|
|
Rettungspakete. Die akute Bedrohung der Souveränität und des Rechtsstaats durch die Bailout-Politik ist leider durch das Gerichtsurteil vom 7. September größer geworden.
Die öffentliche Anhörung im Bundesverfassungsgericht am 5. Juli hatte mit den eindringlichen Appellen der Klägerseite an die Richter geendet, nicht den Argumenten der Regierung nachzugeben, denen zufolge die ständige Notlage auf den Finanzmärkten auch ständige Sofortentscheidungen der Politik zur Bankenrettung erfordere, bei denen man nicht immer auf komplizierte, parlamentarische Prozeduren achten könne. Sei erst einmal der „Notstand“ als Hauptargument akzeptiert, sei die Demokratie in Gefahr, warnten die Kläger. Nun aber hat das Gericht mit seiner Entscheidung vom 7. September eben jenes Argument akzeptiert - mit gewissen Einschränkungen, die einerseits die Regierung anhalten, vor neuen Bankenrettungsaktionen die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses einzuholen und sich nicht zu übernationalen Garantien in einem Umfang, der die nationale Haushaltsautonomie aushebelt, zu verpflichten.
Konkreter wollte das Gericht nicht werden, aber Letzteres macht es immerhin für die nächsten Wochen unmöglich, so etwas wie Eurobonds für die gesamte Eurozone zu schaffen. Die Bailouts der letzten 15 Monate jedoch hat das Gericht durchgewunken und auch keine klare Kriterien gesetzt, wo die Grenzen künftig konkret gezogen werden sollen. Es wollte das auch gar nicht, denn es ist der Ansicht, daß die Richter der Politik nicht die Ermessens- und Handlungsfreiheit einschränken dürfen, und im Grunde sei ja alles in den Beschlüssen über die „Griechenlandhilfe“ und den Euro-Rettungsfonds EFSF zufriedenstellend geregelt. Das sei vom Gericht nicht zu beanstanden, deshalb würden die beiden Klagen der Professorengruppe (Hankel, Schachtschneider, Starbatty, Noelling, Spethmann) und des Bundestagabgeordneten Gauweiler verworfen.
Dieser Beschluß ist schon schlimm genug, weil er die Tatenlosigkeit des Gerichts nach dem doch bemerkenswert konstruktiven Urteil zum Lissabon-Vertrag vom Juni 2009 bis heute - also vor allem während des gesamten Zeitraums der hunderte Milliarden Euro umfassenden „Bailouts“ seit Früjahr 2010 - nachträglich rechtfertigt und auch dem Bundestag, dessen überwiegende Mehrheit ebenso inaktiv geblieben ist, ebenfalls einen Persilschein ausstellt. Diese Tatenlosigkeit über fast eineinhalb Jahre hinweg, während derer die Politik tagtäglich von den Banken am Nasenring geführt wurde, war ja der Anlaß für die Klagen, die eben in der Hoffnung, und übrigens schon vor mehr als einem Jahr, eingereicht worden waren, daß wenigstens das Gericht als letzte Instanz diesem Treiben Einhalt gebieten würde.
Das hat das Gericht nicht getan, und ein Skandal ist sein Beschluß vom 7. September überdies, weil die Richter, obwohl sie stets vorgegeben haben, nicht über Wirtschafts-, Finanz und Europapolitik entscheiden zu wollen, sich in nicht hinzunehmender Weise auf die Seite der Banken geschlagen haben mit der Feststellung, die Eurozone-Garantien der Bundesregierung in Höhe von 170 Milliarden Euro - immerhin entspricht das der Hälfte des jährlichen Bundeshaushalts - seien „nicht besorgniserregend“. Es wären ja „selbst im Fall der vollständigen Realisierung des Gewährleistungsrisikos die Verluste über Einnahmesteigerungen, Ausgabenkürzungen und über längerfristige Staatsanleihen noch refinanzierbar“, befanden die Richter.
Man kann nur empfehlen, gerade diese Formulierung mindestens zweimal zu lesen, denn das Gericht bescheinigt damit der Regierung das Recht, den Bürger zugunsten der Banken auszuplündern, nämlich über Steuerhöhungen und Sonderabgaben, über drastische Einsparmaßnahmen sowie über Zuschüsse für die erhöhten Zinsraten, die für den erweiterten Verkauf von Staatsanleihen nun einmal von der Regierung, also dem Steuerzahler, aufzubringen sind. Das, was man den derzeit vielfach gemarterten Griechen, Iren und Portugiesen zumutet, zum Beispiel Gehalts- und Rentenkürzungen in zweistelliger Höhe, ist somit auch für die Deutschen zumutbar - meint das Gericht.
Und überhaupt: wo waren denn die Prinzipien des Gerichts, als es vor künftigen übernationalen Garantien warnte, aber genau solche Garantien, wie sie ja beim EFSF bereits gegeben wurden, dort ohne weiteres durchgehen ließ? Beim EFSF ist es nämlich genau so, daß die Kreditgarantien gebenden Staaten für andere, die als Garantiegeber des Fonds ausfallen, einspringen müssen, was den deutschen Anteil dort in nicht einmal 15 Monaten von 123 Milliarden Euro auf derzeit 211 Milliarden und demnächst auf 253 Milliarden erhöht haben wird; eine Grenze nach oben ist überhaupt nicht gesetzt.
Und was soll es bedeuten, wenn die Bundesregierung mit dem Zuspruch des Gerichts 170 Milliarden Euro für Bankenrettungsaktionen als „noch refinanzierbar“ ansieht, aber keinerlei Refinanzierbarkeit sieht für die paar Milliarden Euro - und oft nicht einmal das - für kleinste Erhöhungen des Kindergelds, der Zuschüsse für Hartz 4, der Lage alleinerziehender Mütter, vor allem aber für die Forderungen der Städte und Gemeinden nach finanzieller Besserstellung? Warum ist kein Geld da für ein Transrapidprogramm in München, das nicht einmal 4 Milliarden Euro gekostet hätte, aber mehr als 40-mal so viel Geld da für die Banken im Euroraum?
Und wie sollen sich die Kritiker der Bailouts bei der Abstimmung im Bundestag am 29. September dem Druck von Regierung und Parlamentsmehrheit, endlich ihren Widerstand aufzugeben, widersetzen, wenn ihnen die Verfassungsrichter in den Rücken fallen? Wie soll ein Haushaltsauschuß, der schon bisher alles abgenickt hat, was die Regierung ihm aufschwatzte, sich gegen neue Forderungen zum Beispiel nach weiteren Ausweitungen des EFSF stemmen, wenn die Regierung das in mehreren Schritten tut - einmal 50 Milliarden hier, dann wieder 30 Milliarden dort, und wiederum 80 Milliarden dort. Für Regierung und Gericht ist das anscheinend „überschaubar“, „nicht permanent“, „kontrollierbar“. Wenn, vorausgesetzt das gesamte Banken- und Finanzsystem könnte sich noch weiter durchwursteln, die Garantien der Bundesregierung beim EFSF in einem Jahr schon bei 400 oder 500 Milliarden Euro lägen, könnte man dann erwarten, daß die Richter endlich einen Schlußstrich setzen?
Nachdem die Richter sich ihrer Verantwortung entzogen haben, liegt es in der Hand des eigentlichen Souveräns - und das ist das Volk, das sind die Wähler -, weiteren Schaden vom Staat abzuwenden und, wie es die BüSo bereits Ende 2007 gegen den Lissaboner Vertrag forderte, per Volksabstimmung das ruinöse Euro-Experiment und die endlos teuren Bankenrettungsaktionen und Aushebelungen der Souveränität zu beenden. Das ist sogar verfassungsgemäß, denn Artikel 20 Absatz 4 besagt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Die akute Bedrohung der Souveränität und des Rechtsstaats durch die Bailout-Politik ist leider durch das Gerichtsurteil vom 7. September größer geworden. Auch der in Karlsruhe abgewiesene Kläger Schachtschneider sieht das Urteil als „schwarzen Tag“ für Deutschland und Europa. Noch mehr solch schwarze Tage darf es künftig nicht mehr geben, wenn uns unsere Demokratie und unsere Verfassung etwas wert sind.
Rainer Apel