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Neue Solidarität
Nr. 46, 16. November 2011

Einsparungen bei der Polizei:
„Das wird ganz klar Auswirkungen haben“

Hagen Husgen, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen, hat am 17. Oktober BüSo-TV ein Interview gegeben und dabei scharf die Einsparungen bei der Polizei kritisiert und gleichzeitig die Einführung eines Trennbankensystems zur Überwindung der Finanzkrise unterstützt. Die Fragen stellte der sächsische BüSo-Landesvorsitzende Karsten Werner. Das Interview als Video finden Sie unter http://www.bueso.de/node/5004.

Frage: Herr Husgen, ich danke Ihnen, daß Sie sich Zeit für uns genommen haben. Sie sind Vorsitzender der GdP, der Gewerkschaft der Polizei, hier in Sachsen. Wir wollen anhand der aktuellen, kritischen Lage, nicht nur bei der Polizei in Sachsen, sondern in der Welt generell, ein paar Fragen an Sie richten.

Wir können heute ganz klar sehen, daß die eigentliche Grundlage der Politik, die das Gemeinwohl sein sollte, nicht mehr gegeben ist. Die Bürger merken immer mehr, daß es in Richtung Bankenrettung geht, um das Bedienen der Finanzinteressen. Das sieht man auch konkret hier in Sachsen, wo die Polizei ein Opfer der aktuellen Sparpolitik ist. Wie wirkt sich das aus, sowohl auf die Polizei wie auf den Bürger?

Husgen: Es ist völlig richtig, daß unheimlich viel gespart wird, nicht nur bei der Polizei, sondern im Freistaat Sachsen. Ich glaube, daß das Bild in der Öffentlichkeit ist: Es wird überall Geld zugeschustert - bloß nicht im eigenen Land. Wir als Gewerkschaft der Polizei denken, daß es da große Probleme geben wird, wenn die Zukunft das bringt, was jetzt angedacht ist. Angedacht ist, daß in der Polizei unheimlich viel gespart wird.

Irgendwann wurde einmal festgestellt, daß wir im Freistaat Sachsen im öffentlichen Dienst 17.000 Beschäftigte zu viel haben, und die müssen weg. Ministerpräsident Tillich hat diese Zahl irgendwann einmal festgelegt: 17.000 sind zu viel im öffentlichen Dienst. Diese Zahl steht, und diese Zahl muß, egal was es kostet, durchgesetzt werden.

Deshalb wurde diese Zahl 17.000 auf die Ressorts verteilt und hat natürlich auch die Polizei getroffen. Das bedeutet im Endergebnis, daß wir von den 17.000 Stellen als Polizei 2441 Stellen abgefaßt haben. Und dann haben wir noch einmal einen Nachschlag bekommen, weil wahrscheinlich zu viele hurra geschrieen haben, so daß dann über 3000 Stellen gestrichen wurden. Summa summarum wird sich zwischen 2003 und 2020 eine Zahl von 4300 weniger Polizisten im Freistaat Sachsen ergeben, das sind rund 25%. Man kann davon ausgehen, daß im Freistaat Sachsen jeder vierte Polizeibeamte von der Bildfläche verschwinden wird. Das ist für uns als Gewerkschaft der Polizei natürlich ein Unding. Das wird logischerweise Auswirkungen haben, sowohl auf die Polizei, als auch auf die Bevölkerung, auf jeden einzelnen Bürger. Das denken wir und sagen es so auch jedem Bürger.

Frage: Welche Auswirkungen wird das haben?

Husgen: Es wird sich so auswirken, daß man weniger Polizisten hat, die mehr Arbeit vor sich haben, d.h. sie werden mehr belastet sein als bisher, und sie sind schon belastet. Die Belastungsgrenze unserer Polizeibeamten ist bereits überschritten. So geht es einfach nicht weiter.

Das sieht man an den Krankenständen. Pro Tag haben wir im Freistaat Sachsen 1.600 Kranke bei den Polizeibeschäftigten. Ich glaube nicht, daß sich diese Krankenzahl in der nächsten Zeit bei noch weniger Polizisten zum Positiven verändern wird, im Gegenteil. Es wird eine längere Verwaltung der Kranken werden, die wir bereits haben, und dem sollte vorgebeugt werden. Die Polizeibeamten haben außerdem einen viel weiteren Weg zu den Ereignisorten, sie haben keine Ortskenntnis mehr, weil sie von weiter her kommen, und so weiter.

Frage: Auch Reviere müssen geschlossen werden...

Husgen: Ganz genau, auch Reviere werden geschlossen. Von den 72 Revieren, die wir momentan noch haben, wird es ab dem Jahre 2020 nur noch 41 geben. Das sagt doch schon alles. Die Anfahrtswege werden dann 50, 60 km sein. Da wird jeder Bürger länger warten müssen als bisher, d.h. eine Stunde, eineinhalb Stunden oder zwei zum Ereignisort werden sicherlich keine Seltenheit mehr sein.

Es wird überhaupt bundesweit bei der Polizei gespart. Es ist angedacht, in den nächsten Jahren bundesweit 10.000 Polizisten einzusparen. Das wird ganz klar Auswirkungen haben. Es gibt natürlich länderübergreifende Arbeiten. Wir nennen das immer so schön „Auslandseinsätze“. Die werden aber immer weniger werden.

Man sieht das ja bei den Einsätzen. Bei Großeinsätzen bekommt man nicht mehr die Leute zusammen, die man eigentlich haben möchte. Wenn wir in der Bundesrepublik noch 10.000 weniger Polizisten sind, und brauchen bei Großeinsätzen 4000, 5000, 6000 Polizisten, die wir logischerweise nicht selbst stellen können, dann wird in Bayern angerufen, dann wird dort und dort angerufen. Und die werden dann sagen: „Leute, wir haben selbst niemanden mehr.“ Bayern hat das übrigens schon prophezeit. Bayern hat schon gesagt, wir müssen selbst sehen, wie wir unsere Einsätze gebacken bekommen - Fußballeinsätze, und was so alles ist. Da braucht man dann gar nicht mehr nachzufragen, und das wird in Deutschland immer schwieriger. Ich hoffe nicht, daß das irgendwann einmal Schule macht.

Prävention ist das nächste Stichwort. Im Freistaat Sachsen werden bei der Polizei 87% der Präventionsstellen gestrichen, obwohl Prävention eines der wichtigsten Aufgabengebiete der Polizei ist.

Frage: Was heißt das?

Husgen: Das heißt, daß viel an Prävention verloren gehen wird, in den Vorschulen, in den Schulen, wo den Kindern das Verhalten im Straßenverkehr beigebracht wird, bei der Drogenprävention - das wird alles nicht mehr so sein, wie es früher einmal war. Ich sage ganz ehrlich: „Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr“. Wenn ich mit der Prävention aufhöre und nicht mehr auf die Kinder und Jugendlichen einwirke, wenn diese erst einmal zu Straftätern geworden sind, dann brauche ich es nicht mehr versuchen, dann ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Dann kriege ich die Kuh nicht mehr vom Eis. Daran spart man jetzt auch, und das ist doch traurig.

Sparen ist keine Lösung

Frage: Da wird der Unterschied zwischen Monetarismus und einem Kreditsystem deutlich. Beim Monetarismus heißt es, das Geld an und für sich ist das Wichtige. Unter dem Strich muß plus-minus Null, besser noch Profit herauskommen. Was in der realen Welt passiert, ist vollkommen egal. Wenn man dann auf die realen Verhältnisse, wie die von Ihnen geschilderten, schaut, zeigt sich dieser Wahnsinn. Ganz anders ist es, wenn ich in eine Brücke investiere. Ich baue eine Brücke nicht, um Geld zu machen, sondern um eine Überquerung zu haben, die dann die gesamten infrastrukturellen Umstände, wie etwa hier in der Stadt Dresden  ändern und verbessern, und sich dann ganz neue Sachen ergeben, sich neue Unternehmen gründen, Sachen eingebunden werden. Das ist in einem monetaristischen System, wie wir es heute haben, überhaupt nicht mehr gefragt.

Wenn wir sagen, wir wollen ein Trennbankensystem, wollen wir uns nicht nur von dem Giftmüll befreien, den wir haben, sondern generell die von Ihnen angesprochene Idee einbringen: Was brauchen wir als Gesellschaft, und wofür soll das Geld bereitgestellt werden? Wenn wir es brauchen und die Leute haben, qualifiziert und unqualifiziert, warum dann nicht dieselben Leute in Arbeit bringen und ihnen in Würde einen Platz in der Gesellschaft geben, um die Gesellschaft nach vorne zu bringen? Warum nicht das machen, was wir brauchen und auch können, und unser Potential auf diese Weise definieren - und nicht, wieviel Geld wir haben? Denn Geld ist nur eine fiktive Schöpfung des Menschen.

Husgen: Richtig. Ich finde das Beispiel mit der Brücke sehr, sehr gut. Eine Brücke baut man, damit die Leute den Fluß überqueren können. Bei der Polizei macht man es so, man baut die Brücke bis zur Hälfte, und schickt die Leute los, und sagt: mehr Geld haben wir nicht. Bildlich gesprochen sieht es so aus.

Frage: Es ist leider ein Axiom in unserer Gesellschaft geworden, daß Sparpolitik einfach nötig ist. Wenn man sich dann die realen Effekte dieser Sparpolitik anschaut, merkt man oft, daß die Folgekosten das Gesparte übersteigen. Kann man das auch konkret am Beispiel der Polizei belegen?

Husgen: Ich denke, schon. Ganz konkrete Zahlen kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann aber sagen, daß wir als Gewerkschaft der Polizei dran sind und ganz klar überlegen, daß die Folgekosten wahrscheinlich höher sein werden als das Ersparte. Momentan kann uns niemand so richtig sagen, was die Reform überhaupt kostet - 30 Mio. oder 50 Mio. oder 100 Mio. Man kann uns auch nicht sagen, was eingespart wird.

Wir denken, daß man nur Personal einspart, weil man irgendwelche Statistiken bedienen möchte. Zahlen einsparen heißt, wir müssen eine Polizeidichte bringen wie die anderen Bundesländer, wie die Flächenländer in den alten Bundesländern, wir müssen uns angleichen, egal was wir für besondere Gegebenheiten hier im Freistaat Sachsen haben, die spielen dort leider keine Rolle. Deshalb will man bloß diese Zahl erreichen. Auf das Geld - das ist eigentlich ein Verstoß gegen die Haushaltswirtschaft - auf das Geld guckt man gar nicht.

Beispiel: Man möchte Kfz-Werkstätten privatisieren oder Teile davon fremdvergeben. Da läuft momentan eine Erhebung, und ich hoffe, daß man ehrlich zu uns ist. Denn es wird viel, viel teurer werden, wenn wir die Polizeiautos in privatwirtschaftlichen Werkstätten reparieren lassen, dort die Reifen wechseln lassen usw. Wie das in der Praxis funktioniert, weiß sowieso kein Mensch. Das ist viel, viel teurer, als wenn wir eigenes Personal vorhalten und dann selbst reparieren. Diese Kosten interessieren aber überhaupt keinen.

Frage: Das ist eigentlich offensichtlich. Der Staat hat ja den Vorteil, daß er keinen Profit machen muß. Ein privates Unternehmen muß Profit machen, wenn es überleben will.

Husgen: Richtig. Man sagt immer wieder bei der Polizei, wir müssen uns dem privatwirtschaftlichen Management angleichen. Dort gucken wir hin und das wollen wir erreichen. Das funktioniert aber nicht. Wenn man das machen möchte, müßte man ganz anders arbeiten als jetzt im öffentlichen Dienst und bei der Polizei.

Polizei kein Prellbock der Politik

Frage: Das bringt mich zur nächsten Frage. Durch den Abbau der Polizei und anderer wichtiger Einrichtungen und der Infrastruktur generell hat der Bürger zunehmend keine Anlaufstelle mehr, an die er sich wenden kann, weil alles abgebaut wird. Der Bürger sieht sich zunehmend selbst überlassen, gerade in Notzeiten. Sehen Sie das als eine kritische Entwicklung?

Husgen: Es ist völlig unbestritten eine kritische Entwicklung. Man läuft Gefahr, daß sich der Bürger irgendwann einmal gegen diese Politik wenden wird. Anschließend werden wir dann als Polizeibeamte wieder gefragt sein. Hundertprozentig wird das so sein. Es ist eine Gefahr, wenn ich dem Bürger nicht die Sicherheit biete, die der Bürger vom Staat und von der Polizei verlangt. Wir sind als Polizisten gern gewillt, für die Sicherheit zu sorgen, aber dafür müssen auch Gelder in die Hand genommen werden, und das verweigert uns der Staat. Er stellt kein Personal oder zu wenig Personal ein und baut sogar noch welches ab.

Man muß sehen, welche Konsequenzen das hat, und das ist die eigentliche Gefahr dabei. Das Gefährliche ist nicht, daß der Polizeibeamte oder der Bürger 20 km bis zum nächsten Anlaufpunkt läuft, sondern die Gefahr ist, daß die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, und wenn die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, wird das auch Auswirkungen haben auf die Wirtschaft. Meine ganz klare Auffassung dazu ist, daß dann im Freistaat Sachsen auch irgendwann einmal Investitionen fehlen werden.

Ein Autohaus z.B. in Ostsachsen, das dreimal in der Woche überfallen wird, wo Autos zerschlagen oder gestohlen werden, hat entweder die Alternative, einen Zaun zu bauen, alles zu überwachen oder einen Hund frei herum laufen zu lassen, oder die Alternative, alles einzupacken und woanders hinzuziehen, wo ich mehr Sicherheit habe.

Diese wirtschaftliche Betrachtung führt dazu, daß wir keine Investitionen mehr haben. Im Nachhinein werden die jungen Leute keine Arbeit mehr bekommen, werden ebenfalls wegziehen; wir haben weniger Bevölkerung, wir haben weniger Geld, wir haben weniger Geld für die Polizei - das ist ein Kreislauf ohne Ende.

Ich kann es als Gewerkschaftler nicht mehr hören, daß man uns immer wieder vorwirft, bei uns im Freistaat Sachsen brauchen wir nicht mehr soviel Polizei, wir haben doch viel weniger Bevölkerung als früher. Man sollte sich doch lieber Gedanken darüber machen, warum wir weniger Bevölkerung haben. Diese Gedanken macht man sich leider nicht.

Frage: Das ist der springende Punkt, warum wir auf die Politik Einfluß nehmen müssen. Die BüSo hat das Trennbankensystem vorgeschlagen. Seit Ausbruch der Finanzkrise ist jedem klar, daß das immer wiederholte Axiom, es sei kein Geld da, nicht stimmt. Wir sehen den Abbau bei der Polizei, wir sehen Straßen, Schulen, Kanalisation, Wasserleitungen verkommen, in jedem Sektor der Gesellschaft wird gespart, auch im privaten Gewerbe werden Leute entlassen. Auf der anderen Seite werden an die Manager und Banker nach wie vor Boni ausgezahlt, und der Rettungsschirm hat kein Ende. Mittlerweile ist jedem klar, daß es nicht um eine Euro- oder Griechenland-Rettung geht, sondern um eine Bankenrettung. Das Geld, das bei den Griechen ankommt, wird sofort bei den Gläubigern abgeliefert, und das sind in erster Linie französische und deutsche Banken.

Wir sagen, das macht keinen Sinn, denn das Problem der Banken ist nach wie vor, daß sie zuviel Giftmüll angehäuft und spekulative Aktivitäten betrieben haben, auf denen sie sitzengeblieben sind. 2007 wurde das jedem offensichtlich. Das muß erst einmal bereinigt werden.

Wenn wir versuchen, aus der Realwirtschaft immer mehr Ressourcen abzuzweigen, um das zu bedienen, werden wir uns totsparen. Die ersten Anzeichen sehen wir schon. Sie sagten gerade, wir seien noch nicht soweit, daß es eskaliert, und das ist auch gut so. Wir aber sagen, wir müssen jetzt den Schnitt machen: Banken bekommen nur ihr Kernkapital gerettet, also den klassischen Geldverkehr, die Ersparnisse, Löhne, Renten. Der ganze Firlefanz, der uns in die Krise hineingebracht hat, Derivate, verbriefte Hypotheken, das muß abgeschrieben werden. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Husgen: Ich denke, da rennen Sie bei uns offene Türen ein - bei mir persönlich, sicherlich auch bei der Gewerkschaft und bei den Polizeibeschäftigten des Freistaates Sachsen.

Es ist genau so, wie Sie sagen. Es begreift ja kein Bürger mehr, es begreift kein Polizeibeamter und kein Beschäftigter bei der Polizei mehr, daß immer wieder bei der Polizei gespart wird. Das merkt bei uns in der Polizei auch jeder an der eigenen Brieftasche, weil Sonderzahlungen wegfallen, weil wir sparen müssen. Auf der anderen Seite - Stichwort Landeszentralbank, Griechenland oder andere Länder in Südeuropa: Es ist ein Unding, das dort so etwas passiert, und wir sparen uns hier halbtot.

Deshalb ist das Trennbankensystem, das Sie vorschlagen, eine gute Sache. Es kann nicht sein, daß irgendwo Spekulationsgeschäfte gemacht werden, daß es Banken gibt, die nur spekulieren, und wenn sie sich verspekuliert haben, mit Steuergeldern, mit Geldern des Staates, des Freistaates Sachsen aufrecht erhalten werden, und es am Ende jeder Bürger aus der eigenen Tasche zahlen muß. Man müßte wirklich zwischen Spekulationsbanken und normalen klassischen Geschäftsbanken trennen, und diese Trennung muß rigoros durchgezogen, aber auch durchgehalten werden.

Ich habe das Gefühl und die Befürchtung, daß sich auch in einem Trennbankensystem der eine oder andere nicht so rigoros daran halten wird und vielleicht immer wieder eine Lücke findet - im Internet sind Lücken immer möglich - und sich dort durchwurstelt. Wenn wir uns für ein Trennbankensystem einsetzen, kann es logischerweise nicht nur Deutschland machen, sondern wir müssen uns darüber europaweit, wenn nicht weltweit, bis in die USA, einig sein, und die Sache gemeinsam durchziehen. Bei uns, wie gesagt, rennen Sie damit offene Türen ein.

Frage: Sie sagten, man muß ehrlich bei der Sache bleiben, denn die Initiative muß aus Amerika kommen. Dort gab es ein solches System von 1933 bis 1999, und jetzt fordern inzwischen 47 Kongreßabgeordnete: Wir brauchen dieses System wieder.

Bei uns ist es so, daß die Politik in Deutschland und Europa zu 80% aus Brüssel kommt, und aus Brüssel kommt keine solche Initiative, sondern im Gegenteil die Finanzderegulierung. Deshalb ist es wichtig, daß viele Institutionen, Gewerkschaften, Verbände, Landtagsabgeordnete, auf die wir alle zugehen, sich für das Trennbankensystem einsetzen. Das hilft wiederum unseren Kollegen in Amerika, wenn die sehen, daß es ein weltweites Aufbegehren nicht nur gegen die Banken allgemein, sondern für einen Lösungsvorschlag gibt.

Husgen: Völlig richtig. Man sieht, wie ich vorhin schon gesagt habe, nur so kann die wirtschaftliche Sicherheit im Freistaat Sachsen gewährleistet werden. Wir sind wirtschaftlich dermaßen unsicher, wir gehen wirtschaftlich gegen Null. Die wirtschaftliche Sicherheit ist Voraussetzung dafür, daß im Freistaat Sachsen alles andere genauso florieren kann. Das muß man erst einmal begreifen. Man begreift das nicht, weil die Lobbyisten zu stark sind und die Konsequenzen daraus nicht beachten, daß nämlich ein wirtschaftliches Wackeln bei uns hier in Deutschland Auswirkungen hat auf die wirtschaftliche Politik, auf die Polizei, auf die Sicherheit, auf die Investitionen, auf jeden einzelnen Bürger. Dann kann es irgendwann einmal eskalieren, wenn es wirtschaftlich nicht mehr stimmt, und dem muß entgegengewirkt werden.

Frage: Sie sagten, wenn sich die Bürger gegen diese Politik wehren, könnte es zu einer kritischen Entwicklung kommen, weil Sie als Polizei in der Mitte stehen und vielleicht selbst die Leidtragenden sind, weil bei Ihnen auch gespart wird. Sie müssen aber gegen die Leute vorgehen, die sich wehren, weil bei ihnen auch gespart wird - weil der normale Bürger nur Bankenrettung, Finanzpakete, Rettungsschirme für die Finanzinteressen sieht, aber die normalen Lebenszustände immer weiterer abgebaut werden. Meine konkrete Frage ist, wenn die Bürger das beobachten, diese Politik ablehnen und dann auf die Straße gehen, wie jetzt gerade in Griechenland oder in New York und anderen amerikanischen Städten, und der Staat mit massiven Verhaftungen und Tränengas gegen Demonstranten vorgeht, macht sich dann der Staat den Bürger nicht selbst zum Feind?

Husgen: Das ist eine gute Frage, ob sich der Staat den Bürger selbst zum Feind macht.

Eines möchte ich vorausschicken: Der Feind des Bürgers ist auf jeden Fall nicht die Polizei. Das sage ich ganz klar, und da haben wir auch ganz klare Erfahrungen. Es gibt dazu auch Umfragen über die Beliebtheitsskala von Polizeibeamten.

Sie sagen, der Staat läuft Gefahr. Der Staat hat eine gewisse Menge an Institutionen zu liefern. Eine Institution ist die Polizei. Aber es gibt auch andere Institutionen wie z.B. Banken; wir haben Manager, Politiker usw. Eigentlich ist die Zielgruppe nicht die Polizei, sondern die Banken, Manager, Politiker, die eine falsche Politik machen. Das sieht man auch an der Beliebtheitsskala. Wir Polizeibeamte sind mit 85% ganz oben an der Spitze, die Politiker sind auf dem letzten Platz. Auch die Banker und die Manager sind ganz weit hinten auf der Beliebtheitsskala der Bevölkerung.

Deshalb bin ich der Meinung, die Bevölkerung wird sich nicht gegen die Polizei richten. Es hört sich sehr hart an, wenn Sie sagen, es wird massenweise Verhaftungen geben oder massenweise mit Tränengas vorgegangen gegen die Bürger bei uns auf der Straße. Wir haben Gott sei Dank in Deutschland noch nicht die Verhältnisse wie in den USA oder Frankreich, wo rigoroser durch die Bürger gegen die Politik demonstriert wird. Gott sei Dank haben wir das noch nicht.

Aber wir sollten auch nicht sagen, daß das an uns immer wieder vorbeigeht. Deshalb ist es wichtig, die kausalen Ursachen abzuschaffen, daß in der Politik, in den Banken so gehandelt wird, daß der Bürger gar nicht mehr auf die Idee kommt, gegen die Politik vorzugehen. Wenn wir das nicht schaffen, worauf die Polizei keinen Einfluß hat, dann sind irgendwann einmal wir gefragt, und wir stehen in der Mitte, wie Sie gesagt haben. Wir als Polizeibeamte bekommen den Druck von der Politik, wir bekommen den Druck von den Bürgern. Das müssen wir aushalten, das ist unser Job als Polizeibeamte. Das werden wir auch aushalten. Wir sind alles engagierte Mitarbeiter, wir haben sehr engagierte Polizeibeamtinnen und -beamte. Auch wenn es immer weniger werden, wird jeder seinen Job ordentlich machen.

Voraussetzung ist, daß wir mehr Personal bekommen und nicht weniger, wie es momentan angestrebt ist, massiv in neue Techniken investieren und massiv die Polizeibeamten fortbilden. Ich denke, dann werden wir das im Griff haben. Ich hoffe nicht, daß dieses Szenario, das Sie angesprochen haben, überhaupt so weit kommt.

Polizei als Söldner?

Frage: Zu einem anderen Thema, nämlich der Frage von Söldnern und generell von Privatarmeen, aktuell geworden durch den Libyen-Krieg. Man muß sagen, daß mit der Regierung Obama die Anzahl privater Söldner massiv angestiegen ist. Das ist die generelle Tendenz seit Jahren, die bereits unter Bush begonnen hatte - sogar schon unter dem alten Bush und dem damaligen Verteidigungsminister Cheney.

Die Gefahr, die wir dabei sehen, ist die Entwicklung einer normalen Armee zu einem Söldnerheer. Bei einer privaten Berufsarmee, wie wir sie jetzt auch bekommen, sieht man, daß sich das Militär der parlamentarischen Kontrolle immer mehr entzieht, man sieht, wie sich Firmen wie Blackwater und andere immer mehr in Grauzonen bewegen und wir von Greueltaten wie in Afghanistan und Irak hören.

Wie sehen Sie das, wenn man das auf die Polizei anwendet? Eigentlich hat ja die Polizei das Berufsbild als Freund und Helfer, d.h. dem Bürger in Notlagen zu helfen. Das würde sich aber bei der Entwicklung, die ich gerade genannt habe, in einen Polizeistaat verwandeln.

Husgen: Dazu muß ich sagen, wir sind nicht in den USA, sondern wir sind hier in Deutschland. Von einem Polizeistaat möchte ich bei uns überhaupt nicht sprechen. Wir sind weit entfernt von einem Polizeistaat, und das wird es bei uns auch nie geben. Ein Polizeistaat ist dadurch definiert, daß die Verwaltung handelt, ohne daß es eine Gewaltenteilung gibt, daß die Exekutive, Legislative und Judikative in einer Hand sind und damit Entscheidungen über die eigene Verantwortung hinaus treffen kann. Das gibt es bei uns nicht. Wir haben Gott sei Dank diese Gewaltenteilung, und deswegen wird es bei uns einen Polizeistaat nicht geben.

Was die Söldnerpolitik auf die Polizei bezogen betrifft, gehe ich nicht davon aus, daß wir von Söldnern sprechen können. Sie haben Recht, daß jetzt immer mehr Sicherheitsfirmen oder Sicherheitsunternehmen entstehen, oder daß die Sicherheitsunternehmen, die es bereits in Deutschland gibt, immer mehr Aufgaben bekommen. Das sieht man auch an der Entwicklung der Sicherheitsunternehmen, die im Moment deutschlandweit schon 250.000 Beschäftigte haben und einen Jahresumsatz von 10 Mrd. Euro erwirtschaften. Das ist ein riesengroßes Wirtschaftsunternehmen.

Es ist nicht so, daß die Sicherheitsunternehmen uns die Arbeit wegnehmen wollen, sondern die springen nur in Nischen. Wir selbst bieten ihnen diese Nischen, und das ist das Schlimme daran. Weil wir kein Personal haben, weil wir als Polizei in Personalnot sind, weil wir vermeintlich kein Geld haben, springen die ein und sagen, das übernehmen wir sehr gerne.

Da sind natürlich große Bedenken, die es da gibt. Meines Erachtens müssen hoheitliche Aufgaben, Aufgaben, die sich im öffentlichen und nicht im privaten Raum befinden, Sache der Polizei bleiben. Es kann nicht sein, daß Sicherheitsunternehmen diese Ausgaben übernehmen.

Ich möchte nicht schlecht über Sicherheitsunternehmen sprechen, es gibt Kooperationen zwischen Sicherheitsunternehmen und der Polizei, wo man gemeinsam etwas unternimmt. Aber die Dinge, die sich im öffentlichen Verkehrsraum, im öffentlichen Raum überhaupt abspielen, das ist reine Sache der Polizei und das können wir einfach nicht abgeben. Schon aus Gründen, weil die Mitarbeiter der Sicherheitsunternehmen gar nicht die Möglichkeiten haben, genauso zu handeln wie ein Polizeibeamter - ob das Waffen betrifft, ob das die Eingriffsbefugnisse oder auch die Qualifizierung von Mitarbeitern dieser Unternehmen betrifft, womit ich hier niemandem zu nahe treten möchte. Ich denke, daß es auch Unternehmen gibt, die hochqualifizierte Mitarbeiter haben, aber wie überall gibt es schwarze Schafe - Mitarbeiter, deren Herkunft, Qualifizierung oder Gesinnungseinstellung man sich nicht so richtig angeschaut hat. Ich denke, das sollte niemals Ziel im Freistaat Sachsen sein. Wir müssen einfach mehr Polizisten auf der Straße haben, die ihre Arbeit machen können, so daß die Sicherheitsunternehmen gar nicht in diese Bresche treten können. Sicherheitsunternehmen nebenbei, als Unterstützung in privaten Räumen, bei Veranstaltungen, in Supermärkten, auf Vorplätzen von Supermärkten sehr gerne, aber niemals, was öffentliche Aufgaben sind, niemals.

Frage: Die Polizei ist ja nach wie vor eine Institution des Staates ist, und damit hat sie den Auftrag des Gemeinwohls. Private Unternehmen haben diesen großen Vorsatz nicht.

Husgen: Ich sagte schon, 10 Mrd. Umsatz im Jahr. Daß ein privates Unternehmen auch immer den Umsatz im Auge hat, ist klar. Den müssen wir als Polizeibeamte nicht vor Augen haben. Wir sind Staatsbedienstete.

Die Aufgabenkritik, die es eigentlich geben müßte, für die Polizeistärke bei uns im Freistaat Sachsen, hat niemals stattgefunden. Das kritisiere ich ganz stark. Man hat aufgrund der 17.000 Beschäftigten, die wir in der öffentlichen Verwaltung einsparen müssen, einfach festgelegt, bis 2020 bei der Polizei 3000 Leute abzubauen - eine fiktive Zahl. Im Jahr 2020 hat die Polizei dann nur noch 11.280 Mitarbeiter. Diese Zahl 11.280 ist festgelegt worden.

Ich gehe davon aus, daß man auf der letzten Seite zuerst die Zahl 11.280 hingeschrieben hat, und dann hat man geguckt, wie man diese 11.280 Stellen im Freistaat Sachsen verteilen kann. Da es gar nicht geht, 11.280 auf 72 Reviere zu verteilen, müssen 30 oder 31 Reviere wegfallen. Bleiben noch 41 Reviere. Doch das reicht nicht. Bauen wir auch bei der Kriminalpolizei ab - erst einmal 20%. Reicht immer noch nicht. Wir kommen noch nicht auf 11.280. Bauen wir noch 40% bei der Autobahnpolizei ab. So ist es gemacht worden, bis man bei den 11.280 war.

Dann hat man gesagt, die Aufgaben müssen anders verteilt werden. Keiner weiß genau, ob man diese Aufgaben überhaupt noch erfüllen kann. Und dann fing man an zu überlegen, was man fremdvergeben kann. Die wenigen Polizisten, die man noch hat, schaffen gar nicht alles, was sie machen müssen. Was kann man fremdvergeben? Das wird momentan überlegt: Fremdvergabe, Privatisierung. Was können wir der Wirtschaft, anderen Institutionen, vielleicht Sicherheitsunternehmen übergeben, vielleicht Werkstätten übergeben?

Das ist der völlig falsche Schritt, weil dabei nur das Geld eine Rolle spielt. Anders herum wird ein Schuh draus: Ich brauche für die Sicherheit so und so viele Beamte, so und so viele Dienststellen, und dafür brauche ich so und so viel Geld. Das hat der Finanzminister zur Verfügung zu stellen. Entweder ich will Sicherheit oder nicht. Man brüstet sich ja damit im Freistaat Sachsen: „Wir sind das viertsicherste Land in der Bundesrepublik Deutschland!“ Wie lange denn noch? Das wollen wir natürlich gerne halten. Aber nicht so, wie man das anfaßt. Wirtschaft und Sicherheit kann man nicht voneinander trennen. Und da kann ich die Bildung gleich mit hineinbringen.

Was die Polizei braucht, kann man ganz kurz sagen. Wir brauchen Personal, wir brauchen Technik, wir brauchen Qualifizierungsmaßnahmen für die Leute. Wir können nicht einmal mehr die Qualifizierungsmaßnahmen, die es gibt, bedienen, weil wir in den Dienststellen so wenig Personal haben, daß wir die Leute gar nicht mehr zu Fortbildungsmaßnahmen schicken können. Erst gestern habe ich von einem Kollegen gehört, daß manche Kollegen schon zwei Jahre nicht bei Fortbildungsmaßnahmen waren. Sie können einfach nicht geschickt werden, und es gibt bereits Defizite, man bemerkt bei den Kollegen, daß sie nicht mehr auf dem neuesten Stand sind. Das kann natürlich nicht sein.

Was stelle ich mir vor, wie die Polizeiarbeit am besten ist? Bei uns im Freistaat Sachsen kämpfen wir als Polizeigewerkschaft gegen Windmühlen. Wir wollen eigentlich die Einführung einer sog. Interventionszeit, oder auf deutsch gesagt, eine Hilfsfrist, so wie es sie bei den Krankenwagen und bei der Feuerwehr gibt. Das ist gesetzlich geregelt. Nach 12 Minuten müssen die am Einsatzort sein. Wir können gerne über 12 oder 15 Minuten reden, daß auch ein Polizeibeamter bei Zeiten dort ist.

Dafür müssen die Dienststellen im Freistaat Sachsen so verteilt sein, daß es möglich ist, wenn der Bürger anruft und sagt, mir ist jemand über den Zaun gehopst oder hier ist mir etwas abhanden gekommen oder ich habe einen Verkehrsunfall, daß nach einer gewissen Zeit die Polizei für den Bürger da ist. Das ist leider nicht der Fall. Es gibt Wartezeiten von 60 Minuten, 70, 80 Minuten. Das darf natürlich überhaupt nicht sein. Den schlimmsten Fall, von dem ich bisher gehört habe, sind 128 Minuten. Das kann nicht das Bedürfnis des Staates sein, das ist auch nicht das Bedürfnis des Bürgers.

Leider will man sich in der Politik darüber keine Gedanken machen. Der Innenminister lehnt das ab, der Landespolizeipräsident lehnt das ab, weil es einfach nicht zu schaffen ist. Ich stelle mir die Frage: Warum ist es nicht zu schaffen? Weil man einfach wieder bei uns einspart. So einfach stelle ich mir das vor.

Wir haben schon eine ganze Menge getan. Wir sind Türen eingerannt im Innenministerium. Ich war persönlich beim Ministerpräsidenten Tillich, ich war bei unserem Finanzminister Unland. Wir haben allen genau das gesagt, was bei uns im Freistaat Sachsen Sache ist, daß es so nicht laufen kann.

Dann kam dennoch am 22. September die Pressekonferenz vom Innenminister, auf der er das Feinkonzept mit dem Personalabbau der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Wir haben sofort als Gewerkschaft der Polizei reagiert und eine Woche später eine „Gegenpressekonferenz“ gestartet und den Medien das von der anderen Seite beleuchtet. Der Innenminister hat natürlich nur Zahlen vorgestellt, die in sein Konzept passen, die anderen hat er völlig rausgelassen. Ich habe dann die gleiche Tabelle gezeigt, habe die Zahlen dünn gemacht, die er genannt hat, und die anderen Zahlen ein bißchen dicker gemacht, bei denen gekürzt wurde: Kriminalpolizei, Autobahnpolizeireviere usw.

Wir werden auch jetzt nicht Schluß machen, d.h. sein Konzept ist jetzt in Kraft getreten und das war’s jetzt für uns, sondern wir werden versuchen, mit Hilfe einiger Parlamentarier, die wir schon an der Hand haben, eine rechtliche Prüfung nach Art. 83 der sächsischen Verfassung vornehmen zu lassen. Dort steht nämlich drin, daß die räumliche Gliederung der Verwaltung des Freistaates Sachsen durch Gesetz zu regeln ist. Das vorliegende Feinkonzept ist kein Gesetz. D.h. die Streichung der Standorte der Reviere müßte eigentlich in einem Gesetz geregelt sein. Wird aber nicht. Es ist für uns - vielleicht - eine Prüfung wert, ob das nicht ein Verstoß gegen die sächsische Verfassung ist.

Außerdem werden wir - Stichwort Beliebtheitsskala, das ich vorhin schon angesprochen habe, wonach wir bei der Bevölkerung nicht als die „Schuldigen“ angesehen sind - ein Volksbegehren oder ein Bürgerbegehren in Betracht ziehen und überlegen, ob wir nicht ein eigenes Gesetz mit Hilfe der Bürger schaffen und ins Parlament einbringen können. Auch diese Möglichkeit besteht. Es darf niemand denken, daß wir uns als Gewerkschaft zurücklehnen und sagen: „Pech gehabt. Haben wir eben einstecken müssen. Haben wir eben verloren. Das Feinkonzept kommt. Der Personalabbau ist da.“ Nein, täglich werden wir arbeiten - das kann ich jedem versprechen!

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