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Italien. Ein Artikel des Sekretärs der italienischen Bürgerrechtsbewegung Solidarität (Movisol), Andrew Spannaus, über die Gefahr einer „Technokraten-Regierung“ im Interesse der Banken fand viel Aufmerksamkeit im Internet.
Die italienische Bürgerrechtsbewegung Solidarität (Movisol) hat Mitte November einen Artikel von Andrew Spannaus mit der Überschrift „Kommt eine Regierung der Banker?“ ins Netz gestellt, der innerhalb weniger Tage von vielen tausend Menschen gelesen wurde. Der Artikel ist eine Warnung vor dem Plan, in Italien eine technokratische Regierung zu bilden, die massive Kürzungen bei Renten und Sozialausgaben vornimmt und die Ausbeutung der Wirtschaft im Namen des freien Marktes fortsetzt, indem sie die Privatisierung aller nationalen und kommunalen öffentlichen Dienstleistungen betreibt. Dies sei der wahre Hintergrund der Regierungskrise, die in den Medien nur mit den Skandalen um das Sexleben und die fragwürdigen Geschäfte von Regierungschef Silvio Berlusconi begründet wird.
Der Artikel wurde von zahlreichen, vielgelesenen Webseiten und Blogs übernommen, darunter auch Nachrichtenbriefe wie der des bekannten früheren Abgeordneten Publio Fiori, der mit verschiedenen katholischen Gruppen auf die Bildung einer neuen Partei in der Tradition der nicht mehr existenten Democrazia Christiana (DC) hinarbeitet. Roberto Ortelli vom Radiosender der Lega Nord verlas den Artikel in seiner Sendung und interviewte dann Spannaus mehr als eine halbe Stunde lang zu den Plänen der Oligarchie in Italien, zur Eurokrise und zu den Vorschlägen der LaRouche-Bewegung für große Infrastrukturprojekte als Motor weltweiter Wirtschaftsentwicklung. Spannaus bezog sich insbesondere auf den Plan einer Tunnelverbindung zwischen Sizilien und Afrika und forderte die Hörer der Lega auf, über neue Methoden zur Entwicklung armer Länder und Italiens Rolle dabei nachzudenken.
Es folgt eine Übersetzung des aufsehenerregenden italienischen Artikels. Er trägt die Überschrift „Kommt eine Regierung der Banker?“, der Untertitel lautet: „Hinter dem politischen Machtkampf in Italien steckt die Forderung der internationalen Finanzwelt nach der griechischen Roßkur“.
Eine sorgfältige Analyse der Politik und der Geschichte muß immer über die einzelnen Ereignisse hinaus zu den dahinter liegenden Prozessen führen. Folgt man dieser Sokratischen Methode, so ist leicht zu erkennen, daß die Turbulenzen, die in letzter Zeit zwischen den politischen Parteien Italiens geschürt werden, wenig mit den Skandalen von Berlusconi oder Fini zu tun haben, ja nicht einmal mit den (sehr schwankenden) Positionen, welche die Parteiführer von einem Tag auf den anderen einnehmen. Die wirkliche Lage ist ein seit Monaten laufender Versuch, die italienische Regierung durch eine Technokratenregierung abzulösen, um so die „Reformen“ durchzusetzen, die bei einer Verantwortlichkeit der Parteien gegenüber dem Wähler nur sehr schwer realisierbar sind.
Schon ein kurzer Blick über die Grenzen genügt, um die allgemeine Richtung zu erkennen. EZB-Gouverneur Trichet fordert Rentenkürzungen, die „Märkte“ drängen auf glaubwürdige Maßnahmen zum Abbau der Haushaltsdefizite, und in zahlreichen Ländern wurden massive Sparprogramme angekündigt. In der Presse werden nur die Fälle erwähnt, wo der Widerstand der Bevölkerung besonders stark ist, etwa in Großbritannien, Frankreich und Griechenland. In den USA hat die von Präsident Barack Obama eingesetzte Sparkommission damit begonnen, ihre Vorschläge für große Einschnitte bei den Regierungsausgaben zu veröffentlichen - angefangen bei den Renten und Sozialleistungen (während sie natürlich gleichzeitig die Steuersenkungen für die Reichen verteidigt und jegliche Maßnahmen gegen Finanzspekulation ablehnt). Die italienische Lage ist daher im Kontext eines internationalen Vorstoßes für eine harte Sparpolitik zu sehen, angeführt von jenen Finanzinteressen, die schon seit Jahrzehnten im Staat das größte Hindernis für die „Freiheit“ ihres Marktes sehen.
Aus dieser Sicht bildet die Regierung Berlusconi ein Hindernis für die geforderten Maßnahmen. Natürlich betreibt die Regierung wegen des drohenden Angriffs auf die italienischen Staatsschulden schon jetzt eine Sparpolitik und hält die für die Realwirtschaft notwendigen Investitionen zurück - ganz zu schweigen davon, daß der Spielraum der nationalen Regierungen bereits durch EU-Gesetze drastisch verkleinert wurde, mit denen die IWF-artige Politik, die monetären Parameter ohne Rücksicht auf die zunehmende Vernichtung realwirtschaftlichen Reichtums zu steuern, festgeschrieben wird. Doch die internationale Finanzwelt traut dieser Regierung nicht, insbesondere nicht Wirtschaftsminister Giulio Tremonti.
Man erinnere sich, daß Italien eines der wenigen Länder war, die in der Krise der letzten drei Jahre die Banken nicht gestützt haben. Die „Tremonti-Anleihen”, die Bedingungen zugunsten produktiver Investitionen stellen, wurden von den größten italienischen Banken nicht angenommen, sondern lösten eine von vielen öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Minister und Mario Draghi aus, der sich über politische Einmischung in die Wirtschaft beschwerte. Und Italiens internationale Zusammenarbeit in schwierigen Bereichen - etwa mit Wladimir Putin und Rußland - ist für die geopolitischen Strippenzieher in Washington, London und Brüssel mehr als ein kleiner Grund zur Sorge.
Die Verbündeten der City zielen darauf ab, eine Bürokratenregierung zu bilden, um den Notstand zu verwalten. Die Oppositionsparteien sollten gründlich nachdenken, bevor sie in der Hoffnung auf eine Änderung des Wahlgesetzes einer solchen Lösung zustimmen. Man muß nur den öffentlichen Äußerungen bestimmter einflußreicher Politiker (auch aus den eigenen Reihen) sorgfältig zuhören, um zu verstehen, daß die Pflichten einer technokratischen Regierung viel weiter gehen würden. Dort ist die Rede von einem wirtschaftlichen Notstand, von den technokratischen Regierungen der neunziger Jahre als Vorbild und von Strukturreformen zur Sicherung der Stabilität des Landes.
Um was soll es bei diesen Strukturreformen gehen? Auch diese Liste wurde schon öffentlich gemacht: drastische Einschnitte beim Sozialstaat, Privatisierung kommunaler Versorgungsbetriebe (was die Lega Nord blockiert) sowie weitere Liberalisierung aller öffentlichen Dienste. Die Namen, die dabei am häufigsten auftauchen, sind die von Mario Draghi und Luca Cordero di Montezemolo. Das Wirtschaftsmodell des ersteren ist wohlbekannt: strenge Vorschriften, die sicherstellen, daß die Spekulation ihre Übermacht gegenüber der produktiven Wirtschaft behält. Und was den letzteren betrifft: Betrachtet man, wie er die Gewinne der Hochgeschwindigkeitsbahnen vereinnahmen und den Staat auf Investitionen und Verlusten sitzenlassen will, dann ist klar, wohin er uns führen würde. In einer neuen Resolution, die Francesco Rutelli im Senat eingebracht hat, ist es deutlich formuliert:
„… e) Liberalisierung ist vordringlich, und die Mitteilung, welche die Behörde für Wettbewerb und Markt der Regierung im Februar 2010 zugeleitet hat, sollte in gesetzliche Vorschriften umgesetzt werden hinsichtlich der Märkte für öffentliche Dienste (Post, Bahn, Autobahnen und Flughäfen), Strom (Brennstoffe und die Erdgaskette), Banken und Versicherungen, öffentliche Ausschreibungen und Verbraucherschutz. Die Vorgaben der EU-Verträge zum Wettbewerb müssen in die Verfassung aufgenommen werden. Die Gesetze zur Frage der kommunalen öffentlichen Dienste sollten verschärft werden: zu viele Monopole treiben die Preise nach oben...“ (1-00314 vom 6. Oktober 2010).
Die unablässige Forderung nach Liberalisierung und Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben ist das Markenzeichen derjenigen, die an der gegenwärtigen Wirtschaftskrise schuld sind, und sie sind weit entfernt von den Maßnahmen in der Art Franklin D. Roosevelts, mit denen man eine wirkliche Erholung anstoßen könnte. Keine öffentlichen Investitionen, keine Strafmaßnahmen gegen Finanzspekulation und kein Schutz der Produktion. Nur die „unsichtbare Hand”, die Industrie und Sparguthaben verschwinden läßt...
Politiker aus allen Parteien täten gut daran, über ihr scheinbares momentanes Sonderinteresse hinaus zu blicken und sich zu fragen, ob es nicht an der Zeit ist, die öffentliche Debatte auf die eigentlichen Inhalte hinter den derzeit ausgeführten Plänen zu lenken. Erstens aus Gründen der Ehrlichkeit, weil die Bevölkerung ein Recht hat, die wahren Konsequenzen der laufenden Auseinandersetzungen zu erfahren. Darüber hinaus werden auf diese Weise die Kräfte, die noch für das Gemeinwohl eintreten, sich die notwendige Unterstützung verschaffen, um einen Plan zu verhindern, der für das Land verheerend wäre.
abs