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Neue Solidarität
Nr. 6, 10. Februar 2010

Tremonti: Geithner war gegen ein Neues Bretton Woods

In einem Interview mit der italienischen Finanzzeitung Il Sole 24 Ore enthüllte der italienische Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti am 17. Januar, daß sein US-Kollege Tim Geithner einen Vorschlag für ein neues Bretton-Woods-Abkommen zurückgewiesen hat, weil daran die „Parlamente“ beteiligt wären. Tremonti nannte Geithner nicht namentlich, aber sein Interviewpartner tat es. Tremonti sagte: „Wenn ein wichtiger Politiker sagt, er sei gegen einen ,Vertrag’, weil der einen langen parlamentarischen Prozeß durchlaufen müsse, dann ist er völlig anderer Ansicht als ich.“

Beim Ausbruch der Krise, so der Minister, „stießen zwei Vorstellungen aufeinander: die politische Idee eines Neuen Bretton Woods und rechtlicher Normen, und im Gegensatz dazu die technische Idee der Foren und Beiräte“ - gemeint ist das Globale Stabilitätsforum (GSF), das zum Globalen Stabilitätsrat (GSB) umgewandelt wurde. „Bisher wird die Bühne von letzteren Instrumenten beherrscht: von den Regulierten, die Aufsichtsbehörde spielten, und von Regierungen, die noch keine Politik machen konnten. Es wurden Produkte von zweifelhafter Nützlichkeit geschaffen, eine Medizin, deren Haltbarkeit auslief, bevor sie erprobt wurde. Was in Italien als persönliche Polemik [zwischen Tremonti und dem GSB-Vorsitzenden Mario Draghi] dargestellt wurde, war und ist die Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Weltanschauungen, zweier sehr verschiedener Ideen, ,was zu tun ist’.“

Auf die Frage, ob die Bankenrettungspakete richtig waren, antwortete Tremonti: „Die Geschichte wird es uns sagen... Eine Alternative war sicherlich ein Insolvenzverfahren: den Teil der Finanzen zu retten, der mit der realen Wirtschaft, den Wirtschaftsunternehmen und Familienhaushalten verbunden ist, und die verrotteten Werte verrotten zu lassen. Offen gesagt, ich habe gedacht und geschrieben, daß man über diese Hypothese diskutieren sollte.“

Tremonti verteidigte auch die Entscheidung seiner Regierung, „sozialen Kahlschlag durch die Beschneidung der Krankenversorgung zu verhindern“, und forderte Europa auf, die fehlgeschlagene Lissaboner Agenda nicht wieder aufzugreifen. Besser wäre ein Ansatz wie bei Euratom - dem Abkommen von 1957 zwischen Frankreich, Deutschland, Italien und den Benelux-Staaten zur gemeinsamen Entwicklung der Kernenergie, in dem sich die industriefreundliche Haltung der europäischen Nationen vor der Gründung der Europäischen Kommission widerspiegelte.

Minister Geithners schlechtes Verhältnis zu „Parlamenten“ wurde sichtbar, als er am 27. Januar vor dem Regierungsreformausschuß des US-Kongresses über seine Verwicklung in die Rettung des Versicherungskonzerns AIG aussagen mußte. Der Artikel „Geithner und Bernanke im AIG-Skandal bloßgestellt“ in dieser Ausgabe geht darauf genauer ein (siehe S. 1).