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Neue Solidarität
Nr. 23, 8. Juni 2011

„Nehmen wir den Spekulanten den Wind aus den Segeln!“

Jacques Cheminade, Präsidentschaftskandidat der Solidarité et Progrès, veröffentlichte am 2. Juni die folgende Erklärung zum Umgang mit der derzeitigen Dürre in Frankreich.

Erdbeben in Japan, Tornados in den Vereinigten Staaten und außergewöhnliche Trockenheit in China, Texas und Europa: Unser Planet wird von Phänomenen heimgesucht, deren Stärke überall zunimmt.

In Frankreich ist die herrschende Trockenheit bereits jetzt schlimmer als die von 1949 und 1976. Sie kommt zu den verheerenden Folgen einer Landwirtschaftspolitik hinzu, die durch ihre jahrelange Benachteiligung der Produzenten diese daran gehindert hat, Reserven an Finanzen, Viehfutter und Saatgut anzulegen.

I. Vier Notmaßnahmen sollten umgehend ergriffen werden:

Die Spekulation, die sich durch Schaffung von Knappheit der landwirtschaftlichen Produktion bemächtigt hat, muß gebrochen werden. Schadensbegrenzung durch das Versprechen von Ausgleichszahlungen, Bankkrediten oder Almosen reicht nicht aus.

1. Dringend notwendig: Fütterung der Nutztiere. Dazu muß der Staat, über die Solidarität von Getreidebauern und Viehzüchtern hinaus, wenn nötig, Heu und Stroh requirieren und ihren Ankauf durch die Produzenten erheblich subventionieren. Ein wichtiges Detail dabei: Die staatliche Zentralgewalt und die Regionen müssen den Transport per Zug oder LKW bis zum Bauernhof übernehmen.

2. Landwirtschaftliche Bewässerung hat Vorrang. Je nach Lage Einschränkungen bei der Bewässerung von Golfplätzen, Freizeitparks und bei der Berieselung von Gärten. Wasser für die Ernten hat Vorrang!

3. Stopp von Biotreibstoffen. Der Staat muß jegliche Umwandlung von Getreide, besonders Weizen und Mais, in Biotreibstoff blockieren. Ihre Produktion muß der Viehfütterung vorbehalten bleiben. Wenn notwendig, können zu diesem Zweck auch an bestimmten Exporten Abstriche gemacht werden. Diese Maßnahme wird die Weltmarktpreise nicht in die Höhe treiben, wenn sie von Maßnahmen gegen die Spekulation begleitet wird, wie wir sie vorschlagen.

4. Finanzwelt: Die Augiasställe ausmisten. Wir müssen die Investmentbanken von den Kredit- und Depositenbanken [Geschäftsbanken] trennen (globales Glass-Steagall). Die Spekulation mit landwirtschaftlichen Produkten muß verboten werden, insbesondere die durch an den Börsen gehandelten Fonds (ETF) mit Tracker-Zertifikaten, die eine große Hebelwirkung haben. Ist es nicht unerträglich, daß eine Bank wie die Crédit Agricole (um nur sie zu nennen), die sich so großzügig gibt, wenn sie den Opfern der Trockenheit Kredite anbietet, über Aumundi [die gemeinsame Spekulationsabteilung von Crédit Agricole und Société Générale] fortfährt, auf Agrarpreise zu spekulieren? Wenn dieses Spiel nicht beendet wird, dann sind alle Erklärungen unserer Politiker höchstens Heuchelei und im schlimmsten Fall Verrat.

II. Nahrungsmittelsouveränität

Umgehend muß die Landwirtschaftspolitik auf dem absoluten Prinzip der Nahrungsmittelsouveränität neu durchdacht werden, um sie der malthusianischen Macht der Öko-Spekulanten zu entreißen.

1. Infrastruktur. Es bedarf sofortiger Investitionen in die Schaffung von Rückhaltebecken, Bewässerungskanälen und Talsperren, die Wasser für die Landwirtschaft verfügbar machen, aber auch um Energie zu „speichern“. Seit der Trockenheit von 2003 weiß man, daß das, was uns jetzt passiert, mit nur 1-2 Prozent mehr an jährlichen Niederschlägen hätte vermieden werden können. Das bedeutet, daß die momentane Logik umgekehrt werden muß, denn diese Infrastruktur, die derzeit privatisiert wird, wird nicht instand gehalten. Die Landwirtschaft ist ein Beruf mit Zukunft, der die Mittel braucht, um seine Produktion verbessern zu können. Unter diesen Bedingungen wird es eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem Nationalen Zentrum für Weltraumstudien (CNES) und dem Nationalen Institut für agrarwissenschaftliche Forschung  (INRA) - durch ein besseres Verständnis der Eigenschaften von Böden und der Wechselwirkung zwischen kosmischer Strahlung und dem Leben - erlauben, den Gebrauch von Wasser zu optimieren, besonders durch die Entwicklung widerstandsfähigerer Arten, durch Satelliten gesteuerte Bewässerung oder auch durch die Ausweitung von Tröpfchenbewässerung.

2. Regulierte Märkte. Statt unsere Produzenten dazu zu zwingen, sich gegen das Auf und Ab der Preise auf undurchsichtigen Märkten durch im außerbörslichen Verkauf (OTC) erworbene Finanzderivate abzusichern, ist jetzt die Zeit gekommen, sowohl in den Produzentenländern als auch in den „fortgesetzten“ Importländern, besonders im Maghreb, wieder öffentliche Lagerbestände zur Preissteuerung einzurichten, pro Land oder geographischem Gebiet. Wie zu Beginn der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) oder zur Zeit Franklin Roosevelts erlaubt eine intelligente Verwaltung öffentlicher Lagerbestände die Begrenzung physischer Verknappung und das Vereiteln spekulativer Kurssteigerungen durch staatliche Käufe oder Verkäufe. Wir sollten uns daran erinnern, daß die „Finanzprodukte zur Absicherung“ letztendlich Kosten von nahezu 40 Euro pro Tonne tatsächlich verkauften Getreides nach sich ziehen, während die jährlichen Kosten der Lagerhaltung von Getreide in einem Genossenschaftssilo in Frankreich nur 10 Euro pro Tonne betragen.

3. Instrumente zur Vorhersage. Investitionen in Einrichtungen zur Klimaüberwachung (besonders Satelliten) und das Vorantreiben der Studien über die Auswirkungen der Position unseres Planeten innerhalb der großen Zyklen des Sonnesystems und darüber hinaus (Sonnenmaximum, Zyklen der Biodiversität etc.)

4. Weltweiter produktiver Kredit. Im Rahmen einer neuen, auf dem staatlichen, produktiven Kredit (und nicht auf monetären Spielchen) beruhenden internationalen Ordnung bedarf es einer Einrichtung zur Beobachtung des weltweiten Verbrauchs und der weltweiten landwirtschaftlichen Lagerbestände. Beenden wir den skandalösen neokolonialen Ansturm auf bebaubares Land; Verträge müssen zu Preisen abgeschlossen werden, die sich aus den Bedürfnissen der physischen Ökonomie herleiten und nicht aus denen der Finanzmärkte.

Abschließend bleibt festzustellen, daß die Herausforderung, im Jahr 2050 9 bis 12 Mrd. Menschen zu ernähren, mit dem Infragestellen der verrückten Finanzwelt beginnt, die seit mehr als 40 Jahren die Welt regiert, und ihrer Ersetzung durch eine Weltordnung, die auf gemeinsamen Projekten und dem Vorrang für die menschliche Schöpferkraft beruht.

Die Landwirtschaft ist der Schlüssel, um das Tor zur Zukunft aufzustoßen. Sie trifft sich dabei mit der Raumfahrt, denn durch die Sicht von oben und durch das Verständnis der Auswirkungen von solaren und galaktischen Phänomenen wird man die Produktion auf der Erde besser verstehen können.

Überlassen wir die Landwirtschaft nicht den Händen gieriger Interessen, die sich nur dem Besitz und nicht der Produktion verschrieben haben. Um unsere Nahrung zu erhalten, müssen wir den Spekulanten den Wind aus den Segeln nehmen!

Jacques Cheminade

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Für eine deutsch-französische Union angesichts des Verfalls des Hauses Europa
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Unterstützungserklärungen französischer Bürgermeister für Jacques Cheminade
- Neue Solidarität 47/2010
„In den entscheidenden Momenten liegt die Rettung bei einigen wenigen“
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