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Die Welt online, 14. Mai 2011
Alle Welt redet von Nachhaltigkeit. Aber was soll das überhaupt bedeuten? Die Idee einer global gesteuerten Ressourcenbewirtschaftung ist utopisch und im Kern totalitär.
Scharlatane haben sich zu allen Zeiten hinter Wort-Ungetümen versteckt. Das soll den normalen Menschenverstand auf Distanz halten. Ein aktuelles Beispiel liefert der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) mit seinem Bericht „Welt im Wandel“. Es handelt sich laut Autoren um einen „Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“, die wir uns als Ende des „fossilen industriellen Metabolismus“ und als „Übergang zur Nachhaltigkeit“ vorzustellen haben. Die neue „Weltgesellschaft“ soll mit deutschem Know-how verwirklicht werden, und zwar durch „tief greifende Änderungen von Infrastrukturen, Produktionsprozessen, Regulierungssystemen und Lebensstilen“. Der Gremiumsvorsitzende Hans Joachim Schellnhuber schlägt deshalb Volksentscheide mit Teilnahmepflicht oder Ombudsleute für die Rechte künftiger Generationen vor. Bundeskanzlerin Merkel bezeichnet Nachhaltigkeit als Leitprinzip der Bundesregierung und fordert die Deutschen auf, „über alle Lebensbereiche hinweg den Nachhaltigkeitsgedanken zu verinnerlichen“.
Nun würden wir das ja gerne tun, wenn uns endlich jemand sagen könnte, was Nachhaltigkeit eigentlich ist. Der WBGU hilft mit seiner Definition nicht wirklich weiter: „Nachhaltigkeit ist nicht zuletzt Fantasie.“ Mit den verschiedenen Erläuterungen des Begriffs könnte man eine ganze Dussmann-Filiale füllen, was aber auch nicht schlauer machen würde, denn es handelt sich unisono um schwere Kopfgeburten, in denen eine gefühlte Elite dem dummen Volk das Denken abnimmt. „Nachhaltigkeit klingt so natürlich, so biologisch, so ökologisch“, schrieb einmal Hubert Markl, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, „da unklar genug ist, was es eigentlich bedeuten soll, können sich von Wirtschaft und Wissenschaft bis zu Politik und Kirchentagen alle darauf einigen.“...
An die Stelle des tastenden Fortschritts durch Irrtum und Versuch soll eine global gesteuerte Ressourcenbewirtschaftung treten. Sie soll im Hinblick auf einen hypothetischen paradiesischen Endzustand erfolgen. Eine solche Idee ist utopisch und im Kern totalitär.
Auch die populäre Ansicht, daß Nachhaltigkeit gleichsam ein ehernes Gesetz der Natur sei, ist ein Irrtum. Der Begriff stammt aus dem Waldbau und meint, daß man nicht mehr Holz einschlagen soll als nachwächst oder aufgeforstet wird... Es mag eine kosmische Kränkung sein, aber das Leben ist nicht nachhaltig. Natur ist Anarchie, Revolution, Chaos, Katastrophe. Natur ist ständige Veränderung und Anpassung an neue Umstände, ihr Erfolgsprinzip heißt Evolution, also permanente Veränderung. 98 Prozent aller jemals auf der Erde existenten Arten sind ausgestorben, bevor der Mensch überhaupt auf der Bildfläche erschien. Hätte sich die Natur vor ein paar Millionen Jahren entschieden, nachhaltig zu sein, dann dominierten heute noch die Dinosaurier den Planeten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Mai 2011
Wenn man grüne Spitzenpolitiker unterteilt, dann gibt es jene, die von Nachhaltigkeit reden und die Macht meinen, und jene, die von Nachhaltigkeit reden, und es ernst meinen. Zu den Letzteren gehört [der neue grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg] Kretschmann, den nach eigenen Angaben „die emphatische Liebe zur Natur“ bewogen hat, die grüne Partei mit zu gründen. Deshalb sind seine Sätze nicht polittaktische Provokation oder reiner Balsam für die Basis, sondern bitter ernst zu nehmen... Konkret wird der Ministerpräsident dann beim Energiekonzern ENBW, an dem das Land eine Minderheit hält... Das ist nicht mehr harmlos: Kaum im Amt, beginnt schon die mentale Verstaatlichung von Konzernen, an denen das Land nicht die Mehrheit hält. Doch niemand bekrittelt solche Eingriffspläne in einer Zeit, in der die Vorkämpfer für Ökologie und gegen Atomkraft die Leute wie die Moral auf ihrer Seite wissen. Es sind längst nicht mehr nur die Grünen, die in private und unternehmerische Freiheiten hineinregieren, um das Volk auf einen ökologischen Lebensstil zu trimmen. Es wächst eine Ökotyrannei in Deutschland, sie stützt sich auf eine große Mehrheit. Und die Bundesregierung steht an der Spitze.
Beispiele? Stichwort Konsumentensouveränität: Deutschland zwingt seine Autofahrer, ein Produkt zu konsumieren, das diese nicht wollen. Sie müssen den (ökologisch übrigens hochumstrittenen) Biosprit tanken, der schon lange vor der Einführung von E10 dem Kraftstoff beigemischt war. Stichwort Mieterrechte: Die Bundesregierung will das Recht der Mieter einschränken, wenn der Vermieter sein Haus öko-saniert. Gewöhnlich durften Mieter, wenn sie durch Renovierungen stark belastet wurden, die Miete reduzieren. Das dürfen sie nicht mehr, wenn die Renovierung dem Klima nützt...
Doch die Vorzugsbehandlung geht noch weiter: Im Baurecht werden Windkraftwerke jetzt schon privilegiert. Nun will man die Genehmigungen der heftigst umstrittenen Hochspannungsleitungen beschleunigen, seit sie von Bürgerinitiativen blockiert werden. Man braucht die Leitungen, um den norddeutschen Windstrom nach Süden zu bringen. Für das große Ziel sollen Beteiligungsrechte der Bürger beschränkt werden. „Zwangsernährung mit ökologisch korrekten Produkten“ nennt der Ökonom Carl-Christian von Weizsäcker den Regierungsstil, der Konsumenten-Souveränität und die Entscheidungsfreiheit der Bürger nicht ernst nimmt. Wer nicht mitzieht, wird diffamiert. Der Porsche-Fahrer, der Fernreisende, der Fleischesser, keiner kann sich mehr sicher sein vor dem öffentlichen Pranger... „Wir bewegen uns in Richtung Ökodiktatur“, sagt Weizsäcker heute.
Manche finden das nicht schlimm. Vor allem Klimaforscher verlieren die Geduld mit zähen demokratischen Prozessen. Der weltberühmte Klimaforscher James Hansen, der das renommierte NASA Goddard Institute for Space Studies in New York leitet, äußert regelmäßig laute Zweifel, daß Demokratien die Klimaerwärmung stoppen können. Jüngst lobte er Chinas autokratisches Regime als Hoffnung. Dort könnte das nachhaltige Leben einfach verordnet werden. Von Angela Merkels oberstem Klimaberater Hans Joachim Schellnhuber stammt der Vorschlag, das Parlament um einen ungewählten Zukunftsrat zu ergänzen, der Gesetze mitbestimmt und dabei als Anwalt künftiger Generationen agiert – eine Art Wohlfahrtsausschuß.
Der von Schellnhuber geführte „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderung“ drückte dem Kabinett jetzt ein 32-Seiten-Papier in die Hand, das den Titel trägt „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“. Es ist die Kurzversion eines Empfehlungskatalogs, der im Juni veröffentlicht werden soll. Er ist voller Moral und Revolution. Die Autoren halten das deutsche Wirtschaftsmodell („fossiler industrieller Metabolismus“) für ethisch untragbar. „Die Transformation zur Klimaverträglichkeit ist moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit“. Die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft muß schnell gehen, auf Kernenergie und Kohle ist gleichzeitig zu verzichten.
Und weil Not regiert, und es schnell gehen muß, braucht es einen starken Staat, der für die notwendige Änderung der heutigen Lebensstile und die „gesellschaftliche Problematisierung“ nicht nachhaltiger Lebensstile sorgt. Er überwindet „Interessengruppen“ und „Vetospieler“, die „den Übergang zur nachhaltigen Gesellschaft erschweren.“ Das ist nicht weniger als ein gesellschaftliches Umerziehungsprogramm.