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Eine große Vision der Rolle des Menschen bei der Kolonisierung des Universums: Krafft Ehricke and the Extraterrestrial Imperative, von Marsha Freeman, Apogee Books, Burlington, Ontario, 2009, 302 S.
Es gibt zwei gute Gründe, Marsha Freemans neues Buch über Krafft Ehricke zu lesen. Der erste ist der, daß es, durch ein liebevolles Portrait eines der wichtigsten und interessantesten Gründerväter der Weltraumfahrt, nämlich Krafft Ehricke, eine wichtige Dimension zur Geschichtsschreibung der Raumfahrt des 20. Jahrhunderts hinzufügt. Noch wichtiger ist, daß es im Leser einen kindlichen Optimismus in Bezug auf die Möglichkeiten wiedererweckt, die die Zukunft für die Menschheit bereit hält, mit der unausweichlichen Wahrheit - die gleichzeitig offensichtlich und phantastisch ist - daß Menschheit zur Sternenwelt gehört.
Letzteres wird vor allem durch ausgewählte Schriften von Krafft Ehricke selbst erreicht, die einen großen Teil des Buches ausmachen, eingeleitet durch eine Skizze der Biographie Ehrickes und seines Platzes unter den Pionieren der bemannten Raumfahrt. Diese Auswahl seiner Schriften reicht von einem fiktiven Bericht über eine Reise zum Mars, die er 1948 verfaßte, bis zu einem Auszug auf dem namensgebenden Manuskript, Der extraterrestrische Imperativ: Von einer geschlossenen zu einer offenen Welt, das niemals als Buch erschien - wegen der „damals aufkommenden Technologie- und Raumfahrt-feindlichen Stimmung“ der frühen siebziger Jahre, wie Krafft Ehricke selbst sagte.
In einem der Artikel skizziert Ehricke die Möglichkeiten für den Weltraum-Tourismus, etwa durch Einrichtung eines Zoos im Weltraum für Tiere, die unter den Bedingungen der Mikrogravitation aufgewachsen sind. In einem anderen liefert er eine detaillierte technische und wirtschaftliche Analyse der Industrialisierung des Mondes. In einem seiner grundlegendsten Aufsätze, seiner Anthropologie der Astronautik aus dem Jahr 1957, also den Anfängen des Raumfahrtzeitalters, stellt Ehricke drei „Fundamentalsätze der Astronautik“ auf:
1. Niemand und nichts in den Naturgesetzen des Universums legt dem Menschen irgendwelche Beschränkungen auf - außer der Mensch selbst.
2. Nicht nur die Erde, sondern das gesamte Sonnensystem und so viel vom Universum, wie er innerhalb der Naturgesetze erreichen kann, ist das angemessene Feld für die Aktivitäten des Menschen.
3. Indem er sich im Weltall verbreitet, erfüllt der Mensch sein Geschick als Element des Lebens, ausgestattet mit der Macht der Vernunft und der Weisheit des moralischen Gesetzes in sich selbst.
Als Junge in Deutschland wurde Krafft Ehricke durch Fritz Langs berühmten Stummfilm aus dem Jahre 1929, Die Frau im Mond, für die Raumfahrt begeistert, und er verbrachte dann sein ganzes Leben damit, seine drei Gesetze als treibende Kraft für die nächste, bewußte Phase der Evolution des Menschen zu entwickeln und auszuarbeiten. In poetischer Weise sah er den Übergang kommen von der derzeitigen „zwei-dimensionalen“ Zivilisation hin zu einer „drei-dimensionalen“ und später sogar „vier-dimensionalen“ Zivilisation, die in der Lage ist, sich in der interstellaren Raumzeit zu bewegen.
Ehricke nutzt seine außerordentlichen technologischen Kenntnisse dazu, die Mittel zu beschreiben, mit deren Hilfe dies erreicht werden kann - Kenntnisse, die er sich zunächst im deutschen Raketenprogramm in Peenemünde, dann im Raketenteam der US-Armee unter Wernher von Braun und schließlich in zivilen Unternehmen aneignete, die am amerikanischen Raumfahrtprogramm mitarbeiteten.
Ehricke war ein Apostel sämtlicher Aspekte der Weltraumwissenschaften und der Raumforschung. Dem praktischen Nutzen solcher Aktivitäten für das Leben auf der Erde widmete er viele Seiten mit detaillierten Vorschlägen etwa für den industriellen Bergbau auf dem Mond und anderen Planeten, der Nutzung umlaufender Mikrowellen-Transmitter zur Übertragung von elektrischem Strom rund um den Globus und sogar der Nutzung gigantischer Sonnen-Reflektoren zur Ausweitung der landwirtschaftlichen Erträge in den armen Regionen der Welt.
Er argumentierte, daß man diese Aktivitäten weniger als pragmatischen Ansatz zur Nutzung des Weltraums durch den Menschen betrachten sollte, und vielmehr als relativ bescheidenen Schritt auf dem Weg zur Erfüllung des „extraterrestrischen Imperativs“, d.h., des moralischen, geistigen und realwirtschaftlichen Gebots der Expansion der menschlichen Gattung im Kosmos.
In seiner Anthropologie der Astronautik schreibt er:
„Das Konzept der Raumfahrt trägt eine enorme Wirkung in sich, weil sie den Menschen im praktisch jedem Aspekt seiner physischen und geistigen Existenz herausfordert. Die Idee, zu anderen Himmelskörpern zu reisen, reflektiert im höchsten Grade die Unabhängigkeit und die Beweglichkeit des menschlichen Geistes. Sie verleiht den technischen und wissenschaftlichen Unternehmungen des Menschen höchste Würde. Und vor allem berührt sie die Sichtweise seiner Existenz selbst. Infolgedessen mißachtet die Idee der Raumfahrt nationale Grenzen, sie weigert sich, Unterschiede der historischen oder ethnischen Herkunft anzuerkennen, und sie durchdringt das Gewebe des einen soziologischen oder politischen Glaubensbekenntnisses so schnell wie das des nächsten.“
Für Ehricke ist der extraterrestrische Imperativ eine natürliche Ausweitung des Evolutionsprozesses der Biosphäre selbst, der charakterisiert ist durch eine ständige Überwindung der bestehenden physischen Grenzen, etwa durch die Bewegung des Lebens aus den Ozeanen hin zu den Säugetieren auf dem Land und nun durch die technologische Fähigkeit des Menschen, die Biosphäre der Erde ganz zu verlassen. Dies sei keineswegs eine „unnatürliche“ Entwicklung, schreibt Ehricke in „Das Erbe Apollos“; Technologie sei vielmehr „die Hauptwaffe des Lebens seit seiner Entstehung. Die Photosynthese war der erste großangelegte Industrieprozeß des Lebens, um Verfügung über eine angemessene Energiequelle zu erlangen, die Rohstoffbasis zu vergrößern und die Produktion seines Grundbedarfs zu steuern. Es war das erste Mal, daß das Leben auf eine extraterrestrische Ressource zurückgriff.“
Diese erstaunliche Einsicht zeigt Ehrickes intellektuelle Verwandtschaft mit dem großen russischen Biogeochemiker W.I. Wernadskij, der die qualitative Überlegenheit der kreativen Aktivität des Menschen als das Aufkommen der Noosphäre gegenüber der Biosphäre bezeichnete, was selbst wiederum ein kosmisches Phänomen sei. Eine ähnliche geistige Verwandtschaft mit Lyndon LaRouche, mit dem Ehricke in den achtziger Jahren im Rahmen ihrer gemeinsamen Perspektive für eine Politik der „Großprojekte“ zur Kolonisierung des Weltalls zusammenarbeitete, beruhte darauf, ein einfaches, epistemologisches Prinzip - daß die menschliche Vernunft keine Grenzen des Wachstums kennt - mit Phantasie und Fachwissen anzuwenden, um es auch in der Praxis in vollem Umfang zu nutzen.
Diese Tiefe des Denkens zeigt sich in der großen Bandbreite der Schriften und Reden Ehrickes, die in das Buch aufgenommen wurden und ihn als jemanden erweisen, der sich mit aller Leidenschaft dafür einsetzt, seine Leser und Hörer zu gewinnen, damit sie mit ihm zusammen das aufregendste Unternehmen der Menschheit feiern. Als grundlegende philosophische Wahrheit und als praktische Einschätzung der wahren Natur des Menschen ist Ehrickes Botschaft eindeutig: Der uns zustehende Lebensraum ist das ganze Universum.
Wie Freeman in ihrer biographischen Skizze mit gründlicher Kenntnis der damaligen Zeit beschreibt, bekam Ehrickes militanter Optimismus inmitten der kulturellen Degeneration seit Ende der sechziger Jahre eine neue Bedeutung, als u.a. der Existentialismus und die Umweltschutzbewegung die einst großen Ambitionen des amerikanischen Raumfahrtprogramms zunichte machten.
Ehrickes klassische Ausbildung in der humanistischen Wissenschaftstradition von Kepler und Leibniz, der er sich voll und ganz widmete, machte ihn zu einem entschiedenen Gegner der pseudowissenschaftlichen Haltung der pessimistischen „Grenzen des Wachstums“, die sich in Westeuropa und den Vereinigten Staaten ausbreitete. Hier zeigte sich am deutlichsten, daß Ehrickes wichtigster Beitrag, wie er selbst es sah, in den philosophischen Grundlagen eines neuen sozialen und wissenschaftlichen Paradigmas lag, in Form seines „extraterrestrischen Imperativs“, für den er bis zu seinem Tod 1984 unermüdlich warb.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß Ehricke sich nicht dafür einsetzte, sich Grundstücke auf anderen Planeten anzueignen, um der Überbevölkerung und der Umweltverschmutzung auf der Erde zu entkommen. Er argumentierte vielmehr, daß es viel wirksamer wäre, sich zunächst darauf zu konzentrieren, große industrielle Prozesse auf andere Planeten zu verlegen, um dadurch die Erde besser als Garten pflegen und eine immer größere Bevölkerung mit wachsendem Lebensstandard versorgen zu können. Mit einer „Industrialisierung“ des Sonnensystems wären wir in der Lage, völlig eigenständige Kolonien zu schaffen, sog. „Planetellas“, die an keinen Himmelskörper gebunden sind und sich letztendlich über unsere unmittelbare Nachbarschaft über das Sonnensystem hinaus bewegen könnten.
Der Horizont des heutigen Wissenschaftsprogramms der USA ist im Vergleich zu Krafft Ehrickes großartigen Visionen auf eine erbärmliche Enge geschrumpft. Im kommenden Jahr soll das Space Shuttle außer Dienst gestellt werden, ohne daß dafür in den nächsten Jahren ein Nachfolger in Aussicht stünde. Ehrickes Schriften sollten daher eine Pflichtlektüre für unsere politischen Entscheidungsträger, für die Manager der NASA und aufstrebende Wissenschaftler sein, aber auch für jeden anderen, der versteht, daß Phantasie notwendig ist, um Wissen zu erwerben, und sich darüber freut. Marsha Freemans Buch ist dafür ein hervorragender Anfang.
Oyang Teng, LaRouche-Jugendbewegung