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Neue Solidarität
Nr. 25, 23. Juni 2010

Zwischenruf

Die unerhörte Leichtigkeit des Scheins...

Seit letzter Woche ist die Stadt Wiesbaden „Universitätsstadt“. Offenbar war es den Stadtvätern also doch peinlich, daß Wiesbaden - was ich in meinen Oberbürgermeister-Wahlkämpfen 2003 und 2007 angeprangert hatte - als einzige unter den Landeshauptstädten und Städten vergleichbarer Größe bisher noch keine Universität vorweisen konnte.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß es sich mit der „Wiesbadener Universität“ nicht viel anders verhält als mit dem Wiesbadener Bundesliga-Fußball: mehr Schein als Sein. In beiden Fällen wurden - unterstützt durch private Sponsorengelder - bloß Einrichtungen aus der Nachbarschaft zur Übersiedelung in die hessische Landeshauptstadt eingekauft.

Dabei muß man feststellen, daß ein Fußballclub der 3. Liga noch eher die Bezeichnung Bundesligaclub verdient als eine „Universität“, die in Wiesbaden lediglich eine einzige Fakultät von Wirtschaftsjuristen angesiedelt hat. Denn wer die heutigen Manager kennt, wie sie an solchen Einrichtungen produziert werden, der weiß, daß diese sich keineswegs durch universelles Wissen auszeichnen - nicht einmal im Sinne dessen, was man früher einmal unter Allgemeinbildung verstand.

Aber es entspricht wohl dem Zeitgeist, daß man sich heute mit dem „Schein“ zufriedengibt, wo das „Sein“ wünschenswert oder gar notwendig wäre. Früher war das Ziel des Studiums der „Doktor“, und wer Latein gelernt hat, der weiß, daß das den „Gelehrten“ bezeichnet. Schon Friedrich Schiller befaßte sich ausführlich mit den Brotgelehrten, denen es im Studium nur darauf ankam, genug „Scheine“ zu holen, um sich auf ihnen (intellektuell) zur Ruhe setzen zu können. Heute ist das propagierte Studienziel der „Bachelor“ - das kommt von „Baccalaureus“ und bezeichnet nicht viel mehr als die Hochschulreife.

Im Englischen bezeichnet Bachelor übrigens auch den Junggesellen. Der Zusammenhang liegt wohl darin, daß der Baccalaureus sich meist nicht - oder erst nach langen Wartezeiten - leisten konnte, eine Familie zu gründen. Und so, wie die Dinge sich entwickeln, wird es den Bachelors von heute wohl ebenso ergehen.

Auch an den Börsen handelt man mit Scheinen, auf denen Forderungen „verbrieft“ werden, von denen beide Seiten wissen, daß niemand diese Schulden jemals bezahlen wird; Hauptsache, man findet noch einen Dummen, der den Papiermüll kauft, bevor die Kurse zusammenbrechen - und sei es eine Regierung oder eine Zentralbank!

Anstatt Strom zu erzeugen, baut man Anlagen, die bloß dazu dienen, sich einen Subventionsanspruch bescheinigen zu lassen, und anstatt Stahl zu erzeugen, handelt man mit Emissionsrechten.

Nun, Hochstapelei an sich ist nicht strafbar, solange der Täter die Opfer nicht durch Vortäuschung falscher Tatsachen schädigt. Und dadurch, daß die Stadt Wiesbaden sich nun als „Universitätsstadt“ bezeichnet, wird ja niemandem Schaden zugefügt.

Den Schaden fügen wir uns selbst zu, wenn wir uns mit dem Schein zufriedengeben, wo das Sein zum Überleben dringend erforderlich wäre. Um die Menschheit zu versorgen, brauchen wir nämlich wirklichen Stahl und wirkliche Energie, vor allem aber Ingenieure und Wissenschaftler - und um die zu bekommen, brauchen wir wirkliche Universitäten.

Alexander Hartmann, BüSo Hessen