersten Weltkrieg getrieben wurden.

Die Marktoffensive begann einen Krieg gegen Griechenland, einen EU-Mitgliedsstaat, dessen Bevölkerung eine entscheidende Rolle im Widerstand gegen Barbarei und in der Befreiung Europas im Zweiten Weltkrieg gespielt hat. Zu Anfang war dieser Krieg ein Kommunikationskrieg, der uns an die Kampagnen gegen feindliche, ausgestoßene Länder, wie Irak und Jugoslawien, erinnerte. Diese Kampagne präsentierte Griechenland als ein Land fauler und korrupter Bürgerinnen und Bürger, während sie versucht, die „PIIGS“ Europas und nicht die internationalen Banken für die Schuldenkrise verantwortlich zu machen.

Schnell entwickelte sich diese Offensive in eine finanzielle, die die Unterwerfung Griechenlands unter einen Status der eingeschränkten Souveränität und die Einmischung des IWF in die internen Angelegenheiten der Eurozone zur Folge hatte.

Nachdem sie bekommen hatten, was sie von Griechenland wollten, zielten die Märkte auf die anderen kleineren oder größeren Länder in der europäischen Peripherie. Die Ziele sind in allen Fällen dieselben: Die umfassende Gewährleistung der Interessen der Banken gegenüber den Staaten, die Zerstörung des europäischen Wohlfahrtstaates, der ein Grundpfeiler der europäischen Demokratie und Kultur gewesen ist, die Zerstörung der europäischen Staaten und die Unterwerfung der übrigen staatlichen Strukturen unter die neue „Internationale des Geldes“.

Die EU, die ihren Völkern als ein Instrument des kollektiven Fortschritts und der Demokratie präsentiert wurde, tendiert dazu, das Instrument für die Beendigung von Wohlstand und Demokratie zu werden. Sie wurde als ein Instrument des Widerstandes gegen die Globalisierung eingeführt, aber die Märkte wünschen sie sich als ein Instrument dieser Globalisierung...

Das „Imperium des Geldes“ fordert nun eine schnelle, gewaltsame und brutale Transformation eines Eurozonenlandes, nämlich Griechenlands, in ein Drittweltland durch ein sogenanntes „Rettungs“-Programm, das tatsächlich die „Rettung“ der Banken ist, die dem Land Geld geliehen haben. In Griechenland hat die Allianz der Banken und der politischen Führungen - durch die EU, die EZB und den IWF - ein Programm verhängt, daß einem „wirtschaftlichen und sozialen Mord“ an diesem Land und seiner Demokratie gleichkommt. Sie organisiert die Ausplünderung des Landes vor dessen kalkuliertem Bankrott, mit dem Wunsch, es zum Sündenbock der globalen Finanzkrise zu machen und es als ein „Paradigma“ zur Terrorisierung aller europäischen Völker zu nutzen.

Die gegenwärtig in Griechenland ausgeübte Politik, die versucht sich auszuweiten, ist die gleiche, die in Pinochets Chile, in Jelzins Rußland oder in Argentinien angewandt wurde und sie wird die gleichen Ergebnisse liefern, wenn sie nicht sofort unterbrochen wird. Infolge eines Programms, das angeblich beabsichtigt, dem Land zu helfen, ist Griechenland jetzt an der Schwelle des wirtschaftlichen und sozialen Desasters; es wird als ein Versuchskaninchen genutzt, die Reaktion der Bevölkerung auf Sozialdarwinismus zu testen und die gesamte Europäische Union damit in Schrecken zu versetzen, was einem ihrer Mitglieder passieren kann.

Die Märkte können auch die deutsche Führung bedrängen und dazu benutzen, die Zerstörung der Europäischen Union voranzutreiben. Aber es stellt einen Akt extremer politischer und historischer Blindheit für die herrschenden Kräfte in der EU und in erster Linie für Deutschland dar, zu glauben, daß es irgendein Projekt europäischer Integration oder auch nur einfacher Kooperation auf den Ruinen eines oder mehrerer Mitglieder der Eurozone geben kann.

Die geplante Zerstörung der großen, global bedeutenden politischen und sozialen Errungenschaften der europäischen Völker kann keine Art von Europäischer Union etablieren. Dies wird zu Chaos und Desintegration führen und das Aufkommen faschistischer Lösungen auf unserem Kontinent fördern...

Mit der sogenannten „Seisachtheia“-Reform, die Aufhebung der Schulden, die die Armen dazu zwangen, die Sklaven der Reichen zu werden, legte Solon in früheren Zeiten das Fundament für die Geburt des antiken Griechenland, der Ideen von Demokratie, Zivilgesellschaft, Politik und Europa, das Fundament europäischer und Weltkultur...

Eine Handvoll internationaler Banken, Ratingagenturen, Investmentfonds - eine globale Konzentration des Finanzkapitals ohne historischen Vergleich - möchte in Europa und der Welt die Macht an sich reißen und bereitet sich auf eine Beseitigung der Staaten und unserer Demokratie vor, indem es die Waffe der Schulden nutzt, um die Völker Europas zu versklaven und anstelle der unvollständigen Demokratie, in der wir leben, eine Diktatur des Geldes und der Banken zu errichten; die Macht des totalitären Imperiums der Globalisierung, dessen politisches Zentrum sich außerhalb Kontinentaleuropas befindet, trotz des Bestehens mächtiger Banken im Herzen dieses Empires.

Sie begannen in Griechenland, indem sie es als ein Versuchskaninchen benutzten, um sich dann zu anderen Ländern an der europäischen Peripherie fortzubewegen und sich langsam dem Zentrum zu nähern. Die Hoffnung einiger europäischer Länder, diesem Vorgehen letztendlich zu entkommen, zeigt nur, daß die europäische Führung von heute gegen die Bedrohung eines neuen „Finanzfaschismus“ nicht besser gewappnet ist, als gegen die Bedrohung durch Hitler während der Zeit zwischen den Weltkriegen...

Es besteht der dringende Bedarf an unmittelbarer, grenzüberschreitender Koordinierung aller Aktionen von Intellektuellen, Künstlern und Künstlerinnen, spontanen Bewegungen, sozialen Kräften und Persönlichkeiten, die die Bedeutung der Lage erkennen; wir müssen eine mächtige Widerstandsfront gegen das nahende „totalitäre Empire der Globalisierung“ aufstellen, bevor es zu spät ist.

Europa kann nur überleben, wenn wir den Märkten vereinten Widerstand entgegenstellen, eine größere Herausforderung als ihre, einen neuen europäischen „New Deal“.

  • Wir müssen die Angriffe auf Griechenland und andere EU-Staaten der Peripherie sofort unterbinden; wir müssen die unverantwortliche Spar- und Privatisierungspolitik stoppen, die direkt in eine schlimmere Krise als die von 1929 führt.

  • Öffentliche Schulden müssen europaweit radikal restrukturiert werden, insbesondere zu Lasten der privaten Bankgiganten. Die Kontrolle über die Banken muß wieder in staatliche Hände fallen, ebenso wie die Finanzierung der europäischen Wirtschaft, die unter nationaler und sozialer Kontrolle stehen muß. Man darf die Schlüssel zum Geld nicht Banken wie Goldman Sachs, JP Morgan, UBS, Deutsche Bank usw. überlassen. Wir müssen die unkontrollierten Derivate, die die Speerspitze des destruktiven Finanzkapitalismus sind, verbannen und echte wirtschaftliche Entwicklung erzeugen statt spekulativer Profite.

  • Die momentane Architektur des Finanzwesens, welche auf den Verträgen von Maastricht und der WHO basiert, hat in Europa eine Schuldenerzeugungsmaschine geschaffen. Wir brauchen eine radikale Änderung aller Verträge, die Unterordnung der EZB unter die politische Kontrolle durch die Völker Europas, eine „goldene Regel“ für soziale, fiskalische und ökologische Mindeststandards in Europa. Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel, die Rückkehr zur Wachstumsstimulation durch die Stimulation der Nachfrage, durch neue europäische Investitionsprogramme, eine neue Regulierung, Besteuerung und Kontrolle des internationalen Kapital- und Warenflusses; eine neue Form des vernünftigen und bedachten Protektionismus in einem unabhängigen Europa, das der Protagonist im Kampf um einen multipolaren, demokratischen, ökologischen und sozialen Planeten sein wird.

  • Wir rufen die Kräfte und Individuen, die diese Ideen teilen, auf, so bald wie möglich zu einer breiten europäischen Aktionsfront zu verschmelzen; ein europäisches Übergangsprogramm zu erstellen, unsere internationalen Aktionen zu koordinieren, um so die Kräfte einer öffentlichen Bewegung zu mobilisieren, das gegenwärtige Mächteverhältnis rückgängig zu machen und die momentanen historisch verantwortungslosen Führungen unserer Länder zu stürzen, um unsere Völker und Gesellschaften zu retten, bevor es für Europa zu spät ist.

    Athen im Oktober 2011
    Mikis Theodorakis
    Manolis Glezos


    Anmerkung

    1. Die vollständige Übersetzung des Aufrufs finden Sie auf der deutschsprachigen Internetseite von Mikis Theodorakis unter:
    http://de.mikis-theodorakis.net/index.php/article/articleview/570/1/80