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In China wird ein Projekt diskutiert, Wasser aus dem Bohai-Meer über mehrere Tausend Kilometer in den trockenen Westen Chinas zu bringen, um dort das Klima zu verändern und die Wüsten zu begrünen.
Mehrere hundert Experten trafen sich am 5. November im chinesischen Ürümqi zu Gesprächen über ein Projekt, Wasser vom Bohai-Meer in der nordostchinesischen Provinz Liaoning in die Trockengebiete von Gansu und Xinjiang im Nordwesten zu leiten. Die Konferenz trug den Titel „Meerwasser nach Westen transportieren - Bohai nach Xinjiang bringen“ und wurde mit Unterstützung zweier regionaler Planungskommissionen von der Universität Xinjiang veranstaltet.
Die sehr unterschiedliche Verfügbarkeit von Wasser ist für Chinas langfristige Entwicklung eines der größten Hindernisse. Ein Teil des Landes nutzt den riesigen, aber lange Zeit unberechenbaren Jangtsekiang, der nach der erfolgreichen Inbetriebnahme des Drei-Schluchten-Damms (größtenteils 2008 fertiggestellt) endlich besser unter Kontrolle gebracht ist. China verfügt auch über 17.000 km Küstenlinie, wo ein Großteil der rasanten Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte stattgefunden hat. Aber im Westen und Norden des Landes ist Wasser ein seltenes und kostbares Gut.
Und dieses Problem verschlimmert sich zusehends. Ein großer Teil der chinesischen Landfläche ist Wüste, genau gesagt 27%, das sind 2,5 Mio. km2 (auf nur 7% der Fläche Chinas wird fast ein Viertel der Weltbevölkerung ernährt). Nach offiziellen Angaben werden jedes Jahr 6457 km2 Land zu Wüste, und 800 km Eisenbahnstrecke sowie tausende Straßenkilometer werden durch Sand blockiert. In Jahreszeiten mit starkem Wind bilden sich gerade einmal 100 km westlich von Beijing Sanddünen, die für die Bewohner der Hauptstadt zu einer Belastung werden. Einige Forscher meinen sogar, wenn es so weitergeht, könnte Beijing in wenigen Jahre unter Sand begraben sein.
Die Chinesen sind seit Jahrtausenden Meister der Bewässerung, sie haben schon immer das Wasser dorthin gebracht, wo es gebraucht wird. Der berühmte Dujiangyan-Kanal aus dem Jahr 256 v.Chr. war ein herausragendes Beispiel chinesischer Wasserwirtschaft und dient noch heute als zentrale Ader für die Bewässerung in der fruchtbaren Provinz Sichuan.
China macht bereits Fortschritte mit einem großen Wasserumleitungsprojekt, genannt „Wasser vom Süden in den Norden“, das Wasser des Jangtsekiang nach Norden in die stetig wachsende Metropole Beijing und das nahegelegene Tianjin (Tientsin) leiten und in dem Wüstengebiet westlich der Hauptstadt zur Bewässerung dienen wird.
Seit einigen Jahren gibt es nun auch den Vorschlag, Wasser vom Bohai-Meer nach Xinjiang zu leiten, und darüber wurde auf der Konferenz in Ürümqi heftig diskutiert.
Eine Variante dieses Planes sieht vor, mit Bohai-Meerwasser die seit langem ausgetrockneten Seen, Flüsse und Kanäle in den Provinzen Xinjiang und Gansu wieder aufzufüllen. Mit dem Wasser könnte man dann Wüstenpflanzen wachsen lassen, und wenn das Wasser der erneuerten Seen zu verdampfen beginnt, wird das die Wolkenbildung anregen und die Niederschläge vermehren - die gesamte Biosphäre der Region erhielte so einen ganz anderen Charakter. Dieser Plan „Bohai-Wasser nach Westen“ ist zwar bei weitem nicht so ehrgeizig wie das Wasser- und Stromprojekt NAWAPA in Nordamerika, für das sich die LaRouche-Bewegung einsetzt, er beruht jedoch auf sehr ähnlichen grundsätzlichen Überlegungen.
Die geistigen Väter des Projekts sind Prof. Huo Youguang von der Kommunikations-Universität Xi’an (Provinz Shaanxi) und der Direktor der Chinesischen Geophysikalischen Gesellschaft, Prof. Chen Changli. Beide kamen unabhängig voneinander auf die Idee und beide haben etwas unterschiedliche Vorstellungen über den Kanalverlauf, aber der Grundgedanke, Wasser von Bohai ins Wüstengebiet von Xinjiang zu bringen, ist der gleiche.
Prof. Huo Youguang hat kürzlich gegenüber der Zeitschrift China Economic Weekly erläutert, wie er auf den Gedanken gekommen war. Er saß im Bahnhof Beijing-West und starrte auf die große Landkarte Chinas an der Wand - und plötzlich war die Idee da! Er sah die acht großen Wüsten im Westen, darunter Taklamakan und Gobi, und im Osten die Bucht von Bohai. Er fuhr mit dem Finger auf der Karte die Entfernung entlang. Es ist nicht so furchtbar weit, dachte er bei sich.
Huo kennt die Gebiete sehr gut, weil er sie als geologischer Ingenieur ausgiebig bereist hat. Er weiß, wie wertvoll Wasser dort ist: Manchmal mußte er die Tasse Wasser, die er morgens zum Zähneputzen verwendet hatte, abends dann zum Waschen benutzen. Er dachte insbesondere daran, die vorhandenen Seen und den weitgehend ausgetrockneten Lauf des Shule in Gansu - einen der wenigen nach Westen fließenden Flüsse Chinas - für den Transport des Wassers nach Xinjiang zu benutzen. Er hat seine Vorschläge 1997 in seinem Buch Lösungen für Chinas Wasserpolitik und in zahlreichen Aufsätzen formuliert.
Etwa zur gleichen Zeit begann Prof. Chen Changli sich für ein ähnliches Vorhaben einzusetzen und veröffentlichte 1999-2004 dazu etliche Schriften. Chen ist Mitglied des Politischen Beratungskomitees des chinesischen Volkes, dem wichtigsten Beratergremium für den Gesetzgeber, den Nationalen Volkskongreß, und er hat den Plan auf dem Treffen des Nationalkomitees des Volkskongresses 2001 vorgetragen.
Die Strecke von Gansu und Xinjiang verläuft von einem höher gelegenen Bereich des Landes abwärts, man kann also die natürliche Schwerkraft nutzen, um das Wasser in die Trockengebiete zu leiten. Die von Prof. Chen vorgeschlagene Route verläuft von der Nordwestküste des Bohai-Meeres zum Südosten der Inneren Mongolei, durch die Gebirge Yan und Yin und nordwestlich vom Berg Lang nach Juyanhai, vorbei am Mazongshan-Gebirge und von dort aus nach Xinjiang. Die Route verläuft über weite Strecken nahe der chinesisch-mongolischen Grenze durch dichter besiedeltes Gebiet, und der Gelbe Fluß wird zweimal gekreuzt.
Prof. Huo hat jedoch die Sorge, daß der Boden in diesem Gebiet, das weitgehend aus Grasfläche besteht, zunehmend versalzen würde, und daß man einen beträchtlichen technischen Aufwand braucht, um einen stetigen Wasserzufluß sicherzustellen. Er zieht daher eine andere Route vor. Sein Plan ist, von der Bucht von Bohai nahe Tianjin Wasser durch Rohrleitungen aus Glas und Plastik zum Huangqi-See auf eine Höhe von mehr als 1280 Meter über dem Meeresspiegel anzuheben. Huo hat berechnet, daß man eine Kilowattstunde Strom benötigt, um eine Tonne Wasser 200 Meter nach oben zu transportieren, bzw. 6,4 KWh für die gesamten 1280 Meter. Danach soll das Wasser von sich aus weiterfließen, bis es bei Yumen in Gansu den Shumen-Fluß erreicht, wobei gegen Versickern abgedichtete Kanäle und kleinere Baumaßnahmen wie Staubecken den natürlichen Wasserdruck verstärken sollen. Dann soll das Wasser dem Shume-Tal folgend bis zum Ostrand des Tarimbeckens bei Lop Nor weiterfließen. Entlang des Weges könnte man mit dem Wasser einige der zahlreichen ausgetrockneten Flüsse und Seen in dem Gebiet wieder auffüllen. Huo nennt diese Option die „innere Linie“. Hier würde das Wasser direkt durch die acht großen Wüstengebiete fließen und könnte viele Täler und Schluchten füllen.
Das Projekt hat viele noch nicht ganz gelöste technische Herausforderungen und ist daher unter den chinesischen Fachleuten umstritten. Die Regionalbehörden in Xinjiang und Gansu unterstützen es nachdrücklich, aber die Regierung in Beijing hat ihr Einverständnis noch nicht gegeben. Prof. Huo, Prof. Chen und andere Wortführer der Unternehmung wenden viel Zeit darauf, auf Einwände zu reagieren und für vielleicht berechtigte Kritikpunkte Lösungen zu finden.
Einige radikale Umweltschützer wollen das Projekt um jeden Preis verhindern. Die Gruppe Probe International, die schon eine große Kampagne gegen den Drei-Schluchten-Damm führte, warnt vor einer „ökologischen Katastrophe“, falls des Projekt realisiert würde.
Das wichtigste technische Problem ist die Bodenversalzung. Wieviel von dem salzigen Meerwasser würde in den Boden versickern, wo dies jetzt schon ein ernstes Problem ist? Und wie kann man das Meerwasser entsalzen? Prof. Huo erklärte in China Economic Weekly: „Bei der Meerwasserentsalzung gibt es in China gegenwärtig keinen technischen ,Engpaß’. Für die Filtermethode, die wir derzeit anwenden, werden halbdurchlässige Membranen benutzt, um die Trennung von Frischwasser und Salz zu bewirken.“ Huo ist zuversichtlich, daß Versickerung in den Wüstengebieten ein weitaus geringeres Problem ist als bei anderen Böden wie etwa Grasland. So gebe es in Qinghai Salzwüsten, deren starke Salzansammlungen keine Auswirkungen auf die benachbarten Gebiete hätten. „In der Wüste gibt es eine dünne Sandschicht, und darunter ist harter Fels.“ Deshalb werde das Meerwasser in den Tälern und Reservoirs verbleiben.
Eine andere Frage ist, ob Wolken, die sich über dem Wasser bilden, in dem Gebiet bleiben oder vom Wind weit weggeblasen würden. „Die Niederschlagsmenge in der Nordwestregion hängt von drei notwendigen Vorbedingungen ab“, sagte Huo der Zeitung China Daily. „Erstens Westwinde; zweitens das System der Kondensation im Hochgebirge; drittens die Quelle des Wasserdampfes... Nördlich und südlich der ,inneren Linie’ liegen zwei Gebirgsregionen: im Norden die Gebirge Yan, Yin und Helan, und im Süden die Gebirge Tianshan, Taihang, Luliang, Qilia und Kunlun. Das schafft eine Barriere nördlich und südlich der ,inneren Linie’, was dafür sorgt, daß der Wasserdampf über diesem Gebiet bleibt. Wenn der Dampf hochsteigt, wird er auf die kühlere Bergluft treffen, mit der Folge der Regenbildung an den Nord- und Südhängen.“
Huo ist voller Begeisterung für das Projekt. „,Bohai-Wasser nach Westen’ wird auch die Infrastrukturinvestitionen ankurbeln“, sagte er China Economic Weekly, und beschrieb den vielfältigen Nutzen dieser Idee: „Die Schaffung künstlicher Seen wird die Entstehung von Wiesenlandschaften fördern; auf den Wiesen kann man für Alkaliböden geeignete Gewächse anpflanzen; Wüstengewächse können das Weideland verbessern; man kann Bio-Engineering anwenden und selektiv Pflanzen züchten, die im Meerwasser überleben, und mit der Pflanzendecke auf dem Wüstenuntergrund kann man mit Landwirtschaft und Viehzucht beginnen. Die künstlichen Seen werden auch örtlichen Niederschlag ausprägen, und es wird eine Aussaat aus der Luft möglich; so wird eine große Wüstenregion stabilisiert, und die sandigen Wanderdünen werden sich nicht mehr bewegen und stabil bleiben, bis sich schließlich die Wüste in eine Oase verwandelt.“ Außerdem könne man Gefälle nutzen, um für die Bevölkerung vor Ort Strom aus Wasserkraft zu erzeugen.
Die verschiedenen technischen Hindernisse für das Projekt wird man sicher relativ zügig lösen können, ob es aber jemals verwirklicht wird, hängt vom weltweiten wirtschaftlichen und politischen Umfeld ab. Wenn die Macht des britischen globalen Finanzsystems gebrochen ist und statt dessen weltweite Entwicklungspolitik betrieben wird, steht diesem und anderen Projekten, die einen menschenwürdigen Lebensstandard für alle Menschen sichern, nichts mehr im Wege.
William Jones