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Nahrungsmittelkrise. In den letzten Jahrzehnten ist durch die Globalisierung ein Kartell von Nahrungsmittel- und Rohstoffkonzernen entstanden, die den Weltmarkt beherrschen und die Nationen abhängig machen von Importen.
Neben der Hyperspekulation mit Nahrungsmitteln und ähnlichen Gütern, die sofort gestoppt werden muß, gibt es einen weiteren, damit zusammenhängenden Aspekt der Nahrungsmittelkrise: die inzwischen extreme Globalisierung der weltweiten Nahrungsmittelversorgung. Dies kam zustande durch die Herrschaft eines Rohstoff- und Logistik-Kartells, das sich über die nationalen Regierungen und die Interessen der Bevölkerung hinwegsetzt. Nationen wurden gezwungen, sich von Nahrungsmittellieferanten abhängig zu machen, die Hunderte oder Tausende von Kilometern entfernt sind, und inzwischen sind manche Nahrungsmittel überhaupt nicht mehr zu bekommen. Der durch dieses System bewirkte Völkermord ist keine Nebenwirkung, sondern Absicht.
Regierungen und Finanziers, darunter an prominenter Stelle der Vorsitzende der Federal Reserve, Ben Bernanke, sind berüchtigt dafür, daß sie behaupten, der gegenwärtige Höhenflug der Nahrungsmittelpreise und die zunehmende Knappheit seien lediglich die Folge „steigender Nachfrage“, d.h., der „Kräfte des Marktes“. Aber das ist eine böswillige Lüge.
Wer sind „die Märkte“? Wenn heute die Rede von „den Märkten“ ist, dann sind damit die Aktivitäten und Praktiken der Nahrungsmittekartelle gemeint. Diese Unternehmen sind sozusagen der fürs „Reelle“ zuständige Arm der Finanzinteressen, die man am besten als das neobritische Empire bezeichnet.
Wenn sich das wie eine Neuauflage der Britischen Ostindiengesellschaft anhört, die zu ihrer Zeit die Bedingungen und die Preise im Handel mit Reis, Indigo, Baumwolle, Tee, Opium und anderen Gütern diktierte, dann ist das kein Zufall. Neben riesigen Gewinnen produzieren die Praktiken der heutigen Nahrungsmittelkartelle einen Völkermord. Auf allen Kontinenten wurde das Produktionspotential untergraben, indem nationale Projekte zur Entwicklung der Wasser- und Stromversorgung sowie der Agrarindustrie vorsätzlich vereitelt wurden - bis an den Punkt, wo heute Massenhunger vorherrscht.
Im folgenden geben wir einen Überblick über einige Aspekte, die das Ausmaß der Kontrolle und Zerstörung der heutigen Nahrungsmittelversorgung der Welt durch die Kartelle zeigen.
Getreide. Von insgesamt 2182 Mio.t Getreide, die weltweit erzeugt werden, gelangen rund 272 Mio.t in den internationalen Handel, der zu 80% von einigen wenigen Firmen - vor allem Cargill, ADM, Bunge und Louis Dreyfus - beherrscht wird.
Mehrere dieser Firmen beherrschen auch die Verarbeitung von Getreide und sind stark engagiert im Biotreibstoff-Sektor. So stehen beispielsweise ADM und Cargill an vorderster Front bei der Verarbeitung von Mais zu Öl, HFCS (Süßstoff) und Mais-Äthanol.
In den USA - dem weltgrößten Maisproduzenten der Welt - werden inzwischen fast 40% der Maisernte zu Äthanol verarbeitet, anstatt in die Nahrungsmittelkette zu gelangen. Genau das ist die Politik von Cargill, ADM und der Londoner City.
Die Erträge und Gewinne wuchsen in den letzten Monaten bei all diesen Firmen um 20%, während sich die Verknappungen und der Hunger verschlimmern.
Saatgut. Durch die unrechtmäßige Zuerkennung von Patenten auf Saatgut und Biotechnologien übt eine kleine Gruppe von Agrarchemie-Konzernen, darunter Monsanto/Cargill, DuPont, BayerCropScience und Syngenta, eine äußerst starke Kontrolle über die Saatgut-Versorgung aus.
Fleisch. Einige wenige Megakonzerne beherrschen inzwischen weltweit große Marktanteile in der Fleischverarbeitung, sowohl für den Export als auch für den einheimischen Handel. So beherrschen beispielsweise ganze vier Konzerne praktisch die gesamte Fleischverarbeitung in den USA: JBS, Tyson, Smithfield und Cargill.
Milchprodukte. Die wichtigsten Namen im weltweiten Milchproduktekartell sind Nestlé (Schweiz), Dean Foods (USA), Danone (Frankreich), Fonterra (Neu-Seeland/Britischer Commonwealth), Unilever (Großbritannien und Niederlande) und Lactalis (Frankreich).
Spezialprodukte. Die Produktion und Verschiffung einer ganzen Reihe von Früchten, Gemüsesorten, Nüssen und anderen Spezialprodukten aller Art werden immer mehr von mit den Kartellen verbundenen Warenhandelsnetzwerken in sogenannten „Wertschöpfungsketten“ („value chains“) organisiert. Beispielhaft hierfür sind Früchte und Gemüse der gemäßigten Zone (wie Zwiebeln oder Schoten), die aus Afrika nach Europa und aus Mittel- und Südamerika in die USA geliefert werden. 1990 exportierte Ägypten 60.000 t Zwiebeln, 2005 waren es bereits 270.000 t.
Auch bei anderen, noch spezialisierteren Produkten wie Nüssen oder Gewürzen ist die Marktbeherrschung dramatisch. Olam International, 1989 gegründet und heute ansässig in Singapur und London (zu 14% im Besitz von Temasek, der Staatsholding von Singapur), ist der weltgrößte „Verwalter der Lieferungskette“ für Sesam, Cashew und Kakao-Bohnen. Die Firma arbeitet in 60 Nationen mit 20 verschiedenen Produkten und 13.000 Beschäftigten. Erst vor kurzem kaufte Olam den größten Erdnuß-Produzenten der Welt, Universal Blanchers LLC (USA), in dem Versuch, die Herrschaft über den globalen Erdnuß-Handel zu gewinnen.
Schon ein einziges Beispiel - Haiti - zeigt die Wirkung der öffentlich-privaten „Wertschöpfungsketten“, die den Bauern als angebliche Wohltat aufgezwungen werden. Im vergangenen Oktober wurde in Haiti als Gemeinschaftsunternehmen mit Coca-Cola ein Projekt zur Produktion von Mangos für den Export gestartet, das vom Entwicklungsdienst der US-Regierung (USAID) gefördert wurde. In der gleichen Woche brach dort die Cholera aus. Das ist es, worauf die Globalisierung hinausläuft.
Die kombinierte Wirkung all dessen sieht man an der Tatsache, daß die weltweite Produktion der wichtigsten Getreidearten - Reis, Weizen und Mais - heute nur halb so groß ist wie es notwendig wäre, um den direkten und indirekten Verbrauch als Nahrungsmittel und als Viehfutter zur Fleischerzeugung auf das Niveau anzuheben, das für eine angemessene Ernährung aller Menschen notwendig wäre. Ähnliches gilt für Obst, Gemüse und Ölsaaten. Gleichzeitig leiden riesige Agrarflächen unter einer fortschreitenden Verschlechterung der Böden und des Wasserangebots.
Nichts von alledem ist „natürlich“. Es ist die Folge einer faktischen Fortsetzung der Agrarpolitik der Britischen Ostindiengesellschaft.
Der Ausweg liegt darin, diese Politik zu beenden und stattdessen endlich die längst überfälligen großen Entwicklungsprojekte in Gang zu setzen. Als Sofortmaßnahmen müssen Obergrenzen für die Nahrungsmittelpreise durchgesetzt werden. Gleichzeitig müssen die Nationen zusammenarbeiten, um ein neues Kreditsystem zu schaffen, das Präsident Franklin Roosevelts Glass-Steagall-Gesetz von 1933 entspricht, um das tote monetaristische Regime zu ersetzen, das jetzt die Nationen und die Menschen umbringt.
Dann können die notwendigen Mittel in solche kontinentalen Projekte fließen, für die die Nordamerikanische Wasser- und Strom-Allianz (NAWAPA) das beste Beispiel ist.
Marcia Merry Baker