Nr. 18, 4. Mai 2011
„Am Anfang steht die Vernunft“
In seiner Predikt bei der Ostervigil am Ostersamstag im Petersdom in Rom sprach Papst Benedikt
XVI. über die besondere Rolle der kreativen Vernunft als fundamentales Prinzip
des Universums, das den Menschen von den Tieren unterscheidet. Wir bringen
Auszüge nach der offiziellen deutschen Übersetzung der Predigt durch die
Libreria Editrice Vaticana:
„(...) Die zentrale Aussage des Schöpfungsberichts läßt sich noch genauer bestimmen. Der
heilige Johannes hat in den ersten Worten seines Evangeliums den wesentlichen
Sinn des Schöpfungsberichts in dem einen Satz zusammengefaßt: ,Im Anfang war
das Wort.’ In der Tat ist der Schöpfungsbericht, den wir vorhin gehört haben,
durch den gleichmäßig wiederkehrenden Satz bestimmt: ,Und Gott sprach…’. Die
Welt ist Produkt des Wortes, des Logos, wie Johannes mit einem Zentralwort der
griechischen Sprache sagt. Logos bedeutet Vernunft, Sinn, Wort. Er ist nicht
bloß Vernunft, sondern sprechende, sich selbst mitteilende, schöpferische
Vernunft. Er ist Vernunft, die Sinn ist und selbst wiederum Sinn stiftet. So
sagt uns also der Schöpfungsbericht: Die Welt ist Produkt der schöpferischen
Vernunft. Und er sagt uns damit: Am Anfang aller Dinge stand nicht das
Unvernünftige, das Unfreie, sondern der Ursprung aller Dinge ist die
schöpferische Vernunft, ist die Liebe, ist die Freiheit. Hier stehen wir vor
der letzten Alternative, um die es im Disput zwischen Glaube und Unglaube geht:
Ist die Unvernunft, das Unfreie und der Zufall der Ursprung aller Dinge, oder
ist der Ursprung des Seins Vernunft, Freiheit, Liebe? Gilt der Primat der
Unvernunft oder der Vernunft? Um diese Frage geht es letztlich. Als Gläubige
antworten wir mit dem Schöpfungsbericht und mit dem heiligen Johannes: Am
Anfang steht die Vernunft. Am Anfang steht die Freiheit. Deshalb ist es gut,
ein Mensch zu sein. Es ist nicht so, daß in dem sich ausdehnenden Universum am
Ende in irgendeinem kleinen Winkel des Alls zufällig auch eine Art von
Lebewesen entstand, die denken kann und versuchen kann, Vernunft in der Schöpfung
zu finden oder in sie hineinzubringen. Wäre der Mensch nur ein solches
Zufallsprodukt der Evolution irgendwo am Rand des Alls, dann wäre sein Leben
sinnlos oder gar eine Störung der Natur. Aber nein - die Vernunft ist zuerst,
die schöpferische, die göttliche Vernunft. Und weil sie Vernunft ist, hat sie
auch Freiheit geschaffen, und weil Freiheit mißbrauchbar ist, darum gibt es
auch das Schöpfungswidrige; darum zieht sich gleichsam ein dicker dunkler
Strich durch den Bau des Universums und durch das Wesen des Menschen. Aber
diesem Widerspruch zum Trotz bleibt die Schöpfung als solche gut, bleibt das
Leben gut, weil am Anfang die gute Vernunft, die schöpferische Liebe Gottes
steht. Darum ist die Welt erlösbar. Darum können und müssen wir uns auf die Seite
der Vernunft, der Freiheit und der Liebe stellen - auf die Seite des Gottes,
der uns liebt, so sehr, daß er für uns gelitten hat, damit aus seinem Tod
neues, endgültiges, geheiltes Leben hervorgehen konnte. (...)“
Den vollständigen Text finden Sie auf der Internetseite des Heiligen Stuhls unter
http://www.vatican.va/latest/sub_index/latest_index_ge.htm.