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Neue Solidarität
Nr. 52-53, 23. Dezember 2009

Die Rolle der Jugend in der kommenden Renaissance

Im Wortlaut. In unserer Dokumentation der Rüsselsheimer Konferenz des Schiller-Instituts am 21.-22. Februar 2009, „Der Wiederaufbau der Weltwirtschaft nach der Systemkrise“, deren Beiträge wir zum großen Teil in dieser Zeitung abgedruckt haben, fehlte noch der Schlußteil der Konferenz, der sich mit der Rolle der Jugend in der kommenden Renaissance befaßte und von einem Team der LaRouche-Jugendbewegung gestaltet wurde. Wir holen dies nun nach.

I. Wie die Welt in 50 Jahren aussehen muß!

Portia Tarumbwa-Strid: Ich werde jetzt das Jugendpanel mit dem Titel „Die Rolle der Jugend in der kommenden Renaissance“ einleiten. Darin soll unser gemeinsames Konzept zum Ausdruck kommen, wie die Welt in 50 Jahren aussehen muß.

Wie der frühere mexikanische Präsident Lopez Portillo einst sagte: „Es ist Zeit, auf die weisen Worte von Lyndon LaRouche zu hören.“ Er sagte dies vor über zehn Jahren, und ich möchte diese Stellungnahme heute gerne modifizieren und sagen: „Es ist allerhöchste Zeit, auf die weisen Worte von Lyndon LaRouche zu hören.“ (Applaus.)

Seit Lyndon LaRouche damit begann, eine erfolgreiche Wirtschaftsprognose nach der anderen abzugeben, sind zwei Generationen von Führungen gekommen und gegangen, und es scheint, daß wir, wenn Mr. Obama diesen Trend nicht umkehrt und das Finanzsystem einem Bankrottverfahren zu unterziehen beginnt, nur noch eine Möglichkeit haben: die Zerstörung der Zivilisation.

Das bedeutet für uns heute, daß die jüngere Generation - meine Generation - ihre ganze Energie darauf verwenden muß, die Zukunft entsprechend der Wirtschaftsmethode von Lyndon LaRouche zu gestalten, denn ein finsteres Zeitalter für die gesamte Menschheit ist wirklich nicht weit.

Tatsächlich haben in Afrika die Auswirkungen der Nahrungskrise am härtesten zugeschlagen: Es gibt heute dort 203 Millionen Menschen, die unter Mangelernährung leiden, von denen bis zu 10% Kinder unter 15 Jahren sind. Schwarzafrika ist der einzige Teil der Welt, wo in den letzten 30 Jahren die Zahl der mangelernährten Kinder und Erwachsenen deutlich zugenommen hat, eine Entwicklung, die Lyndon LaRouche als Völkermord bezeichnet hat, organisiert vom Wirtschaftssystem des britischen Imperiums.

Was bedeutet das? Es bedeutet, daß Afrika zu etwas gemacht wurde, was H.G. Wells’ widerlichem Roman Die Insel des Dr. Moreau entspricht.

20% der afrikanischen Bevölkerung leidet beispielsweise an einem Kropf - einer Krankheit, die von unzureichender Jodaufnahme im Essen hervorgerufen wird -, weitere 48% sind gefährdet. Bei einem Kropf schwillt die Schilddrüse am Hals teilweise massiv an, was zum Tod durch Ersticken führen kann. 46% der afrikanischen Bevölkerung leidet unter Anämie (Blutarmut), was oft eine Folge von Eisenmangel ist. Anämie beeinträchtigt das körperliche Wachstum, die geistige Entwicklung und die Lernfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen. Das bedeutet, daß die Betroffenen ihr eigentliches kreatives menschliches Potential nicht voll entwickeln können. Etwa 36 Millionen Vorschulkinder in Schwarzafrika leiden an Vitamin-A-Mangel, was zu Blindheit, Wachstums- und Fertilitätsstörungen führen kann.

Ich möchte Ihnen einmal sehr plastisch verdeutlichen, was Mangelernährung wirklich bedeutet, denn im Sommer letzten Jahres hat die Präsidentin des Schiller-Institutes, Helga Zepp-LaRouche, eine internationale Mobilisierung zur Verdoppelung der Weltnahrungsmittelproduktion in Gang gesetzt. Eine solche Politik wird auch aktiv betrieben von Jacques Diouf, dem Vorsitzenden der Welternährungsorganisation. Diouf kommt aus dem Senegal, einem Land, das 50% seiner Nahrungsmittel importieren muß, so wie fast der gesamte afrikanische Kontinent. Eine Verdopplung der Nahrungsmittelproduktion ist also nur dann möglich, wenn Afrika sich entwickeln kann - durch moderne Transport- und Wasserbewirtschaftungssysteme, die allerdings große Mengen Energie benötigen.

Das Problem ist, daß die meisten Leute, besonders in Europa, denken, es gäbe im Grunde „da draußen“ genug Nahrung, sie sei nur schlecht verteilt. Sie denken, es reiche, Spenden nach Afrika zu schicken. Ich als Afrikanerin sage Ihnen aber, daß Afrikaner richtige Arbeit wollen, keine Nahrungsmittelgeschenke.

Trotzdem hört man Dinge wie: „Aber es gibt schon zu viele Menschen auf der Erde, und wir müssen wieder zurück... zur Natur.“ Leute, die so etwas sagen, leiden an einer anderen Art von Mangelernährung in ihrer tödlichsten Form: an Mangelernährung der Vernunft. Davon Betroffene erkennt man daran, daß sie Symptome wie Ohnmacht, Hitzewallungen im Gesicht und am ganzen Körper sowie Anfälle verbalen Durchfalls entwickeln, sobald sie das Wort „Kernenergie“ hören. Ich hoffe, im Jahr 2059 werden sich Bilder von ihnen nur noch in Museen finden, zusammen mit den Überresten ihrer verrückten Schreine, die man als „Photovoltaikzellen“ kennt. Denn wenn diese Krankheit nicht sehr bald eingedämmt wird, ist die gesamte Menschheit verloren.

Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, daß die Umweltschützer oder die „Grünen“, wie sie allgemein genannt werden, eigentlich nicht grün sind, sondern braun. Warum sage ich das? Zuerst einmal: wenn wir grüne Politik mit Windmühlen und Solarkraft für den ganzen Planeten betreiben, werden wir mehr Wüsten schaffen und das existierende Grün auf diesem Planeten vernichten - und ich übertreibe nicht!

Das läßt sich einfach veranschaulichen. Wenn Sie mir gestatten, werde ich Sie 50 Jahre mit in die Zukunft nehmen. Wenn man beispielsweise für die Weltbevölkerung ausreichend Energie auf Solarbasis herstellen wollte, bräuchte man dazu etwa 1.500.000 Quadratkilometer Erdoberfläche! Bei der Windkraft wäre es noch absurder: Wollte man die Weltbevölkerung 2059 unter Verwendung von Windkrafträdern ausreichend mit Strom versorgen, bräuchte man 12 Milliarden Quadratmeter Land - das wäre etwa 82mal soviel wie die gesamte Landoberfläche der Erde! Selbst wenn man die Tatsache berücksichtigte, daß all diese Windräder vor den Küsten der Ozeane stünden, wäre diese Vorstellung unhaltbar: Weil es dann auf der Erde keine Menschen mehr gäbe. Das wären die wahren Kosten der „Gratisenergie“.

Kernkraft für Afrika!

Mit „ausreichender Energieversorgung“ meine ich nicht, was wir heute haben. Die Frage ist: Wieviel Energie bräuchte man, um jeden Menschen auf diesem  Planeten mit drei Mahlzeiten am Tag, ausreichender Gesundheitsfürsorge, einer guten Ausbildung, einem guten Straßen- und Schienennetz und sauberem, trinkbarem Wasser zu versorgen? Man nennt das auch einen ordentlichen Lebensstandard.

Dafür bräuchte man 1,5 KW elektrische Energie pro Kopf am Tag. Aber das ist nur eine sehr zurückhaltende Schätzung, wirklich nur eine Basis, denn in Deutschland spricht man heute im wesentlichen von 3-5 KW elektrischer Energie pro Kopf. Man bräuchte also, um diese Menge Strom im Jahr 2059 einer Weltbevölkerung von neun Milliarden Menschen zur Verfügung zu stellen, 6000 Atomkraftwerke, von denen jedes 100 MW Energie liefert.

Heute gibt es nur etwa 400 Kernkraftwerke weltweit. Dabei hat Afrika nur ein einziges Kernkraftwerk, in der Nähe von Kapstadt in Südafrika. Afrika braucht daher ein Crashprogramm zur schnellen Industrialisierung, wenn die Welt als ganze aus der heutigen Katastrophe herauskommen soll. Wenn man sich nur die Erfordernisse betrachtet, die wir brauchen, um den Hunger zu eliminieren - nicht mit den Methoden des Freihandels oder der Globalisierung, die darin bestehen, die hungrigen Menschen einfach zu eliminieren -, dann müssen wir alles vergessen, was an den Schulen oder Universitäten über Wirtschaft gelehrt wird bzw. uns beigebracht wurde, wie die Welt funktioniert. Geld bewirkt nicht, daß die Welt sich dreht!

Im Gegensatz dazu ist das, was Johannes Kepler als Prinzip der universellen Gravitation entdeckte, etwas Hohes und Belegbares und daher nur den Menschen zugänglich, nicht den Tieren. Das ist die erste Lektion, die Mr. Obama von LaRouche lernen muß, denn Afrika wartet darauf, daß jemand, der das höchste Amt in der mächtigsten Nation des Planeten inne hat und gemeinsame Vorfahren mit ihnen teilt, den Kontinent nicht wie in den letzten 500 Jahren mit Sklaverei oder Kolonialismus behandelt, was in etwa dem heutigen Freihandelssystem entspricht.

Statt dessen hoffen wir in Afrika, daß Mr. Obama uns mit den Augen der amerikanischen Verfassung betrachten wird: daß alle Menschen gleich geschaffen sind, ausgestattet mit unveräußerlichen Rechten auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glückseligkeit.

Wasser für Afrika!

Um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, was für die ganze Welt wichtig ist, so ist vor allem ein Crashprogramm für die Wasserwirtschaft in Afrika erforderlich, um den fruchtbaren Boden dort für die Landwirtschaft nutzbar zu machen. Dann könnte Afrika übrigens potentiell die ganze Welt mit Nahrungsmitteln versorgen. Dazu bräuchten wir u.a. Atomstrom zur Wasserentsalzung, d.h. das einsame Kernkraftwerk in Südafrika muß viele neue Ableger bekommen.

Die Art, wie sich die menschliche Zivilisation in den letzten zwei Millionen Jahren entwickelt hat, indem sich die Küstensiedlungen ins Inland ausgebreitet haben, könnten und sollten wir in Afrika für die nächsten 50 bis 100 Jahre übernehmen. Das überschneidet sich mit LaRouches Vorstellung der Relativität von Zeit, und ich möchte zeigen, wie wir das erreichen können:

Die Idee sog. „Nuplex-Städte“ wurde vom Schiller-Institut und der Fusion Energy Foundation (FEF) schon Ende der siebziger Jahre entwickelt. Solche komplexen Entwicklungsprojekte würden sich von den Küsten ins Inland ausbreiten, was grundsätzlich der Idee der Entwicklungskorridore beim Bau der Eurasischen Landbrücke entspricht. Man sieht die größere Energieflußdichte, die durch die Nutzung der Kernkraft entsteht, zur Veränderung der Oberfläche des afrikanischen Kontinents, zum Bau neuer Städte, eines dichten, integrierten Transportnetzes mit modernen Schnellstraßen, Flüssen und Kanal- sowie Schienensystemen, welche die Grundlage für eine schnelle Industrialisierung bilden und zum ersten Mal Afrika von Nord nach Süd und Ost nach West vereinigen würden.

Karten: EIRNS
Das heutige Eisenbahnnetz Afrikas (oben) ist genaugenommen gar kein Netz, da die Linien in der Regel nur von bestimmten Rohstoffvorkommen zum nächsten Hafen führen und keine einheitliche Spurweite haben. Ein künftiges Eisenbahn- bzw. Magnetbahnnetz (unten) sollte daher von vornherein als ein einheitliches Netz geplant und komplett neu gebaut werden.

Eisenbahnen für Afrika!

Man sollte dabei unbedingt den Zustand des afrikanischen Schienennetzes heute und in der Zukunft miteinander vergleichen. Nicht nur, daß es keine durchgehenden Verbindungen gibt, das Problem des Schienenverkehrs in Afrika sind zudem die verschiedenen Spurbreiten. Seitens des IWF hieß es kürzlich, es werde kein Geld für Schienenverkehrsprojekte in Afrika geben, welche das teure dreifache Spurbreitensystem verwenden, mit der sich alle Schienensysteme in Afrika vereinigen ließen. Es solle lieber verschiedene „Zonen“ für die Entwicklung des Schienenverkehrs geben, die untereinander nicht kompatibel wären. Man sollte einmal genau untersuchen, um wieviel billiger das tatsächlich wäre.

Tatsächlich ist das dreifache Spurbreitensystem ziemlich teuer, doch wie man sieht, gibt es im Moment gar nicht viele Schienenwege, d.h. wir müssen im Grunde ganz von vorn anfangen.

Ich meine, es wäre viel billiger, nicht das dreifache Spurbreitensystem zu bauen, um zu versuchen, die vorhandenen konventionellen Bahnstrecken miteinander kompatibel zu machen; sondern ich glaube, es wäre sehr viel billiger, wenn wir von vornherein mit berührungslosen Hochgeschwindigkeitszügen wie der Magnetbahn beginnen würden, was eine Investition für die nächsten 50 bis 100 Jahre und darüber hinaus wäre.

Anstatt daß tausende Flüchtlinge sich aus Ländern wie Mali nach Norden nach Marokko durchschlagen, um in Booten bei der gefährlichen Überfahrt zu den Kanarischen Inseln zu ertrinken oder sich Rebellengruppen anzuschließen, um in sinnlosen Kriegen zu kämpfen, bräuchte Afrika einen Zustrom von Ingenieuren und Lehrern in einer riesigen Welle Technologie-Transfers.

Afrika ist unterbevölkert!

Jetzt komme ich zu der Frage, warum dieser Ansatz der einzige Weg ist, um die Welt als ganze vor einem anderenfalls anhaltenden neuen finsteren Zeitalter zu retten.

Wenn wir uns einmal die Demographie Afrikas mit einer gegenwärtigen Bevölkerung von 922 Millionen anschauen, was gerade 14% der Weltbevölkerung sind, und berücksichtigen, was ich gerade über die 200 Millionen Unterernährten gesagt habe, dann sehen Sie, daß die Armee von Arbeitern, die man für diese Mammutaufgabe bräuchte, in Afrika gar nicht existiert! 40% Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre, und 11% der verbleibenden Altersgruppe ist HIV-infiziert. Also ist jeder, der sagt, Afrika sei überbevölkert, ernsthaft geisteskrank, denn die Zahlen zeigen, daß Afrika stark unterbevölkert und unterentwickelt ist.

In einer groben Schätzung bräuchte man für diese großen Projekte eine potentielle Arbeiterschaft von 250 Millionen Afrikanern. Das würde sicher nicht ausreichen, denn der Großteil dieser Arbeiter ist noch ohne Ausbildung. Das bedeutet für die erste Phase der Industrialisierung Afrikas, daß alle existierenden und potentiellen Industriekapazitäten Eurasiens für den Bau der Eurasischen Landbrücke mobilisiert und ausgebaut und zudem die gesamten Erziehungssysteme in Europa vollkommen umgekrempelt werden müssen.

An einigen Grafiken möchte ich Ihnen zeigen, was damit gemeint ist. Sie zeigen schrittweise die Entwicklung auf, von der Helga Zepp-LaRouche seit vielen Jahren spricht. Dann werden Sie das Problem erkennen und auch in der Lage sein, es zu lösen, so wie die meisten der jungen Leute hier in diesem Raum und sonstwo in Europa, die bisher eher nichtqualifizierte Arbeiten verrichtet haben. So ist die Kleidung, welche die meisten von uns tragen, nicht hier gefertigt, sondern in den meisten Fällen in Asien, und viele sind mit unnützen Dingen wie „Unternehmensmanagement“, „Marketing“ oder Verkauf beschäftigt. Man muß fünf Jahre lang lernen, um ein Stück Papier für Dinge zu bekommen, die eigentlich nur gesunder Menschenverstand sind. Die meisten wissen gar nicht, was qualifizierte Arbeit ist; sie denken, Milch kommt aus dem Kühlschrank.

Arbeitskräfte entwickeln!

Um in Afrika etwas zu erreichen, bräuchte man also so etwas ähnliches wie Roosevelts New Deal; die Leute müssen aus diesen sinnlosen Arbeiten herausgeholt werden und durch das Ankurbeln der industriellen Kapazitäten in Europa und Asien das Gefühl für eine Mission erhalten. Auch für die Afrikaner, die heute in Europa leben, wäre das äußerst wichtig. Viele der Afrikaner, die in der Diaspora leben, hätten dann die Möglichkeit, nach Hause zu ihren Familien zurückzukehren und den Trend umzukehren, den wir heute sehen, daß qualifizierte Fachkräfte ins Ausland abwandern.

Dann besteht wieder Grund zur Freude, denn das bedeutet kein langweiliges  Auswendiglernen und keine „Multiple-Choice“-Examen mehr, für die die Studenten wie Affen trainiert werden. Junge Leute müssen wieder lernen, was es bedeutet, universelle Prinzipien zu entdecken, denn wir, die jungen Leute meiner Generation zwischen 16 und 35, haben die Aufgabe, auf diese Art und Weise die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Wir stehen vor neuen, herausfordernden Aufgaben, wo wir Probleme lösen müssen, die sich noch nie gestellt haben, wie z.B. die Sahara in einen Dschungel zu verwandeln und auf diese Art und Weise auch zur Abkühlung der globalen Temperatur (und wahrscheinlich auch der Temperamente) beizutragen.

Ich möchte Ihnen die Animation eines Wasserwirtschaftssystems zeigen, das für Afrika vorgeschlagen wurde. Es nennt sich das Projekt des „zweiten Nil“, bei dem Wasser aus dem Kongo durch große Kanalsysteme in das Tschad-Becken geführt werden. Durch die Bewegung des Wassers ließe sich auch elektrischer Strom erzeugen, und all das wäre gut für den sehr durstigen afrikanischen Kontinent, damit wir die Nahrungsmittel anbauen können, die in der Zukunft benötigt werden.

Ich glaube, wir können es schaffen, Mr. Obama. Wir brauchen nur den Mut, den ersten Schritt zu machen, und wir können uns vorstellen, daß irgendwo auf dem schönen Kontinent Afrika heute ein Kind geboren wird, dessen Tochter die erste afrikanische Frau sein wird, die in der ersten Phase der Kolonisierung des Weltraums mit auf den Mond fliegt. Es wird keine Grenzen geben für das, was wir erreichen können, wenn wir den Willen haben, zu erkennen, was wir heute vom Standpunkt unserer Liebe für zukünftige, noch nicht geborene Generationen tun müssen. Das bedeutet, eine Vision für ein Afrika in 50 Jahren zu haben, die ich mit Herrn und Frau LaRouche teile.

II. Die Gesetzmäßigkeit von Schönheit und Schillers Vorstellungen über die Unsterblichkeit

Kasia Kruczkowski: Wenn wir uns die politische Situation und die heutige Kultur anschauen, mögen sich einige von Ihnen vielleicht fragen, wie wir all diese Projekte verwirklichen sollen und was verändert werden muß, um eine Gesellschaft in die Lage zu versetzen, es freiwillig zu tun. Aber bevor wir dazu weiter in die Tiefe gehen, sollten wir uns zunächst über die Probleme klar werden, in denen wir politisch und kulturell stecken, was gewöhnlich Hand in Hand geht.

Die Politik heutzutage ist umgeben von Blasen aller Art - man tut besser daran, wenn man sie nicht zu genau kennen möchte -, und die Kultur, die uns umgibt, ist häßlich. Unsere Kultur ist bereits so degeneriert, daß viele Menschen, besonders Jugendliche, bereits mißtrauisch werden, wenn sie von etwas Schönem bewegt werden. Aber ich habe auch gute Neuigkeiten: Das ist nicht unsere Kultur.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts setzte die Frankfurter Schule mehrere destruktive Veränderungen in Gang. Sie testete den Einfluß der Massenmedien auf die Bevölkerung und versuchte festzustellen, wie Meinungen geformt werden, um in Zukunft Einfluß auf die Meinung der Bevölkerung zu haben. Die Hauptzielscheibe dabei war das wahre Empfinden für Wahrheit, Schönheit und Freiheit. Ich möchte Ihnen nur ein Produkt davon zeigen: Es ist eine Art Dokumentation über das menschliche Verhalten. Dies ist nur ein Teil einer ganzen Serie, doch ich meine, das genügt. Dann wenden wir uns wieder der ursprünglichen Frage zu.

 

[Erzähler im Video]: „Schimpansen im Urwald von Zaire. Eine Legende des Mangandu-Stamms in Zaire erzählt, wie diese Schimpansen und die Vorfahren der Menschen einst als Brüder lebten. Und tatsächlich denken einige der Primatenspezialisten, daß die Bonobo-Schimpansen stark dem gemeinsamen Vorfahren von Affe und Mensch ähneln. Sie sind unsere engsten lebenden Verwandten, die uns näher sind als die Gorillas. Sie haben eine komplexe verbale Ausdrucksweise, schließen permanente Freundschaften, haben Cliquen und Eifersüchteleien.

Und in dieser Gesellschaft ist Sex eine Grundform der Kommunikation: Er scheint überall zu sein, vom einfachen Zeichen der Zuneigung bis zur Etablierung von Hierarchien. Bonobos paaren sich manchmal mit den Gesichtern zueinander; wir dachten einmal, nur Menschen verwenden eine solch intime Position. Aber ihre Vielseitigkeit kennt keine Grenzen... Jedes Mitglied der Truppe ist ein potentieller Geschlechtspartner. Weibchen reiben ihre Genitalien mit anderen Weibchen und Männchen mit anderen Männchen. Sogar die Jüngsten werden einbezogen. Wir finden diesen Sex ausschweifend, sogar schockierend. Aber für Bonobos ist Sex wichtig: Sex hat praktisch die Gewalt in ihrer Gesellschaft abgelöst. Bonobos sind dazu in der Lage, ohne die Aggressionen, die bei anderen Primaten, ja sogar in anderen Schimpansengesellschaften existieren, zu leben. (Eine Panflöte spielt.)

In diesem afrikanischen Regenwald, weit weg von unserer krisengeschüttelten Zivilisation schafft es Sex, den Frieden zu erhalten.“

 

Petra Carlsson: Ich hoffe, nicht allzu viele hier werden sich in einigen Aspekten davon wiedererkennen. Einige Leute, wie der frühere Präsident George W. Bush, mögen sich wohler in dieser Gesellschaft fühlen, auch wenn er vielleicht bei einigen der Aktivitäten nicht mithalten kann.

Trotz der üblen Massenmedien, die uns in den letzten 40-50 Jahren zu dem geführt haben, was Kasia aufgezeigt hat, gibt es zum Glück noch Leute, die wissen, daß es eine andere Kultur gibt. Deshalb sind wir alle an diesem Wochenende hier. Und ich möchte gern Abraham Lincoln zitieren, der gesagt hat: „Einige Leute lassen sich immer für dumm verkaufen, und alle Leute zumindest für einige Zeit; aber man kann nicht alle Leute für immer und alle Zeiten  zum Narren halten.“

Wir brauchen also dringend Veränderungen, Ideen und Optimismus. Ich denke, es wird höchste Zeit, daß Europa seinen Pessimismus ein für allemal ablegt, und das liegt auch an uns. Es ist unsere Aufgabe, das zu tun.

Was ich gern entwickeln möchte, ist, daß es ein ganz bestimmtes Mittel gibt, das Denken der Menschen zu verändern. Als politischer Aktivist vermittelt man den Leuten auf der Straße ein Bild von dem, was auf dem Planeten vorgeht, aber gleichzeitig muß man ihnen Ideen und Optimismus geben und einen Ausweg aufzeigen. Und das ist, was wir repräsentieren.

Wir können uns an Friedrich Schiller wenden, der wirklich einer der wichtigsten Leute in der deutschen Geschichte ist - auch in der Geschichte Europas. Eines seiner größten Werke sind die Ästhetischen Briefe, die wie ein goldenes Handbuch sind, wie man das wahre Gefühl für die Menschlichkeit wiederbeleben kann.

Schiller löste auch den Konflikt in den Menschen zwischen den zwei verschiedenen Antriebskräften auf, die er als „sinnlichen Trieb“ und „Formtrieb“ bezeichnete. Die Sinne stehen auf der einen Seite, und das rationale Denken auf der anderen. Und beide Kräfte scheinen sich immer in einer Art Kampf gegeneinander zu befinden. Wenn man diese Spannung auflösen und die zwei Triebe zusammenbringen könnte, würden wir einen höheren Zustand des Denkens, einen höheren Zustand des Handelns erreichen.

Kant hatte darüber auch seine Vorstellungen: Man müsse einfach seine Emotionen unterdrücken, um Gutes zu tun und moralisch zu sein. Man tut einfach so, als wären sie nicht da, oder man versucht, gar nichts zu fühlen. Leider gilt das heute für viele Leute. Schiller sagte über Kant, daß dieser nur für Sklaven geschrieben habe und daß er eine sehr traurige Kindheit gehabt haben muß.

Schiller meint hingegen, daß jemand, der sich ausschließlich einem dieser Triebe hingibt, d.h. nur den sinnlichen Trieb befriedigt, niemals seine wirkliche Menschlichkeit entdecken werde. Und ich zitiere Schiller: „Solange er nur empfindet, bleibt ihm seine Person und seine absolute Existenz, und solange er nur denkt, bleibt ihm seine Existenz in der Zeit oder sein Zustand ein großes Geheimnis.“ [Schiller, Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen, 14. Brief]

Wir brauchen also ein Mittel, um diese beiden Triebkräfte zu vereinigen, und dieses Mittel ist die Schönheit. Ich bin mir ziemlich sicher, jeder, der gestern die Aufführung der Bach-Motette „Jesu, meine Freude“ oder das „Kyrie“ gehört hat, ist davon einfach ergriffen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand in diesem Raum von dem Schubert-Klaviertrio, das wir heute morgen gehört haben, nicht zutiefst bewegt war.

Der Schlüssel hierfür liegt in der Arbeit mit der klassischen Kunst, wie wir sie mit „Jesu meine Freude“ tun; darin liegt unsere wirkliche Mission, mit einem Schillerschen Verständnis von Schönheit eine klassische Renaissance zu schaffen. Ich will hier niemandem den Eindruck geben, als handelte es sich hier bloß um eine schöne oder interessante Sache; das hat nichts mit Romantik zu tun, das ist nichts, um sich einfach nur gut fühlen zu können; es hat nichts mit Gefühlen als solchen zu tun. Es geht um ein viel höheres Verständnis und Konzept von dem, was wir sind, was wir schaffen, was wir tun können.

Nach der Aufführung des Schubert-Trios bemerkte jemand heute morgen, daß dies ein außergewöhnliches Stück sei. Das ist wahr, es ist ein außergewöhnliches Stück, aber um so mehr bedeutet das, daß wir wieder eine Gesellschaft und Kultur schaffen müssen, wo dies die tägliche Musik der Leute ist, die man im Radio oder Fernsehen hört. Es ist noch ein langer Weg, bis das eines Tages eintritt, und nicht nur, wenn wir eine fantastische Schiller-Konferenz wie heute haben.

Ich bin ein bißchen abgeschweift. Schiller schreibt, daß wir die zwei verschiedenen Triebe durch klassische Musik, durch Schönheit in uns vereinigen. Der Zustand, den der Mensch erreicht, wenn diese zwei Triebe in Einklang kommen, ist der ästhetische Zustand.

Später beschreibt Schiller in den Ästhetischen Briefen Schönheit auf eine sehr paradoxe Art und Weise:

 

 „In dem ästhetischen Zustand ist der Mensch also Null, insofern man auf ein einzelnes Resultat, nicht auf das ganze Vermögen achtet und den Mangel jeder besondern Determination in ihm in Betrachtung zieht. Daher muß man denjenigen vollkommen Recht geben, welche das Schöne und die Stimmung, in die es unser Gemüt versetzt, in Rücksicht auf Erkenntnis und Gesinnung für völlig indifferent und unfruchtbar erklären. Sie haben vollkommen Recht: Denn die Schönheit gibt schlechterdings kein einzelnes Resultat, weder für den Verstand noch für den Willen, sie führt keinen einzelnen, weder intellektuellen noch moralischen Zweck aus; sie findet keine einzige Wahrheit, hilft uns keine einzige Pflicht erfüllen und ist, mit einem Wort, gleich ungeschickt, den Charakter zu gründen und den Kopf aufzuklären. Durch die ästhetische Kultur bleibt also der persönliche Wert eines Menschen oder seine Würde, insofern diese nur von ihm selbst abhängen kann, noch völlig unbestimmt, und es ist weiter nichts erreicht, als daß es ihm nunmehr von Natur wegen möglich gemacht ist, aus sich selbst zu machen, was er will - daß ihm die Freiheit, zu sein, was er sein soll, vollkommen zurückgegeben ist.“ [21. Brief]

 

Er sagt also, daß wir mit Schönheit allein eigentlich gar nicht viel erreicht haben. Wir haben nichts entdeckt, wir haben keine einzige Aufgabe wirklich erfüllt. Was meint Schiller also? Er sagt, daß die Schönheit den eigentlichen, wirklichen Denkprozeß, den wir durchlaufen, freisetzt, aber er sagt auch, daß der Mensch durch diesen Prozeß plötzlich in Freiheit gesetzt wird, ein souverän denkendes Individuum zu werden, das nur nach seinem eigenen Willen  handelt. Denn die verschiedenen Triebe und die Spannung zwischen ihnen sind mehr oder weniger verschwunden. Es gibt keine äußeren Kräfte mehr, die auf einen wirken, sondern nur die reine Freiheit des eigenen Willens.

So beendet Schiller seinen Ästhetischen Brief, aus denen ich das Zitat eben genommen habe:

 

„Es ist also nicht bloß poetisch erlaubt, sondern auch philosophisch richtig, wenn man die Schönheit unsre zweite Schöpferin nennt. Denn, ob sie uns gleich die Menschheit bloß möglich macht und es im übrigen unserm freien Willen anheim stellt, in wie weit wir sie wirklich machen wollen, so hat sie dieses ja mit unsrer ursprünglichen Schöpferin, der Natur, gemein, die uns gleichfalls nichts weiter als das Vermögen zur Menschheit erteilte, den Gebrauch desselben aber auf unsere eigene Willensbestimmung ankommen läßt.“ [21. Brief]

 

Es ist also nicht die Schönheit als solche, sondern Schönheit ist eigentlich nur das Mittel, um uns frei zu machen und uns in die Lage zu versetzen, das zu erreichen, was wir heute politisch tun müssen. Nutzen wir die Schönheit, die klassische Kunst, die Musik, um die Arbeit zu tun, die wir tun!

 

Kasia Kruczkowski: So kann selbst nur ein flüchtiger Blick auf ein Stück klassischer Kunst, das ein Mensch schon vor mehreren Jahrhunderten geschaffen hat, diese Willenskraft in uns entfachen. Je mehr wir die Prinzipien und Ideen in klassischen Stücken studieren, je mehr wir uns selbst näher kommen, desto mehr können wir uns von unserer beschränkten Existenz lösen.

Damit perfektioniert das Universum sich durch die Kreativität des Menschen. So, wie unsere Gedanken als Ideen im Individuum wiederentdeckt und realisiert werden, was auch zum Wachstum in der Seele dieses Individuums führt, so verändert sich auch das Universum. Es wächst im Bereich der Prinzipien zu einer höheren Form der Existenz, und unsere Persönlichkeit ist nur eine Fortführung des Werkes, das vor Generationen begonnen hat. Die Bedeutung des Lebens eines Individuums ist daher nicht von der Zeitspanne zwischen dem Tag der Geburt und dem Tag des Todes begrenzt. Was zur Perfektion des Ganzen führt, was zum Fortschritt der Menschlichkeit beiträgt, gibt dem Individuum Freude, denn das ist unsere menschliche Natur.

Friedrich Schiller beschreibt diese Förderung von Vervollkommnung, Bedeutungsumfang, Erfahrung und Bewunderung des großen Planes der Natur als Quelle der Hingabe und als eine momentane Persönlichkeits- und Seinsänderung. Wenn wir also die ganze Schöpfung im Blick haben, dann ist alles, was vor uns gelebt hat, alles, was mit uns lebt, und besonders alles, was nach uns lebt, unser. Es ist das, was Herr LaRouche als „Gleichzeitigkeit in der Ewigkeit“ bezeichnet. Die lange Kette von Ereignissen von heute bis zurück zum Beginn der Menschheit greift ineinander wie Ursache und Wirkung.

Vielleicht werden wir niemals mit der Magnetbahn von Südafrika nach Peking fahren oder das Umweltmuseum sehen. Wir werden wahrscheinlich nicht all die schönen Städte sehen, die überall in der Sahara entstehen werden. Wir werden wahrscheinlich auch die erste Marsexpedition von Simbabwe nicht erleben. Könnte es sein, daß wir noch nicht einmal am endgültigen Triumph der Menschheit über das Britische Imperium teilnehmen können?

Auch wenn wir uns in unserem kurzen Leben - verglichen mit der gesamten Weltgeschichte - niemals an den Früchten unserer Existenz erfreuen können, sind sie trotzdem unser. Unser Wille liegt darin, zu entscheiden, ob es verwirklicht wird oder nicht. Wir werden mit ungeduldiger Leidenschaft zu unserer Mission stehen und alles, was möglich ist, tun, um wenigstens einen Pfad für diese Entwicklungen in der Zukunft zu bahnen und das Ideal der Wahrheit, Schönheit und Freiheit in so viele Herzen wie möglich zu pflanzen.

Schiller war ein lebendiges Beispiel seines Werkes. Stellen Sie sich nur vor, er hätte niemals gelebt oder etwas anderes mit seinen Leben angestellt - dann wären wir immer noch Sklave von Kants traurigem Schatten. Auch wenn Kant ein Deutscher war, so haben alle Europäer unter den Folgen seines Lebenswerkes gelitten.

Schillers Hingabe für die nächste Generation befreite viele Menschen überall auf der Welt von ihrem kurzsichtigen Denken und bewirkte eine kulturelle Veränderung zum Besseren. Sein Lebenswerk wirkt noch heute und wird es auch in Zukunft tun - wenn es Leute gibt, die es an die nächste Generation weitergeben.

Schiller ist nur ein Beispiel. Jedes menschliche Wesen hat ein solches Potential, d.h. jeder Mensch kann den gesamten geistigen Bereich verbessern. Von uns wird heute gefordert, daß wir uns von bloßen Individuen zur Gesamtheit der Menschheit erheben. Wir brauchen eine Gesellschaft, die der jungen Generation wieder Ideale gibt, eine Gesellschaft, die selbst an Ideale und Schönheit glaubt - selbst wenn nur ein Individuum Wahrheit und Schönheit verbreitet, wie es Lyndon LaRouche durch sein Leben bewiesen hat.

III. Keplers Methode der Entdeckung

Julien Lemaitre: Es scheint so, als würde sich die Gesellschaft nicht dazu frei machen können, aus der gegenwärtigen Krise herauszukommen, geschweige denn das Notwendige zu tun, um die Mittel für unsere Existenz auch künftig zu reproduzieren. Aber wozu sollten wir eigentlich frei sein - um was zu tun? Da es bereits eine Vielzahl politischer Bewegungen, Theorien, Ansätze zur Wirtschaftswissenschaft, zur Sozialpolitik, zu menschlichen Werten etc. gibt, ist es unsere Aufgabe, die gemeinsamen Fehler all dieser verschiedenen sog. „Optionen“ aufzudecken, die uns angeboten werden. Nur durch eine Veränderung der Weise, wie wir die Dinge betrachten, können wir diese falschen Ansätze beseitigen - indem wir wieder wirklich zu denken anfangen.

Einige Aspekte der gegenwärtigen Krise, vor der wir stehen, ähneln den Problemen, mit denen der große Astronom und Denker Johannes Kepler angesichts des Zustands der Astronomie zu seiner Zeit konfrontiert war. Denn in der sehr schwierigen Zeit in Europa zu Beginn des 17. Jahrhunderts ähnelte der Weg, wie die Menschen durch irrationale Festlegung auf eine bestimmte Religion in die Falle ständiger Kriege tappten, dem generell praktizierten Ansatz in der Wissenschaft und damit auch in der Astronomie. Inmitten dieses Durcheinanders schilderte Kepler in seinem Buch Die Neue Astronomie sehr deutlich, wie er die wirkliche Umlaufbahn des Planeten Mars entdeckte - was Lyndon LaRouche zum Eckstein des Kurrikulums der LaRouche-Jugendbewegung (LYM) gemacht hat.

Zu jener Zeit lag die Herausforderung für einen Astronomen darin, zu beschreiben, wie komplexe Bewegungen ablaufen und wie man diese voraussagen könnte. Einige dieser Bewegungen erschienen tatsächlich ziemlich seltsam, wie beispielsweise die rückläufige Bewegung des Mars, der im Vergleich zu den nächtlichen Sternenkonstellationen eine Schleife zu ziehen schien.

Grafik: LYM
Die Modelle von Ptolemäus, Kopernikus und Tycho Brahe sagen alle drei die Richtungen, in denen wir die Sonne und den Mars sehen, gleichermaßen voraus. Aber sie alle haben den gleichen Fehler, daß sie grundsätzlich von Kreisbahnen ausgehen.

In der Astronomie gab es zu Keplers Zeit drei Hauptkontrahenten: Ptolemäus, Kopernikus und Tycho Brahe. Alle drei vertraten unterschiedliche Modelle, die dasselbe absurde Phänomen beschrieben. Ptolemäus, der im 2. Jahrhundert n.Chr. lebte, beschrieb den Mechanismus, den jeder Planet und die Sonne braucht, um sich um eine feststehende Erde zu drehen. Vierzehn Jahrhunderte später fand es Kopernikus - in Anlehnung an Auffassungen aus der Zeit vor Ptolemäus - geeigneter, die Sonne sehr nahe dem Zentrum des Universums zu platzieren und die Mechanismen der Planetenbewegungen um sie herum anzuordnen. Brahe, mit dem Kepler ein Jahr lang zusammenarbeitete, vertrat damals schon ein moderneres Modell, indem er einen Konsens schloß und die Sonne sich um eine feststehende Erde drehen ließ, während die Planeten um die bewegliche Sonne kreisten.

Die erste wichtige Arbeit Keplers ist seine Neue Astronomie, worin er zeigt, daß die verschiedenen Modelle im Effekt immer auf das gleiche absurde Phänomen hinauslaufen.

Hier sehen wir - ausgehend von den blauen Punkten, welche die Erde darstellen, von der aus wir auf das Universum schauen -, daß die Richtungen, in denen wir die Sonne und den Mars sehen, von den drei Modellen gleichermaßen vorhergesagt werden. Und man kann anhand der roten Linie, welche die Richtung bezeichnet, in der wir den Mars von der Erde aus sehen, feststellen, daß diese Linie immer erst rückwärts läuft, bevor sie wieder vorwärts läuft. Diese rückläufige Bewegung, über die wir schon gesprochen haben, ist in allen drei Modellen sichtbar.

Keplers nächster Schritt bestand darin, zu zeigen, wie diese drei verschiedenen Modelle dennoch gleichermaßen ungenau sind, wodurch er den Weg für die neuen Hypothesen der Zukunft bahnte. Er nahm eine fundamentale Veränderung vor, indem er die gesamte Natur der Annahmen anzweifelte, nicht nur deren spezielle Form und Organisation. Er veränderte den Prozeß, der in den Vorgängermodellen verwendet wurde. Denn sie alle gingen davon aus, daß sich die Himmelskörper auf implizit schon existierenden Strukturen in Form einer abstrakten und materiellen Mechanik bewegen, und stülpten dem physikalischen Sein die Grenzen und ihre Bewegungen über. Dieser esoterische Glaube ist von der gleichen Art, wie man sich heute vom Standpunkt des Geldes die Wirtschaft vorstellt. Kepler hingegen ging davon aus, daß abstrakte, nicht-physikalische Konzepte, wie beispielsweise ein Punkt, nicht für Wirkungen in der physikalischen Welt verantwortlich gemacht werden können.

Es ist so, wie wenn man jemanden über den Umgang mit Geld schwatzen hört - wie man es hier anlegt oder es gleichmäßig verteilt oder mit Hilfe von Programmen automatisch seinen Umlauf einschränkt etc. Oft klingt es so, als könne man mit perfekten Programmen in automatisierten Banken und Märkten eine Wirtschaft betreiben, in der gar keine Menschen vorkommen. Aber es ist noch nie etwas Produktives aus einem Banksafe hervorgegangen. Dieser Kult des Geldes muß abgeschafft werden, wenn wir uns aus der gegenwärtigen Krise herausentwickeln wollen. In unserer Sicht der Wirtschaft muß wieder die menschliche Kreativität als generierender Faktor bei der Verbesserung der Lebensbedingungen in unserer Gesellschaft die entscheidende Rolle spielen. In der gleichen Weise begriff Kepler die Sonne als generierenden Faktor des Sonnensystems und der Bewegung der Planeten.

Grafik: LYM
Tatsächlich bestimmt die vollständige Umlaufbahn eine Gesamtfläche, und jede Zeiteinheit davon steht zueinander in Proportion; diese so definierte Beziehung bestimmt die Bewegung des Planeten in jedem Bereich seiner Umlaufbahn, mag dieser auch noch so klein sein. Diese physikalische Betrachtung führte Kepler zu der Erkenntnis, daß der Kreis hierzu nicht die Bedingungen erfüllte, und neue Untersuchungen erlaubten ihm den Schluß, daß nur die Ellipse mit dem Erzeugungsprozeß der Umlaufbahn übereinstimmte, den er eingeführt hatte.

Keplers Modell sieht die Sonne als erzeugenden Faktor, so daß man die Sonne nicht einfach weglassen und den Rest der Maschinerie ablaufen lassen kann, wie es in den anderen Modellen der Fall ist. Demzufolge konzentrierte Kepler sich auf die natürliche Beziehung zwischen der Sonne und den Planeten, in diesem Fall dem Planeten Mars, und darauf, eine Meßmethode dafür zu finden. Er fand heraus, daß die Zeit des Umlaufs und die Fläche, die der Planet dabei überstreicht, Teil des gleichen Prozesses sind und proportional zusammenhängen.

Tatsächlich bestimmt die vollständige Umlaufbahn eine Gesamtfläche, und jede Zeiteinheit davon steht zueinander in Proportion; diese so definierte Beziehung bestimmt die Bewegung des Planeten in jedem Bereich seiner Umlaufbahn, mag dieser auch noch so klein sein. Diese physikalische Betrachtung führte Kepler zu der Erkenntnis, daß der Kreis hierzu nicht die Bedingungen erfüllte, und neue Untersuchungen erlaubten ihm den Schluß, daß nur die Ellipse mit dem Erzeugungsprozeß der Umlaufbahn übereinstimmte, den er eingeführt hatte.

Damit war die Untersuchung einen großen Schritt vorangekommen, aber es stellte sich auch eine ganze Reihe neuer Fragen. Tatsächlich suchte Kepler nicht nur nach den Gründen für die Bewegungen der Planeten, er suchte auch nach den Gründen für die Proportionen des Sonnensystems als ganzem. Bis dahin bedeutete dies, daß man sich mit den Relationen zwischen den Abständen der Planeten zur Sonne beschäftigte und die Umlaufbahn kreisförmig annahm. Aber jetzt geht es um Ellipsen, von denen wir eine unendliche Menge annehmen können. Die Frage ist, warum nur diese besonderen Ellipsen existieren, die wir im Sonnensystem finden, und keine anderen.

 

Alise Franck: An dieser Stelle müssen wir uns etwas mehr mit der Frage der Proportionen beschäftigen, und dazu kann uns mein Freund hier, mit dem ich viel arbeite, gute Dienste leisten. Es ist kein Ungeheuer, sondern ein Monochord.

Um Proportionen im allgemeinen zu studieren, muß man zwei Teile miteinander vergleichen. Der beste Weg hierzu ist, zwischen ihnen ein gemeinsames Maß zu finden.

Hier kommt uns noch ein weiterer Freund zu Hilfe, der Kreis. Wenn wir zum Beispiel in einen Kreis den Durchmesser einzeichnen, ergibt das die Proportion 1/2. Bei einem Dreieck, das den Kreis in drei Teile teilt, haben wir die Proportionen von 1/3. Bei einem Quadrat haben wir die Proportionen von 1/4. Ich weiß, daß das wahr ist, denn es handelt sich um regelmäßige Figuren. Wenn ich z.B. einfach irgend etwas mit ungleichen Teilen zeichne, dann werde ich niemals wissen, welche Art Proportion in meinem Kreis entsteht.

Wenn ich also zunächst mit wißbaren Formen arbeite, kann man versuchen, diese mit dem Durchmesser zu vergleichen. Das ist mehr oder weniger kompliziert, aber es kann hilfreich sein, ein Gefühl für die Beziehung zwischen diesen Proportionen zu bekommen.

Noch etwas anderes sollte man sehen. Wenn ich nämlich einen beliebigen Punkt auf dem Kreis nehme, werde ich nicht notwendigerweise regelmäßige Formen erhalten. Also bezeichnet jede der regelmäßigen Figuren einen einzigartigen Moment auf meinem Kreis. Sie sind wie Singularitäten.

Jetzt können wir den Fall annehmen, wo man nicht weiß, welche Figur die Teilung einer Strecke bewirkt. Für ein solches Experiment habe ich zwar keine Animation; die gibt es aber auf unserer amerikanischen LYM-Webseite. Man sieht darauf eine Länge sowie zwei kürzere Längen. Die Frage ist, ob man nur vom Anschauen dieser Strecke sehen kann, welche halb so lang ist wie die lange Linie.

Doch man kann diese Proportionen spielen, etwa so: (schlägt eine Saite auf dem Monochord an). Kann man das hören? Ich spiele zum Beispiel die längere Saite (spielt dieselbe Saite), und jetzt spiele ich die kürzeste Seite. Jetzt spiele ich die zweitkürzeste Saite. Es hat den Anschein, als würde ich die Hälfte meiner ersten Saite spielen (spielt und singt die Noten; dann singt sie die Note der halben Saite und Julian singt gleichzeitig die Note der ganzen Saite.) Wenn man wirklich genau eine Hälfte der Saite spielt, hört man, daß beide gleich klingen. Das eröffnet eine neue Welt der Proportionen innerhalb der Welt der Musik.

Wenn man dies zum ersten Mal hört, fühlt man nur, ob es gut klingt oder nicht. In der Kreisgeometrie erkennt man das Potential, um die genauen Proportionen zu entdecken,  denn man sieht, welche Figuren die Proportion erzeugt hat. Beim bloßen Klang denkt man wahrscheinlich nur, ob es so etwa konsonant klingt oder nicht. Wir sollten nun sehen, wie diese regelmäßige Aufteilung des Kreises sich anhört. Ich werde es einmal schnell spielen:

Hier die erste lange Saite; (spielt alle Beispiele durch), hier das Quadrat, das Dreieck und die Hälfte. Leider läßt es sich akustisch nicht gut hören, aber wir haben eine Animation, um es zu zeigen.

Grafik: LYM
Wenn man in einen Kreis den Durchmesser einzeichnet, ergibt das die Proportion 1/2. Bei einem Dreieck, das den Kreis in drei Teile teilt, erhält man die Proportionen von 1/3. Bei einem Quadrat haben wir die Proportionen von 1/4. Man kann diese Proportionen hören: Wenn man wirklich genau eine Hälfte einer Saite spielt, hört man, daß beide gleich klingen. Das eröffnet eine neue Welt der Proportionen innerhalb der Welt der Musik.

[Aus dem LYM-Video „Musik, von der die Pythagoräer annahmen, sie sei die dem Universum zugrunde liegende Struktur...“, das Cello spielt eine Sequenz.]

Das gibt Ihnen eine Idee, woran Kepler in seiner Weltharmonik gearbeitet hat, dem Nachfolgebuch der Neuen Astronomie, über das Julian gesprochen hat. Kepler entdeckte immer mehr über die musikalischen Tonleitern als wißbare Proportionen. Offenbar klingt Wißbarkeit im Kreis konsonant, aber vielleicht erkennen wir auch, daß sie konsonant ist, weil wir sie wissen können. Interessant ist auch, daß nicht wißbare, aber regelmäßige Formen, die sich konstruieren lassen, Ambiguitäten wie Dissonanzen provozieren. Ich sage das nur, weil Kepler nicht nur regelmäßige Formen verwendet, d.h. alles ist ein bißchen komplizierter. Aber so hat er die Konsonanzen studiert.

Was ist also eine Tonleiter? Sie werden wahrscheinlich schon mal eine gehört haben (singt die C-Dur Tonleiter). Man hört sie überall in Schulen, in Musikschulen, und man hat sie einfach im Ohr. Tatsächlich sind Tonleitern aber eine wahre Entdeckung davon, wie der physikalische Raum organisiert ist, und jeder Teil einer Tonleiter steht in Übereinstimmung mit dem Ganzen, und Teile innerhalb der Tonleiter sind untereinander konsonant.

Ich möchte das einmal auf andere Art und Weise darstellen, und dafür brauche ich jemandes Hilfe. (Elodie singt erst do-re, dann die C-Dur-Tonleiter, Alise gleichzeitig die C-Dur-Tonleiter, so daß ihr Lauf um Terzen gegeneinander versetzt ist.

So kann man auch eine Tonleiter hören. Wie man hört, gibt es nur wenige Noten auf sehr begrenztem Raum. Es gibt also physikalischen Grenzen, und deshalb spreche ich vom physikalischen Raum. Allerdings gibt es eine unendliche Menge wißbarer Formen, oder unendliche Möglichkeiten, die Saite zu teilen, aber die Übereinstimmung zwischen den Singularitäten in der Geometrie und den Konsonanzen gibt uns die Möglichkeit, eine Gruppe von Proportionen zu bilden, die untereinander harmonisch sind, und das nennen wir eine Tonleiter.

Trotz aller Informationen, die uns von unserer sinnlichen Wahrnehmung gegeben werden, wissen wir immer noch nicht, woher die Proportionen kommen, warum es diese Singularitäten und diese Ellipsen gibt, und warum uns etwas sagt, ob wir es mit einer Harmonie zu tun haben oder nicht. An diesem Punkt fing Kepler an, über die wahre Natur der menschlichen Seele zu sprechen.

Versuchen Sie sich jetzt einmal zwei Minuten lang vorzustellen, Sie wären Aristoteles und meinten, die menschliche Seele sei nur ein leeres Blatt, jeder Mensch sei leer geboren. Sie schauen leer auf die Welt... und Sie schauen auf die Sonne, die sich um uns dreht, und Sie glauben tatsächlich, daß sich die Sonne um die Erde dreht - natürlich.

Doch Kepler machte seine Entdeckungen nicht auf diesem Weg, denn er denkt wie Platon, er glaubt an die Wahrheit. Das bedeutet, die Welt ist in einer Weise organisiert, daß sie uns an etwas erinnert und uns das Gefühl gibt, entdecken zu können, wie sie funktioniert. So empfinden wir musikalische Harmonien, weil wir sie kennen! Also bedeutet das Studium musikalischer Harmonien in gewisser Weise, unsere Seele zu studieren. Das ist der erste Schritt.

Kepler geht noch weiter. Denn wenn man mit der Tonleiter zu spielen beginnt, entdeckt man, daß es eine unendliche Zahl von Kombinationsmöglichkeiten zwischen den Noten und Intervallen gibt. Ich brauche Elodie noch einmal dafür - es ist eine Überraschung für sie. (Sie singen zwei Stimmen aus „Jesu meine Freude“ auf „no“) Leider klingt das zu tief, aber so sind die Intervalle auf der Tonleiter kombiniert. Wenn man in dieser Richtung weiterforscht, erlebt man die Geburt der Polyphonie. Und wir fragen uns: Bedeutet das, daß das Universum polyphon ist? Darauf kann ich nur antworten: Ja, natürlich.

Aber Sie sollten Keplers Buch lesen, dann sehen Sie es selbst. Man kann jedenfalls sagen, daß das Universum dazu organisiert ist, Polyphonie zu erzeugen. Aber man wird nie eine harmonische Melodie aus heiterem Himmel hören, so wie einem ein Apfel auf den Kopf fällt. Polyphonie existiert nur mit Hilfe menschlicher Einflußnahme, und das ist die Rolle klassischer Komponisten. Sie berühren unsere Seele, so wie es Schubert bei der Aufführung heute morgen gelang. Sie folgen Prinzipien, die auch in jedem von uns vorhanden sind. Sie sind dazu in der Lage, weil sie trotz jener physikalischen Begrenzungen die Gesetzmäßigkeiten innerhalb der Tonleiter verstehen. Ein Komponist wie Bach kann  ausdrücken, was er empfindet - Freude oder Furcht -, dank der Verbindung zwischen seinen Gefühlen und seiner Vernunft, genau worüber Kasia und Petra gesprochen haben.

Woher weiß man aber, daß Bach wirklich diesen Gesetzen folgend komponiert hat? Man weiß es durch die Schönheit. Man weiß, daß es wahr ist, weil es schön ist. Wenn Kepler die Erzeugung von Proportionen und die Harmonie zwischen den Proportionen studiert, wie bei unserer Ellipse, dann erkennt er, daß er ein Fenster zur wahren Natur des menschlichen Geistes öffnet. Zur gleichen Zeit öffnet er ein Fenster, das ihm zeigt, wie das Universum organisiert ist.

Keplers wahre Entdeckung liegt meines Erachtens darin, daß es keinen wirklichen Unterschied gibt zwischen einer Seele und dem Universum, und diese Entdeckung macht ihn sehr optimistisch für die Menschheit. In seinem Buch drückt er seine Überzeugung aus, daß wir in der besten, in der schönsten aller Welten leben können. Der Schöpfer habe dieses Potential in unseren Geist gelegt hat und unseren Kopf auf unseren Körper gesetzt. Kepler beschreibt das in einer kurzen Passage, die meine Lieblingspassage ist. Er sagt: „Das Potential dieses äußerst schönen Universums liegt in uns.“ Er sagt, Gott habe das getan, um sicher zu gehen, daß jeder sich selbst regiert, bewegt, wächst und sich vermehrt.

Auf diese Art und Weise muß sich menschliche Kreativität ausdrücken.

IV. Das Prinzip der klassischen Komposition in „Jesu meine Freude“

Elodie Viennot: Zunächst müssen wir in die Zukunft gehen und uns den Tag vorstellen, an dem LaRouches Vorschläge für ein neues Bretton Woods und die Eurasische Landbrücke von den Regierungen gerade angenommen wurden und offizielle Politik geworden sind. Wir sehen in die Augen eines nigerianischen Bauern, der zum ersten Mal in seinem Leben genügend Wasser sieht, um seine Felder zu bewässern. Wir sehen in die Augen eines Kindes in Zentralchina, das zum ersten Mal die Wunder der Elektrizität kennen lernt.

Was sehen wir? Ist Infrastruktur etwas, das nur unseren physischen Zustand verändert? Oder erhebt sie in Wirklichkeit unsere Seele, damit wir die früheren Grenzen sehen, von denen wir annahmen, sie seien unüberwindlich? Und können wir uns jetzt das vorstellen, was bisher unvorstellbar, undenkbar war?

Kepler stellte sich dem Undenkbaren und war glücklich dabei. Er entdeckte, daß das Sonnensystem mit Prinzipien erschaffen worden war, die den Menschen verständlich und schön erscheinen würden. Er sagte: „Ich will, daß jeder davon weiß. Jeder muß wissen, daß der Schöpfer uns liebt. Das sind große Neuigkeiten!“

Wenn wir in Keplers Fußspuren studieren, entdecken wir genau das gleiche. Wir finden eine Welt vor, die so frei und veränderbar ist, so sorgfältig regiert von einem gemeinsamen, allgemeinen Prinzip, daß es für alle Teile gleichermaßen gilt und jedes, so sehr es sich auch von den anderen unterscheiden mag, unersetzlich ist. Wenn wir Musik hören, wie das Schubert-Trio heute morgen oder das Chorstück gestern morgen, dann sehen wir ein Universum im Kleinen, das ebenso frei veränderbar wie sorgfältig abgegrenzt ist durch ein gemeinsames Prinzip, welches verständlich und schön ist - genau so, wie Kepler das Sonnensystem des Universums vorgefunden hat. Kann das wirklich sein? Ja. Denn wenn wir die Schöpfung betrachten, wenn wir den Schöpfer zu betrachten versuchen, schauen wir in einen Spiegel.

Das bedeutet, daß die Menschheit dazu in der Lage ist, dieselbe antientropische Entwicklung zu erschaffen wie die, die wir auf der Erde sehen. Hier entstand Leben, wo vorher keines war. Dann entstand die menschliche Vernunft, wo vorher keine war. Die Musik hält uns den Spiegel vor. Was die Elektrizität für das chinesische Kind ist oder das Wasser für den nigerianischen Bauern, ist die Musik für die Menschen. Wir können uns nicht nur daran erfreuen, sie verändert auch die Art, wie wir denken - über alles. Musik, wie die Musik Bachs, ist die moralische Infrastruktur der Gesellschaft.

Jeder Wirtschaftswissenschaftler sollte „Jesu meine Freude“ studieren. Denn in den letzten 40 Jahren, die uns die Katastrophe beschert haben, über die wir in den letzten zwei Tagen gesprochen haben, wurde genau diese Idee zurückgewiesen. Freihandel oder Marxismus genauso wie die meiste moderne Musik, die wir heute kennen, behandeln menschliche Wesen wie geistig Tote. Demnach sind wir nur wandelnde Leichen. Und alles, was wir tun können, ist, diese zu steuern: Wir können die Arbeitslosigkeit steuern, wir können die Ressourcen steuern oder wir können ihre Anzahl steuern.

In der Musik steuern wir ihre Gefühle. Deshalb heißt es klassische De-Komposition.

Was wir gestern gesungen haben, ist ein Beispiel dieses Spiegels. Er hat eine Geschichte. Lyn hat der LaRouche-Jugendbewegung vor einiger Zeit die Herausforderung gestellt, ob wir wirklich dazu bereit sind, die Aufgabe zu übernehmen, die Welt wieder aufzubauen; die Arbeit an „Jesu meine Freude“ wäre ein wichtiger Eckstein beim Wiederaufbau der Welt.

Das Stück selbst stammt aus dem Schrecken des Dreißigjährigen Krieges zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Europa, der vom Westfälischen Frieden beendet wurde - ein Frieden, der von der Einstellung inspiriert war, daß „ich den Vorteil des anderen vor meinen eigenen Vorteil stelle“.

Der Bürgermeister einer kleinen Stadt in der Nähe Berlins feierte gerade seinen 30. Geburtstag, als der Frieden geschlossen wurde. Zwei Jahre später schrieb er das Gedicht, das als „Jesu meine Freude“ bekannt wurde, mit dem er sich an seine Mitbürger wandte, die mit dem Westfälischen Frieden nicht notwendigerweise ihre Gefühle und Absichten veränderten. Er rief ihnen zu: „Tappt nicht in die Falle, in die Versuchung von Wut, von Rache, von Haß. Auch wenn Leute versuchen, euch lächerlich zu machen, euch zu beleidigen, euch zu bedrohen, euch zu brutalisieren, werdet ihr weiter lieben und völlig unbeeindruckt über all dem stehen. Tut ihr das nicht, dann werdet ihr zurückfallen in die Schrecken des Krieges.“

Das Gedicht hat sechs Teile. Im dritten Teil drückt er die Veränderung, über die er redet, sehr deutlich aus:

Nur drei Jahre später wurde der Musikdirektor einer wichtigen Kirche in Berlin darauf aufmerksam, und er sagte: „Ich will, daß meine Leute darüber nachdenken. Und sie sollen diese Ideen auch lernen.“ Er komponierte eine Melodie dafür, die ursprüngliche Melodie, die zu jeder der sechs Strophen gesungen wurde. (Musikbeispiel: zwei Stimmen singen „Trotz“)

Das war also das Original, das sich über ganz Deutschland verbreitete. Fast ein Jahrhundert später kommt Bach, damals Musikdirektor in Leipzig, und überarbeitet diese Volksweise. Können wir den ersten Satz von „Trotz“ hören? (Musikbeispiel mit dem Chor von Bachs „Trotz“).

Sie erinnern sich, wie im Vergleich dazu das Original klang? Hören wir den zweiten Satz. (Musikbeispiel mit dem Chor)

Die Frage ist, was passiert dazwischen? Wir werden den spezifischen Teil, den wir uns anschauen wollen, noch einmal singen: „Ich steh hier und singe.“ Bei dem Teil „Ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh!“ möchten wir genauer hören, wie das „Ich stehe hier“ klingt. [Musikbeispiel mit Steve Kramer (Dänemark), Cello, Kwame Cole (Jamaika), Violine]

War da etwas falsch? Sind die Instrumente falsch gestimmt? Nein: Das steht so auf dem Notenblatt. Das hat Bach so komponiert, und das haben wir gesungen.

Hat sich das so angehört, wie sie es gespielt haben? Nein! Aber wir haben genau das gesungen, was sie gespielt haben. Was ist passiert? Warum klang es beim Singen nicht häßlich? Was hat Bach fertig gebracht? Oder was macht unser Geist?

Tatsächlich zeigt Bach uns, was grundlegende Veränderung bedeutet, denn auch in dem Gedicht kommt es an dieser Stelle zu einer grundlegenden Veränderung, und eine grundlegende Veränderung kann niemals auf der Basis dessen weitergehen, was vorher war.

Bach wirft uns von unserem vertrauten und bequemen Sofa herunter. Das kann sehr schmerzlich sein!

Aber deshalb sind der erste Teil in Bachs Vertonung und der letzte Teil, obwohl beide die exakt gleichen Noten aufweisen, doch nicht gleich, wenn wir sie singen - wegen der Veränderung, die zwischen den beiden stattfindet. Die ersten Worte sind: „Jesu meine Freude“ und die letzten Worte sind: „Jesu meine Freude“. Was unterscheidet sie voneinander?

Es gibt keine Veränderung, die nur eine Weiterführung ist - wie zum Beispiel ein Neues Bretton Woods mit Windmühlen. Oder wenn jemand sagt: „Ich höre Bach... aber ich rauche immer noch mein Pott, wenn ich ihn höre.“ Oder: „Ich spiele immer noch Videospiele, während ich ,Jesu meine Freude’ höre.“

Die Frage ist, wie kann eine so grundlegende und vollständige Veränderung geschehen? Was ist das für ein Prinzip, das die Menschen dazu befähigt, eine vollständige Metamorphose durchzumachen? Was kann uns dazu befähigen? Was ist die Quelle der Leidenschaft, die wir aufbringen müssen, um den Kampf für große Veränderungen in dieser Welt zu gewinnen?

An diesem Punkt ist Bach ein wahrhaftes, liebendes Genie: Er fügt in diese Hymne einen ausführlichen Teil eines Briefes ein, den der Apostel Paulus an seine römischen Freunde geschrieben hat. Dort heißt es:

 

„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes...

Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“

 

Genau das meinen wir, wenn wir über Agape, die Liebe zur Menschheit, sprechen. Das machte den Westfälischen Frieden möglich. Das kann ein Neues Bretton Woods möglich machen, das kann den Traum wahr werden lassen, daß im Jahr 2059, in 50 Jahren, in Afrika 1000 von weltweit 15000 Atomkraftwerken stehen. Dieses Prinzip kann Menschen bewegen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, so wie Präsident Obama jetzt die richtigen Entscheidungen treffen muß. Wenn wir mit Drohungen, Gespött und Beleidigungen überhäuft werden, reagieren wir mit einem Witz und bleiben unbeeindruckt, weil wir wissen, daß wir nicht auf den Moment beschränkt sind.

Bach komponierte diese Motette für eine Beerdigung und erinnert uns damit daran, was es bedeutet, wirklich zu leben. Unsere Natur besteht nicht aus dem fleischlichen Körper, sie ist nicht gefangen in einem Käfig der Sterblichkeit. Er sagt uns: Nein! Eure wahre Natur ist euer Geist, und dieser wird ewig leben - vorausgesetzt, wir nehmen den Teil der Unsterblichkeit auf uns, den die Universalgeschichte für uns bestimmt ist - jenes Jahr 2009, in dem sich der Weltzivilisation die Möglichkeit bot, einem langen, furchtbaren finsteren Zeitalter zu entgehen. Eine Handvoll kämpferischer, freudiger Seelen hat diese Chance ergriffen, um sich in die große Kette menschlicher Ereignisse einzureihen, die für immer nachhallen wird als Rechtfertigung für all die Kämpfe, die vor ihr stattgefunden haben, und all die wunderbaren Entwicklungen, die danach geschehen werden.

Wie groß ist unsere Chance, zu gewinnen?

Genauso klein wie die Chance, daß ein blindes und taubes Kind die höchste Beziehung zur Welt und zu anderen menschlichen Wesen entwickeln würde - so wie Helen Keller.

Genau so groß wie die Chance, daß ein kleiner Mensch auf einer sich bewegenden Erde die Prinzipien des ganzen Sonnensystems entdeckt - wie Kepler.

Unsere Chance ist genauso klein wie die Chance, daß ein einzelner Mensch Prinzipien der Schönheit entdecken würde, die fähig wären, jeden einzelnen Menschen zu inspirieren - so wie es Bach tat.

Unsere Chance zu gewinnen, ist genauso klein wie die Chance, daß Leben auf der Erde entstände - und es entstand.

Das, was die kleinste Chance hatte, erweist sich als die wahre Natur des Universums. Um die unvermutete, die undenkbare, die unvorstellbare Natur des Universums und von uns als Menschheit zu feiern, möchten wir den letzten Redner einladen, unsere Konferenz zu beschließen: Johann Sebastian Bach.

(Es folgt die Aufführung von „Jesu meine Freude“ durch den Chor der LaRouche-Jugendbewegung.)

 

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Der Wiederaufbau der Weltwirtschaft nach der Systemkrise
- Neue Solidarität 10/2009
Der nächste Schritt
- Neue Solidarität 10/2009
Internetseite des Schiller-Instituts zur Rüsselsheimer Konferenz
(externer Link)