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Gesundheit. Das H1N1-Virus ist weltweit massiv auf dem Vormarsch. Das Chaos zu Beginn der Impfaktion ist ein schlechtes Omen, sollte es im weiteren Verlauf zu einer erhöhten Virulenz des Erregers kommen
In der ersten Novemberhälfte ist ein deutlicher Phasenwechsel in der Ausbreitung der sog. Schweinegrippe eingetreten. Auf der gesamten Nordhalbkugel kam es zu einer sprunghaften Zunahme von Infektionen mit dem H1N1-Virus und auch von Todesfällen. Die Weltgesundheitsorganisation meldete mit dem Stichtag 24. November 7860 Todesfälle weltweit. Die Zählung der Infektionen wurde in den meisten Ländern der Welt längst eingestellt, doch dürften die Krankheitsfälle weltweit längst einige Zigmillionen erreicht haben.
In Deutschland wurden bis 25. November 54 H1N1-Tote gemeldet, überwiegend junge Menschen, chronisch Kranke und Schwangere. Besonders von der Schweinegrippe betroffene Länder sind derzeit die USA, viele osteuropäische Staaten, vor allem die Ukraine, Weißrußland, Bulgarien, Rumänien und die Ukraine sowie Norwegen, aber auch Serbien, Moldawien, Litauen und Georgien.
Diese Entwicklungen folgen dem Verlauf früherer Grippepandemien, welche ebenfalls in einzelnen Wellen um den Globus gingen und sich im Zuge der jahreszeitlichen Grippeausbreitung jeweils massiv verstärkten. Somit ist die im Frühjahr in Mexiko ausgebrochene Schweinegrippe-Pandemie im Grunde erst im Anfangsstadium ihrer Entwicklung, und es ist zu erwarten, daß sich das H1N1-Virus während der Wintersaison auf der nördlichen Halbkugel weiter verbreiten wird, um sich im kommenden Jahr auf der südlichen Halbkugel weiter zu verstärken, wenn dort der Herbst und Winter beginnt.
Darüber hinaus besteht zu jeder Zeit die Möglichkeit, daß sich der Erreger genetisch verändert, wobei bereits eine geringfügige Mutation zu einer massiv erhöhten Virulenz führen kann. Dann könnte das H1N1-Virus beispielsweise viel leichter von Mensch zu Mensch weitergegeben werden und bei viel mehr Infizierten auch ohne Vorerkrankung zu schweren Verlaufsformen mit Todesfolge führen.
Es gab jüngst bereits erste Meldungen über genetische Veränderungen des H1N1-Virus. So hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Zusammenhang mit den ersten Schweinegrippe-Todesfällen in Norwegen von mutierten H1N1-Erregern berichtet. Auch nach der massiven Zunahme von Grippefällen in der Ukraine war über eine mögliche Mutation von Grippeviren spekuliert worden. Selbst wenn daraus noch nicht ein entscheidender Umschwung in der Pandemieentwicklung resultieren sollte, zeigen solche Vorkommnisse, daß die Möglichkeit für genetische Veränderungen des H1N1-Virus in dem Maße steigt, wie immer größere Bevölkerungsteile mit dem Erreger infiziert werden.
Deswegen ist es besonders vordringlich, all jene Maßnahmen zu ergreifen, die bewirken, daß die Weitergabe des Erregers unterbunden oder zumindest verlangsamt wird. Das reicht von der Aufforderung, sich regelmäßig die Hände zu waschen, über die Isolierung von H1N1-Infizierten bis hin zur Impfung möglichst vieler Menschen.
Bei der tödlichen Influenzapandemie 1918, deren Erreger dem jetzigen Schweinegrippevirus sehr ähnlich war, hatte man weder einen Impfstoff zur Verfügung, noch konnte man zeitnah die Ausbreitung des Virus mit entsprechenden Tests verfolgen. Ohne die Möglichkeit des gezielten, rechtzeitigen Eingreifens in die Infektionsausbreitung nahm diese Spanische Grippe ihren verheerenden Lauf, wobei sich auch erst in der letzten Ausbreitungswelle die eigentliche tödliche Wirkung entfaltete. Überdies traf der Erreger auf eine durch den Ersten Weltkrieg massiv geschwächte Bevölkerung, eine Situation, die der heutigen nicht unähnlich ist, wenn man bedenkt, in welch drastischem Umfang weltweit Einrichtungen des Gesundheitswesens im Zuge der wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenbruchskrise abgebaut wurden und dadurch das Immunsystem der Menschheit geschwächt wurde.
Ich möchte deshalb noch einmal meinen Aufruf vom Bundestagswahlkampf zu mehr Vernunft im Umgang mit der Schweinegrippe wiederholen: „Wer Warnungen vor der akuten Gefahr von gefährlichen Krankheitsentwicklungen als ,Panikmache’ abtut und damit wirksame Maßnahmen zur Eindämmung gefährlicher Seuchen verhindert, hat nicht nur die wahren Ursachen des ,ökologischen Holocausts’ verkannt, sondern spielt sogar denen in die Hände, deren strategische Perspektive tatsächlich die Reduzierung der Weltbevölkerung auf weniger als zwei Milliarden Menschen ist. Prinz Philip und seine Gesinnungsgenossen im World Wildlife Fund lachen sich ins Fäustchen, wenn sie sehen, daß Leute sogar freiwillig darauf verzichten, Schutzmaßnahmen gegen Seuchen zu ergreifen, die für die gesamte Menschheit gefährlich werden könnten. So wäre es gar nicht nötig, daß der Prinz als tödliches Virus wiedergeboren würde, wie er es sich erklärtermaßen wünscht, denn die vorhandenen Erreger haben aufgrund der Torheit der Leute schon zu seinen Lebzeiten leichtes Spiel.“
Angesichts dieser Lage ist es nicht nur absurd, sondern unverantwortlich, wie die verantwortlichen Gesundheitseinrichtungen in Deutschland die H1N1-Impfung organisiert haben. Im Vorfeld wurde zwar ein „Grippepandemieplan“ aufgestellt, der angeblich alle Aspekte der Seuchenbekämpfung berücksichtigen würde, aber bereits als es darum ging, die Herstellung genügender Impfstoffmengen sicherzustellen, zeigte sich, wie wenig Einfluß der Staat noch auf die inzwischen völlig privatisierten Grundbereiche öffentlicher Gesundheitsversorgung hat. Im Zuge der Globalisierung und Privatisierung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte sind die Staaten der Welt im Gesundheitsbereich ein strategisches Sicherheitsrisiko eingegangen, das sich nun beim Ausbruch der Schweinegrippe offenbart.
Wie sollte es möglich sein, in gerade noch einmal 24 Produktionsstätten für Impfstoff weltweit (unter der Kontrolle von 5 Pharmakonzernen) in kurzer Zeit Impfstoff zum Schutz der gesamten Weltbevölkerung herzustellen? Außer der Weltgesundheitsorganisation gab es keine Stelle mehr, die steuernd auf die Verteilung des Impfstoffs hätte einwirken können. Und das Chaos, das dadurch entstand, wirkt bis heute fort.
Die deutschen Gesundheitsstellen vom Ministerium bis zu den Gesundheitsämtern vor Ort waren völlig damit überfordert, klare Strukturen für die Verteilung und Verabreichung des Impfstoffs aufzubauen. Die Gesundheitsämter selbst sind seit langem wegen des rigiden Sparkurses der Regierung personell und organisatorisch gar nicht mehr in der Lage, Impfaktionen dieser Größenordnung in eigener Regie durchzuführen. Doch da die niedergelassenen Ärzte, die Krankenkassen und andere Stellen nicht entsprechend in die Pläne eingebunden waren, kam es gleich zu Beginn der Impfaktion zu Stockungen und großer Verwirrung auf allen Seiten. Da noch jedes Bundesland separate Versorgungspläne verfolgte, entstand die absurde Situation, daß beispielsweise in Hessen schon Mitte November die Bevölkerung in fast allen Arztpraxen und den Gesundheitsämtern die Impfung erhalten konnte, während im benachbarten Rheinland-Pfalz selbst Angehörige von Risikogruppen vergeblich nach Impfmöglichkeiten suchten. In Berlin scheiterte der Beginn der Impfaktion dann am Sparkurs des Berliner Senats, der den Ärzten weit weniger als den üblichen Satz für die Verabreichung der Impfung vergüten wollte. Infolgedessen standen zu Beginn lediglich 150 Impfpraxen in ganz Berlin zur Verfügung, die in kurzer Zeit den Ansturm nicht mehr bewältigen konnten. Die Menschen waren zu recht verärgert, da zu diesem Zeitpunkt schon deutlich war, daß die Zahl der Schweinegrippefälle sprunghaft zugenommen hatte.
Zusätzliche Verwirrung entstand, da in den Medien, von selbsternannten Experten und sogar von ärztlicher Seite die widersprüchlichsten Empfehlungen über die oder Warnungen vor der H1N1-Impfung verbreitet wurden. Zu einer rationalen Aufklärung der Bevölkerung hätte beispielsweise gehört, auf die überragende Rolle von Impfungen bei der Eindämmung gefährlicher Virusinfektionen (den sog. „Kinderkrankheiten“) hinzuweisen, wodurch es beispielsweise gelungen ist, Seuchen wie die Pocken praktisch auszurotten. Und gerade bei der Virusgrippe eine Impfung zu unterlassen, bedeutete, freiwillig auf den wirksamsten Schutz der Bevölkerung vor Krankheit und Tod zu verzichten.
Natürlich ist der Umstand, daß die diversen Warnungen vor der Schweinegrippeimpfung auf entsprechende Resonanz in der Bevölkerung stoßen, auch ein Ausdruck der kulturellen Degenerierung, bei der zunehmend nur noch das eigene Ich („Verbraucherschutz“) und nicht mehr das Wohl der gesamten Bevölkerung („Gemeinwohl“) im Vordergrund steht.
Schon jetzt muß dafür gesorgt werden, daß bei Anfall vieler schwerkranker Grippepatienten ausreichend Behandlungsmöglichkeiten und Beatmungsgeräte (auch für Kinder) zur Verfügung stehen, ansonsten droht die jetzt noch scheinbar theoretische Debatte um „Priorisierung“, d.h. die Auswahl von Patienten, die leben werden oder sterben müssen, zu einer moralischen Zwangslage zu werden, die der Euthanasiepraxis der Nazis gleichkommt.
Ein Ausweg aus der Misere kann nur darin liegen, die Verantwortlichkeit des Staates gerade im Gesundheitswesen wieder zu stärken, die massive Unterfinanzierung in der Gesundheitsversorgung zu beenden und eine Forschungsoffensive in den Lebenswissenschaften einzuleiten, wozu unbedingt auch eine Ausweitung der Raumfahrtmedizin gehören muß.
Dr. med. Wolfgang Lillge