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Tausende Städte und Gemeinden in Europa wurden ruiniert durch Swapgeschäfte mit Banken, bei denen man ihnen „Finanzprodukte“ aufdrängte, die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einen negativen Marktwert hatten. Faktisch handelte es sich also um Betrug. Nach Urteilen zugunsten der geschädigten Kommunen in München, Stuttgart, Pforzheim, Mailand und Rimini sind jetzt weitere Opfer ermutigt, vor Gericht zu gehen. Die Richter kamen zu dem Schluß, daß die Geschäfte anders als gewöhnliche Swaps ein riskantes, kompliziertes Glücksspiel darstellen, in dem gewöhnlich die Bank der Gewinner ist. Die verwickelten fremdfinanzierten Geschäfte seien ethisch nicht vertretbar und somit null und nichtig, und die Banken müssen das Geld zurückerstatten.
Im Falle von Pforzheim lockten Deutsche Bank und JP Morgan die Stadt in Swapgeschäfte, die bis Herbst 2009 Verluste von 77,5 Mio. Euro brachten. Um den Verlust zu decken, mußte die Stadt neue Schulden machen und - teilweise unter Rechtsbeugung - öffentliches Eigentum verkaufen oder leasen. Als der neue Oberbürgermeister Gert Hager 2009 sein Amt antrat, ließ er alle Verträge kündigen mit der Begründung, es handele sich um Schulden aus Spekulation und Glücksspiel, die den Kommunen gesetzlich untersagt sind. Nach einem Rechtsstreit wurde die Deutsche Bank verurteilt, der Stadt 8 Mio. Euro zurückzuzahlen, und Hager ist optimistisch, daß er auch den Prozeß gegen JP Morgan gewinnen wird.
In Frankreich wird Henri Plagnol, Abgeordneter von Präsident Sarkozys Partei UMP und Bürgermeister von Saint-Maur-les-Fossés bei Paris gegen fünf Banken klagen, die an die Stadt Kredite auf der Grundlage „toxischer“ Derivate vergeben hatten. Die Banken sind Caisse d’Epargne, Crédit Agricole, Dexia, Société Générale und die deutsche Depfa.
Plagnol hat alle Beteiligten an ähnlichen Geschäften - auch wenn sie keine Verluste hatten - dazu aufgerufen, ihre Furcht zu überwinden und die Wahrheit zu sagen. „Wir müssen die Omerta [Mafia-Schweigegelübde] beenden.“ Man dürfe öffentlichen Einrichtungen grundsätzlich keine Derivate verkaufen, sagte er. Plagnol erhielt umgehend Rückendeckung vom Präsidenten des Rates des Départements Seine-Saint-Denis, Claude Bertolone, der auch gegen mehrere Banken klagt. Die meisten zwischen 2000 und 2008 aufgenommenen Kredite hatten zunächst 3-5 Jahre lang feste, niedrige Zinsen und wechselten dann zu variablen, oft extrem hohen Zinssätzen. 89% der Kredite seiner Kommune sind von dieser toxischen Art. Seit 2000 sind die Schulden um jährlich 13% gestiegen, und in einem Fall sprang der Zinssatz von 0,99% auf 15%!
Das Ausmaß des Problems ist gewaltig. Wie Le Monde am 10. Dezember berichtete, haben 18 der 24 Regionen und 62 der 100 Départements in Frankreich toxische Kredite aufgenommen, genauso wie tausende Kommunen, hunderte Krankenhäuser u.a. Als im Jahr 2000 der öffentliche Kredit austrocknete und Städte und Gemeinden verzweifelt nach neuen Geldquellen suchten, warben Banken wie Dexia systematisch bei allen Bürgermeistern für ihre exotischen Kreditgeschäfte. In anderen EU-Ländern lief es ähnlich.
Diese Zeitbombe kann nicht nur Banken zu Fall bringen, sondern auch die Regierung. Die Chefs der wichtigsten beteiligten Banken, Dexia und Natixis, sind enge Freunde von Präsident Nicolas Sarkozy, der sie während seiner Zeit als Haushaltsminister in den neunziger Jahren zu sich in die Regierung holte. Dexia-Chef Pierre Mariani war damals Leiter seines Ministerialkabinetts.
In Italien gewann die Stadt Rimini einen Prozeß gegen die Großbank Unicredit, bei dem es um Geschäfte mit Derivaten aus den Jahren 2001 bis 2003 ging. Das Gericht entschied, daß Unicredit 650.000 Euro plus Zinsen zurückzahlen muß. Nach Prüfung der ursprünglichen Verträge, mit denen Unicredit als Schuldenberater angeheuert worden war, kam das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Stadt Rimini das Geschäft nicht als „qualifizierter Investor“ einging, was als Mindestvoraussetzung in dem Vertrag vorgesehen war, und damit alle Geschäfte null und nichtig seien.
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