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Aus der Neuen Solidarität Nr. 4/2009

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„Wir müssen aus der Krise lernen, das Geld für vernünftige Zwecke zu mobilisieren“

Helga Zepp-LaRouche führte am 14. Januar das folgende Interview mit dem früheren Leiter der Abteilung Geld und Kredit im Bundesfinanzministerium, engem Mitarbeiter Karl Schillers und ehemaligen Chefökonomen der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Prof. Wilhelm Hankel.

Einen Sonderdruck dieses Interviews können Sie sich hier im PDF-Format herunterladen und ausdrucken.

 

Hankel: Ich fürchte, wie die meisten Bürger, daß das mehr oder minder planlose Ausgeben von Geld nicht die Konjunktur belebt, sondern die Inflation, und es wäre richtiger gewesen, erst einmal vernünftige Programme vorzubereiten und dann über Geld zu sprechen, also als erstes die Prioritäten festzulegen, wofür man es ausgibt. Dazu wäre es wichtig gewesen, sich jenes Strukturmangels in Deutschland zu erinnern, der immer noch darin besteht, daß über zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen von den Körperschaften getätigt werden, die am wenigsten über Geld verfügen. Das sind Städte und Gemeinden. Sie tun am meisten für den Bürger, sind aber nur marginal am Steueraufkommen beteiligt.

Der kardinale Fehler in der föderalen Struktur Deutschlands und der deutschen Volkswirtschaft liegt darin, daß die Kommunen zwar die Träger der öffentlichen Infrastruktur sind, aber nicht über die zu ihrer Finanzierung benötigten Mittel verfügen. Also hätte man das Konjunkturprogramm verbinden müssen mit einer Finanzreform zugunsten der Gemeinden, einer Reform, die seit Jahrzehnten in Deutschland überfällig ist. Das hätte raschen Erfolg gebracht, weil in den Schubladen der Gemeinden die Projekte liegen, die seit langem überfällig sind und nicht verwirklicht werden können,  weil es am nötigen Gelde fehlt.

 

Hankel: Die Zeit nach dem Krieg war die Zeit einer großen Kraftanstrengung aller Deutschen. Das Land lag in Trümmern und mußte aufgebaut werden, und jeder wußte, jetzt muß man anpacken.

Und die  Kreditwirtschaft war voll eingebunden  in die Realwirtschaft, also in das, was Ihr lieber Mann immer als die „physische Wirtschaft“ bezeichnet. Wir hatten in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in Deutschland keinen Kapitalmarkt für Finanzanlagen zu Spekulationszwecken. Die volkswirtschaftliche Ersparnis finanzierte die realen und bitter notwendigen Investitionen. Es gab nicht das Problem, daß sich die Finanzwirtschaft wie heute und schon seit Jahrzehnten vom Realsektor, den realen und sozialen Bedürfnissen der Menschen entfernt. Real-, Sozial- und Finanzsektor zogen an einem Strang. Das war ganz wichtig.

Ein Zweites hat ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt: Die deutsche Volkswirtschaft war zwar von Beginn an exportorientiert - schon wegen des Verlustes der durch die DDR abgespaltenen Binnenmärkte. Aber der deutsche Geldkreislauf war mehr oder weniger geschlossen. Da floß nichts ins Ausland ab, im Gegenteil, man war froh, wenn ausländische Gelder in Deutschland angelegt wurden, was ja damals auch dank der stabilen DM und der rechtzeitigen Vorkriegsschuldenregelung der Fall war.

Kurz, der ganze Bereich der heutigen Globalisierung und Europäisierung spielte so gut wie gar keine Rolle. Was in Deutschland gespart wurde, wurde auch in Deutschland genutzt und investiert, weswegen die Entwicklung sehr viel stabiler und auch berechenbarer war. Auch die Prognosen der Ökonomen waren wesentlich rationaler, fundierter und verläßlicher.

 

Hankel: Ja. Also erstens wußten die Banker der ersten Nachkriegsjahrzehnte noch, was Gemeinwohl ist. Sie haben bei ihren Geschäften nie aus dem Auge verloren, daß sie den kostbarsten Schatz der Nation verwalten, nämlich das Sparkapital der arbeitenden und für ihre Kinder und Zukunft sorgenden Menschen. Dieses darf weder vergeudet noch spekulativ verheizt werden. Es gab eine effiziente Bankenaufsicht, die darüber mit Argusaugen wachte. Aber sie war natürlich auch nicht so gefordert wie in den letzten Jahren.

Das zweite: Inzwischen hat sich die Bankaufsicht, einschließlich der sog. Ratingagenturen, als völlig ungeeignet erwiesen, mit den Folgen der Globalisierung und den von der Finanzwelt entwickelten Innovationen umzugehen. Sie hat einfach nicht gesehen, vielleicht auch nicht sehen wollen, daß sich die Geldwirtschaft mit ihren für die Globalisierung geschaffenen neuen Finanzprodukten eine eigene, von der Realwirtschaft losgelöste Welt geschaffen hat, einen Freiraum für unkontrollierte und bislang verbotene Geschäfte. Die Aufsichtsorgane haben das sich in der neuen Finanzwelt aufhäufende Inflations- und Risikopotential gröblich unterschätzt. Man hat die Augen zugemacht und ein fast schon kriminelles „Laissez faire“ betrieben.

 

Hankel: In der Tat. Man muß sich fragen: Waren die Leute damals nur blauäugig, unerfahren, oder waren sie schon Komplizen der Banken? Das ist schwer zu erkennen.

Der Nachfolger in meinem Amt und oberste Kredit- und Versicherungsaufseher im Finanzministerium hat zu Zeiten der rot-grünen Koalition einen wegweisenden Artikel in der führenden Fachzeitschrift des Kreditwesens veröffentlicht und die Banken öffentlich ermuntert, kreditverbriefte und strukturierte, also stark risikobehaftete Finanzprodukte in Deutschland einzuführen. Als Ausweis einer modernen Finanzwirtschaft! Daraus mußte natürlich die Bankwelt den Schluß ziehen: Die Aufsicht will diese Geschäfte und wird nicht gegen sie einschreiten. Sie fühlte sich geradezu ermuntert.

Wie gesagt, es ist schwer festzustellen, was sich die Aufsichtsorgane dabei gedacht haben. Man müßte die Leute ins Kreuzverhör nehmen, ob es mangelndes Fachwissen war oder Vorsatz. Tatsache ist: Die Bankaufsicht hat sich gegenüber den damals schon erkennbaren Risiken verschlossen und damit diesen verhängnisvollen Entwicklungen kräftig Vorschub geleistet.

 

Hankel: In jedem Fall muß dieser Fall vor einen Untersuchungsausschuß gebracht werden. Wir hier können das nicht klären. Wir brauchen dazu die Aussagen der Täter und der Betroffenen, aber bei der Aufarbeitung der Ursachen für diese Krise muß dieser Aspekt geklärt werden.

 

Hankel: Unbedingt. Das ist keine Frage. Wie Sie schon sagten: Entscheidend ist natürlich die Besetzung der Kommission. Man darf nicht den Bock zum Gärtner machen und die an der Entstehung der Kreditblase Beteiligten zu Richtern in eigener Sache. Das wäre der falsche Weg und obendrein eine Farce.

Aber eigentlich standen die Zeichen schon seit langem an der Wand. Man mußte weder ein begnadeter Ökonom sein noch ein erfahrener Bankaufseher, um zu erkennen, daß wenn  Kredit- und Realentwicklung um Zehnerpotenzen auseinanderlaufen - und das war ja seit den neunziger Jahren weltweit, europaweit und in Deutschland der Fall - daß dann Alarmstufe I besteht. Das war klar erkennbar.

Doch geradezu verhängnisvoll waren die Interpretationen. Ich erinnere mich weniger an  Herrn Asmussen als an den weltbekannten Mr. Alan Greenspan. Der langjährige Chef des Federal Reserve System hat in mehreren Untersuchungskommissionen des US-Senats und Repräsentantenhauses den Derivatemarkt für total unbedenklich erklärt. Er reguliere sich, wie jeder Markt, von selbst. Ein Einschreiten der Behörden sei kontraproduktiv. Das muß man sich einmal vorstellen! Schon damals waren die Umsätze und Außenstände am Derivatemarkt um Zehnerpotenzen höher als die der Realentwicklung: des Wachstum des Bruttoinlandsproduktes, der Firmenvermögen, der Ersparnisse. Trotzdem blieb der Mann dabei: Wir brauchen nicht einzugreifen, diese Märkte korrigieren sich von selbst. Und er fand Unterstützung in großen Teilen der Wissenschaft. Ihr main stream war ganz und gar vom neoliberalen Gift infiziert. Auch Deutschlands „Fünf Weise“ schrieben Jahr für Jahr: „Der Markt ist gut, der Staat ist böse und dumm.“

Mit der Blase ist dieser Wahn geplatzt. Leider mit ganz verheerenden Folgen und Kosten.

 

Hankel: Die „bad bank“ wäre der absolut falsche Weg, weil er ja den Bankrott nicht verhindert, sondern legalisiert. Die „bad bank“-Lösung würde bedeuten, daß der Staat, also wir alle, diese Schrottpapiere mit gutem Geld, mit hart verdientem Einkommen und sauer erworbenen Ersparnissen finanzieren müßten. Das liefe also auf die Auslösung, das bail-out der Täter hinaus. Dann würden diese von Erz-Kapitalisten spekulativ eingefahrenen Verluste voll sozialisiert werden. Nota bene mit Geld, das dann für neue und wertvolle Investitionen, zusätzliche Arbeitsplätze und dringend benötigte Infrastruktur fehlen würde!

Nein, ich denke, man muß den Bankern die Chance geben, ihren eigenen Mist selbst zu bereinigen. Und das ließe sich machen. Von daher mein Gegenvorschlag, diese Krise als das zu begreifen, was sie bislang ja noch ist: als eine mehr oder minder fiktive Krise in den Büchern der Banken. Und ihre Bücher müssen die Banken schon selbst bereinigen. Dabei können ihnen der Staat und der Gesetzgeber helfen, und zwar durch Anpassung der Bilanzierungsregeln an die neuen Probleme.

Das liefe darauf hinaus, daß man die Bankwirtschaft veranlaßt, ihr bankrottes Altgeschäft vom Neugeschäft zu trennen und aus den Bilanzen heraus zu nehmen. Es wäre auf einen Fonds zu übertragen, aber nicht auf einen Staatsfonds, sondern auf einen aus Eigenmitteln der Banken. Und für dieses „Sondervermögen“ gäbe es dann Bilanzierungshilfen. Die Banken müßten die dort deponierten und eingefrorenen Forderungen und Verpflichtungen nicht mehr zu den an den Stichtagen gültigen Tages- oder Veräußerungswerten bilanzieren und entsprechend wertberichtigen. Sie könnten diese derzeit mehr oder minder wertlosen Aktiva zu ihren Anschaffungswerten ausweisen und über einen längeren Zeitraum, der durchaus 10 bis 20 Jahre betragen kann, abschreiben und tilgen. Im Klartext: Sie müßten ihre selbstverschuldeten Verluste auch selber abarbeiten.

Das schiene mir der richtige Weg. Er würde auf Jahre sicherstellen, daß die Bankwelt an ihre Sünden erinnert wird, denn sie müßte ihre Sünden-Schuld selbst begleichen. Gleichzeitig würde die Realwirtschaft durch das von den Alt-Schulden unbelastete Neugeschäft wieder auf Trab gebracht  werden können. Aus der fiktiven und buchhalterischen Finanzkrise entstünde keine reale Wirtschafts- und Beschäftigungskrise mit all ihren verheerenden Folgen für Geschäftswelt, Arbeitsmarkt und Staatsfinanzen.

 

Hankel: Aber ich! Er ist Direktor eines von der Bankwelt finanzierten Forschungsinstituts

 

Hankel: Das ist lösbar. Mein Vorschlag ist ja ein systemischer: Was muß im System geändert werden? Was Sie jetzt sagen, ist ein völlig berechtigtes Anliegen, nämlich die Haftung der Täter, ihre Rechenschaftspflicht gegenüber ihren Aktionären, Kunden und der Allgemeinheit. Sie tragen die Verantwortung, daß viele Leute ihr Geld und noch mehr ihren Arbeitsplatz verlieren.

Mein systemischer Vorschlag schließt ja die Inhaftnahme der Täter nicht aus. Wenn man sie nicht vor Gericht stellt wegen Veruntreuung von Volksvermögen, dann muß man sie wenigstens zur Haftung heranziehen für die Schäden, die sie bei anderen verursachen. Dieser privatrechtliche Grundsatz gilt auch für sie. Die Banker haben ihre oberste Pflicht verletzt, nämlich, für das ihnen anvertraute Geld zu sorgen und dafür zu haften. Stattdessen haben sie es leichtsinnig verspielt, noch dazu mit Geschäften, über deren Charakter sie Kunden und Öffentlichkeit im Unklaren gelassen, wenn nicht bewußt getäuscht haben. Hinter der Krise, die wir jetzt haben, steckt ja ein gigantisches Manöver der Bilanzverschleierung. Das sollte nie aus den Augen verloren werden. Dafür müßten die Schuldigen einstehen und haften. Statt dessen werden sie entschuldet und aus der Haft entlassen.

Ich stimme Ihnen völlig zu: In eine Untersuchungskommission gehören nicht nur selber unbelastete Fachleute, sondern vor allen Dingen solche, die in gar keiner Weise zum System gehören. Also nicht Leute, die früher dasselbe Geschäft betrieben haben wie ihre Nachfolger. Ich denke, solche Leute gibt es.

 

Hankel: Das ist in der Tat die Frage der Fragen. Sicher erscheint es mir, daß man diese Krise, die ja eine ganz ungewöhnliche ist, nämlich eine von Fachleuten oder sogenannten Fachleuten ausgelöste, nicht nur mit den alten Rezepten der letzten Krisen lösen kann: billigem Geld, Staatsdefiziten und der Sozialisierung von Verlusten.

Das eine ist, daß man die Ansteckungsgefahr, die von der Finanzwirtschaft ausgeht, beseitigt und das dort eiternde Geschwür herausoperiert. Dazu haben wir ja eben Vorschläge gemacht. Ich halte den Bilanzierungsvorschlag nicht nur für systemisch richtig. Er ist vor allem billig. Er kostet den Steuerzahler keinen Cent und bringt auch nicht die Staatsfinanzen in Gefahr. Die Banken sind durchaus in der Lage, ihre Schäden selber aufzuarbeiten. Man muß sie dazu zwingen, aber ihnen auch die Wege dazu aufzeigen. Allein die Beruhigung, daß die Krise ein Ende hat und nicht weiter ausufert, bedeutet ja schon eine wesentliche Stützung und Neubelebung der Konjunktur.

Natürlich ist es damit nicht getan. Deswegen schlage ich als Zweites vor, daß jetzt die in der neoliberalen Periode vernachlässigten sozialen Investitionen, also in der Infrastruktur, in der Bildung, im Verkehrwesen, auch im transeuropäischen Verkehrswesen - ich denke da an die Vorschläge ihres Mannes, die sibirischen Verbindungslinien auszubauen - all dieses muß jetzt prioritär in Angriff genommen werden. Denn, so paradox es klingt, ein Gutes, wirklich Gutes hat diese Krise: Sie macht deutlich, daß das neoliberale Standardargument - „Dafür ist kein Geld vorhanden“ - Quatsch ist. Es gibt dieses Geld - nur daß man es heute falsch einsetzt und vergeudet. Hier liegen die wahren Kosten dieser Krise.

 

Hankel: Jetzt in der Krise sieht man, wieviel Geld mobilisiert werden kann. Und ich denke, die Zukunft sieht ganz anders aus, wenn wir aus dieser Krise lernen, dieses Geld in Zukunft für vernünftige Zwecke einzusetzen statt wie heute für weitgehend unvernünftige und sogar asoziale.

 

HZL: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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