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Aus der Neuen Solidarität Nr. 8/2009 |
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Kommentar. Die unseligen Maastricht-Kriterien sollen jetzt als „Schuldenbremse“ in noch schärferer Form im Grundgesetz verankert werden.
Als vor zehn Jahren der 50. Jahrestag der D-Mark gefeiert wurde, war deren Schicksal bereits besiegelt: Wenig später wurde sie durch den Euro ersetzt, der dann alles hielt, was sich Euro-Skeptiker wie die Professoren Wilhelm Hankel und Karl-Albrecht Schachtschneider von ihm „versprochen“ hatten.
In diesem Jahr gehen wir nun daran, den 60. Jahrestag des Grundgesetzes zu feiern, und ein großer Teil jener Politiker, die am 8. Mai volltönende Reden über die großartigen Errungenschaften halten werden, die seit seinem Inkrafttreten erreicht wurden, ist derzeit selbst daran beteiligt, wesentliche Aspekte dieses Gesetzes auszuhebeln.
Da ist zunächst der von den etablierten Parteien unterstützte und mit großer Mehrheit vom Bundestag befürwortete Lissabon-Vertrag. Er überträgt praktisch alle relevanten Fragen nicht nur der Wirtschaftspolitik, sondern auch der Außen- und Sicherheitspolitik auf die EU, und räumt der EU-Kommission außerdem noch - als eine Art Ermächtigungsgesetz - die Befugnis ein, die Regelungen dieses Vertrages (dem immerhin noch die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten zustimmen mußten) künftig mit Zustimmung der Regierungen der Mitgliedstaaten zu ändern, ohne die nationalen Parlamente dazu auch nur anzuhören. Auch das Europäische Parlament würde nur „gehört“, seine Zustimmung zu den Änderungen wäre nicht erforderlich. Um den Vertrag zu ändern, reichte es, wenn sich die Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten einigen. Wo bleibt da die demokratische Kontrolle?
Natürlich ist dieser Versuch, die einzelnen Mitgliedstaaten völlig dem Diktat der EU auszuliefern, eine Reaktion auf den voranschreitenden Zusammenbruch der Weltwirtschaft. Als die Mauer fiel, hatten Thatcher, Mitterrand und Bush sen. Bundeskanzler Kohl das Maastricht-Korsett aufgezwungen, um sicherzustellen, daß die neue Weltordnung nach dem Zusammenbruch des Comecon nicht durch ein massives Aufbauprogramm in Osteuropa gestört würde; statt dessen machte man sich an die „Globalisierung“, die Plünderung der Billiglohnländer bei gleichzeitiger Demontage der produktiven Kapazitäten in den einstigen Industrienationen.
Nun zeigt sich die verheerende Wirkung dieser Entscheidung, und damit wächst auch der Druck in den einzelnen Mitgliedstaaten, eine wirtschaftspolitische Kehrtwende zu vollziehen. Die bisherige Politik der Globalisierung kann nur weiter durchgesetzt werden, wenn man sie noch weiter als bisher der demokratischen Kontrolle entzieht. Deshalb der Versuch, den Maastricht-Regeln durch die Europäische Verfassung Verfassungsrang zu geben.
Als dies von den Franzosen und Niederländern abgelehnt wurde, versuchte man es durch die Hintertür, indem man den gesamten Text der abgelehnten Verfassung mit unbedeutenden Abweichungen als „Änderungsvertrag“ formulierte und somit die Tragweite dieser Änderungen vertuschte.
Wie gesagt: Träte er in Kraft, hätten die nationalen Parlamente nichts mehr zu melden. Und da der Lissabon-Vertrag gleichzeitig dem Europäischen Gerichtshof die alleinige Kompetenz in Fragen überträgt, die die Europäische Union betreffen, hätte auch das Bundesverfassungsgericht keine Möglichkeit mehr, den Grundprinzipien des Grundgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland Geltung zu verschaffen, wenn die EU-Beschlüsse mit diesen in Konflikt geraten.
Zum Glück hat auch diesmal ein Mitgliedstaat der EU - Irland, das einzige Land, in dem das Volk über die Annahme dieses Vertrags abstimmen durfte - den EU-Vertrag abgelehnt, und damit liegt dieser erst einmal auf Eis. Auch Polen und Tschechien haben den Vertrag bisher nicht ratifiziert und haben damit offensichtlich auch keine Eile. In Deutschland verhandelt derzeit das Bundesverfassungsgericht darüber, ob der Vertrag grundgesetzkonform ist oder nicht; wie seine Entscheidung ausfallen wird, läßt sich derzeit nur mutmaßen, hoffen - oder fürchten.
Nun scheinen unsere Abgeordneten, die Bundesregierung und die Landesregierungen entschlossen zu sein, durch die sog. „Föderalismusreform“ wesentliche Aspekte des gescheiterten Maastricht- und Lissabon-Vertrages in das Grundgesetz hineinzuschreiben: Die alte Regelung - „die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ (Art. 115 GG) - soll ersetzt werden durch eine Schuldenbremse, bei der es den Ländern ab 2020 im Regelfall untersagt sein soll, Kredite aufzunehmen. Ab 2016 soll auch die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35% des BIP begrenzt werden. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat sogar angekündigt, diese Regelung auch „notfalls ohne die Länder“ im Grundgesetz zu verankern.
Tatsächlich wäre diese Änderung grundgesetzwidrig, denn er würde der Republik den wirtschaftlichen Selbstmord vorschreiben. Unsere Banken und Konzerne sind bankrott, die Infrastruktur seit Jahren vernachlässigt. Um uns aus der Tiefe der Depression wieder herauszuarbeiten, werden die Regierungen über Jahrzehnte riesige Investitionsvolumen finanzieren müssen, bevor das wirtschaftliche Gleichgewicht wieder hergestellt sein wird.
Insbesondere in den neuen Bundesländern ist durch die radikale Industriedemontage der Wendezeit eine Schieflage entstanden, in der Länder wie Berlin inzwischen einen sehr großen Teil ihres Haushaltes „auf Pump“ finanzieren müssen, weil die produktive Substanz nicht ausreicht, das Land über normale Steuereinnahmen zu finanzieren, so daß der Schuldenberg wächst und wächst und wächst.
Das eigentliche Problem ist, daß ein großer Teil dieser neuen Schulden in die Finanzierung laufender Ausgaben - etwa Sozialhilfe - fließt, und nicht, wie es das Grundgesetz vorschreibt, in Investitionen. Denn genaugenommen muß man den Grundgesetzartikel 115 „andersherum“ lesen: Das Grundgesetz schreibt vor, daß mehr Geld investiert als an neuen Schulden aufgenommen wird. Daraus folgt: Wenn die Neuverschuldung zu groß wird, muß man nicht sparen, sondern mehr investieren, bis die Wirkung dieser Investitionen die Arbeitslosigkeit so weit senkt, daß das Kriterium des Art. 115 wieder erfüllt ist. Aber unsere Regierungen haben lieber „die Umwelt geschützt“, als investiert, und selbst wenn sie investieren wollten, haben es der Maastricht-Vertrag und der Stabilitätspakt mit ihren starren Schuldenobergrenzen von 3% des BIP verhindert.
Aber um das zu begreifen, muß man etwas von Realwirtschaft verstehen, was bei unserer politischen Klasse leider kollektiv nicht der Fall zu sein scheint - insofern entbehrt die Debatte über die mangelnde Kompetenz des neuen Wirtschaftsministers nicht einer gewissen Komik. Hat denn irgendeiner der „etablierten“ Politiker Deutschlands oder ihrer Berater rechtzeitig den Finanzkrach und seine Folgen kommen sehen, geschweige denn Gegenmaßnahmen gefordert? Und solche Leute wollen ihre wirtschaftspolitischen Doktrinen, die uns in die Krise geführt haben, im Grundgesetz verankern?
Die von Minister Steinbrück geforderte Regelung würde die Neuverschuldung sogar noch zehnfach stärker einschränken als das bisherige Maastricht-Kriterium, und sie würde für manche Bundesländer das Ende ihrer Funktionsfähigkeit bedeuten, mit oder ohne „Altschuldenregelung“. Schon gibt es Stimmen, die der Fusion „unrentabler“ Bundesländer das Wort reden. Sollen am Ende, wenn die Krise immer weiter voranschreitet, nur ein oder zwei Bundesländer übrig bleiben, wie bei den Landesbanken?
Schon 2004 forderte die Bundesvorsitzende der BüSo, Helga Zepp-LaRouche, die Montagsdemonstrationen müßten das Grundgesetz verteidigen. Von allen deutschen Parteien hat allein die BüSo in den letzten 15 Jahren stets vor den Folgen der wirtschaftspolitischen Beschlüsse gewarnt, die uns in die Krise hineingeführt haben. Eine Änderung des Grundgesetzes ist unter den gegebenen Umständen jedenfalls abzulehnen, bis wieder wirtschaftspolitische Kompetenz im Bundestag eingezogen ist. Dazu haben die Wähler im September die Möglichkeit.
Alexander Hartmann, Landesvorsitzender BüSo Hessen
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