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Neue Solidarität
Nr. 7, 16. Februar 2011

Kommunalwahlkampf in Zeiten der Weltkrise

Alexander Hartmann, Spitzenkandidat der BüSo bei der Wiesbadener Stadtverordnetenwahl, veröffentlichte die folgende Erklärung zur Eröffnung des Wahlkampfs.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß das meiste, was derzeit in den kommunalen Wahlkämpfen in Wiesbaden und anderswo diskutiert wird, im Grunde ziemlich müßiges Gerede ist.

Denn seit die Bundesregierung im Rahmen der europaweiten und weltweiten Politik der Bankenrettungspakete praktisch zugestimmt hat, den Staat selbst in eine riesige „Bad Bank“ zu verwandeln, auf die die bankrotten Banken ihren finanziellen „Giftmüll“ abladen können, ist klar, daß wir uns sämtliche Maßnahmen, für die der Staat - auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene - Geld in die Hand nehmen müßte, aus dem Kopf schlagen können, egal, ob es sich um sinnvolle oder unsinnige Vorschläge handelt, solange diese Entscheidung nicht rückgängig gemacht wird. Denn die Banken werden, schon um Gewinne zu machen, weiteren Finanzgiftmüll erzeugen, um ihn den Regierungen andrehen zu können, bis die in diesem Giftmüll ersticken und gänzlich handlungsunfähig werden. Es wird dann weder für Investitionen noch für Soziales oder Kultur irgendwelche Mittel mehr geben; in den USA gibt es sogar schon Massenentlassungen bei Polizei und Feuerwehren, weil die Kommunen pleite sind.

Aber nicht nur der Staat ist betroffen. Das Geld der Rettungspakete fließt derzeit in die Spekulationen auf den Nahrungsmittel- und Rohstoffmärkten, zunehmend auch mit sog. Biotreibstoffen. In Tunesien und Algerien haben die steigenden Lebensmittelpreise bereits Volksaufstände und einen Sturz der Regierung ausgelöst, und wenn dies so weitergeht, können wir von Glück reden, wenn wir uns am Wahltag noch das tägliche Brot leisten können; dann drohen uns im Westend vielleicht Ereignisse, wie wir sie jetzt in Kairo sehen.

Der Bericht der amerikanischen Kommission zur Untersuchung der Ursachen der Finanzkrise - der sog. Angelides-Report - hat festgestellt, daß die Finanzkrise unnötig und vorhersehbar war und daß die Bankenrettungspolitik ein völliger Fehlschlag ist. Die Krise ist die Konsequenz von Fehlentscheidungen, die uns im Verlauf der letzten 30 Jahre Schritt für Schritt immer tiefer in den Schlamassel hineingeführt haben.

Deshalb wird die BüSo in diesem Wiesbadener Kommunalwahlkampf auch nicht über einzelne Projekte reden - wir haben in den vergangenen kommunalen Wahlkämpfen ja schon deutlich gemacht, was wir als eine zukunftsweisende Politik für Wiesbaden betrachten -, sondern vielmehr darüber, daß der Zeitgeist selbst, der zu solchen Fehlentscheidungen führt, geändert werden muß.

Das eigentliche Problem ist dabei meiner Meinung nach ein kulturelles: die Unfähigkeit einer ganzen Generation, sich unangenehmen Wahrheiten zu stellen. Anstatt zur Kenntnis zu nehmen, daß die hohe Arbeitslosigkeit ein völliges Scheitern der Wirtschaftspolitik signalisiert, ändert man einfach die statistischen Kriterien, wer als arbeitslos gezählt wird. Anstatt zur Kenntnis zu nehmen, daß die sogenannten „Wertpapiere“ nichts mehr wert sind, druckt man Geld, um sie bezahlen zu können, bis das Geld selbst nichts mehr wert ist.

Diese Unfähigkeit ist die Folge einer Gegenkultur, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Einfluß solcher Leute wie Theodor W. Adorno mit dem ausdrücklichen Ziel geschaffen wurde, die Menschen zu „infantilisieren“ - angeblich, um ihnen die „faschistischen Impulse“ auszutreiben. Die Folge war, daß seit jener Zeit ganze Generationen - die 68er und ihre Kinder und Enkel - aufwuchsen in einer Kultur, die sie daran hindert, erwachsen zu werden. Und der wesentliche Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern ist eben, daß erstere den Ernst des Lebens kennen und sich der Realität stellen, anstatt sich Kinderträumen von Börsengewinnen oder erneuerbaren Energien hinzugeben.

Die Ironie ist, daß uns gerade durch diese Haltung Faschismus droht, denn die Bankiers toben wie antiautoritär erzogene Kinder, denen man ihr finanzielles Spielzeug wegnehmen will, und sie verlangen, daß sich alle demokratisch gewählten Regierungen ihren Forderungen unterwerfen, wie es z.B. die Regierung Brüning getan hat.

Die Zeit ist gekommen, wo die 68er endlich erwachsen werden und sich von diesem Zeitgeist gründlich verabschieden müssen. Das Ziel unseres Wahlkampf ist es, zu erreichen, daß die Bevölkerung und die Politiker genau dies einsehen.

Ist das geschehen, werden wir uns sehr schnell auf all die Maßnahmen einigen können, die zur Sanierung der Weltwirtschaft notwendig sind, und in diesem Rahmen werden die Kriterien, nach denen man beurteilt, ob eine bestimmte Maßnahme oder Investition in Wiesbaden sinnvoll ist oder nicht, ganz andere sein als die in der Traumwelt der 68er.

Alexander Hartmann,
BüSo Wiesbaden