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Neue Solidarität
Nr. 12, 23. März 2011

Angelides-Bericht schlägt Wellen in Italien

Italiens Finanz- und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti und die EU-Abgeordnete Cristiana Muscardini treiben die Debatte über den Untersuchungsbericht der FCIC voran.

Während das Thema anderswo weitgehend totgeschwiegen wird, haben führende italienische Politiker den Bericht der amerikanischen Untersuchungskommission zur Finanzkrise (FCIC) aufgegriffen, um eine öffentliche Debatte darüber zu erzwingen.

Finanz- und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti unterstützte den „Angelides-Bericht“ am 10. März in der meistgesehenen Talkshow des italienischen Fernsehens Anno Zero auf RAI Due. Tremonti bezog sich im Laufe der Sendung dreimal auf den Bericht: Erstens um zu sagen, daß die Gefahr der Finanzkernschmelze weiter vorhanden ist, dann um auf das Scheitern von Obamas Finanzreform hinzuweisen, und schließlich, um zu betonen, daß die Eurokrise eine Fortsetzung des Zusammenbruchs von 2007-08 ist. Tremonti ist damit nach seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble der zweite prominente Minister in Europa, der den Angelides-Report unterstützt.

„Das Volumen von Derivaten ist wieder so hoch wie 2007 vor der Finanzkrise“, sagte Tremonti. „Wer eine Vorstellung davon haben will, sollte den Bericht der Kommission an den US-Kongreß lesen, wo es heißt, daß wieder ein immanentes Klumpenrisiko besteht.“

Anhand eines Schachbretts zeigte er den Zusammenhang zwischen Derivaten und Rohstoffen auf und betonte, der Preisanstieg durch Spekulation habe die Revolten in Afrika ausgelöst, auch wenn es natürlich noch weitere Gründe gebe.

Um die Ursachen der heutigen Lage zu verstehen, müsse man mindestens 20 Jahre zurückschauen, so Tremonti weiter. Als die Staaten noch Währungssouveränität hatten, sei die Kluft zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft noch unter Kontrolle gewesen. Jetzt aber liege das Verhältnis von Finanzgeschäften zu realem Güterhandel bei 20:1, so daß viele „Unfälle“ passieren könnten.

Der Unterschied zwischen heute und der Großen Depression sei, daß damals „das Geld der Bürger benutzt wurde, um die Bürger zu retten. Das war der New Deal unter Roosevelt. Diesmal wird das Geld der Bürger benutzt, um die Banken zu retten.“

Früher oder später müßten sich diejenigen, die den „Wahnsinn der Globalisierung“ eingeleitet hätten, für ihr Tun „vor der Geschichte und den Völkern“ rechtfertigen, so Tremonti. U.a. machte er den „Dritten Weg“ von Tony Blair verantwortlich.

Nach der Lehman-Krise und der Staatsschuldenkrise komme nun das „dritte Monster“, die Spekulation mit Lebensmitteln und Erdöl, kombiniert mit „extremer Ungerechtigkeit“. Wenn Menschen und besonders junge Menschen merkten, daß ihr Leben unerträglich wird und sie im Gegensatz dazu Korruption und Überfluß in der Führungsschicht sähen, reagierten sie. „Es gibt hierfür keinen Präzedenzfall, außer vielleicht im Mittelalter“, schloß Tremonti.

Anfrage zum FCIC-Bericht im EU-Parlament

Am 23. Februar brachte die stellvertretende Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament Cristina Muscardini eine Parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission über den FCIC-Bericht, den „Angelides-Bericht“ ein. Das Dokument hat die Nummer E-002186/2011 und ist in allen Sprachen auf der Webseite des Europäischen Parlamentes veröffentlicht. Ihre Anfrage lautet:

Betrifft: US-Bericht über die Finanzkrise

Der US-Untersuchungsausschuß zur Finanzkrise (FCIC) hat seinen Bericht über die Ursachen der Finanzkrise vorgelegt, die die Finanz- und Wirtschaftswelt bis in ihre Grundfesten erschüttert, das Finanzsystem lahmgelegt und Schäden und Opfer hinterlassen hat, die noch beziffert werden müssen. Die Zahlen sind erdrückend: über 26 Millionen Arbeitslose in den USA, 4 Millionen Familien, die ihre Häuser bereits verloren haben, und über 4,5 Millionen, die sie zu verlieren drohen, 11.000 Mrd. Dollar privates Vermögen und Rentengelder von Millionen von Bürgern vernichtet. Die Krise hatte systemischen Charakter - so der Untersuchungsausschuß -, denn die Kontroll- und Regulierungsmechanismen, die Unternehmensführungs- und Risikomanagementmechanismen, die Transparenzmechanismen und die Regierung sowie ihre Korrekturmaßnahmen haben versagt.

Der Bericht kommt zu dem Schluß, daß die Finanzkrise vermeidbar war. Sie sei das Ergebnis mensch­lichen Handelns und mensch­licher Versäumnisse und nicht schlecht funktionierender Computermodelle gewesen. Man habe nicht alle Anzeichen der Krise ernst genommen: von den unvertretbaren Risiken bei Hypothekarkrediten bis zum Anstieg der Immobilienpreise, vom Verdrängungswettbewerb bei Krediten über die unkontrollierten Derivate bis hin zu den kurzfristigen Sicherungsgeschäften. Es habe eine zügellose Laissez-faire-Haltung vorgeherrscht. Sehr aufschlussreich und erschreckend sind die Schlussfolgerungen des FCIC: Zwei Jahre nach Eingreifen der Regierung gleiche das US-Finanzsystem in vielerlei Hinsicht dem, welches kurz vor der Krise existierte. Heutzutage sei es sogar noch mehr in den Händen weniger großer systemrelevanter Finanzinstitute konzentriert.

1. Hat die Kommission Kenntnis von diesem Bericht und seinen Schlussfolgerungen genommen, die von den Medien in der EU ignoriert oder unterschätzt wurden?

2. Wenn ja, wie gedenkt sie zur Reformierung des Systems beizutragen, das zwei Jahre nach den festgestellten systemischen Katastrophen dasselbe ist wie vorher?

3. Kann sie über die mit der Errichtung der drei Europäischen Finanzaufsichtsbehörden ergriffenen Maßnahmen hinaus Vorschläge unterbreiten, um eine Verstetigung des Systems mit all seinen Katastrophen­risiken, die es nachweislich birgt, zu verhindern?“

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