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Neue Solidarität
Nr. 11, 16. März 2011

Hungerkrise in Mexiko weckt den Geist von Ägypten

Auch in Mexiko gibt es inzwischen Proteste gegen die Teuerung und Verknappung von Nahrungsmitteln, denn Präsident López Portillos Politik der Nahrungsmittelsicherheit wurde schon vor fast 30 Jahren aufgegeben.

Die außergewöhnliche Frostwelle, die Anfang Februar den Südwesten der Vereinigten Staaten und Nordmexiko heimsuchte, hat in Mexiko auf etwa 600.000 Hektar die Agrarproduktion vernichtet, darunter etwa 4 Mio.t Mais, was etwa 20% der Maisernte des Landes entspricht. Am stärksten ist der Bundesstaat Sinaloa betroffen, der etwa einen Anteil von 27% an der mexikanischen Maisproduktion hat, aber auch der benachbarte Bundesstaat Sonora hat große Verluste.

Das bedeutet, daß Mexiko, um den schon jetzt viel zu geringen Verbrauch an Mais, des wichtigsten Grundnahrungsmittels der Mexikaner, aufrecht zu erhalten, seine Mais-Importe um 3 Mio.t ausweiten muß - von 8 Mio.t 2010 auf 11 Mio.t im laufenden Jahr. Aber diesen zusätzlichen Mais gibt es nicht, nicht einmal beim wichtigsten Maislieferanten Mexicos, den Vereinigten Staaten.

Bezeichnenderweise ist die von den Frösten am stärksten betroffene Region Mexikos genau diejenige, die am meisten von der Realisierung der Nordamerikanischen Wasser- und Strom-Allianz (NAWAPA) und des diese ergänzenden Wasserplans für den Nordwesten Mexikos (PLHINO) profitieren würde. Diese Projekte zur Umgestaltung der Biosphäre Nordamerikas stehen ganz im Mittelpunkt des Programms, das die LaRouche-Bewegung auf beiden Seiten der Grenze propagiert.

In intensiven politischen Debatten, die am 12. und 18. Februar in Ciudad Obregón stattfanden und an denen sich etwa ein halbes Dutzend Senatoren und Kongreßabgeordnete sowie etwa 100 Vertreter von Landwirteverbänden und politische Aktivisten beteiligten, formulierte Alberto Vizcarra, langjähriger Mitstreiter von LaRouche und Kopf des Pro-PLHINO-Komitees für das 21. Jahrhundert, worum es geht:

Die ganze Welt steckt mitten in einem Massenstreikprozeß gegen die internationale Finanzpolitik, welche die Wirtschaft zerstört und zur Verknappung und zu steigenden Preisen von Nahrungsmitteln geführt hat. Nun ist auch Mexiko, wie schon zuvor Tunesien, Ägypten und andere Länder, mit dieser Realität konfrontiert.

In den letzten 30 Jahren, seitdem José Lopéz Portillo aus dem Präsidentenamt ausschied, wurden sämtliche Maßnahmen systematisch abgebaut, die dem Schutz der Kapazitäten zur Nahrungsmittelproduktion dienten. Große Infrastrukturprojekte wie PLHINO wurden aufgegeben, wissenschaftliche Forschung und Technologien wurden ruiniert, Kredite für die Landregionen gibt es nicht mehr, Paritätspreise und Subventionen für die Technisierung der Landwirtschaft wurden gestrichen und das ganze Konzept der Nahrungsmittelsicherheit auf dem Altar der britischen Globalisierung und des Freihandels geopfert. Am schlimmsten war es, so sagte Vizcarra, daß das Konzept der physischen Ökonomie aufgegeben wurde zugunsten des monetaristischen Dogmas: Das Ziel der Wasserversorgung war es nicht mehr, die Erzeugung von Nahrungsmitteln zu ermöglichen, sondern nur noch, finanzielle Gewinne zu machen.

Unter der offiziellen Nationalen Wasser-Kommission (Conagua) - die heute von Bundesgenossen des von Prinz Philip gegründeten, menschenfeindlichen World Wildlife Fund geleitet wird - habe diese kriminelle Idee die nationale Politik bestimmt. PLHINO wurde mit dem krankhaften Argument sabotiert, ein Kubikmeter Wasser sei profitabler, wenn man ihn im Schwimmbecken eines Hotels nutze, statt zur Bewässerung eines Mais- oder Weizenfeldes.

„Das war genau die gleiche Politik, die auch in Ägypten verfolgt wurde“, ermahnte Vizcarra die Teilnehmer der Veranstaltungen. Ein Land, das einst zu den großen Getreideproduzenten gehörte und sogar Getreide exportierte, sei - wie Mexiko - in Nahrungsmittelverknappung und Chaos gestürzt worden. „Mexiko folgt dem gleichen Weg“, sagte er, „indem es die Zersetzung der Grundkonzepte zuläßt, welche die unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Existenz eines jeden Landes sind. Die idiotische Politik, die wir verfolgen, daß es billiger sei, Nahrungsmittel zu importieren, als sie in unserem Land zu produzieren, zwingt nun alle, die diese Ansicht teilen, dazu, Geld zu essen, denn die Nahrungsmittel gehen uns aus. Wir sollten uns genau anschauen, was bei denen hinten rauskommt“, so schloß Vizcarra unter dem Gelächter der Gäste.

Der Geist Ägyptens war auch präsent, als der Abgeordnete Francisco Rojas - der einflußreiche Fraktionschef der PRI im mexikanischen Kongreß - am 22. Februar in einem  Kommentar in der Tageszeitung El Universal, der mit ungewöhnlich scharfen Worten formuliert war,  eine öffentliche Kehrtwende vollzog. Unter der Überschrift „Nahrungsmittel-Notstand“ verurteilte der Artikel die Spekulation auf dem Weltmarkt als eine der Hauptursachen der Inflation bei Nahrungsmitteln und warnte, daß den Mexikanern „unmittelbar Verknappungen und Hunger drohen“.

Rojas schrieb, Mexiko sollte die Lehren aus Ägypten ziehen, „wo Arbeitslosigkeit, zusammen mit hohen Preisen und Nahrungsmittelverknappungen, zu den jüngsten sozialen Unruhen beigetragen haben“. Mexiko habe einen schrecklichen Fehler gemacht, als es seine historische Politik der Nahrungsmittelsicherheit aufgab. „Mexiko importiert mehr als 40% seines Verbrauchs an Nahrungsmitteln, denn die Nahrungsmittelsicherheit des Landes wurde der Gnade des Weltmarkts ausgeliefert, der oft günstigere Preise bot.“ Rojas schließt: „Nahrungsmittelabhängigkeit ist reiner Selbstmord.“

Lopéz Portillos Nahrungsmittelpolitik

Die Versorgungssicherheit bei Nahrungsmitteln oder „Nahrungs-Souveränität“ war eines der Kennzeichen der Politik von Präsident José Lopéz Portillo, auch wenn Rojas ihn nicht namentlich nennt. 1980 startete Lopéz Portillo, der während seiner Präsidentschaft mit dem amerikanischen Ökonomen Lyndon LaRouche zusammenarbeitete, das „Mexikanische Nahrungssystem“ (SAM), dessen Grundprinzipien er in einem Dokument vom 1. März 1980 darlegte:

„Es wurde festgestellt, daß die Selbstversorgung bei Mais und Bohnen bis 1982 erzielt werden kann, und durch die Erschließung neuer Anbauflächen feste Schritte unternommen werden können, um dies auch für die anderen Grundnahrungsmittel zu erreichen, bei denen es jetzt noch Defizite gibt“, heißt es darin. Dies sollte geschehen durch die Förderung des Einsatzes anderer Techniken, die Einführung von Paritätspreisen und andere dirigistische Maßnahmen: „Wir müssen den technologischen Wandel auf der Ebene der Farmen durch Materialeinsatz, Forschung und Ausweitungsprogramme unterstützen, sodaß die Produktivität des Landes schnell steigen wird... Dies sind die Gebiete, in denen eine Förderung des Materialeinsatzes (vor allem von Düngemitteln) den technologischen Wandel fördern wird.“

Schon im Juni 2008 schrieb EIR: „Hätte Mexiko in den letzten 25 Jahren an der Politik von Lopéz Portillo festgehalten, wäre es ein anderes Land. Die Mais-Produktion würde heute 34 Mio. t überschreiten, statt der 2006 erzeugten 19,5 Mio. t. Das Land könnte sich nicht nur selbst mit Mais versorgen, sondern der Pro-Kopf-Verbrauch wäre um 30% höher als heute. Es würden 3 Mio. t Bohnen erzeugt, fast dreimal soviel wie heute, und das würde auch für den Pro-Kopf-Verbrauch gelten.“

Stattdessen zwangen die britisch-imperialen Bankiers nach dem Ende der Amtszeit Lopez Portillos 1982 Mexiko ihre diktatorische Politik auf, und die Produktion von Mais, Weizen, Bohnen, Reis und anderen Grundnahrungsmitteln ging immer weiter zurück. So sank beispielsweise der Pro-Kopf-Verbrauch von Mais seit 1982 um 15%, und die Bohnen-Produktion fiel um 51%, sodaß das Land jetzt anfällig ist für solche Naturkatastrophen wie die jüngste Frostwelle.

Heute leben 47% aller Mexikaner - etwa 50 der 110 Millionen - an oder unter der Armutsgrenze, 18% leben in extremer Armut, d.h., sie hungern regelmäßig. Der Chef des Nationalen Bauern-Verbandes (CNC), Gerardo Sánchez García, berichtete am 8. Februar, der Preis des Grundwarenkorbs sei im letzten Jahrzehnt um 70% angestiegen, während die Löhne im gleichen Zeitraum um 26% gesunken seien.

2011 hat sich dieser hyperinflationäre Kollaps beschleunigt, sodaß die Nahrungsmittelpreise in Mexiko im Januar um 4,5% angestiegen sind. Der Preis von Limetten, einem wichtigen Nahrungsmittel in Mexiko, stieg sogar um 218%. Diese Zuspitzung der Krise stelle eine gefährliche Bedrohung für die soziale Stabilität Mexikos dar, warnte Sánchez, und er fragte, warum Präsident Felipe Calderón keine Schritte unternommen habe, um „Nahrungsmittel-Unruhen“ zu verhindern.

Auch wenn Mexiko bisher noch keine Proteste im Stil der Kairoer Revolution erlebt hat, brodelt es jedoch in der Bevölkerung, und die Stimmung könnte jederzeit überkochen. Am 31. Januar gab es in Mexiko City einen großen Protestmarsch gegen Calderóns Wirtschaftspolitik. An diesem Marsch auf den Zócalo, den wichtigsten Platz in der Hauptstadt, nahmen Zehntausende von Bauern, Landarbeitern und städtischen Arbeitern teil, die gegen die hohen Nahrungsmittelpreise und die Knappheit der Grundnahrungsmittel protestierten. Agustín Rodríguez, der Generalsekretär der Gewerkschaft der Beschäftigten der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM) - der bereits an einem Internetforum mit Lyndon LaRouche teilgenommen hat - sprach bei dieser Kundgebung und verlangte, die Regierung müsse das Recht der Bevölkerung auf Nahrung und eine bedarfsdeckende, ausreichende Nahrungsmittelproduktion garantieren.

Dennis Small

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