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Von Helga Zepp-LaRouche, Kanzlerkandidatin der BüSo
Nicht einmal nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das das Begleitgesetz zum Lissaboner Vertrag für verfassungswidrig erklärte, ist die Bundestagsmehrheit bereit, den Vorrang des Grundgesetzes vor der EU-Bürokratie zu akzeptieren.
Die Reaktion von verschiedenen Seiten auf das Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes zum Lissaboner Vertrag und zum Begleitgesetz demonstriert, daß die Gegner der Souveränität Deutschlands und des Grundgesetzes offenbar nicht aufzuhören gedenken, beides auszuhebeln. Darauf kann es eigentlich nur eine Antwort geben: über den Lissaboner Vertrag muß es eine Volksabstimmung geben.
Das Karlsruher Urteil vom 30. Juni, in dem das Bundesverfassungsgericht zwar einerseits erklärt hat, der Vertrag von Lissabon sei mit dem Grundgesetz vereinbar, aber nur in der Auslegung des Urteils von Karlsruhe, war eine wichtige Bestätigung des Prinzips der Souveränität der europäischen Staaten - auch wenn diese in Deutschland in der Realität natürlich nicht existiert - und eine definitive Zurückweisung der Idee der EU als Bundesstaat. Mindestens genauso wichtig war die schallende Ohrfeige, die Karlsruhe dem Bundestag und dem Bundesrat verpaßte, die bei der Abstimmung zum Begleitgesetz, anstatt die Rechte der beiden Gremien auszuweiten und zu stärken, diese in Bausch und Bogen an Brüssel übertragen hatten. Karlsruhe bezeichnete dies als verfassungswidrig, und verordnete eine Neuformulierung des Begleitgesetzes in Übereinstimmung mit der 150 Seiten umfassenden Rechtsauslegung des Karlsruher Urteils.
Das höchste Gericht in Deutschland hat einen mit 515 Stimmen abgegebenen Beschluß des Bundestags, in der es nach Artikel 38 des Grundgesetzes um die ureigenste Aufgabe der Abgeordneten als Vertreter des Volkes geht, als Verfassungsbruch bewertet. Dieser Verfassungsbruch ist ungeheuerlich. Gab es darüber eine Debatte oder auch nur einen einzigen tiefgehenden Kommentar in den Medien - von unseren einmal abgesehen? Nein, es gab sie nicht. Sagt das etwas aus über den Zustand der Demokratie in Deutschland? Eine ganze Menge. Keiner dieser 515 Abgeordneten ist nach dieser Abstimmung mehr wählbar für jeden, dem Freiheit und Demokratie etwas bedeuten.
Weil die Regierung die ganze Sache vor der Bundestagswahl durchziehen will, um damit vor dem erneuten Referendum in Irland am 3. Oktober Fakten zu schaffen, wurden die Abgeordneten zu einer Sondersitzung mitten in der Sommerpause am 26. August einberufen. Die SPD widersetzte sich dem Versuch der CSU, das Karlsruher Urteil, daß der EU-Vertrag in Deutschland nur in der Auslegung des Karlsruher Urteils gelte, noch einmal ausdrücklich als Resolution dem Begleitgesetz anzufügen. Der parlamentarische Geschäftsführer Oppermann freute sich über die Demontage Seehofers vom „bayrischen Löwen zum europäischen Bettvorleger“. Was die SPD damit lediglich bekundet, ist ihre Transformation von einer Arbeitnehmerpartei zu einer Partei, deren Konzept vom Staat Leviathan heißt.
Die EU des Lissaboner Vertrages vertritt nach wie vor die Politik des Freihandels und der Globalisierung, die für die Systemkrise verantwortlich ist. So verdient sich Gauweiler auch mit seiner Verfassungsklage gemacht hat, so absurd ist jetzt sein Versuch, sich an der Legendenbildung der CDU/CSU zu beteiligen, wenn er die Politik von Bundeskanzlerin Merkel, den Giftmüll der Banken mit dreistelligen Milliardenbeträgen an Steuergeldern zu finanzieren, mit dem mutigen Handeln Helmut Schmidts in Mogadischu vergleicht. Die Illusion, daß Frau Merkel ihre Sache gut gemacht hätte und die Krise nun ausgestanden sei, wird von äußerst kurzer Lebensdauer sein.
Wenn die nächste Regierung versuchen sollte, auf die für den Herbst zu erwartende Massenarbeitslosigkeit und Firmenpleiten mit massiver Sparpolitik zu reagieren, dann droht der soziale Frieden in Deutschland genau so verloren zu gehen, wie dies derzeit schon in den USA der Fall ist. Dort manifestiert sich gegenwärtig ein Protest, der nur mit dem Aufstand der DDR-Bevölkerung vom Herbst 1989 zu vergleichen ist. Damals wie heute trifft eine lang aufgestaute Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Politik der Regierung zusammen mit dem Staatsbankrott. Im Fall der DDR war es das anscheinend so sekundäre Thema der Reisefreiheit, daß die Bevölkerung zu einem Zeitpunkt auf die Strassen brachte, als die DDR- Wirtschaft bankrott war.
In den USA ist es die Wut der Bevölkerung über insgesamt 25 Billionen $ an Steuergeldern für die maroden Banken; Kosten, die jetzt in der Form von Einsparungen von 30% beim Gesundheitswesen auf die Bevölkerung abgewälzt werden sollen. 48 von 50 Bundesstaaten in den USA sind insolvent, die reale Arbeitslosigkeit liegt bei 30%, von denen aber ein hoher Prozentsatz wegen dieser Insolvenz kein Arbeitslosengeld bekommt. Alleine für dieses Jahr wird erwartet, daß weitere zweieinhalb Millionen Familien ihre Häuser verlieren. Die Sozialausgaben wurden radikal zusammengestrichen, und zwar für Menschen, deren Leben von diesen Zahlungen abhängt.
Die Obama-Administration und der Kongreß haben in den Augen der Bevölkerung das Mandat des Himmels verloren. Namen wie Larry Summers, Timothy Geithner und Ben Bernanke, den Obama soeben als Chef der Fed wiederernannt hat, stehen für die Kontinuität zur Politik der Bush-Administration. Gegen diese Politik ist die Bevölkerung nun in Hunderten von Bürgerversammlungen mit jeweils bis zu 3000 Teilnehmern aufgestanden und demonstriert: „Wir sind das Volk“.
Dieser Aufstand in der amerikanischen Bevölkerung ist gegenwärtig der wichtigste Faktor in der Weltpolitik. Wenn es dieser Protestbewegung gelingt, die Vertreter der Wall Street und die Gesundheitsökonomen wie Ezekiel Emanuel und Peter Orzag aus der Administration zu vertreiben, und statt dessen die Politik von Lyndon LaRouche in der Tradition von Franklin D. Roosevelt auf die Tagesordnung zu setzen, dann kann auch auf internationaler Ebene eine neue Finanzarchitektur errichtet werden. Wer andererseits hier bei uns denkt, Europa bliebe bei einem Staatsbankrott der USA und einem Kollaps des Dollars ungeschoren, sieht vor lauter antiamerikanischer Ideologie die Realität nicht.
Daß von Europa solange keine Initiative zur Überwindung der Systemkrise (die inzwischen auch Lothar de Maziere erkannt hat) zu erwarten ist, solange die europäischen Staaten in der Brüsseler Diktatur verbleiben, dürfte offensichtlich sein. Wie sehr dieser Diktatur das Karlsruher Urteil ein Dorn im Auge ist, wird nicht zuletzt durch eine von 30 Juristen unterzeichnete Denkschrift deutlich, in der gefordert wird, die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts einzuschränken. Weil sich Karlsruhe die letztendliche Kompetenz in Fragen der EU-Politik in Deutschland vorbehalten habe, sei ein Justizkonflikt mit dem Europäischen Gerichtshof EuGH vorprogrammiert. Falls Karlsruhe EU-Regelungen als grundgesetzwidrig erkenne, drohten einschneidende Finanzsanktionen seitens der EU.
Auf die Idee, daß die Bundesregierung grundgesetzwidrige Beschlüsse im Europäischen Rat erst gar nicht zuläßt, kommen diese Juristen nicht, zu denen bezeichnenderweise auch die Professoren Ingolf Pernice und Franz Mayer gehören, die den Lissaboner Vertrag als Beauftragte der Bundesregierung in Karlsruhe verteidigten. Daß diese Professoren ohne Auftrag ihrer Brötchengeber handeln, ist sehr zu bezweifeln. Das ist also die Antwort auf das zumindest teilweise sehr gute und wichtige Urteil des Bundesverfassungsgerichtes!
Wenn man dann noch die Tatsache bedenkt, daß Tony Blair sich soeben in Italien bei einer Konferenz von Comunione et Liberazione als der christliche Politiker und kommende erste EU-Präsident zu inszenieren versuchte (und nicht etwa als derjenige, der die Lügen erfunden hat, die zum Irakkrieg führten), dann dürfte klar sein, daß wir mit dieser EU-Politik wirklich in Gefahr sind.
Das Verhalten des größeren Teils des Bundestages und der Regierung lassen nur einen Schluß zu: Wir brauchen dringend eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag. Im übrigen werden die kommenden Ereignisse deutlich machen, daß Deutschland von seinem völkerrechtlich gegebenen Recht Gebrauch machen muß, aus allen EU-Verträgen auszutreten, weil es mit dem fundamentalen Selbstinteresse unseres Staates nicht übereinstimmt, bei der neoliberalen Politik zu bleiben.