Nr. 46, 16. November 2011
Bailouts stehen in der Tradition von Carl Schmitt
Überraschend scharfe Töne waren auf einem ansonsten eher
knochentrockenen Frankfurter Seminar zur „Rolle der EZB in der Krise“ zu hören,
das im Haus am Dom am 11. November stattfand. Prof. Markus C. Kerber kam bei
seiner Auflistung der vielen Verstöße der EZB gegen bestehende Regeln der
EU-Verträge seit dem Mai 2010 plötzlich darauf zu sprechen, daß der immer
wieder zur Rechtfertigung der Bailouts herangezogene Begriff der „Ausnahmesituation“
auf Carl Schmitt, den juristischen Wegbereiter der Nazis, zurückgehe. Der habe
das Konzept entworfen, die Ausnahme, der Notstand, sei wichtiger als alle
traditionellen Regeln, letztendlich entscheide die Ausnahme darüber, wer aus
der Krise als Gewinner hervorgehe. Obwohl er, Kerber, natürlich nicht die EZB
mit den Nazis gleichsetzen wolle, müsse er aber wirklich sagen, daß die
Methoden die gleichen seien.
Ein Vertreter von EIR, der an dem Seminar zugegen
war, hakte hier in der Diskussion nach und sagte, hätte man quasi als
Zeitreisender im August 1971 - kurz vor der Demontage des alten
Bretton-Woods-Währungssystems - den Menschen erzählen können, wie die Welt
heute, 40 Jahre später, aussehen würde, so hätte damals niemand die jetzige
Lage für möglich gehalten. Er bat Kerber, etwas näher auf diesen Schmitt-Aspekt
einzugehen, schließlich ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß mit
der jetzigen Politik das Europa, wie wir es bisher kannten, inklusive
Demokratie zerstört wird. Darauf antwortete Kerber, daß diese Methode der
ständigen Hinweise auf Ausnahme- und Notsituationen in der Tat zur Verletzung
sämtlicher vertraglich niedergelegter Regeln führe, bis am Ende nichts mehr
davon übrigbleibe, und man müsse schon die berechtigte Frage stellen, ob Europa
den Preis wert sei, daß man den Euro auf Kosten der Demokratie rette. Kerber
ist einer der Kläger gegen die Bailouts, stellvertretend für etwa 50
mittelständische deutsche Familienunternehmen, deren Sache trotz der
offensichtlichen politischen Dringlichkeit noch immer nicht vom
Bundesverfassungsgericht entschieden wurde.
rap