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Neue Solidarität
Nr. 37, 14. September 2011

Das Letzte aus Berlin?

BüSo-Spitzenkandidat Stefan Tolksdorf zieht ein Resümee aus dem Wahlkampf für das Berliner Abgeordnetenhaus.

Es mag momentan im deutschen Schnitt keine Ausnahme sein, aber die letzten Monate vor der kommenden Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus haben kein besonders reges Interesse am Wahlkampf geweckt. Warum auch? Als sich die Spitzenkandidaten der „großen” Parteien in der rbb-Fernsehsendung „Klipp & Klar” präsentieren durften, hatten die Parteien sehr vorrausschauend dafür gesorgt, daß es nicht zur Debatte zwischen den Fünfen kommen würde. Man könnte spekulieren, daß nur so verhindert werden konnte, die Schwelle von „langweilig” nach „absolut unerträglich” deutlich zu übertreten.

Immerhin, vier Jahre Krise haben Rettungspakete, Konjunkturpakete und so ziemlich alle anderen monetären Maßnahmen verschlungen, ohne daß sich irgendetwas verbessert hätte. So stehen wir heute vor dem Staatsbankrott Griechenlands, Italien soll bis zum November unmögliche Schuldensummen refinanzieren, und Großbritannien hat gezeigt, auf welch sozialem Pulverfaß alle Staaten Europas mit ihrer riesigen Jugendarbeitslosigkeit und der allgemeinen Perspektivlosigkeit sitzen.

Und Berlin? Die Stadt steht immer noch mit 63 Milliarden Euro Schulden da - auch wenn das, wie im Fall der Piratenpartei, die nach Umfragen vielleicht sogar ins Stadtparlament einziehen wird, gar nicht alle wissen. Ein gräßlich unkreativer Finanzsenator sprach 2002 davon, zehn Jahre harter Sparpolitik würden notwendig sein, um wenigstens das Schuldenwachstum zu stoppen. Die Haushaltslage und deren Ausweglosigkeit ist inzwischen so sehr akzeptiert und Teil jeder Diskussion, daß niemand mehr Fragen zu stellen scheint, wenn in einem Teil Berlins immer nur auf Kosten eines anderen irgendetwas getan werden kann. Spricht dann tatsächlich jemand einmal von notwendigen Ausgaben, zum Beispiel zur Instandsetzung und Erneuerung der 4.000 maroden Straßenkilometer Berlins, dann folgt sofort die Frage, die man hier als ganz natürlich empfindet: „Und wo soll das Geld herkommen? Wo wollen sie sparen?”

Lyndon LaRouche lag also mit seiner Einschätzung Ende 2010 ganz richtig: In Berlin ist absolut nichts los - geradezu ein politischer und wirtschaftlicher Friedhof. Warum also sollte irgendjemand Kandidaten oder Parteien Interesse entgegenbringen, die sich einer wirtschaftlichen und politischen Matrix vollkommen angepaßt haben, die grundlegend geändert werden müßte, wenn es hier in Berlin wieder voran gehen soll? Vollkommen unsinnige Wahlplakate, die nach Produkten von PR-Agenturen klingen, die so teuer wie dämlich sind, locken in einer solchen Lage niemanden hinterm Ofen hervor.

Entsprechend war und ist die Resonanz nicht nur der Berliner Bürger auf unsere Kampagne. Natürlich wollen viele wissen, was die BüSo hier in Berlin eigentlich vorhat, was wir ändern wollen, doch es ist allen klar, daß sich hier zur Zeit einfach nichts machen läßt. Deswegen haben wir uns von Anfang an auf die Adresse konzentriert, die in der Lage wäre, die notwendigen Schritte zu ergreifen, um die Krise zu lösen: unsere Gäste in Berlin, die Bundesregierung. Und das wird auch nach der erfolgten Abgeordnetenhauswahl in Berlin so bleiben.

Die Parteien, die sich momentan doch aufgefordert sehen, den einen oder anderen etwas hilflos wirkenden freiwilligen Aktivisten zum Lächeln an einen Infotisch zu stellen, werden nach der Wahl wohl wieder in ihren jeweiligen Versenkungen verschwinden, wie sie das sonst auch tun. Die BüSo hat hier ganz andere Pläne. Bei vielen unserer Aktionen haben wir darüber gesprochen und viel Literatur an den Mann gebracht, allen voran das Flugblatt, das in kurzer Form die Schritte darstellt, die umgehend zur Lösung der Krise ergriffen werden müssen: 1. Einführung des Trennbankensystems, 2. Abschreibung toxischer Schuldpapiere, 3. Schutz realer Schulden und Guthaben, 4. Einführung einer Nationalbank zur Kreditvergabe, 5. Errichtung eines Systems fester Wechselkurse, 6. Verträge zur langfristigen Kooperation zwischen souveränen Staaten bilden das neue Bretton Woods System, und 7. absoluter Fokus auf die Steigerung der Arbeitsproduktivkräfte, um der Zerstörung wirtschaftlicher Kapazitäten zu begegnen und eine vernünftige Lebensgrundlage für alle Menschen der Welt zu entwickeln.

Helga Zepp-LaRouche hat bei vielen Veranstaltungen in Reden und Diskussionen betont, daß Europas moralische und physische Herausforderung die Entwicklung des afrikanischen Kontinents ist. Natürlich haben wir uns in den letzten Jahren bereits ausführlich damit auseinandergesetzt, welche Entwicklungsprogramme für die Welt bestehen, und haben selbst ausschlaggebende Konzepte entwickelt und verbreitet. In der jetzigen Lage ist es aber noch entscheidender als je zuvor, den Menschen diese Entwicklungsprojekte sehr plastisch vor Augen zu führen, weil die vielen Jahrzehnte völliger Fehlentwicklungen eben nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen sind, sondern oft eine pessimistische Grundhaltung über den Menschen an sich in ihre Köpf eingepflanzt haben. Um dieses Unkraut da herauszubekommen, muß die Vorstellungskraft eines Menschen schon recht gut entwickelt sein oder wenigstens einen schönen Schwung versetzt bekommen.

Mut und Leidenschaft schaffen die Zukunft

Für diesen Schwung erarbeiten wir z.B. mehr und bessere Videos, die sie auf unserer Webseite sehen können. Auch die Webseite der BüSo selbst wird von Grund auf neu gestaltet, um ihren Zweck als pädagogische und politische Plattform erfüllen zu können. Und es gilt auch, die Firmen und das entsprechende Know-how in Deutschland zu finden, dem eine ungemein große Bedeutung zukommt, sobald zuallererst in den USA und dann in Europa der entscheidende Schritt hin zum Trennbankensystem getan ist. Und das ist in der unglaublich angespannten Weltlage heute keine Sache der Unmöglichkeit, die sich nicht einfach in statistischen Wahrscheinlichkeitsbegriffen ermessen läßt.

So schäumte EZB-Chef Jean-Claude Trichet geradezu vor dem Mund, als er bei der jüngsten Pressekonferenz durch einen Berichterstatter der Börsenzeitung damit konfrontiert wurde, daß in Deutschland unter Ökonomen hinter vorgehaltener Hand von der Wiedereinführung der D-Mark gesprochen wird, daß es in Europa zur Vergemeinschaftung der Schulden gekommen ist und die EZB sich aus dem Anker der Stabilität in eine europäische Bad Bank verwandelt hat, die die Währungsstabilität in Gefahr gebracht hat. Das sind alles Dinge, die eigentlich jeder weiß, der nicht völlig blind oder verblendet in den Tag geht.

In der entscheidenden Frage zu dieser fortgeschrittenen Stunde, in der uns das finstere Zeitalter schon direkt ins Gesicht starrt, spielen die üblichen praktischen Erwägungen keine Rolle mehr. Die Regeln, nach denen man in einem Berliner Wahlkampf über Berliner Themen zu sprechen hat, gelten nicht mehr. In revolutionären Zeiten wie den heutigen spielt ein mutiger Kopf, der sich über die scheinbar geltenden Beschränkungen hinwegsetzt, eine viel wichtigere Rolle als diejenigen, die ihren Vorteil immer darin suchen, vorneweg zu rennen, wenn es in die falsche Richtung geht, oder denjenigen hinterherzuhecheln, die vorneweg rennen.

Wenn Sie also demnächst einen Chor hören oder ein großes Banner erblicken, auf dem Ihnen Clara Schumann auf dem 100-DM-Schein entgegenblickt, dann sehen Sie keinen „Infotisch”, an dem man sich „informieren” oder mit „Info-Material” eindecken kann. Vielmehr ist das Ihre Chance, an der großen Aufgabe mitzuwirken, die tiefste Krise seit dem finsteren Zeitalter des 14. Jahrhunderts zu überwinden. Es ist jetzt unsere Chance, Armut, Unterentwicklung und den obszönen Geldreichtum einiger weniger, quasi die Kinderkrankheiten der Menschheit, zu überwinden und der Menschheit in ihr Zeitalter des Erwachsenseins zu helfen. Die historische Chance ist da. Und wo sind Sie?

Stefan Tolksdorf

Lesen Sie hierzu bitte auch:
„Nicht dem Sklaven, dem Mutigen gehört die Welt!“
- Neue Solidarität 36/2011
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