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Interview. Joachim Starbatty ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen. Gemeinsam mit Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Karl Albrecht Schachtschneider klagte er 1997 vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Amsterdam zur Einführung des Euro. Das Interview wurde von Claudio Celani am 29. April geführt.
Celani: Sie und drei andere Professoren haben angekündigt, daß sie eine Verfassungsklage erheben werden, falls sich Deutschland am Rettungspaket für Griechenland beteiligt. Können Sie erklären, warum Sie klagen werden?
Starbatty: Die vertragliche Konzeption der Währungsunion ist die Stabilitätsgemeinschaft; das ist einmal statisch als Gemeinschaft der Preisstabilität zu verstehen, zum anderen dynamisch als eine Gemeinschaft, die sich so fortentwickelt hat, daß sie in sich stabil ist. Institutionelle Absicherung ist Art. 125 Lissabon-Vertrag - die „No bail out-Vorschrift“. Ein Verstoß gegen Art. 125 ist ein Zeichen dafür, daß die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft gescheitert ist.
Der Wandel von der Stabilitätsgemeinschaft zu einer Haftungsgemeinschaft löst unabsehbare finanzielle Folgewirkungen aus; daher wird das Budgetrecht des Parlaments beschnitten und die Gesetzgebungskompetenz ausgehöhlt; wenn das Parlament genötigt wird, finanziellen Hilfen unbekannter Größenordnung zuzustimmen, dann ist die Verpflichtung der Abgeordneten ihren Wählern gegenüber nicht mehr gewährleistet (Art. 38 GG).
Celani: Was erwarten Sie von der Klage?
Starbatty: Daß das BVG zu den Beschlüssen des Maastricht-Urteils steht.
Die vertragliche Konzeption der Währungsunion wird verlassen, wenn die Währungsunion zu einer Haftungs- und Inflationsgemeinschaft wird. Das BVG muß für die Stabilität der Währung und damit unserer Gesellschaft eintreten.
Celani: Falls das BVG die Klage unterstützt, wird Deutschland dann aus dem Euro austreten? Welche Szenarien stellen Sie sich vor?
Starbatty: Sollte das BVG unserer Klage entsprechen und die deutsche Hilfeleistung für verfassungswidrig erklären, ergibt sich eine dynamische Situation. Dabei ist auch ein Austritt Deutschlands nicht ausgeschlossen. Was dann passiert, habe ich in einem Artikel in der New York Times skizziert. Dort habe ich unter anderem erklärt: Würde Deutschland die Gelegenheit ergreifen und sich aus dem Euro zurückziehen, wäre es nicht alleine. Das gleiche Kalkül würde wahrscheinlich auch Österreich, Finnland und die Niederlande - und vielleicht auch Frankreich - dazu bewegen, die hochverschuldeten Staaten hinter sich zu lassen und sich Deutschland in einem neuen, stabilen Block anzuschließen, vielleicht sogar mit einer neuen gemeinsamen Währung.
Das wäre weniger schmerzhaft als es erscheinen mag: Die Eurozone ist schon jetzt zwischen diesen beiden Gruppen gespalten, und die Illusion, daß sie sich einig seien, hat zahllose wirtschaftliche Komplikationen verursacht. Ein Starkwährungsblock könnte den ursprünglichen Zweck des Euro erfüllen. Wenn er sich nicht um die Nachzügler-Staaten kümmern müßte, wäre der Block in der Lage, eine verläßliche und konsistente Währungspolitik zu verfolgen, welche die Regierungen der Mitgliedstaaten zwingen würde, ihre nationalen Schulden schrittweise zu verringern. Die gesamte europäische Wirtschaft würde prosperieren. Und die Vereinigten Staaten würden einen Verbündeten für eine zukünftige Reorganisation des Weltwährungssystems und der globalen Wirtschaft gewinnen.
Celani: Ist die Finanzkrise Griechenlands eine griechische Krise oder eine Euro-Krise?
Starbatty: Griechenland hat sich mit gefälschten Zahlen in die Währungsunion geschmuggelt (aber andere Staaten wie Italien auch). Dann waren die Zinsen der Europäischen Zentralbank für Griechenland viel zu niedrig; das hat zu einem überhöhten privaten und öffentlichen Konsum geführt. Und während dieser Zeit haben die Politiker in Griechenland, aber auch in der Euro-Zone weggeguckt. EUROSTAT hatte längst dokumentiert, daß die vorgelegten Statistiken nicht korrekt waren.
Celani: Ist es nicht der Fall, daß die EZB, die EU-Kommission und manche EU-Mitglieder mehr um die Rettung der Gläubigerbanken besorgt sind als um Griechenland und vor allem um die griechische Bevölkerung?
Starbatty: Ein Bail out für Griechenland ist zugleich ein Bail out für die beteiligten Banken.
Celani: Sie haben die wirtschaftspolitischen Anforderungen der EU an Griechenland stark kritisiert und sie mit der Politik von Kanzler Brüning verglichen. Können Sie das erklären?
Starbatty: Die Therapie, die man Griechenland zumutet, ist fatal. Das ist wie die Politik des deutschen Reichskanzlers Heinrich Brüning in den frühen dreißiger Jahren: in einer schweren Rezession die Ausgaben zu kürzen, die Steuern zu erhöhen, Gehälter einzufrieren und zu kürzen. Brüning hat das gemacht, um auf den internationalen Kapitalmärkten wieder Renommee zu gewinnen. Die Griechen sind derzeit in einer vergleichbaren Situation. Kein anderes Industrieland betreibt diese Brüningsche Politik, weil sie dazu führt, daß man von einer Rezession in die Depression kommt.
Celani: Warum verfolgt die EU-Spitze diese Politik gegenüber Griechenland? Sind unsere Regierungschefs inkompetent, dumm oder böse? Kann es sein, daß jemand sich eine neue Junta der Obristen für Griechenland wünscht?
Starbatty: Die Griechenland diktierte Politik wird auch von weiten Teilen der Wissenschaft vertreten. Es ist eine Ersatzstrategie, wenn ein Land nicht abwerten kann.
Celani: In Griechenland wird diskutiert, ob die Schmerzen eines Austrittes aus dem Euro - und sogar aus der EU - größer wären als die, unter denen Griechenland sowieso leiden wird, wenn es in der EMU bleibt. Was ist Ihre Meinung dazu?
Starbatty: Bei einem Austritt aus der Währungsunion müssen die Euro-Schulden entsprechend dem Abwertungssatz gesenkt werden. Die Banken müssen an der Sanierung beteiligt werden; sie sind bewußt ein hohes Risiko eingegangen.
Celani: Zurück zur Verfassungsklage. In Bezug zum BVG-Urteil von 2009 über den Lissaboner Vertrag: Betrachten Sie die Initiative von EU-Präsident Van Rompuy und Finanz-Kommissar Olli Rehn - eine Verlagerung der Entscheidungsgewalt über die Höhe der nationalen Haushalte auf die supranationale Ebene der EU - als einen Verstoß gegen das Urteil, wo doch deutlich gesagt wird, daß Deutschland seine souveräne Staatlichkeit erhalten muß?
Starbatty: Es ist die Entwicklung der EU zu einem quasi-Bundesstaat durch die Hintertür. Das kollidiert mit dem Lissabon-Urteil des BVG.
Celani: Die EU-Kommission bezieht sich auf Artikel 136 des Lissaboner Vertrags, um ihre Kompetenzen zu erweitern. Ist das auch nicht ein Verstoß gegen das BVG-Urteil von 2009? Sollte der Bundestag nicht etwas dazu sagen?
Starbatty: Der Art. 136 ist keine Basis für eine Verlagerung politischer Kompetenzen. Dazu muß sich der Bundestag erklären.
Celani: Werden Sie auf eine offizielle Ankündigung der Rettungsaktion warten, oder werden Sie „präventiv“ klagen?
Starbatty: Wir werden das entsprechende Gesetzgebungsverfahren abwarten, die Texte prüfen und dann sogleich klagen.
Celani: Sie schlagen vor, Defizit-Länder sollten aus der EMU austreten, sodaß der Euro, in kleinerem Kreis, stabil wäre. Der Euro bliebe aber trotzdem eine supranationale Währung, die EZB eine verantwortungslose NGO, und Deutschland und alle anderen Mitglieder des Mini-Euro ohne Mittel zur Wirtschaftpolitik. Der Mini-Euro würde die Agonie für Deutschland nur verschieben…
Starbatty: Eine Währungsunion, die aus dem Starkwährungsblock besteht, wäre eine stabile Konstruktion.
Celani: Es ist bekannt, daß der Euro von Frankreichs Präsident Mitterrand und Englands Premierministerin Thatcher erfunden wurde, um ein wiedervereinigtes Deutschland in einen Käfig zu stellen. Die Deutschen (Kohl) haben es akzeptiert, aus Angst, daß Deutschland im Alleingang die ganze Welt gegen sich hätte. Andere Völker (ich denke an die Italiener) sind auch manipuliert worden, mit der Angst, daß Ihre Währung ohne Schutz des Euro (sprich Deutschland) kaputt gemacht wird und sie ihren Wohlstand verlieren. Ist es nicht Zeit, die wahre Geschichte des Euro-Schwindels zu erzählen?
Starbatty: Die wahre Geschichte der Geburt des Euro kann man erst erzählen, wenn die entsprechenden Akten eingesehen werden können.
Celani: Der Euro hat Wohlstand, Integration und Frieden versprochen, hat jedoch Verarmung, Integrationsprobleme und wachsende Konflikte zwischen EU-Staaten gebracht. Ist es nicht ratsam, die EMU aufzulösen und sie durch ein traditionelles Währungssystem zu ersetzen?
Starbatty: Wenn das BVG im Sinne unserer Klage entscheidet, entsteht - wie zu Frage 3 erläutert - eine dynamische Situation. Wenn es unsere Klage abweist, rutscht die Währungsunion in eine Haftungsgemeinschaft und Inflationsgemeinschaft ab. Was an deren Ende steht, kann niemand verläßlich vorhersagen. Aber möge Gott verhüten, dass dies geschieht.