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Neue Solidarität
Nr. 26, 30. Juni 2010

Die von Podewils und die von Weizsäckers

Clemens Graf von Podewils (1905-1978), der in den fünfziger Jahren die Kolloquien mit Heidegger, Jünger, Carl Friedrich von Weizsäcker, Romano Guardini und anderen organisierte, war ein Enkel des königlich-bayerischen Regierungschefs Clemens Graf von Podewils-Dürnitz (1850-1922). Dieser war von 1896 an bayerischer Gesandter in Wien gewesen, bevor er im Sommer 1902 als Staatsminister für Kirchen- und Schulangelegenheiten ins bayerische Kabinett berufen wurde. Schon im Februar 1903 wurde Podewils-Dürnitz zum Staatsminister des Kgl. Hauses und des Äußeren sowie zum Vorsitzenden im Ministerrat unter Prinzregent Luitpold ernannt, was er bis 1912 blieb; 1911 wurde er für seine Verdienste um die Belange der bayerischen Monarchie mit seiner Familie in den Grafenstand erhoben.

Diese alten Beziehungen zum Königshaus kamen offenbar auch seinem Enkel zugute, der während des Zweiten Weltkrieges als Kriegsberichterstatter wirkte und nach der Neugründung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1948 - ebenso wie der ehemalige Kronprinz, Feldmarschall Ruprecht von Bayern - zu deren Mitglied und dann zum Generalsekretär der Akademie berufen wurde. In dieser Funktion organisierte er die besagten Kolloquien.

Mitglied der Akademie war auch Carl Friedrich von Weizsäcker, dessen Familiengeschichte eine höchst interessante Parallele zu der von Graf Podewils aufweist: Auch Weizsäckers Großvater, Karl Hugo von Weizsäcker, war Regierungschef von Königs Gnaden - im Königreich Württemberg. 1900 als Wirklicher Staatsrat (ab 1901 als Staatsminister) zum Leiter des Ministeriums für Kirchen- und Schulwesen berufen, wurde er 1906 Präsident des Württembergischen Staatsministeriums, was der Funktion eines Ministerpräsidenten entsprach. In dieser Funktion verblieb er bis zum 6. November 1918. 1916 wurde er vom König in den Freiherrnstand erhoben.

Beide Großväter galten als nationalliberal und lehnten eine „Parlamentarisierung“ der Regierung ab, sahen sich also nicht dem Volk, sondern lediglich dem Monarchen verpflichtet und wären andernfalls auch weder Kultusminister noch Regierungschefs geworden. Denn die europäischen Fürstenhäuser waren sich schon immer darüber im Klaren, daß ihre Macht über die Gesellschaft im wesentlichen auf der Beeinflussung der Kultur und Bildung der Bevölkerung beruhte.

Die Tatsache, daß die Weizsäckers in drei aufeinanderfolgenden Generationen in vier unterschiedlichen Regierungssystemen (Kaiserzeit, Weimarer Republik, NS-Diktatur, Bundesrepublik) hohe Beamte hervorgebracht haben (Ministerpräsident, Staatssekretär, Bundespräsident), verleitete den politischen Philosophen Gerard Radnitzky zu der Frage, ob hier möglicherweise von einer „angeborenen political correctness“ gesprochen werden könne. Anders ausgedrückt: Liegt es in der Kultur der Familie, wenn die Weizsäckers ihr Fähnlein nach dem Wind der Mächtigen hängen?

alh