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Neue Solidarität
Nr. 19, 11. Mai 2011

Schweden bleibt bei der Kernkraft!

In Schweden ist man schon ein Stück weiter als in Deutschland: Man hat erkannt, daß der Ausstieg wirtschaftlich und moralisch eine Sackgasse ist - sogar in Teilen der grünen Bewegung.

In Schweden bleibt es beim „Ausstieg aus dem Ausstieg“ aus der Kernkraft. Nach 30 Jahren Denkverbot in Sachen Kernenergie hatte das Parlament, Riksdagen, am 17. Juni 2010 grünes Licht für den Bau neuer Reaktoren als Ersatz für veraltete gegeben. Diese Entscheidung wird auch nach dem Unfall in Japan nicht geändert. Schweden hat heute zehn Kernkraftwerke in Betrieb und weltweit einen der höchsten Anteile an Atomstrom pro Kopf.

Anfang der achtziger Jahre war nach einer beratenden Volksabstimmung beschlossen worden, Schwedens Kernkraftwerke langsam abzuwickeln. Die politische Elite hatte schon vor dem Referendum die Entscheidung für den Ausstieg getroffen, die Bevölkerung wurde nur noch gefragt, wie schnell die Kernenergie abgewickelt werden sollte. Neue, verbesserte Sicherheitskonzepte (u.a. PIUS, siehe unten) landeten im Papierkorb. Nach den Vorgaben der Entscheidung wurden zwei Kernkraftwerksblöcke im Süden des Landes (Barsebäck bei Malmö, gegenüber von Kopenhagen) später abgeschaltet, der erste 1999, der zweite 2005, und werden derzeit völlig demontiert.

Langsam, aber sicher wurde jedoch klar, daß das Land die wirtschaftlichen Folgen eines Verzichts auf Kernenergie nicht tragen könnte. Es war einfach weder wirtschaftlich noch moralisch vertretbar, die Hälfte des schwedischen Energiebedarfs, die derzeit von Atomstrom abgedeckt wird, durch andere, teurere und weltweit gesehen unmoralischere Alternativen zu ersetzen. Das neue Gesetz trat am 1. Januar 2011 in Kraft. Schon im Dezember 2010 wurde angekündigt, daß für die neuen Kernkraftprojekte mindestens 700 Ingenieure gesucht werden.

Diese Politik wird auch von Umweltschützern mitgetragen. Am 17. März, sechs Tage nach dem verheerenden Tsunami in Japan mit dessen Folgen für vier der sechs Kraftwerksblöcke in Fukushima-Daichi, veröffentlichte Schwedens größte Tageszeitung Dagens Nyheter einen Artikel von Per Kagesson, Professor für Umweltsystemanalyse und einer der ältesten grünen Aktivisten des Landes. Überraschend spricht sich Professor Kagesson dort für den Bau neuer Kernkraftwerke als bessere Alternative zu Umrüstung der alten aus. Das bedeutet nicht, daß Kagesson plötzlich generell für die Ausbau der Kernenergie ist, aber es spiegelt eine realistische Einsicht wider, daß wir Strom brauchen und daß eine fundamentalistische Haltung, sofort alle Kernkraftwerke abzuschalten, nicht vertretbar ist.

In seiner Argumentation sagt er: „Ich finde, die ältesten müßten verschrottet und möglicherweise durch neue und erheblich sicherere Reaktoren ersetzt werden, falls es sich zeigt, daß das billiger wird als andere Formen neuer Stromerzeugung.“

Es gibt mehrere inhärent sichere Reaktortypen, weiß der Professor. Sie bauen alle auf sog. passive Sicherheit, d.h. sie schalten sich bei Überhitzung ohne menschliches Zutun selbst aus. Er erwähnt einen Typ, nämlich den Reaktor Pius, den Asea-Atom schon vor 30 Jahren entworfen hatte. Das Pius-Konzept stützt sich auf die Verwendung von borhaltigem Wasser.

Im April lieferte dann ebenfalls in Dagens Nyheter Hans Bergström, ein ehemaliger Redakteur dieser liberalen Zeitung, einen interessanten Beitrag zur Kernenergiedebatte unter dem Titel: „Die Risiken sollten weggebaut werden.“

Zunächst stellt er fest, daß die bürgerliche Regierungskoalition dabei bleibt, alte Kernkraftwerke bei Bedarf durch neue zu ersetzen. Er lobt auch den Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Hakan Juholt, weil der zu dem Thema geschwiegen - sprich sich bisher nicht direkt gegen Kernenergie geäußert - hat, im Unterschied zu Schwedens Grünen und Linken. (Juholt hatte kürzlich Journalisten erzählt, er habe als junger Mann einmal eine Freundin ausgeführt und mit ihr einen romantischen Abend mit einem schönen Blick auf das örtliche Kernkraftwerk am Wasser verbracht.)

Bergström erwähnt auch, daß Energiemangel zu Hunger und Massensterben besonders in Afrika und Asien führen würde: „Ein Mangel an kosteneffizienter Energie tötet, direkt durch steigende Lebensmittelpreise, indirekt durch Armut.“ Das ist ein Aspekt, der in Deutschland immer ausgeklammert wird.

Bergström schreibt weiter: „Der Weg vorwärts bedeutet den Bau inhärent sicherer Konstruktionen, damit man Unfälle so auffängt, daß die Umgebung nicht beeinflußt wird. Schwedens zehn alte Kernkraftwerke sind sogar mit einem dritten Sicherheitsmechanismus ausgerüstet, den zwei Ingenieure, Leif Lindau und Lennart Gustavsson, in den achtziger Jahren entwickelten.“ Falls in der Reaktorkammer ein Überdruck entsteht, öffnet sich ein Sicherheitsventil und das austretende heiße radioaktive Material landet in einer Filterkammer, wo es gereinigt, abgekühlt wird und verbleibt. Das System ist zu 100 Prozent unabhängig von menschlichen Entscheidungen, Stromzufuhr, mechanischen Funktionen und Wasser. Die beiden Erfinder haben nach der Naturkatastrophe in Japan gesagt, wenn die Reaktoren in Fukushima dieses System gehabt hätten, wäre die Lage unter Kontrolle gewesen.

C. Thronell