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Neue Solidarität
Nr. 7, 16. Februar 2011

Vom Nutzen der klassischen Kultur in der heutigen Gesellschaft

Von Leona S. K. Meyer

Zu welchem Zweck haben eigentlich großartige Künstler wie Mozart Opern oder Schiller Dramen geschrieben? War das nur zur Unterhaltung der Massen, ein besserer Zeitvertreib, so wie die heutigen Seifenopern, die über viele Jahre hinweg ins Unendliche führen?

Viele Menschen, die in die Oper oder ins Theater gehen, stimmen zu, wenn man ihnen sagt, die Bühne sei ein Ort für die schönsten und größten Ideen, ein Ort, um die Menschen moralisch zu erheben. Dort muß man sich die Frage stellen, was es denn nütze, äußerlich schön zu sein, wenn man dabei einen faulig stinkenden Charakter hat?

Genau um die Menschen moralisch zu stärken und die Möglichkeit für eine humanistische Staatsform zu schaffen, haben Dichter wie Schiller und Lessing oder Komponisten wie Mozart, Verdi u.a. die Bühne genutzt.

In den „modernen“ Aufführungen in Theatern und Opernhäusern findet heute das absolute Gegenteil statt. Leute, die auf der Bühne urinieren, onanieren und kopulieren, sollen das Publikum mit Hilfe des sogenannten Regietheaters schockieren, Wertevorstellungen zerstören und alle Tabus brechen. Mozart und Shakespeare würden sich im Grabe umdrehen, wenn Leute wie Thomas Ostermeier, Regisseur in der Schaubühne Berlin, Roland Schwab, Inszenator des Don Giovanni an der Deutschen Oper Berlin oder Peter Konwitschny, Regisseur einer Don-Giovanni-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin, ihre perversen Ideen auf das Publikum loslassen. Und man könnte noch viele solcher Regisseure aufzählen. Wer heute in die Oper geht, ist plötzlich diesem Mist ausgeliefert. Und was erst einmal in die Seele hineingelangt, wirkt auch auf sie.

Wir vom Schiller-Institut verteidigen die Ehre dieser Dichter und Komponisten, die die größten menschlichen Prinzipien in ihren Werken aufzeigen. Wir kämpfen für klassisch aufgeführte Bühnenstücke, in denen der Zuschauer wieder auf eine höhere Ebene gehoben wird. Richtig aufgeführt entfalten diese Stücke auch heute noch eine enorme Kraft und veredeln den Charakter des Publikums, was in der jetzigen Kultur oder vielmehr Un-Kultur nötiger ist denn je.

Schillers Anforderungen an die Bühne

Schauen wir mal, wie sich Schiller selbst in der Schrift Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet ausdrückt:

Zuschauer von überall her wollen die Werke von Schiller, Mozart, Verdi und anderen großen Geistern sehen. Wer die Oper oder das Theater betritt, ist in einem passiven, für die Inszenierung empfänglichen Zustand, worüber sich die klassischen Komponisten und Dramatiker bewußt waren.

Friedrich Schiller nutzte dies, um die Zuschauer mit den göttlichen Idealen vertraut zu machen, ihnen gleichzeitig aber auch torhaftes Verhalten und dessen Konsequenzen vor Augen zu führen. Wie Schiller beschreibt, wurde seine Liste von Bösewichtern mit der Zeit immer kürzer, und die der Toren wurde immer länger und vervollständigte sich allmählich.

Weiter betont er, daß die Schaubühne Schwert und Waage übernimmt und die Laster vor einen schrecklichen Richterstuhl reißt. Die schlimmsten dieser Laster werden auf der Bühne gestraft, und die schönsten Tugenden zur Nachahmung dem Publikum vorgestellt. Dies hat einen bestimmten Grund: „Ich kenne nur ein Geheimnis, den Menschen vor Verschlimmerung zu bewahren, und dieses ist - sein Herz gegen Schwächen zu schützen.“1

Wie man heute feststellen kann, haben die klassischen Künstler bewußt den Gegenstand ihrer Stücke gewählt, um bestimmte Reaktionen im Publikum hervorzurufen, beispielsweise das durch eine Tragödie ausgelöste Entsetzen zu erregen - Entsetzen über das Verhalten aller Figuren im Stück.

Denn wie Schiller unterstreicht, machen die Bühnen den Menschen mit dem Menschen bekannt und decken das geheime Räderwerk auf, nach welchem er handelt. Dadurch werden die Zuschauer angeregt, über die Gesellschaft, in der sie selbst leben, zu reflektieren und ihre eigene Rolle darin zu überdenken.

Insofern sollte auch heute die Bühne ein Mittel sein, um auf das moralische Empfinden einer ganzen Gesellschaft zu wirken. Doch darf dabei der Sinn für Ästhetik nicht verletzt werden.

Im 18. Jahrhundert gab es eine rege Debatte, wie man den Gebrauch des Niedrigen und Gemeinen in der Kunst benutzen darf. Sowohl Schiller, wie in Über Bürgers Gedichte deutlich wird, aber auch Gotthold E. Lessing, in Über die Grenzen der Malerei und Poesie machen deutlich, daß selbst das Schreckliche in ein schönes, ästhetisches Gewand gekleidet werden muß, so daß der Zuhörer nicht durch das Grauen von der übergeordneten Idee abgelenkt wird.

Es wird bei den großen Dramen kaum der edle Charakter, der sich selbst vergessen kann, um anderen eine Freude zu bereiten, auf der Bühne erscheinen. Viel mehr finden wir den gemeinen, der bloß die sinnlichen Interessen erregt und nur auf eigenen Nutzen bedacht ist, und den niedrigen Charakter, der sich nicht nur durch einen Mangel an Geistreichtum und Edlem auszeichnet, sondern auch durch Roheit des Gefühls, schlechte Sitten und verächtliche Gesinnungen.

In seiner Schrift Über den Gebrauch des Niedrigen und Gemeinen stellt Schiller klar heraus: „Jeder Leidenschaft ohne allen Widerstand nachgeben, jeden Trieb befriedigen, ohne sich auch nur von den Regeln des Wohlstands, viel weniger von denen der Sittlichkeit zügeln zu lassen, ist niedrig und verrät eine niedrige Seele.“

Wenn eine Oper, wie Mozarts Don Giovanni, im Grunde nur aus solchen gemeinen und niedrigen Figuren besteht, muß sich auch heute der Regisseur fragen, wie diese angemessen dargestellt werden können, ohne daß die Anforderungen an die Kunst, der Sinn für Ästhetik, verletzt werden.

Denn „auch in Kunstwerken kann man in das Niedrige verfallen, […] indem man [die Gegenstände] niedrig behandelt. Niedrig behandelt man einen Gegenstand, wenn man entweder diejenige Seite an ihm, welche der gute Anstand verbergen heißt, bemerklich macht, oder wenn man ihm einen Ausdruck gibt, der auf niedrige Nebenvorstellungen leitet. In dem Leben des größten Mannes kommen niedrige Verrichtungen vor, aber nur ein niedriger Geschmack wird sie herausheben und ausmalen.“2

Leute wie Schwab, Konwitschny oder Ostermeier gehören somit offenbar zu den niedrigen Seelen, die sich nicht nur durch einen Mangel an Geistreichem und Edlem, sondern durch Roheit des Gefühls, schlechte Sitten und verächtliche Gesinnungen auszeichnen, wie Schiller sich ausgedrückte. Sie sind insofern kein Stück besser als ein sexbesessener Don Giovanni, ein eifersüchtiger Leporello oder eine rachsüchtige Donna Anna. Wie kann man also solche großen Stücke angemessen inszenieren?

Mozarts Einsicht in die Gesellschaft

Betrachten wir einmal weshalb Mozart diese Oper Don Giovanni geschrieben hat. Vom Standpunkt Friedrich Schillers, von der Anforderung, das Publikum zu veredeln, blicken wir 1787 nach Wien.

Der Wiener Hof ist degeneriert, es gibt überall Intrigen, und jeder verfolgt seine sinnlich geleiteten, egoistischen Interessen. Mozart zeigt der Bevölkerung die Gesellschaft von oben. Es sind nämlich nicht bloß einzelne Adelige das Problem, sondern die gleichen Verhaltensmuster ziehen sich durch alle Bevölkerungsschichten.

In Don Giovanni wird die Degeneration aller Charaktere offen zur Schau gestellt. Vollkommen auf die Sinne fokussiert, Vernunft und Tugend ausgeschaltet, geraten alle in verheerende Situationen. Die des Giovanni endet tödlich, doch ist das den anderen Figuren eine Lehre? Überdenken oder ändern sie gar ihr rein sinnliches Handeln? Keineswegs.

Und das ist es! Das ist die Tragödie! Es geht nicht um eine tragische Figur, die ihren animalischen Trieben nicht widerstehen kann und dafür vom Vater Donna Annas, die er zu Beginn zu vergewaltigen versuchte, in die Hölle geholt wird. Die gesamte Gesellschaft ist moralisch total verkommen und rein sinnlich, emotional gesteuert. Die einzige Figur im Stück, die dieses Verhalten ahndet, ist der Kommandotore, Annas Vater, und der muß erst von den Toten auferstehen, um Gerechtigkeit über das frevelhafte Verhalten Giovannis walten zu lassen.

Und obwohl alle anderen sehen, wie Giovanni in die Hölle geholt wird, machen sie einfach weiter wie gehabt. Anna läßt Oktavio weiter zappeln, Elvira, noch immer in Giovanni verliebt, geht jetzt, wo er tot ist, ins Kloster... Keiner lernt aus dem Schicksal Don Giovannis.

Und das ist die Tragödie.

Der Held in der Tragödie

Der einzig mögliche Held in dieser Oper ist der Zuschauer. Das sind Sie, wenn es Ihnen gelingt, die Parallelen zur eigenen Gesellschaft zu erkennen, und Sie beschließen, nicht weiter Teil dieser Tragödie zu bleiben, d.h. nicht mehr zusehen wollen, wie eine Kultur, degeneriert wie unsere heutige, die Menschen verroht und sogar umbringt.

Sie sind in der Lage, das, was Ihnen auf der Bühne begegnet, in der realen Welt nicht mehr zu akzeptieren, sondern für die Renaissance einer humanistischen Kultur zu kämpfen, nicht zuzulassen, daß unsere Kinder in einer Welt aufwachsen müssen, in der der Mensch nichts weiter als ein Tier sei, ein reines Sinneswesen. Vernunft wurde ersetzt durch emotionale Irrationalität, wie an den Rettungspaketen für Pleitebanken oder dem Vormarsch der grünen Ideologie deutlich wird. Tugenden zählen nicht mehr in einer Zeit, in der man von „Freiheit in der Beziehung“ und „Lebensabschnittspartnern“ spricht, in der man die Ellenbogen ausfahren muß, weil alle in Konkurrenz zueinander stehen, anstatt miteinander zu arbeiten. „Kreativ“ sei man, wenn man Drogen nehme, außerdem könne man so wenigstens für kurze Zeit die Realität verdrängen. Doch wohin führt das?

Der Kampf um die Menschheit

Es ist ganz offenbar Zeit für einen Wertewandel. Damit jeder Mensch seine kreativen Fähigkeiten voll entfalten kann, muß jedem Individuum ein menschenwürdiges Leben, als Basis, ermöglicht werden. Doch die Grundvoraussetzung dafür, ein guter Lebensstandard, bedeutet gerade nicht, noch mehr dem Mammon hinterherzujagen, sondern vielmehr, durch ein Trennbankensystem die wertlosen Spekulationspapiere zu entsorgen und mit einem Kreditsystem, ähnlich dem, womit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut wurde (das war nämlich kein „Wunder“), Großprojekte für den Aufbau der gesamten Welt zu realisieren.

Dafür mobilisiert Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin des Schiller-Instituts, seit 1974. Viele von ihr vorgeschlagene Infrastrukturprojekte, die Teil der Weltlandbrücke sind, werden jetzt oder wurden bereits realisiert - in anderen Ländern, aber nicht in Deutschland.

Wir brauchen, um diesen Kampf zu gewinnen, das Menschenbild Friedrich Schillers und die wahre klassische Kultur zurück, um daraus etwas neues Schönes zu schaffen.

Schließen Sie sich uns jetzt an, denn es geht um nichts Geringeres als die Zukunft der ganzen Menschheit!


Anmerkungen

1. Friedrich Schiller, Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet.

2. Friedrich Schiller, Über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen.

3. Friedrich Schiller, Über das Erhabene.

Lesen Sie hierzu bitte auch:
„Mozart würde sich im Grabe umdrehen“
- Neue Solidarität 45/2010
Mit Schiller in die Renaissance
- Neue Solidarität 35/2010
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- Neue Solidarität 14-15/2007