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Aus der Neuen Solidarität Nr. 3/2009

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Hintergrund zur „Pecora-Kommission“ für Deutschland

Der folgende Bericht fußt auf einem Artikels von Lonnie Wolfe, „The Morgan Fascist Coup Plot and How FDR Defeated it“, der am 11. August 2006 in EIR Magazine erschien.

Helga Zepp-LaRouche fordert eine Untersuchungskommission des deutschen Bundestags, die nach dem Vorbild der amerikanischen „Pecora-Kommission“ der Jahre 33/34 die Schwindel untersuchen soll, die die größte Finanzkrise der Geschichte ausgelöst hat.

Die Pecora-Kommission geht zurück auf Anhörungen aus dem Jahr 1933, die damals in der Öffentlichkeit große Beachtung fanden. Leiter dieser Hearings war Ferdinand Pecora, der Chefberater des Bankenausschusses des US-Senats.1 Das Mandat für diese Anhörungen, d.h. die Untersuchung der Gründe des Finanzkrachs von 1929,  war im März 1932 erteilt worden. Aber erst nachdem Franklin Delano Roosevelt (FDR) im November 1932 zum Präsidenten gewählt worden war, entwickelten sie sich zu einer machtvollen Waffe gegen die Räuber der Wall Street.

FDR nutzte diese Anhörungen, um mit der weitverbreiteten Vorstellung aufzuräumen, diese Bankiers, deren Namen jeder kannte, seien mächtiger als die Regierung und außerhalb ihrer Kontrolle. Indem er ihre arrogante Korruption dem Scheinwerferlicht der, wie er es nannte, „gnadenlosen Publizität“ aussetzte, legte er die Grundlage für eine umfassende Regulierung dieser Praktiken, die selbst ihre Handlanger im Kongreß und in den Massenmedien nicht verhindern konnten.

Ende 1932 bestätigte Roosevelt die Ernennung von Pecora als Berater des Ausschusses. Pecora war ehemaliger New Yorker Bezirksstaatsanwalt, dem der Ruf der Furchtlosigkeit vorausging. Er hatte vor, die mächtigsten Leute der Wall Street auf die Anklagebank zu bringen und sie in einer Art und Weise zu verhören, wie es in einer normalen Gerichtsverhandlung angesichts ihrer Fähigkeit, sich Recht zu „erwerben“, nicht möglich gewesen wäre.

Zu Beginn der Anhörungen über die Geschäftsbanken erbrachte Pecora den Nachweis, daß einige der einflußreichsten Bankleute, wie Charles Mitchell von National City und Albert Wiggin von Chase, die Anteilseigner ihrer Banken belogen, Aktien zu ihrem eigenen Vorteil manipuliert und Gewinne jenseits jeglichen Anstandes gemacht hatten, ohne auch nur im geringsten das Interesse der Nation zu berücksichtigen. Pecora weigerte sich, ihre Ausflüchte zu akzeptieren, und seine Art des Verhörs ließ sie oft lächerlich aussehen.

Die öffentliche Meinung war schon durch Roosevelts Antrittsrede am 4. März 1933 neugierig geworden, in der er die „Geldwechsler“ mit den folgenden Worten angegriffen hatte: „Die Praktiken der skrupellosen Geldwechsler sind angeklagt vor dem Gerichtshof der öffentlichen Meinung, zurückgewiesen von den Herzen und Köpfen der Menschen...“ Die Pecora-Kommission lieferte in dieser Hinsicht eine Fülle weiterer konkreter Belege.

Anfang März zündete Pecora ein Feuerwerk von detaillierten und peinlichen Fragen über die Geschäftstätigkeit des Hauses Morgan und dessen Beziehungen zu anderen Banken, Unternehmen und Kunden. Der Rechtsanwalt der Morgan-Bank, John W. Davis, ehemaliger US-Botschafter in Großbritannien und Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahlen 1924, bezeichnete die Fragen als unverschämt. Aber letztendlich war Morgan gezwungen, sie zu beantworten und im Mai und Juni Befragungen im Rahmen des Hearings über sich ergehen zu lassen, die das Fundament der „Geheimregierung“ erschütterten.

Den größten Teil der Monate Februar, März und April 1933 verbrachten Pecora und sein Stab mit langen Arbeitstagen in den New Yorker Büros von J. P. Morgan & Co., wo sie die Aufzeichnungen über Finanzgeschäfte seit dem Ersten Weltkrieg durchgingen.2 Er sagte niemandem - vielleicht mit Ausnahme des Weißen Hauses -, was er eigentlich suchte und zu welcher Taktik er greifen würde, aus Furcht, daß die Informationen an Morgan verraten werden könnten.

Das Hearing wurde am 24. Mai vor „vollem Haus“ eröffnet. J. P. Morgan jun. war der erste Zeuge. In seiner anfänglichen  Stellungnahme, die am nächsten Tag in der New York Times abgedruckt wurde, überhäufte Morgan sich selbst und die „ehrenwerte Tradition“ des privaten Bankwesens in den USA mit Lob. Ihm zufolge kam ihm eine ganz wesentliche Rolle zu.

Morgan hatte einmal gesagt, daß er nie in „unfertige Industrien“ investieren würde, denn es sei sein Ziel, den monetären Profit seiner Kunden zu maximieren. Dieser Ausspruch, der von den meisten Privatbankiers geteilt wurde, bedeutete, daß es keine wirkliche wirtschaftliche Entwicklung geben würde und das Unternehmertum begrenzt blieb - das genaue Gegenteil der Prinzipien des Amerikanischen Systems, das für FDR maßgebend war.

In den darauffolgenden Tagen sollte deutlich werden, was Morgan mit „privatem Bankwesen“ meinte, nämlich die unbehinderten Finanzmanipulationen eines oligarchischen Clubs, in dem die Reichen und Mächtigen enorme Profite einstreichen durften, und durch die das Haus Morgan nicht nur Wertpapiere kaufen und verkaufen, sondern auch die Kontrolle über den größten Teil der US-Industrie erringen, Politiker und Diplomaten kaufen und in wirksamer Weise die mächtigsten Banken der USA kontrollieren konnte.

Fünf Jahre später schrieb Pecora in seinem Buch Wall Street under Oath: „Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese kleine Gruppe hochrangiger Bankiers, die die Quellen der Wirtschaftsaktivität kontrolliert, mehr Macht als jede andere Gruppe in den Vereinigten Staaten hat.“

Morgans Bankierskollegen antworteten auf diese Anschuldigungen lammfromm mit der Aussage, es möge vielleicht so scheinen, als ob sie viele Unternehmen und Banken kontrollierten, in Wirklichkeit würden sie aber nur einen „Dienst“ leisten und keinerlei Kontrolle ausüben, die in etwas anderem als der „Macht von Argument und Überzeugung“ bestünde.

Morgans Partner Thomas Lamont, der eigentlich die Bank leitete, erzählte dem Ausschuß, der weit verbreitete Glaube an die große Macht des Hauses Morgan sei „eine starke, in der Bevölkerung grassierende Täuschung“. Die Firma biete lediglich Ratschläge an, die die Kunden annehmen oder sein lassen könnten. „Uns wird Macht oder Einfluß unterstellt; wir geben zu, daß wir hoffen, daß unsere Ratschläge vielleicht6 von Nutzen sein werden...“

Gleich am ersten Tag kam heraus, daß J. P. Morgan und dessen 20 Partner bei Morgan & Co. und bei seiner Bank Drexel & Co. in Philadelphia 1931 und 1932 gar keine und in den Jahren davor nur sehr wenig Einkommenssteuer gezahlt hatten! Morgan verteidigte sich mit der Behauptung, daß er nur die Möglichkeiten der Steuergesetze genutzt habe: „Wenn die Gesetze fehlerhaft sind, so ist das nicht mein Problem“, gab er dem Ausschuß auf arrogante Weise zu verstehen. Es wurde auch gezeigt, daß das Finanzamt (IRS) Morgans geschäftliche Transaktionen nie untersucht hatte. Alles, was die Bank an Unterlagen beim Amt eingereicht hatte, war von den Prüfern, ohne auch nur einen kurzen Blick darauf zu werfen, einfach weitergereicht worden!

Pecora kämpfte darum, daß verschiedene Punkte in das öffentliche Protokoll aufgenommen wurden: Listen von Unternehmen und Banken, in denen Morgans Partner Direktoren waren, Listen von Banken, bei denen sie Einlagen hatten, und die Bilanzen der Bank für die letzten drei Jahre.

Am schockierendsten waren die Listen der „Vorzugskunden“ und Freunden der Bank, denen zu Preisen unterhalb des Marktpreises 1929 ein größeres Aktienangebot zu spekulativen Zwecken gemacht worden war. Die Liste enthüllte zwei Kategorien von Morgan-„Kumpanen“. In der ersten standen wahre „Freunde der Firma“, die Morgans Verbündete und Agenten waren, die zweite war eine „Angelliste“, aus der sie zukünftige Agenten, zu denen die Beziehungen vertieft werden sollten, rekrutieren wollten. All das zeigte, daß Morgan seit mehr als drei Jahrzehnten diejenigen an seiner Leine hatte, die die US-Finanzpolitik machten, genauso wie die Führung beider politischer Parteien und einen Großteil der Bundesrichter!

Pecora zeigte, und Morgans Partner bestätigten das, daß Morgan einer der vertraulichsten und sensibelsten Aspekte der britischen Finanzpolitik oblag - die Stabilisierungsoperationen der Bank von England für das Pfund. Auf amerikanischer Seite waren J. P. Morgan jun. persönlich und Thomas Lamont damit befaßt. In London koordinierte das Büro von Morgan Grenfell 3, in dem zwei Mitglieder des britischen Oberhauses saßen, die kontinentaleuropäischen Operationen.

Als Pecora darauf hinwies, daß Teilhaber der Morgan-Vertretung in London gleichzeitig im Oberhaus saßen und Vertreter der englischen Regierung seien, brausten Morgan und seine Partner auf und behaupteten, es gebe bei ihnen eine „Mauer“ zwischen Geschäft und Politik. Als Pecora den Punkt dennoch weiter verfolgte, erklärte der „Toryfaschist“ Morgan einfach, daß es überhaupt keinen politischen Konflikt zwischen den USA und Großbritannien geben könne, und wenn diese „absurde“ Eventualität dennoch eintreten sollte, dann würde sich das Haus Morgan als „verläßlicher Bankier“ erweisen!

Die Presse überall in den USA, selbst die von Morgan kontrollierten Organe, mußten täglich über die Hearings berichten. Es war unmöglich, sie so zu redigieren, daß Morgan in einem günstigen Licht dastehen würde. Die New York Times schrieb kleinlaut, es sei nichts Sensationelles an den Enthüllungen, es seien alles „alte Informationen“. Sie verstieg sich sogar dazu, Morgan dafür zu loben, daß er auf Mängel bei den Einkommenssteuergesetzen hingewiesen habe!

Pecora schrieb: „Die Macht J. P. Morgans war keine ‚starke, in der Bevölkerung grassierende Täuschung’, wie Mister Lamont es gerne glauben machen würde, sondern eine eindeutige Tatsache... Sie reichte in jede Ecke der Nation und durchdrang die Öffentlichkeit genauso wie die wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die durch eine derartige Institution geschaffenen Probleme gehen weit über die Regulierung von Banken im engeren Sinne hinaus. Sie könnte ein furchterregender Rivale für die Regierung selbst sein.“

Die Anhörungen des Bankenausschusses des Senats zu den New Yorker Geschäftsbanken wurden bis in die zweite Woche des Juni 1933 fortgesetzt. Danach richtete Pecora seine Geschütze auf Kuhn, Loeb & Co. und deren großspurigen Chef Otto Kahn, der von dieser Kabale angewiesen worden war, eine sympathischere Miene als die steifen Morgans und Partner zur Schau zu stellen. Ähnlich verhielten sich die Partner bei Dillon, Read & Co., als Pecora weitere Beweise für die Manipulation der Finanzmärkte und andere höchst ordnungswidrige Praktiken ans Tageslicht brachte.

Während dieser Anhörungen war Roosevelt in der Lage, ein gesetzliches Regelwerk durch den Kongreß zu bringen, das Wall Street zügelte. Von der Öffentlichkeit wurde er dabei weitestgehend unterstützt.

Die Anhörungen wurden danach bis in den Spätherbst ausgesetzt, um sie dann zur Untersuchung bestimmter Spekulationsschwindelgeschäfte wieder aufzunehmen. Der von FDR gewollte Effekt war bereits erreicht, denn die Presse war gezwungen, dem Zorn des „gemeinen Mannes“ über Korruption und Arroganz der internationalen Finanzwelt Rechnung zu tragen.


Anmerkungen:

1.  Eine der besten Bestandsaufnahmen dieser Anhörungen ist von Pecora selbst geschrieben worden: Wall Street under Oath, 1939.

2.  Die Macht des Bankhauses Morgan in dieser Zeit war enorm und kann geschichtlich nur mit dem Einfluß von Häusern wie den Bardi und Perruzi des 14. Jahrhunderts oder den Fuggern und Welsern im 16. Jahrhundert verglichen werden. Auf Seiten der Siegermächte des 1. Weltkriegs war Morgan der entscheidende Finanzier. Die britischen Kriegshandlungen wären ohne Morgan gar nicht möglich gewesen. Es ist damit nicht weiter verwunderlich, daß die US-Delegation bei den Reparationsverhandlungen in Versailles quasi eine Abordnung des Hauses Morgan war. Die Finanzgeschichte der Weimarer Republik kann ohne das Haus Morgan gar nicht verstanden werden.  Der Autor des Dawes-Plans, Charles G. Dawes, z.B. hatte vor dem 1. Weltkrieg die Chicagoer Morgan-Filiale (Central Trust Company) geleitet und arbeitete nach dem Krieg wieder für Morgan. Als das Schema des Dawes-Plans 1929 nicht mehr funktionierte, gab es den Young-Plan. Die deutschen Reparationszahlungen waren mit von Morgan aufgelegten kurzfristigen Anleihen bezahlt worden, was die Gesamtverschuldung Deutschlands enorm ansteigen ließ, obwohl schon Milliarden an Reparationen gezahlt worden waren, denn Morgan und seine Bankiers ließen sich ihre „Hilfe“ natürlich teuer bezahlen. An den Verhandlungen über den Young-Plan nahmen John Pierpont Morgan und sein führender Manager Thomas Lamont persönlich teil. Seymour Parker Gilbert, der langjährige Leiter der Berliner Reparationsbehörde der Siegermächte, die in jeden deutschen Haushaltsplan zur Sicherstellung des Primats der Reparationen hineinregieren konnte, wurde nach seinem Ausscheiden 1931 Angestellter des Bankhauses Morgan. Und noch ein durchaus nicht Unbekannter befand sich im Orbit des Morgan-Imperiums: Hjalmar Schacht. Schon sein Vater hatte die deutschen Geschäftsaktivitäten einer Lebensversicherung der Morgan-Gruppe geleitet...

3. Morgan Grenfell wurde 1989 von der Deutschen Bank gekauft. Auf die politische Bedeutung dieser „Akquisition“ (d.h. wer eigentlich wen erworben hat) kann hier nicht näher eingegangen werden.

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Das Gemeinwohl schützen: Wie Roosevelt die Bankenkrise überwand
- Neue Solidarität Nr. 41/2008
Gerechtigkeit für F.D. Roosevelt
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Franklin D. Roosevelt und sein Erfolgsprogramm gegen die Depression: Teil I - Teil II - Teil III - Teil IV
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