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Der folgende Leserbrief an den Daily Telegraph vom 3. September ist eine besonders explosive Bloßstellung der Gesundheitspolitik, die unter Premierminister Tony Blair und seinem Berater Simon Stevens in Großbritannien eingeführt wurde - aber längst nicht die einzige. In dem Bericht des Patientenverbands, auf den in dem Leserbrief gleich zu Anfang Bezug genommen ist, wird aufgedeckt, daß im britischen Gesundheitswesen (Nationaler Gesundheitsdienst, NHS) eine Million Patienten menschenunwürdig versorgt werden. In einem anderen neuen Bericht des Patientenverbands NPSA (National Patient Safety Agency) wird beklagt, daß die Zahl von NHS-Patienten, denen die falsche Medizin gegeben wurde, sich in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt hat. In einem weiterer Bericht wird festgestellt, daß in Allgemeinmedizin-Praxen ein Drittel der Patienten statt vom Arzt nur von einer Krankenschwester behandelt wird.
Es folgt der Leserbrief im Wortlaut:
„Sir, der Patientenverband hat recht daran getan, auf die dürftige Behandlung älterer Patienten in einigen Teilen des NHS hinzuweisen (Bericht vom 27. August). Wir möchten die Aufmerksamkeit auf die neue, vollstandardisierte Behandlung sterbender Menschen lenken. Den Tod vorherzusagen ist keine exakte Wissenschaft.
So wie in der Finanzwelt das sogenannte algorithmische Bankgeschäft Probleme verursachte, weil man sich blindlings auf ein Computermodell verließ, so verursacht eine ähnliche Methode des Kästchenankreuzens im Umgang mit dem Tod einen nationalen Pflegenotstand.
Der Staat entrollt in Krankenhäusern, Pflege- und Wohnheimen ein neues Behandlungsschema der Palliativversorgung. Es beruht auf Erfahrungen in einem Hospiz in Liverpool. Wenn man beim Liverpool Care Pathway alle Kästchen richtig ankreuzt, ist das unausweichliche Endergebnis der daraus resultierenden Behandlung der Tod.
Als Folge davon türmt sich im ganzen Land eine Welle des Unmuts auf, weil Familienangehörige und Freunde miterleben müssen, wie Patienten Flüssigkeit und Nahrung entzogen wird. Perfusoren zur fortgesetzten terminalen Ruhigstellung werden eingesetzt, ohne Rücksicht darauf, daß die Diagnose falsch sein könnte.
Es ist sehr beunruhigend, daß 2007-2008 16,5% der Todesfälle das Resultat terminaler Ruhigstellung waren. Erfahrene Ärzte wissen, daß sterbende Patienten sich manchmal erholen, wenn nur noch die wirklich wesentlichen Medikamente verabreicht werden.“
Unterzeichner:
P.H. Millard, emeritierter Professor der Geriatrie an der University of London
Dr. Anthony Cole, Vorsitzender der Medical Ethics Alliance
Dr. Peter Hargreaves, Berater für Palliativmedizin
Dr. David Hill, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Anästhesisten-Fachbereichs
Dr. Elizabeth Negus, Barking University
Dowager Lady Salisbury, Vorsitzende von „Choose Life“