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Neue Solidarität
Nr. 47, 18. November 2009

„Man kann die Krise nicht durch Verzicht verhindern oder abschaffen“

Frieder Lutz ist Vertrauensmann der IG Metall bei Opel Bochum. Portia Tarumbwa-Strid und Kasia Kruczkowki sprachen am 5. November, nach der Entscheidung des GM-Konzerns, Opel nicht an den Magna-Konzern zu verkaufen, mit ihm über die Lage der Beschäftigten.

Portia Tarumbwa-Strid: Was denken Sie, persönlich, ist die Absicht hinter der Entscheidung von General Motors? Denn es war ja auch ein Affront gegen Angela Merkel, die gerade in den USA war. Sie hat dort eine Rede gehalten, sich mit Präsident Obama getroffen, und er hat ihr nichts darüber gesagt. Was würden Sie sagen, steckt da wirklich dahinter?

Frieder Lutz: Ich gehe davon aus, daß GM einfach versucht, wieder Weltmarktführer zu werden. Sie waren mal Weltmarktführer und sind jetzt auf dem 3. oder 2. Platz nach Toyota.

Sie haben erstmal in Amerika angefangen mit der Insolvenz. Sie haben sich dort schön saniert, sind die Schulden losgeworden - ein Teil wurde vom Staat übernommen - und haben Werke geschlossen, Leute entlassen usw.

Jetzt sind sie in Amerika fertig und jetzt kommen die nächsten dran - und das ist dann halt Opel. Und so werden sie, Schritt für Schritt, ihre Marken in der ganzen Welt durchorganisieren; richtig neu organisieren. Und wir - die Malocher - sind natürlich die Doofen dabei. Das ist meiner Meinung nach von langer Hand geplant gewesen.

Ich kann es mir auch sehr gut vorstellen, daß sie nie vorhatten, Opel überhaupt zu verkaufen, daß das einfach nur eine Hinhaltetaktik war, um noch 1,5 Mrd. an Steuergeldern hier in Deutschland einzukassieren und um ein Jahr lang die Belegschaften ruhig zuhalten. Man hat Hoffnungen gemacht, es würde irgendwie weitergehen - und jetzt sagt man was anderes. Es sagen jetzt alle, man hätte das nicht voraussagen können, aber wenn man ein bißchen nachgedacht hätte, hätte man es, glaube ich, schon voraussehen können, daß so was passieren kann.

PTS: Die US-Automobilindustrie ist seit langem eigentlich tot. Wir haben z.B. 2005 die Anzeichen dafür gesehen. GMAC z.B., die waren schon pleite, die haben Riesenverluste gemacht. Wenn man sieht, daß der Ingenieurteil beibehalten werden soll, was soll denn das Ziel einer solchen Politik sein?

Lutz: Ich denke mir halt: sie brauchen die Technik von Opel, und sie brauchen die Marktanteile von Opel, aber die Werke brauchen sie nicht. Insofern würden sie sich die Technik einverleiben und die Marke. Opel hat ja Marktanteile, das behalten sie auch. Aber wo dann die Autos gebaut werden, das ist eine ganz andere Frage.

GM baut ja gerade Werke in Rußland auf. In St. Petersburg z.B. haben sie eins, und in Kaliningrad, glaube ich, wird jetzt wohl ein zweites Werk gebaut, wo angeblich nur für den russischen Markt produziert wird – aber wenn erstmal ein Werk da ist, kann man es ausbauen. Das läuft dann einfach darauf hinaus, daß verlagert wird nach Osteuropa, und die anderen Werke in Europa werden plattgemacht. Dann hat man, wie gesagt, die Technik, die Absatzmärkte, und wo dann nachher gebaut wird, das ist eine ganz andere Sache.

PTS: Nur als zweite Frage dazu. Die Hintermänner, also die Leute die dahinter stecken – die nächste Frage, die sich dann stellt ist, ob sie Angst haben, daß das deutsche Ingenieurstalent mit russischer Industrie zusammenkommt und man damit ein Problem bekommt. Denn wenn man das geopolitisch anschaut: Was würden Sie dazu sagen, ob das vielleicht auch mit eine Rolle spielt.

Lutz: Wie meinen Sie das?

PTS: Daß man das so sieht: Opel ist eigentlich weltweit führend im Ingenieurwesen. Wenn das zusammen kommen würde mit der russischen Industrie, daß das jetzt eine Bedrohung wäre? Wie sehen Sie das?

Lutz: Eine Bedrohung eigentlich nicht. Eigentlich finde ich es gar nicht schlimm, wenn die verschiedenen Techniken zusammenkommen, wenn das für die Menschen eingesetzt würde...

Nur ist es halt heute ja immer so, daß das ein Konkurrenzkampf ist, wo General Motors aus Deutschland die Ingenieurtechnik nimmt, um den russischen Markt zu erobern, und die Menschen auf der Strecke bleiben. Es ist eher die Frage, ob die Leute auf die Straße gehen, um das zu verhindern...

PTS: Denn der Gedanke ist eben Profitmaximierung.

Lutz: Insofern habe ich nicht wirklich Angst, daß die Technik dort hingeht.

PTS: Nein, ich meine, ob die Leute, die hier Opel knicken wollen und Bochum, daß die dieses Konkurrenzdenken haben.

Lutz: Das weiß ich ja, daß die das haben. Da mache ich mir gar nichts vor.

Schließt euch zusammen, wehrt euch!

PTS: Wenn Sie jetzt eine Botschaft hätten an die ganzen betroffenen Bevölkerungsgruppen, die auch an einer ähnlichen Situation, also an der Finanzkrise leiden - denen wird gesagt: „Es tut uns leid, wir müssen halt durch die Wirtschaftskrise; in der freien Marktwirtschaft ist das nun mal das Leben.“ Z.B. Quelle-Mitarbeiter oder die Milchbauern, die wären nicht mehr konkurrenzfähig, obwohl wir alle Lebensmittel brauchen. Was wäre Ihre Botschaft an diese Gruppen?

Lutz: Wehrt euch! Schließt euch zusammen und kämpft. Laßt euch nicht irgendwas erzählen. Wir sind nicht für diese Krise verantwortlich, wir haben diese Krise nicht gemacht. Und man kann sie durch keinen Verzicht dieser Welt verhindern oder die Krise abschaffen. Man muß sich wehren. Das ist meine Botschaft.

PTS: Wie wäre es, wenn sie sich mit diesen anderen Gruppen zusammentun würden?

Lutz: Ja, natürlich! Am besten ein Generalstreik.

PTS: Das Argument der Politiker, daß wir z.B. HypoRealEstate retten müssen, weil das ja systemisch ist - eigentlich kann man sagen, daß es ein viel stärkeres Argument wäre, Opel zu retten, weil es vom Standpunkt der Industriekapazitäten ganz wichtig ist. Die sind nämlich noch systemischer als eine Bank. Was würden sie dazu sagen?

Lutz: Interessante Frage! Denn bei uns bei Opel wird jetzt immer davon gesprochen, Magna wäre die Rettung gewesen. Als der Rüttgers da war, da haben sie alle davon gesprochen - sie wollen die Arbeitsplätze retten. Aber Magna wollte 10.000 Leute rausschmeißen. Und jetzt will GM 10.000 Leute rausschmeißen. Was ist denn das für eine Rettung? Es ging nie um die Rettung von Arbeitsplätzen.

Bei den Banken ist es auch so: Es geht nicht um das Geld der Menschen, das gerettet wird. Da wird nur irgendeine Bank gerettet. Wenn Opel gerettet wird, dann werden auch nicht die Arbeitsplätze gerettet. Dann werden vielleicht nur die Profite gerettet, von Opel, aber nicht die Menschen. Diese „Rettung“ - das hört sich immer schön an - es ist nur die Frage, was gerettet wird.

Aus der Krise herausproduzieren

Kasia Kruczkowski: Und von wem, vor allen Dingen! Ich meine, es ist eine Sache wenn ein Hai von dem anderen Hai übernommen wird. Aber wenn der Staat z.B. vorübergehend die Opel-Werke übernehmen und die Produktion umstellen würde, wäre das was anderes.

Wir brauchen ja nicht mehr Autos. Wir haben genug Autos und es gibt genug Leute, die Autos billiger produzieren. So wird das in den Medien suggeriert. Aber es gibt genug zu tun! Gerade wenn man um sich schaut, was hier alles zusammenfällt: Man hat in den letzten Jahrzehnten keinen Wert mehr auf Weiterentwicklung, auf Technologie gelegt. Wir haben noch - noch! - die Ingenieure und ausgebildeten Fachkräfte, die man eigentlich in Arbeit setzen kann. Aber private Unternehmen sind eigentlich nicht daran interessiert, langfristige Projekte anzugehen.

Wir sind ja nicht das erste Mal in einer Wirtschaftskrise, und wenn man schaut, wie Deutschland in der Vergangenheit aus solchen Krisen herausgekommen ist: es war immer, indem man in die Realwirtschaft investiert hat, also indem man sich „herausproduziert“ hat...

In Amerika z.B. haben wir sehr stark dafür mobilisiert, daß eine Umstrukturierung der Produktion erfolgt. Wir haben vielleicht genug Autos; der Markt ist vielleicht gesättigt, aber wir könnten die Anlagen und Maschinen umstrukturieren, um andere Sachen zu produzieren. PTS: Porsche hat in den fünfziger Jahren Traktoren produziert.

KK: ... und Fahrräder, Opel hat doch mit Fahrrädern angefangen, oder?

Lutz: Ja, und Nähmaschinen, glaube ich, auch mal.

KK: Nähmaschinen! Haben Sie eine Idee, welche Richtung man einschlagen muß, um einem solchen Unternehmen, und damit auch den Leuten, die darin tätig sind, eine Perspektive zu geben? Denn viele dieser Menschen, die das Unternehmen seit langem begleiten, sehen die Entwicklung dieses Unternehmens nicht nur als irgendeine AG an, sondern...

PTS: ...als ein Instrument, um die ganze Gesellschaft voranzubringen!

KK: Ja, genau. Haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, in was Opel eine solche Umstrukturierung machen kann?

Lutz: Zum Beispiel Nullemissionsautos bauen, ohne Schadstoffausstoß. Zum Beispiel Elektroautos, wo der Strom mit erneuerbaren Energien hergestellt wird, oder so. Diese Autos bräuchte man weltweit. Man müßte ja eigentlich weltweit alle Autos einmal austauschen. Und dann wäre auch genug Produktion da.

PTS: Aber wäre es sinnvoll, so stark auf Autos zu setzen? Man sagt ja immer: „Was ist, wenn alle Chinesen ein Auto haben? Oder jeder Inder?“ Wie wäre es statt dessen mit Eisenbahnen? Maschinenteile sind ja für alle Maschinen gut.

Lutz: Oder den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Klar, man kann natürlich Busse bauen, Eisenbahnen bauen, was alles gebraucht wird.

Aber ich denke vor allem, daß man das nicht mit der Regierung machen wird oder kann. Wenn, dann muß es erkämpft werden. Denn die Regierung arbeitet mit den Unternehmern zusammen. Das hat man auch im vergangenen Jahr bei Opel gesehen. Wie sie alle für Magna waren, obwohl Magna genauso Leute rausschmeißen wollte, da hat keiner was gesagt. Jürgen Rüttgers auch nicht. Und jetzt, wo plötzlich GM Opel behält, da kommt er hin und sagt: „Ja, jetzt kämpfe ich.“ Wo war er denn letztes Mal?

PTS: Ja - nächstes Jahr sind Landtagswahlen!

Lutz: Genau, nächstes Jahr Landtagswahlen. Erst war die Bundestagswahl...

PTS: Er denkt an seine eigene politische Karriere!

Lutz: Genau! Insofern denke ich auch, daß man andere Sachen produzieren kann, was halt gebraucht wird. Aber das muß dann erkämpft werden. Die werden das nicht freiwillig machen.

Zum Beispiel erzählen sie immer alle, was für sparsame Autos sie haben, und was weiß ich was. Aber sie forschen nicht wirklich an anderen Autos. Die meisten Forschungsgelder gehen alle in die Verbrennungsmotoren rein. Und dann müssen sie natürlich auch bei Elektroautos forschen, damit nicht die Konkurrenz plötzlich irgendwelche Autos hat, und sie die Technik nicht dafür haben. Deswegen forschen sie zwar, aber in Wirklichkeit wollen sie weiter Verbrennungsmotoren.

Wenn da nicht die Leute aufstehen und dafür kämpfen, daß etwas anderes produziert wird, würden sie nie umstellen. Und die Regierung wird uns auch nicht dabei helfen.

PTS: Wie lange würde ein solcher Umstellungsprozeß dauern? Wenn wir z.B. sagen würden - und dafür kämpfen wir, denn das ist der einzige Weg -, daß deutsche und russische Ingenieure zusammen für die Menschen produzieren würden, das wäre natürlich zu begrüßen, wenn der politische Wille dafür da wäre, so was zu machen. Jetzt ist er nicht da. Aber wenn sie z.B. sagen würden, sie definieren bestimmte Projekte - wir haben gesagt, Schnellbahnsysteme, Transrapid, Traktoren für die Dritte Welt, solche Sachen. Wenn sie diese Projekte definieren würden, wie lange würde eine solche Umstellung dauern, nach Ihrer Erfahrung, nach Ihren Kenntnissen?

Lutz: Das weiß ich nicht, aber, z.B. Elektroautos bauen geht relativ schnell. Ob ein Auto mit einem Elektro- oder Verbrennungsmotor ausgestattet wird, ist ja ein ähnlicher Vorgang. Wie lange es dauert, die Anlagen komplett auf etwas anderes umzustellen, das weiß ich nicht. Aber man muß halt irgendwann damit anfangen! Das ist das Entscheidende. Ob es fünf oder zehn Jahre dauert, man muß heute damit anfangen, damit es irgendwann soweit ist.

PTS: Wir haben 2005 auch diesen Kampf geführt, mit den Gewerkschaften in den USA, die bei GM waren. Denen wurde gesagt, daß die Werke einfach stillgelegt werden müßten, und die haben eigentlich ganz hart gekämpft. Wir hatten jemand hier aus den USA, der eine Tour gemacht hat, der wollte Kontakte knüpfen. Er hat gesagt, was sie dort haben kommt bald hierher.

Es war eine sehr interessante Zeit. Mark Sweazy hat uns damals gesagt, daß eine solche Umstellung der Anlagen in den USA 13 Wochen dauern könnte, wenn man Maschinenteile für solche Dinge herstellen würde. Damals wußte man, wenn der politische Wille da gewesen wäre, hätte man sofort damit anfangen können, damit es dann soweit ist für solche Projekte. Ist das realistisch für hier?

Lutz: Technisch weiß ich nicht, wie lange das dauern würde. Aber ich würde sagen, wenn man Fahrzeuge baut, baut man Fahrzeuge. Man kann natürlich auf einer Autolinie nicht einen Bus bauen, aber sonst ist es alles relativ ähnlich.

Bochum ein zweites Detroit?

KK: Wir sehen ja an der Entwicklung in den USA seit 2005, 2007, was passiert. Die Autoindustrie war in den USA die letzte Industrie, die noch Maschinenbaukapazitäten hatte, die zerschlagen wurde - durch die Passivität der Regierung, natürlich. Da ist man damals mit denselben Argumenten gekommen, die man heute in Deutschland und Europa vorbringt.

Man sieht aber doch, daß man dort heute auf einer Art von sozialem Pulverfaß sitzt, weil die Leute eigentlich schon seit Jahren sehen, daß Schritt für Schritt alles auseinanderfällt. Die Postkarten, die man so kennt aus Detroit, die haben mit der Realität nichts zu tun. Detroit ist zu einer Geisterstadt geworden.

Glauben Sie, wenn Opel geschlossen würde oder wenn 10.000 Leute entlassen würden - z.B. hier in Bochum -, daß es dann eine ähnliche Entwicklung geben würde; wenn die Zulieferer, der Bäcker, usw. schließen müßten? Oder kann man das überhaupt nicht vergleichen?

Lutz: Was da noch dranhängt?

KK: Kann man damit rechnen daß Bochum wie so eine Art zweites Detroit wird?

Lutz: Was für große Arbeitgeber gibt's hier denn noch außer Thyssen-Krupp...

PTS: Die entlassen auch 20.000...

Lutz: Eben. Wer bleibt denn noch von den Großen? Und wieviele von den Kleinen hängen an Opel dran? Wie viele Zulieferer gibt es denn? Die meisten kennt man ja gar nicht; irgendwelche kleine Werkstätten, wo noch Teile gebaut werden. Ich glaube, man rechnet auf jeden Arbeitsplatz bei Opel vier weitere Arbeitsplätze, die dann verloren gehen. Und dann kommt ja noch dazu der Bäcker, der Metzger, der Taxifahrer...

KK: Die werden da gar nicht miteingerechtet

Lutz: Nein, die kommen ja noch dazu!

Und was da noch dranhängt: Die Regierung heult immer, die Sozialkassen sind leer, aber wenn die Leute arbeitslos sind, zahlen sie auch nicht mehr in die Sozialkassen ein. Also: Rentenversicherung, Krankenversicherung - ist ja klar, daß die Kassen leer sind. Was passiert denn, wenn die jetzt die Leute hier rausschmeißen? Dann zahlen wieder weniger Leute ein! Es ist ganz klar: die ganze Region hängt da dran.

Es gibt ja diesen Film von Michael Moore, Roger and Me, von vor 20 Jahren, wo er die Situation in Flint in Amerika beschrieb - das war ja auch eine große Autostadt Amerikas: GM hat dort 30 Werke platt gemacht. Danach stand alles leer, alle Häuser zerfallen, keine Läden mehr, usw. Wenn hier das Werk geschlossen wird, kann das auch ähnlich werden.

PTS: Ich kann mich nur an diese Frau [eine Opel-Betriebsrätin] erinnern, die mit Rüttgers rausgekommen ist, die war so in Rage. Sie schien so verzweifelt zu sein, als wenn sie das einfach nicht versteht.

Was denken Sie, verstehen die das? Oder stecken sie einfach mit der Presse zusammen? Machen sie das einfach, um die Profite zu maximieren und deshalb die Billiglöhne, Auslagerungen, usw. voranzutreiben? Sind die einfach Teil des Systems? Was sind die Forderungen von IGM und Opel? Und was sagen Sie zu dieser Sache?

Lutz: Verzweifelt war sie nicht. Sie war sauer, weil ihr heute das gleiche erzählt wurde, was uns das ganze letzte Jahr über gesagt wurde: daß alle immer gesagt haben, sie kämpfen für uns, sie retten uns, sie machen für uns und tun für uns - und sich jetzt herausstellt, daß GM sie alle verarscht hat. Die gleichen Leute haben sich jetzt wieder dahingestellt und haben gesagt, jetzt kämpfen wir aber bei GM für euch. Deswegen war sie sauer.

Vor allem der Oliver Burkhard, der ist ja unser Bezirksleiter für NRW von der IG Metall, der hat sich vor einem halben Jahr auf die Betriebsversammlung gestellt und gesagt: „Verzichtet auf euren Lohn, wir machen eine Abstimmung. Stimmt zu, daß ihr auf euren Lohn verzichtet, damit Magna kommt“, und das sollte in irgendeine Mitarbeiterbeteiligung reinkommen. Und jetzt stellt er sich hin und hat gerade gesagt, „wir werden den Tariflohn durchsetzen.“

Der gleiche Mensch - einmal so, einmal so. Zum Thema IG Metall, sage ich immer, muß man den Unterschied machen zwischen der Gewerkschaftsführung, und den Leuten - also den Vertrauensleuten, den Mitgliedern.

PTS: Das ist bei den Milchbauern genau so.

Lutz: Die Gewerkschaftsbasis ist kampfbereit.

PTS: Wird das gebremst von oben? Also, wird so getan, also ob irgendwas gemacht wird, aber in Wirklichkeit weiß man es nicht?

Lutz: Ja. Wenn man sein Pöstchen hat als Betriebsratsvorsitzender, und alles bequem hat, dann will man sich natürlich nicht gerne mit seinem Arbeitgeber anlegen. Und dann kann man es natürlich auch nicht haben, wenn irgendwelche Kollegen kommen und einen Streik fordern, zum Beispiel. Die versuchen einen Deckel drauf zu halten.

Heute zum Beispiel bei der Versammlung wollte auch eine kämpferische Betriebsrätin reden, aber sie durfte nicht. Der Werkschutz wollte sie erst gar nicht auf die Bühne lassen. Am Ende ist sie trotzdem auf die Bühne gegangen und dann war das Mikrofon ausgeschaltet. So läuft das ab. Da wird einfach unterdrückt, wenn es mal andere Meinungen gibt.

PTS: Was will denn die Basis haben, im Gegensatz zu dem, was da diskutiert wird?

Lutz: Die Leute wollen vor allem natürlich ihren Arbeitsplatz behalten. Viele haben Angst, weil man ja nicht weiß, was aus dieser Insolvenz wird, die da im Raum steht. Was passiert, wenn Opel in Insolvenz geht? Es gibt ja kein Beispiel für das, was dann passiert. Man kennt das, was die in den letzten Jahren gemacht haben. Arbeitsplätze abbauen, vielleicht Werksteile auslagern, oder so. Da weiß man, was auf einen zukommt. Aber was ist, wenn es zur Involvenz kommt? Die Leute wollen vor allem Sicherheit für ihre Arbeitsplätze.

Die kriegt man aber nicht durch diese ganzen Verzichtsverträge, also auf Lohn verzichten und auf Urlaubsgeld verzichten, auf Arbeitsplätze auch noch verzichten, so was: Das ändert gar nichts da dran. Damit schafft man diese Sicherheit nicht. Und das sehen die Leute jetzt alle, das sieht man jetzt einfach.

Solidarität gegen Globalisierung

KK: Wir konkurrieren eigentlich mit Billiglohnländern. Die Frage ist, man sagt ja, Produktion ist hier zu teuer, der Standort Bochum sowieso. Das hat man mit Nokia gesehen und in anderen Bereichen. Die Entwicklung geht eigentlich dahin, daß man sich fragen muß: Wer profitiert eigentlich davon? Warum ist es denn billiger, in China zu produzieren - wo man eben keine Sozialleistungen hat, also keine Arbeitslosenversicherung, keine Krankenversicherung, keine Infrastruktur, also keine „Kosten“ in dem Sinne. Und man muß nur ganz wenig an Gehalt zahlen. Und solange das in Deutschland nicht der Fall ist, solange müssen wir eben akzeptieren, daß die Produktion, die Industrie und dergleichen, ins Ausland gehen.

Ich sehe darin eine Gemeinsamkeit, wenn man sich ansieht, was da weltweit los ist in den verschiedenen Bereichen, ob es die Milchbauern sind, die jetzt wirklich vor dem Aus stehen. Aber auch mit den Krankenkassen, im Gesundheitswesen - es gibt viele Patientenverbände, die sich mobilisieren, Ärzteverbände usw. Auch beim Maschinenbau, oder in der Stahlindustrie, usw.

Es gibt so viele verschiedene Interessengruppen, die sich mobilisieren, aber in ihrem eigenen Bereich. Sie haben vorhin gesagt, die Menschen kämpfen, um ihren Arbeitsplatz zu behalten. Es gibt zum Beispiel viele andere, Hartz-4-Empfänger, die immer noch Montagsdemos machen und schreien: „Weg mit Hartz 4“, oder die Milchbauern, die sagen, „Her mit der Milchquote“ oder dergleichen.

Aber die eigentliche Sache, die von den Politikern nicht angesprochen wird, die von den Medien nicht angesprochen wird, ist es, dieses ganze System in Frage zu stellen und das wirklich zu reorganisieren. Wenn sich alle Gruppierungen, alle diese Interessenverbände zusammentun und dann eben gemeinsam solche Forderungen stellen, die dann eine ganz andere Qualität, eine ganz andere Kraft in sich hätten?

Das ist etwas, was derzeit wirklich mit Biegen und Brechen verhindert wird, ob das in den Medien ist oder in den Wahlkämpfen. Das haben wir ja auch gesehen, in den letzten Monaten in diesem Wahljahr, wo immer wieder, sobald man die Systemfrage gestellt hat, die Diskussion mehr oder weniger beendet worden ist.

Meinen Sie, daß es Möglichkeiten gibt, daß die Opelaner sich zusammentun mit diesen anderen Interessengruppierungen? Sie haben vorhin einen Generalstreik erwähnt. Das hat mir sehr gut gefallen, denn wir hatten ja in Deutschland diese Demonstrationen, 1989, wo die Menschen eben nicht bloß für eine bessere Lebensqualität der eigenen Familien im engeren Sinne auf die Straße gegangen sind, sondern wirklich für einen Systemwechsel, für etwas größeres.

Da ist eine Solidarität in der Bevölkerung entstanden, die viele heute wieder suchen. Denn die meisten Menschen sind wirklich total verzweifelt und sehr pessimistisch, aber die Stimmung in der Bevölkerung kann sehr schnell erhoben werden durch eine positive Herangehensweise, wenn man sagt, jetzt ist Schluß, wir wissen, was wir wollen und setzen uns dafür ein, und wo man damit die Politikern - gerade in den nächsten Monaten gerade in NRW - damit konfrontieren muß, daß sich was ändert. Um die Regierung z.B. zu einer solchen Umstrukturierung von Opel zu bewegen.

Wir waren ja in Luxemburg bei dieser Bauerndemo, und es ist wirklich unglaublich, wie verzweifelt die Leute sind! ... Es gibt so einen Punkt, wo man wirklich anfängt, jetzt für so etwas zu mobilisieren, wo man also sagt, gemeinsam können wir das schaffen.

Denken Sie, daß man so etwas mit in die Diskussion einbringen kann?

Lutz: Ich meine, als wir 2004 gestreikt haben, haben wir sehr viel Solidarität aus der Bevölkerung erhalten. Es waren alle da: die Montagsdemos, der Metzger, die Ärzte...

PTS: Wir waren da!

Lutz: Ihr wart da... Ich habe noch ein Buch zuhause, wo die ganzen Solidaritätserklärungen von damals drin sind. Das Buch ist ziemlich dick; ein paar Hundert Seiten. Das war ja im Prinzip so eine Art Zusammenhalt, daß man solidarisch, gemeinsam, gekämpft hat. Das ist auf jeden Fall möglich.

Ich bin übrigens auch ein Montagsdemonstrant, ich war vor etwa einer Woche auf der Montagsdemo in Berlin, da hat ja auch einer von den Milchbauern gesprochen, einer von den Migranten, einer vom Schülerprotest, von Quelle hat einer gesprochen. Das war ja im Prinzip auch schon ein Anfang einer Zusammenarbeit.

Nur, mit dem System sehe ich es so, daß es hier nicht nur um irgendeine Politik geht, sondern um den gesamten Kapitalismus. Wir sind nun mal in einem kapitalistischen Staat, mit einer kapitalistischen Regierung, die macht eben auch kapitalistische Politik. Ich kann natürlich Widerstand leisten - streiken, demonstrieren usw. wie z.B. auch 1989. Aber wenn man was wirklich ändern will, muß man das ganze System abschaffen. Das ist meine persönliche Meinung. Ich bin persönlich für den Sozialismus, einen echten, nicht wie in der DDR.

KK: Was 1989 ganz klar war, ist, daß das System bankrott war - was heute wieder der Fall ist, auch wenn man nicht darüber sprechen darf, in den Medien usw., aber die Globalisierung ist am Ende. Die braucht man also nicht abschaffen, denn sie hat sich selber abgeschafft.

Was wir aber sehen, ist, wie eine Wirtschaftspolitik funktionieren kann. Wir haben ja z.B. Instrumente wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Ein souveräner Staat - dafür müßte sich Deutschland z.B. von dem Maastricht-Korsett, dem EU-Vertrag und dergleichen befreien -könnte das alles ändern.

Das ist eher vorstellbar, sobald gewisse Mächte, wie z.B. Rußland, China, Indien und die USA zusammenkommen und sagen, wir brauchen ein neues Wirtschaftssystem, dann würde auch Frau Merkel bestimmt nicht lange zögern, sich dem anzuschließen. Wir haben auch schon sehr gute Entwicklungen in Rußland und China, die sich gegen diese Globalisierung richten, indem sie mit ihren Dollarreserven, die sie ja haben - gerade China hat ja sehr viel Dollarreserven - jetzt einen Wert schaffen, indem sie Abkommen haben, große Infrastrukturprojekte gemeinsam zu machen, also wirklich die Betonung wieder auf die Realwirtschaft legen und die Entwicklung des eigenen Landes und auch des anderen, also gegenseitige Entwicklung, voranbringen...

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man ja auch, mit dem Marshallplan, die Gelder sehr weise benutzt, man hat ganz konkret gewisse Infrastrukturprojekte finanziert, die quasi die Wirtschaft wieder aufgebaut haben.

Denn diese Idee „Geld macht Geld“ funktioniert anscheinend nicht. Gewisse Bereiche der Wirtschaft müssen geschützt werden, wie die Nahrungsmittelproduktion, die Energieversorgung und dergleichen. Und so etwas wird niemals ein Privatunternehmen machen können, in gewissen Bereichen der Wirtschaft kann einfach kein Profit erzielt werden! Solche Bereiche müssen dann einfach geschützt werden, weil sie wichtig für die Gesellschaft sind.

PTS: Nahrungsmittel zum Beispiel - darauf darf man nicht spekulieren! Verbrennen sollte man sie auch nicht -

Lutz: Kinderbetreuung, Krankenhäuser...-

PTS: Ja! Das ist dann die Aufgabe der Regierung. Wir fordern, daß die Regierung, da sie die einzige Institution für das Gemeinwohl ist, daß nur sie Geld drucken darf. Wenn private Zentralbanken den Regierungen sagen, was sie zu tun haben, das funktioniert nicht! Denn wer wählt die? Wenn jede Nation die Möglichkeit hat, einen Binnenmarkt zu schaffen und zu schützen vor diesen Monopolen, also vor den Konzernen, dann hat jedes Land eine Chance mit den anderen zu arbeiten.

Für uns ist das wichtigste, daß die Souveränität eines Landes an erster Stelle gesetzt wird. So etwas wie Opel ist ein Kernstück der Wirtschaft. Ich nehme das sehr persönlich, weil, wenn ein Land wie Deutschland, ein Industrieland, seine Maschinenbaukapazitäten, Industrie usw. verliert, was ist denn dann der Unterschied zwischen so einem Land, und meinem Land [Simbabwe], wo wir alles importieren müssen, was wir brauchen, aber es gibt nur zwei Dinge, die wir exportieren, um genügend Geld für die Versorgung der Bevölkerung einzunehmen. Und wenn dann die Preise schwanken, was dann? Dann haben wir Pech gehabt... Wissen Sie? Das war jetzt sehr viel.

Lutz: Viele Fragen!

PTS: Aber, was sind jetzt Ihre Gedanken?

Lutz: Zum Thema Globalisierung: Klar, einerseits kann man die Menschen weltweit gegeneinander ausspielen. Z.B. in Punkto Löhne. Aber ich sehe es nicht nur negativ. Ich sehe auch eine Chance darin, denn die Menschen können auch den Zusammenhalt organisieren. Z.B. bei uns, bei Opel, ist es immer Thema, Kontakte zu anderen Werken aufzubauen, zu den Kollegen dort, um Informationen zu bekommen, zusammenzuhalten. Da wird natürlich auch versucht zu spalten, da wird gesagt: „Ihr müßt jetzt billiger werden, damit wir euer Werk nicht schließen, ihr müßt billiger werden als die Belgier.“ Wir Bochumer haben aber auch Kontakt zu belgischen Kollegen, dann können wir Informationen austauschen. D.h., mit der Globalisierung wachsen die Menschen auch zusammen, das ist auch eine Chance, den Zusammenhalt zu organisieren.

Deshalb sehe ich das nicht nur negativ. Wer soll denn so einem großen Weltkonzern wie GM Paroli bieten, wenn nicht so eine weltweite Belegschaft wie die von GM, in allen Werken? Wer sonst soll das denn machen?

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