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Neue Solidarität
Nr. 1, 5. Januar 2011

Operation „Nie wieder Euthanasie!“

Mit der Bitte um weitmöglichste Verbreitung

Von Helga Zepp-LaRouche

Als 1945 das ganze Ausmaß der Verbrechen der Nationalsozialisten deutlich wurde, äußerte sich  das Entsetzen in der ganzen Welt und in Deutschland in dem Satz, der zugleich eine heilige Verpflichtung sein sollte: Nie wieder Euthanasie! Nur 65 Jahre später sind wir heute wieder mit einer potentiell gleichen Politik konfrontiert, die von einer klammheimlichen Rationierung bei der medizinischen Versorgung zu einer offenen „Regelung“ übergeht, bestimmte Kategorien von Patienten schon lange nicht mehr gut und nun nicht einmal mehr ausreichend zu versorgen.

Als ein Dammbruch muß die jüngste Ankündigung des Präsidenten der Bundesärztekammer, Professor Jörg-Dietrich Hoppe angesehen werden, der mitteilte, die deutsche Ärzteschaft werde ihr Berufsrecht beim Thema Sterbehilfe auf Grund einer geänderten Stimmung unter den Ärzten ändern. Daß die Beihilfe zum Suizid nach dem ärztlichen Standesrecht als unethisch verboten sei, während sie nach dem Strafrecht nicht verfolgt werde, daran könne nicht länger festgehalten werden.

Diese Aussage Professor Hoppes kommt nur wenige Tage, bevor der von Präsident Obama eingesetzte Direktor des Zentrums für Medicare- und  Medicaid-Dienste, Dr. Donald Berwick, am 1. Januar eine neue Regelung einführt, die ab sofort Ärzte in den USA finanziell belohnt, wenn sie möglichst viele Patienten unter dem Vorwand  einer „Planung für das Lebensende“ überreden können, im Notfall auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten. Genau diese Regelung war 2009 vom amerikanischen Kongreß, also dem gesetzgebenden Regierungszweig, während der Debatte über das Gesundheitsgesetz explitzit abgelehnt worden, nachdem Lyndon LaRouche darauf hingewiesen hatte, daß sich diese Politik in der Tradition der „Tiergarten-4“-Richtlinien Hitlers von 1939 befinden. Was nun in neuem Gewand als „Regelung“ daher kommt - also unter Umgehung des Kongresses -, wird unter Bedingungen brutalster Sparpolitik in Kombination mit dem bereits als „Todesrat“ bekannten „Independant Payment Advisory Board“ einen tödlichen Mechanismus schaffen, der den Wert des menschlichen Lebens der Kostenfrage unterwirft.

Es gibt keinen Zweifel daran, daß Professor Hoppe sich ebenso über die menschenverachtende Gesundheitspolitik in Großbritannien und den USA im Klaren ist, wie er auch den Zusammenhang mit den gigantischen Rettungpaketen für Banken, die sich verzockt haben, und der Abwälzung dieser Kosten auf den Lebensstandard der Bevölkerung sieht. Man kann nur ahnen, welcher Druck auf ihn ausgeübt wurde: Noch beim 33. Deutschen Ärztetag im Mai 2009 in Mainz hatte er in einer dramatischen Eröffnungsrede gefordert, daß es eine öffentliche Debatte darüber geben müsse, daß es in Deutschland bereits eine heimliche Rationierung im Gesundheitswesen gebe und die Politik die Entscheidung treffen müsse, entweder „die Finanzaustattung des Gesundheitswesens in der gesetzlichen Krankenkasse zu verbessern, oder transparent und öffentlich die fachmännisch beratene Priorisierung als Lösungsoption zu akzeptieren“.

Zuvor hatte der 66. Deutsche Juristentag die Position bezogen, die Mitwirkung des Arztes beim Tod sei nicht nur strafrechtlich zulässig, sondern sogar eine ethisch vertretbare Form der Sterbebegleitung. Hoppe hatte damals dazu erklärt, dies widerspreche zutiefst dem Geist und Inhalt des ärztlichen Auftrags: „Um es klar und deutlich zu sagen: Assistierter Suizid ist keine ärztliche Aufgabe, und darf es auch niemals werden, liebe Kolleginnen und Kollegen!“

Im August 2010 veröffentlichte dann das Allensbacher Institut eine Umfrage, wonach sich ein Drittel der befragten Ärzte für den ärztlich assistierten Suizid ausgesprochen hätte. Und nun, nachdem nicht der geringste Zweifel mehr daran bestehen kann, daß die Regierungen der USA und Europas sowie die EU-Kommission entschlossen sind, die durch die gigantischen Rettungspakete für die Banken entstandene Staatsverschuldung mit drakonischen Kürzungen u.a. im Gesundheitswesen zu reduzieren, will Hoppe die Standesethik der Ärzte „liberalisieren“ und dies zum Thema beim kommenden 34. Ärztetag machen!

Die Verfasserin führte mit Professor Hoppe während des 33. Ärztetages in Mainz ein Interview zu diesem Themenkomplex, das in der Neuen Solidarität 22/2009 veröffentlicht wurde (siehe http://www.solidaritaet.com/neuesol/2009abo/22/hoppe.htm). Darin wurde auch die folgende Frage gestellt:

Frage: Besteht nicht die Gefahr, daß, wenn die Finanz- und Wirtschaftskrise massiv weiter zunimmt, eine Art Triage oder Rationierung im Gesundheitswesen notwendigerweise aus Kostengründen wieder zu Euthanasiepraktiken führen wird - wie bei den Nazis? In Amerika und auch in Großbritannien wird ganz offen über den „assisted suicide“ diskutiert und der Obama-Berater Ezekiel Emanuel hat geschrieben, wieviel man sparen könnte, wenn man den Ärzten die aktive Sterbehilfe erlaubt. Ich finde das ungeheuerlich!

Hoppe: Ja, das ist es auch. Deswegen habe ich auch das Thema in der Eröffnungsrede ganz klar benannt; der Ärztetag hat dem zugestimmt, und wir werden zu diesem Thema auch noch einen Beschluß fassen. Ich glaube, da wird der Ärztetag auf gar keinen Fall locker lassen, sondern die Position verteidigen, die wir eingenommen haben. An unseren Nachbarländern, eines im Norden, eines im Westen, eines im Süden, haben wir Beispiele, an denen wir uns orientieren können, wie wir es nicht machen sollten.“

Was also hat dazu geführt, daß der Präsident der Ärztekammer in diesem Punkt, für den wir gerade in Deutschland für immer und alle Zeiten unsere Lektion gelernt haben sollten, so unglaublich eingeknickt ist?

Dr. Leo Alexander, einer der Ankläger beim Strafverfahren gegen 16 Nationalsozialisten, die sich in Nürnberg wegen ihrer führenden Rolle in der Hitler-Ära bei der Massenvernichtung der von ihnen als „nutzlose Esser“ betrachteten Menschen verantworten mußten, wies 1949, nur drei Jahre nach dem Gerichtsprozeß, auf den Kern des „philosophischen Prinzips“ hin, das zu diesen schrecklichen Taten geführt hatte. Er bezeichnete es als „rationale Nützlichkeit“, eine Hegelsche und Benthamsche Doktrin, die dazu führte, daß immer größere Bevölkerungsgruppen wie Vieh behandelt und getötet wurden, weil sie der Gesellschaft angeblich zu viele Ressourcen entzogen oder auf andere Weise unerwünscht waren. Hunderttausende deutscher Bürger, ganz zu schweigen von Millionen ausländischer Staatsbürger, wurden aufgrund dieses „Prinzips“ in den Tod geschickt.

Dieser Glaube an den Utilitarismus -  viele würden es vielleicht als „Pragmatismus“ bezeichnen - hat sich in den letzten Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten  und Europa eingeschlichen und spielt nun in der Gesundheitspolitik  entscheidende Rolle. Dr. Alexander warnte auch vor der Gefährlichkeit der „schiefen Ebene“, auf der es kein Halten mehr gibt, wenn sie erst einmal betreten ist. Er schrieb:

„Welche Ausmaße die [Nazi-]Verbrechen schließlich auch immer angenommen haben, es wurde allen, die sie untersucht haben, deutlich, daß sie aus kleinen Anfängen erwuchsen. Am Anfang standen zunächst nur feine Akzentverschiebungen in der Grundhaltung der Ärzte. Es begann mit der Auffassung - die in der Euthanasiebewegung grundlegend ist - daß es so etwas wie Leben gebe, das nicht lebenswert sei. Im Frühstadium traf das nur die schwer und chronisch Kranken. Nach und nach wurden zu dieser Kategorie auch die sozial unproduktiven, die ideologisch Unerwünschten, die rassisch Unerwünschten und schließlich alle Nicht-Deutschen gerechnet. Entscheidend ist freilich, sich klar zu machen, daß die Haltung gegenüber den unheilbar Kranken der unendlich kleine Auslöser für einen totalen Gesinnungswandel war. Diese subtile Änderung in der Haltung der Ärzte ist es also, die man am gründlichsten untersuchen muß.“

In seinem Artikel von 1949, in dem er den Weg in den medizinischen Massenmord der Nazis analysierte, fand Dr. Alexander zahlreiche Warnsignale, daß auch amerikanische Ärzte von dieser  „Hegelschen, kaltblütigen, utilitaristischen Ideologie“ infiziert seien, die man zurecht als Naziideologie bezeichnen kann. Er bemerkte: „Ärzte haben sich in gefährlicher Weise der Einstellung  bloßer Heilungstechniker genähert.“ Die im wesentlichen Hegelsche, rationale Haltung führte sie dazu, bestimmte Unterscheidungen bei der Behandlung akuter und chronischer Krankheiten zu treffen. Patienten mit letzteren trügen das offensichtliche Stigma einer Person, die kaum wieder einen vollen Nutzen für die Gesellschaft erreichen würden. In einer mehr und mehr utilitaristischen Gesellschaft betrachte man diese Patienten mit zunehmender Entschiedenheit von oben herab und als unerwünschten Ballast...

Es muß Anlaß zu höchstem Alarm geben, daß wir heute angesichts einer die Depression der dreißiger Jahre bei weitem in den Schatten stellenden beispielosen Zusammenbruchskrise des globalen Finanzsystems schon ein ganz beachtliches Stück auf der „schiefen Ebene“ herab gerutscht sind. Wir müssen es mit aller Klarheit feststellen: die transatlantische Welt ist von einem neuen Faschismus bedroht.

Es gibt einen Ausweg, und zwar das Paket von Maßnahmen, das Lyndon LaRouche seit geraumer Zeit vorgeschlagen hat. Dazu gehört zuallererst die Amtsenthebung von Präsident Obama nach dem 25. Verfassungszusatz, und zwar vor allem, weil das sogenannte „Obamacare“ gegen die amerikanische Verfassung verstößt. Dem muß die sofortige Wiedereinführung des Glass-Steagall Standards, also eines Trennbankensystems folgen, mit dem der Giftmüll der verzockten Finanztitel beseitigt wird, und dann muß in der Tradition FDRs und des New Deal das wirtschaftliche Rekonstruktionsprogramm NAWAPA für die USA, und ähnliche Programme für Eurasien, Afrika und Lateinamerika realisiert werden.

Wenn wir die Realwirtschaft wieder in den Vordergrund stellen, und damit den kreativen Menschen als wesentliche Quelle des gesellschaftlichen Reichtums, dann haben wir nicht nur wieder ein Menschenbild, dass uns vor dem utilitaristischen Denken bewahrt, sondern wir werden uns auch wieder ein gutes Gesundheitswesen leisten können, so wie dies in Amerika mit Hill Burton und in Deutschland in der Zeit vor den Gesundheitsreformen von Ehrenberg, Geißler, Blüm, Seehofer, Schmid, Lauterbach und Rösler der Fall war.

Es hat sich nicht das geringste an dem Standpunkt geändert, den der geniale Leibarzt Goethes und Schillers, der Arzt Christoph-Wilhelm Hufeland, eingenommen hat, der vor 200 Jahren mahnte:

„Wenn ein Kranker von unheilbaren Übeln gepeinigt wird, wenn er sich selbst den Tod wünscht, wenn Schwangerschaft Krankheit und Lebensgefahr erzeugt, wie leicht kann da selbst in der Seele des Besseren der Gedanke aufsteigen: Sollte es nicht erlaubt, ja sogar Pflicht sein, jenen Elenden etwas früher von seiner Bürde zu befreien oder das Leben der Frucht dem Wohle der Mutter zu opfern?

So viel scheinbar Gutes ein solches Räsonnement für sich hat, so sehr es selbst durch die Stimme des Herzens unterstützt werden kann, so ist es doch falsch; und eine darauf gegründete Handlungsweise würde im höchsten Grade Unrecht und strafbar sein. Sie hebt geradezu das Wesen des Arztes auf. Er soll und darf nichts anderes tun als Leben erhalten - ob es ein Glück oder ein Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, das geht ihn nichts an. Und maßt er sich einmal an, diese Rücksichtnahme in seinem Berufe aufzugeben, so sind die Folgen unabsehbar und der Arzt wird zum gefährlichsten Menschen im Staate!“

Alle Ärzte und andere im Gesundheitswesen Beschäftigte, aber auch alle anderen Bürger, die sich dem Grundsatz: „Nie wieder Euthanasie“ verpflichtet fühlen, sind aufgerufen dafür zu sorgen, daß die von Professor Hoppe angekündigte „Liberalisierung“ der Berufsethik der Ärzte als das zurückgewiesen wird, was sie in Wirklichkeit ist.

 


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