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Neue Solidarität
Nr. 43, 21. Oktober 2009

- Nachruf -

Marek Edelman (1919-2009):
Kämpfer für die Freiheit und die Würde des Lebens

Der letzte überlebende Kämpfer des Aufstands im Warschauer Ghetto, Dr. Marek Edelman, ist am 2. Oktober in seinem Warschauer Heim verstorben. Edelmann war mit 90 Jahren der letzte Überlebende der Jüdischen Kampforganisation, die sich gegen den Versuch der Nazis gewehrt hatte, das Ghetto zu liquidieren. Er entkam und kämpfte dann 1944 erneut mit beim Warschauer Aufstand. Nach dem Krieg beteiligte er sich am Kampf für die Befreiung Polens vom Kommunismus.

Die LaRouche-Bewegung kam nach dem Fall der Mauer in Kontakt mit Edelman, damals ein prominenter Kardiologe in Lodz und angesehenes Mitglied der Gewerkschaft Solidarnosc. Im August 1990 gab er Jacques Cheminade ein Interview, das in Nouvelle Solidarité erschien. Auf die Frage nach seinem Kampf gegen die Nazis und später gegen die Kommunisten antwortete er: „Alles, wogegen ich in jener Zeit gekämpft hatte, alle Schrecken des Nazismus, fand ich in anderer Form in meinem Kampf gegen die kommunistische Macht wieder. Ich stand auf gegen die gleiche Vernichtung des Menschen durch Menschen. Was heute zählt, ist, wie in den vierziger Jahren und danach, sich immer für die Freiheit des Menschen und die Würde des Lebens einzusetzen. Die Unterschiede liegen allein in der Art, der Methode und der Mittel des Kampfes, nicht im Kampf selbst. Meine Ziele und meine Ideen haben sich niemals geändert, sie sind heute immer noch gültig.“

Wenige Monate nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs äußerte Edelman mit erstaunlicher Weitsicht seine Sorge um die gerade befreiten, vormals kommunistischen Länder:

„Es muß eine politische und wirtschaftliche Verpflichtung in großem Maßstab von Seiten der westlichen Länder uns gegenüber geben. Aber wenn man jemanden unterstützt, muß man damit anfangen, daß man ein Gefühl der Nächstenliebe hat. Deshalb sollte dies auch der Westen haben, auch wenn dies gewisse Opfer von seiner Seite bedeutet.

Denn wenn der Westen diese Idee nicht akzeptiert und seiner Verantwortung nicht gerecht wird, wird ihn dies später sehr viel mehr kosten. Wir brauchen für Osteuropa so etwas wie das, was die Vereinigten Staaten nach 1945 für Westeuropa getan haben: Wir brauchen einen ,neuen Marschallplan’. Der Westen muß verstehen, daß die Länder des Ostens auch von den illegitimen Schulden befreit werden müssen. All das muß in einem Plan koordiniert werden; ein Land alleine kann diese Initiative nicht ergreifen.“

Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Edelman Mitglied des antizionistischen Bundes und des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes. Als die Warschauer Juden in das berüchtigte Ghetto gesperrt wurden, trat er der Jüdischen Kampforganisation bei und wurde schon als sehr junger Mann Mitglied des fünfköpfigen Führungsausschusses unter Mordechai Anielewicz.

Edelman war ein entschiedener Gegner des Zionismus und betrachtete sich als polnischen Patrioten, eine Position, die ihm die Kritik der Zionisten und besonders der rechtsextremen Zionisten in Israel eintrug. Einer dieser Zionisten, die ihn kritisierten, war der frühere israelische Premierminister Ariel Scharon.

Im August 2002, auf dem Höhepunkt von Scharons brutalem Vorgehen gegen die zweite Intifada des palästinensischen Widerstands gegen die israelische Besatzung, veröffentlichte Edelman einen Offenen Brief an die Palästinenser, in dem er als Widerstandskämpfer zu Widerstandskämpfern sprach. Der Brief war ein Appell an Palästinenser und Israelis, den Konflikt zu beenden und einen Frieden auszuhandeln. Er schrieb: „Bis zum heutigen Tag war kein Partisanenkampf in Städten irgendwo auf der Welt erfolgreich, aber die Armeen, gegen die wir kämpften, haben auch nicht gesiegt. Dieser Krieg wird zu keiner Lösung führen. Also noch einmal, Blut wird unnötigerweise vergossen, es sterben nur auf beiden Seiten Menschen... Ihr und der Staat Israel müßt eure Herangehensweise ändern...“ - und an den Verhandlungstisch kommen.

Scharon und seine Verbündeten verurteilten Edelman, aber mit geringem Erfolg. Nur wenige Monate zuvor hatte die israelische Presse aufgedeckt, daß die israelischen Streitkräfte die Einsatzberichte der Nazis bei der Liquidierung des Warschauer Ghettos studiert hatten, um sich Anregungen zu holen, wie sie gegen die Palästinenser vorgehen könnten. Es handelte sich um den berüchtigten Bericht des SS-Generalmajors Jürgen Stroop mit dem Titel „Das Waschauer Ghetto ist nicht mehr“. Wir berichteten damals über die beunruhigenden Parallelen zwischen der Taktik der Nazis gegen die Warschauer Juden und der Taktik des israelischen Militärs gegenüber den Palästinensern, wie z.B. Kollektivstrafen (siehe „Widerstand in Israel gegen Scharons Nazi-Politik“, Neue Solidarität 6/2002).

Edelman selbst verfaßte im November 1945 einen bewegenden 30seitigen Bericht über den Aufstand des Ghettos mit der Überschrift Das Ghetto kämpft, eines der wichtigsten historischen Dokumente, in dem die Methoden der Nazis, anders als bei Stroop, aus der Sicht der Opfer beschrieben sind. Das Ziel der Nazis war dabei, den Willen der Juden zu brechen, damit sie aufhörten, um ihr Leben, ihre Ehre und ihre Würde zu kämpfen. Noch wichtiger an Edelmans Bericht ist, daß er nicht nur den Geist des Widerstands dokumentiert, den Edelman damals und in den folgenden 50 Jahren verkörperte, sondern die Erhabenheit des menschlichen Geistes überhaupt.

Edelmans Tod fällt nun zeitlich mitten in eine weitere große Krise, die für die Menschheit nicht weniger gefährlich ist als der Zweite Weltkrieg, der Kollaps der Sowjetunion oder die vom Britischen Empire einfädelten Kriege wie etwa der israelisch-palästinensische Konflikt. Der gegenwärtig voranschreitende Kollaps der Weltwirtschaft droht die Menschheit in ein neues Finsteres Zeitalter zu stürzen. Die Tatsache, daß die „Gesundheitsreform“ der Regierung Obama dem Vorbild des Euthanasie-Programms der Nazis („Tiergarten-4“) folgt, das in den Vernichtungslagern seine grausame Zuspitzung fand, sollte Anlaß sein, über Edelmans Kampf und seine Führungsqualitäten nachzudenken.

In dieser Hinsicht ist es sehr lehrreich, noch einmal Edelmans Das Ghetto kämpft zu lesen, denn es dokumentiert, daß die wichtigste und schwierigste Aufgabe war, „die eigene, erschreckende Apathie zu überwinden“, um dagegen anzukämpfen, „daß wir das allgemein vorherrschende Gefühl der Panik akzeptieren“. Außerdem dokumentiert er, wie die durch die Propaganda der Nazis, die oft weit subtiler war, als man meinen würde, in Verbindung mit ihrer Terrortaktik Panik und Passivität auslöste, weil ein großer Teil der Bevölkerung des Ghettos trotz aller Beweise, die man ihnen dafür präsentierte, nicht glauben wollte, daß die Nazis einen Massenmord vorbereiteten - bis es zu spät war. Die teuflische Taktik wurde von den Nazis zwar in extremer Form angewandt, stammte aber nicht von ihnen, sondern gründete auf einem Prinzip, das Oligarchien immer wieder nutzen, um sich an der Macht zu halten.

Trotz allem gelang es Edelman und seinen Kameraden, sich selbst und Tausende zu mobilisieren und zu demonstrieren, daß es wichtiger war, seine Menschlichkeit zu bewahren, als sich an Illusionen zu klammern und sich einzureden, so sein Leben zu retten. In der Frühphase des Ghettokampfes geschah dies durch politische Aktivität und das Mobilisieren vor allem der Jugend, nicht zuletzt durch Einrichtung von Behelfsschulen und Kulturveranstaltungen, später durch den bewaffneten Kampf.

Im Kontext des sich derzeit entfaltenden Massenstreiks kann die sich herausbildende Führung dieses Kampfes aus dem Nachdenken über das Leben von Kämpfern wie Marek Edelman wichtige Lehren ziehen.

Dean Andromidas

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Der Widerstand im Warschauer Getto
- Neue Solidarität 34/2002
Aufruf zum Ende der Gewalt
- Neue Solidarität 34/2002
Widerstand in Israel gegen Scharons Nazi-Politik
- Neue Solidarität 6/2002