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Neue Solidarität
Nr. 6, 9. Februar 2011

Schafft sich Europa ab?
Jugend braucht Vision für die Zukunft!

Von Helga Zepp-LaRouche

Die Unruhen und Proteste in der arabischen Welt haben ihre Ursache in stark steigenden Nahrungsmittelpreisen und in der Aussichtslosigkeit der Lage vor allem für die Jugend. Um die Krise zu überwinden, brauchen wir Aufbauprogramme für die unterentwickelte Welt, anstelle der Rettungspakete für ein Finanzsystem, das nicht mehr zu retten ist. Sonst droht eine weltweite Neuauflage der Französischen Revolution.

Die Eskalation der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Ägypten und die wachsenden Proteste in Nordafrika, Jemen, Syrien, Jordanien und Indien sind nur die regionalen Manifestationen des fortschreitenden Kollapses des globalen Finanzsystems. Die mangelnde Bereitschaft der westlichen Regierungen und Medien, sich dieser Tatsache zu stellen, wird nirgendwo sichtbarer als in dem so plötzlichen Sinneswandel gegenüber den Präsidenten Tunesiens und Ägyptens. Vor drei Wochen noch als Freunde und Bündnispartner westlicher Interessen gegen die Gefahr muslimischer Fundamentalisten gepriesen, überschlägt man sich jetzt, den sofortigen Rücktritt der „Despoten und Diktatoren” zu verlangen.

Auslöser der Demonstrationen waren aber in jedem Fall ökonomische Gründe, Protest gegen die um 10% bis 20% Prozent angestiegenen Nahrungsmittelpreise und die zunehmende Hoffnungslosigkeit vor allem der jungen Generation, die im gegenwärtigen System der Globalisierung für sich absolut keine Zukunft sieht. Bei einem Durchschnittsalter von 24 Jahren (Deutschland: 42,6) ist die Anzahl der 15-29jährigen, die die Mehrzahl der Aktivisten bei den Demonstrationen in Ägypten stellten, mit 12,5 Millionen dreimal so hoch wie die Anzahl der 4,4 Millionen 50-64jährigen Männer. D.h, selbst wenn das jetzt herrschende Establishment verjagt wird, entstehen nicht genügend Arbeitspläze für diejenigen, die nachrücken. Wenn jetzt von der EU und diversen Politikern der sofortige Rücktritt Mubaraks gefordert wird, ohne daß umgehend ein Crash-Programm für eine wirkliche wirtschaftliche Entwicklung in Gang gesetzt wird, droht eine Französische Revolution, bei der Wellen des jakobinischen Terrors aufeinander folgen. Der Sozialwissenschaftler Gunnar Heinsohn warnte in der FAZ vor dem großen Töten der Jungen, das erst noch bevorstehe, sollte die aktuelle Elite davongejagt werden.

Deshalb sind die plötzlichen Forderungen nach demokratischen Reformen und der Einführung der parlamentarischen Demokratie leere Worthülsen, und keineswegs per se besser als die vorherrschenden Präsidialsysteme nach dem Vorbild der 4. Republik in Frankreich. Statt dessen ist eine wirtschaftliche Perspektive dringend notwendig. Verstanden hat dies offensichtlich der Außenminister Italiens, Franco Frattini, dessen im Mittelmeeraum gelegenes Land Nachbar Nordafrikas ist und der am 2. Februar in einem Interview mit dem italienischen Wochenmagazin Oggi dazu aufrief, die europäische Politik in Bezug auf  Nordafrika zu ändern. „Europa muß mehr tun, um die Mittelmeerregion zu stabilisieren. Vor allem muß das konkreter geschehen, so wie es Italien oft angeboten hat. Wir müssen unsere Herangehensweise ändern: keine bürokratischen Strukturen und Stellungnahmen mehr. Wir brauchen eine ,projektbasierte Mittelmeerregion’ durch Infrastrukturentwicklung, kleine und mittlere Firmen, Landwirtschaft, Tourismus, Energie, um Entwicklung, Arbeitsplätze und dauerhafte Stabilität zu schaffen.”

Die einflußreiche römische Tageszeitung Il Tempo rief in einem prominent platzierten Editorial am 1. Februar zu einem „Marshall-Plan” als angemessene Antwort auf die Krise in Ägypten auf. Unter der Überschrift „Ein Marshall-Plan für Ägypten (und für uns)” stellt der Autor unter dem Pseudonym „Marlowe” die Notwendigkeit einer Aufbaupolitik der gegenwärtigen Obsession europäischer Regierungen mit Finanzdisziplin, Defizit und Haushaltsausgleich gegenüber. Man brauche einen wirklichen Entwicklungsplan, und keinen „Plan, der nur auf dem Papier steht”. Zu dieser Politik sollten sich Europa und die USA gemeinsam verpflichten.

Exemplarisch für die westliche Unfähigkeit sei das gerade beendete Treffen in Davos, wo „trotz der Präsenz vieler Geldmacher und Entscheidungsträger (wie sie sich gern nennen lassen) kein bißchen an Strategie, weder politisch noch ökonomisch, für die Explosion in Ägypten entwickelt wurde”. Marlowe schreibt, der Grund für die Revolte sei zunächst wirtschaftlicher Art. „Ein Marshallplan würde erlauben, die unmittelbar nötigsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken, nämlich eine dauerhafte Perspektive für diesen Teil der Welt zu schaffen...”

Offensichtlich versteht man in Italien, das ebenso wie Griechenland, Spanien und Portugal jeden Monat Anlaufstelle für viele Tausende afrikanische, irakische und afghanische Flüchtlinge ist, sehr viel besser, daß man weder von „Demokratie” satt wird, noch einen Limes um Europa ziehen kann. Angesichts der Tatsache, daß dank der vielen Rettungspakete für die Banken die Spekulation in Rohstoffen und Nahrungsmitteln bereits wieder über das Niveau von 2008 hinausgeht, und UN und FAO vor Hungerrevolten in 80 Nationen dieser Welt warnen, werden die Menschen in diesen Ländern immer mehr versuchen, vor Hunger, Krankheit und Hoffnungslosigkeit wegzulaufen und dahin zu gehen, wo sie noch eine Chance zum Überleben vermuten.

Da die US-Regierung gegenwärtig weiter damit fortfährt, ihre Haushaltsdefizite und ihr marodes Bankensystem durch Gelddrucken zu finanzieren, und die EU desgleichen die Politik der Rettungspakte für Pleitestaaten fortsetzt, ist die Inflation bereits in eine hyperinflationäre Phase eingetreten, d.h. die Rate der Beschleunigung der Inflation nimmt zu. Der FAO-Welt- Nahrungsmittelindex stieg 2010 um 43%. Zu der Preisinflation kommt noch eine Nahrungsmittelknappheit hinzu - eine Eskalation der Hungerrevolten steht unmittelbar bevor.

Wenn bei dem EU-Gipfel am Freitag in Brüssel der Plan von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy angenommen wird, einen großen Schritt in Richtung europäischer Wirtschaftsregierung zu gehen, und die übrigen EU-Mitglieder als Gegenleistung für die deutsche Übernahme weiterer „Garantien” für den EFSF das deutsche Modell, also Schuldenbremse, Erhöhung des Rentenalters und weitere „Harmonisierung” übernehmen, dann geht das am zentralen Problem der Systemkrise völlig vorbei. Die EU wird noch weiter zur Transferunion, und der deutsche Steuerzahler muß bluten, wie es Alexander Dibelius, CEO von Goldmann Sachs in Deutschland, gegenüber der Bild-Zeitung unverblümt forderte. Das dabei die Rolle des Europäischen Rats, also der Regierungschefs, gegenber der EU-Kommission gestärkt werden soll, macht diese Politik nicht um ein Iota besser.

Im Bewußtsein der Bevölkerung ist nicht nur der Euro immer unbeliebter, sondern wie eine jüngste Umfrage des Allensbacher Instituts belegt, ist auch das Vertrauen in die EU auf nur noch 41% der Bürger geschrumpft, die ihre Zukunft in Europa sehen. Die Meinungsforscher führen das Unbehagen der Bevölkerung zu Recht darauf zurück, daß alle großen Entscheidungen der europäischen Einigung der letzten zwanzig Jahre gegen den Willen der deutschen Bevölkerung durchgesetzt worden seien. Das Ansehen der EU sei nach der Schuldenkrise in kürzester Zeit auf einen Tiefpunkt gesunken.

Es liegt kein Wagnis in der Prognose, daß dieses Ansehen noch sehr viel tiefer sinken wird, wenn die Regierungen Europas den Plan wahrmachen, den Staatssekretät Jörg „Deregulierungs-Asmussen” für den Gipfel des Europarats am 24.und 25. März angekündigt hat und der bislang in einem Paket von „Haushaltskonsolidierungen, wachstumsfördernden Strukturreformen und Änderungen des Stablitäts- und Wachstumspaktes” bestehen soll. Denn damit sind lediglich kosmetische Korrekturen der monetaristischen Sparpolitik gemeint, die weder etwas an der globalen Hyperinflation, noch an der Rolle Deutschlands als Zahlmeister etwas ändern werden.

Das politische Establishment in Europa versteht offensichtlich weder die Gründe für die Europamüdigkeit der Bürger, noch nimmt es die wachsende Kluft zwischen den eigenen Vorstellungen von europäischer oder gar Welt-„Governance” und der Bewußtseinslage der Menschen wahr. Ein typisches Besipiel dafür liefert die erstaunliche Instinktlosigkeit, ausgerechnet George Soros und sein Geschwätz zur Münchener Sicherheitskonferenz einzuladen. All dies erinnert an die berühmten letzten Worte Erich Honeckers: „Den Sozialismus in seinem Lauf...”

Die einzige Chance, den Absturz ins Chaos zu verhindern, liegt in der Anwendung der Schlußfolgerungen des Angelides-Berichts für Europa, nämlich umgehend in allen europäischen Nationen ein Trennbankensystem einzuführen, die Währungssouveränität wieder herzustellen und produktive Kredite für ein wirkliches Entwicklungsprogramm für Afrika auf die Tagesordnung zu setzen. Ein ganz wichtiger Bestandteil sollte eine ganzes Paket von Wassermanagement-Projekten sein, die Wasser für die Bewässerung in der Landwirtschaft, für die Industrie und für urbane Entwicklung zur Verfügung stellen würden.

Dazu gehört u.a. der Bau eines Tunnels oder Kanals vom Mittelmeer bis zur Qattara-Senke im nordwestlichen Ägypten, bei dem das Wasser eine Reihe von Wasserkraftwerken betreiben, einen See bilden und schließlich durch Sonneneinstrahlung verdunsten, wieder niederregnen und so zu der Schaffung von neuen kleinen Wetterzyklen und der Entwicklung neuer landwirtschaftlich nutzbarer Flächen beitragen könnte. Die Entlastung Kairos durch den Bau einer Reihe von agroindustriellen Satelliten-Städten könnte ein konkreter erster Schritt sein, der den jungen Leuten Ägyptens einen Weg in die Zukunft zeigt.

Zeitgemäße Varianten des Plans des französischen Ingenieurs François-Elie Roudaire, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts vorschlug, die Schott-Salzseen Algeriens und Tunesiens, die regelmäßig im Frühsommer austrocknen, dauerhaft mit Wasser zu versorgen und durch die entstehende Vegetation neue Niederschlagsgebiete zu entwickeln und damit Gebiete, die heute Wüste sind und in den es zu Hungerrevolten kommt, zu Brotkörben für ganz Nordafrika zu entwickeln.

Das inzwischen vieldiskutierte Transaqua-Projekt, das überschüssige Wassermengen des Kongo durch ein Fluß-und Kanalsystem in den auf zehn Prozent seiner ursprünglichen Größe ausgetrockneten Tschadsee bringen würde, könnte die Vorraussetzungen für die Bewässerung eines großen Teils der Sahelzone schaffen. Weitere Wasserprojekte für Äthiopien, Eritrea, Sudan und Tschad und Ägypten könnten in wenigen Jahren einen bedeutenden Teil der gigantischen Wüstenflächen in landwirtschaftlich nutzbare Regionen verwandeln und helfen, den Hunger in ganz Afrika zu eliminieren. Viele dieser Projekte liegen seit langem in den Schubladen der Ingenieurbüros, und man könnte umgehend mir ihrer Verwirklichung beginnen.

Jeder denkende Mensch  - und jeder, der moralisch nicht bereits abgestorben ist - kann sehen, daß die Menschheit an einem Scheideweg angekommen ist. Wenn die Regierungen jetzt so weitermachen wie bisher und den Spekulanten auf Kosten der Steuerzahler die Verluste ersetzen, während gleichzeitig die gesamte soziale Struktur zerstört wird, dann kann es an jedem Punkt des Planeten sehr bald ägyptische Verhältnisse geben. Umgekehrt gilt: Wenn wir jetzt eine Entwicklungsperspektive auf die Tagesordnung setzen, dann können junge Menschen auf der ganzen Welt wieder Hoffnung für die Zukunft haben und einen Grund sehen, warum sie lernen, studieren und ihr kreatives Potential entwickeln sollen.

Schließen Sie sich der Mobilisierung der Büso für diese Entwicklungsperspektive an!

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